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Stimmmen zum dramatischen Finale Zweitliga-Finale mit Frankfurts Aufstieg

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Stimmmen zum dramatischen Finale Zweitliga-Finale mit Frankfurts Aufstieg

Stimmmen zum dramatischen Finale Zweitliga-Finale mit Frankfurts Aufstieg

Spektakuläre Dramaturgie

Thomas Klemm (FAZ 27.5.) klatscht Beifall. „Vor einigen Jahren stellte ein fußballbegeisterter Feuilletonist eine Frage, die allerspätestens seit Sonntag nur noch unter den hartgesottensten Kulturfreunden umstritten bleiben kann: Was besagt ein Shakespearescher Theatertod gegen das entscheidende Kopfballtor in der 92. Minute? Die Antwort muß lauten: Er besagt nichts. Die an Wandlungen, Windungen und Wendungen reichen Dramen des William Shakespeare wurden am letzten Spieltag der Zweiten Fußball-Bundesliga durch eine spektakuläre Dramaturgie überboten, die zugleich ein tags zuvor vergleichsweise fades Erstliga-Finale auf wundersame Weise in den Schatten stellte. In der 93. Minute war es sogar, als der Frankfurter Schur – tatsächlich per Kopf – den entscheidenden Treffer zum Aufstieg der Eintracht erzielte und damit den FSV Mainz 05, der lange Zeit die Nase vorn hatte, in der Nachspielzeit aus der ersten Liga verstieß. Happy-End in Frankfurt, Tragödie für Mainz – wer mag nach solchen Dramen widersprechen, wenn es allerorten heißt: Das bietet nur der Fußball, das ist Fußball. Seit Sonntag ist der an Knalleffekten nicht arme Sport um eine Sensation reicher (…) Begleitet wurde die Wiedergeburt vom Tod eines Klischees. Der einst zur Selbstüberschätzung neigende Frankfurter Klub hat sich in dieser Saison das zweite Wunder nach dem verhinderten Bundesligaabstieg 1999 in aller Bescheidenheit erarbeitet; vor allem dank der unprätentiösen Arbeit von Trainer Willi Reimann. So wurde die Geschichte der Eintracht in dieser Saison um eine weitere wundersame Wendung bereichert: Die launische Diva vom Main starb einen spektakulären Theatertod auf der Fußballbühne.“

Spiel der tausend Tode

Tobias Schächter (taz 27.5.) fieberte mit. „Der Wahnsinn ist in Frankfurt zu Hause, der Größenwahnsinn sowieso. Und nirgendwo weiß man das besser als bei den Fußballern aus der Bankenmetropole. Zu oft stürzte der Adler der Frankfurter Eintracht aus wolkiger Höhe auf den harten Boden der Realität – um danach gleich wieder auf den nächsten Flug nach Wolkenkuckucksheim abzuheben. Alles an Emotionen schien man als Anhänger dieses Klubs schon erlebt, alles schon gefühlt zu haben. Aber das, was sich am späten Sonntagnachmittag in diesen denkwürdigen 90 Minuten gegen den SSV Reutlingen abspielte, hatte noch keiner, der an diesem Tag, dem 25. Mai 2003, in Frankfurt im Stadion war, je erlebt. Es war ein Spiel der tausend Tode – und der tausend Wiedergeburten.“

Für die Eintracht wird es um den Klassenerhalt gehen

Jan Christian Müller (FR 27.5.) warnt. “Man muss kein Prophet sein, um Eintracht Frankfurt eine ganze Menge Niederlagen für die kommende Saison vorherzusagen. Man muss auch kein Prophet sein, um diesem mal wieder im Umbruch befindlichen Club einen unruhigen Herbst vorherzusagen. Vermutlich wird der heute noch gefeierte Willi Reimann schon morgen damit rechnen müssen, arg in die Kritik zu geraten. Denn erstens haben Niederlagen in Frankfurt traditionell viel schneller zu hektischen und unüberlegten Aktivitäten geführt als anderswo, und zweitens ist Reimann nicht der umgängliche Typ, der sich in Verein und Aufsichtsrat viele Freunde gemacht hätte (…) Für die Eintracht wird es in der Saison 2003/04 um den Klassenerhalt gehen. Den Abstieg zu verhindern, wäre angesichts der zu erwartenden Konstellation ein bemerkenswerter Erfolg. Denn dass sich der 1. FC Kaiserslautern und Bayer Leverkusen noch einmal derart fahrlässig in den Sumpf ziehen lassen wie im abgelaufenen Spieljahr, steht nicht zu erwarten. Freiburg und vor allem Köln haben als Mitaufsteiger bereits einige Wochen Vorsprung. Der Keller im Oberhaus wird kleiner. Es wird eng, dunkel und unangenehm dort drunten. Und irgendwann wird die eintracht-typische Panik ausbrechen. Wetten!“

Thomas Becker (SZ 27.5.) beschreibt die Stimmung in Frankfurt. „Veitstänze, Purzelbäume, Bierduschen – übermütig wie Dreijährige turnten die Spieler übers Feld. Das hessische Comedy-Duo Mundstuhl textete „Football’s coming home“ um zu „Frankfurt kommt nach Haus“. Alexander Schur, „Frankfurter Bub“ und Schütze des entscheidenden Tores, schnappte sich das Mikro, zwang die Fankurve zum Schuhe-Ausziehen und sang: „Wir nehmen die Schuhe in die Hand und wissen nicht warum, Scheiße sind wir dumm, Scheiße sind wir dumm.“ Selbst Trainer Willi Reimann, Prediger des Ballflachhaltens, flippte für seine Verhältnisse aus, nahm die Jubelarme gar nicht mehr runter, schaffte es, mit einem Zwei-Liter-Humpen Bier von Tribüne zu Tribüne zu rennen, ohne einen Tropfen zu verschütten. Dass ihn die Bierdusche doch noch traf, störte nicht weiter. Der Präsident, Peter Fischer: Wenn er nicht gerade heulte, schüttelte er den Kopf: „So was kannste nur in Frankfurt erleben. Dagegen ist Matrix ein Kinderkarneval.“ (…) Mittendrin steht sie, ungerührt trotz all dem Trubel. In der Linken zwischen Daumen und Zeigefinger die Waage, den kleinen Finger abgespreizt, als wäre ihr nicht ganz wohl mit dem, was sie da in der Hand hält. Aber für die Justitia im Gerechtigkeits-Brunnen aus dem 17. Jahrhundert hat auf dem Römerberg niemand einen Blick. Zigtausend Fans grölen, besingen ihre Aufstiegshelden, die auf dem Balkon genauso toben und grölen. Wen interessiert nach dem verrücktesten aller Bundesliga-Aufstiege noch, ob der nun gerecht war? Justitia sah sich das alles an, wunderte sich immer noch, dass die Eintracht-Waagschale ein paar Gramm schwerer wog als die 05er. Früher floss aus ihrem Brunnen bei Königs-Krönungen Weiß- und Rotwein fürs Volk, heute ist es schnödes Wasser. Dieses wieder in Wein zu wandeln – nichts Geringeres erwarten die Fans, die schon wieder vom Uefa-Cup singen und den Bayern die Lederhosen ausziehen wollen.“

Wie sehr hätte man sich bei diesem Spiel ein englisches Publikum gewünscht

Michael Eder (FAZ 27.5.) bedauert die armselig reagierenden Fans der unterlegenen Braunschweiger und bewundert statt dessen den Mainzer Anhang. „Wie sehr hätte man sich bei diesem Spiel ein englisches Publikum gewünscht. Eines, das sich am Ende von den Plätzen erhebt und nicht nur die eigene Mannschaft feiert, sondern auch dem Gegner für eine große Leistung applaudiert. Aber viel zu viele der 21.000 Braunschweiger unter den 23.500 Zuschauern erwiesen sich nur als Eintracht-Fans, aber nicht als einfühlsame Freunde des Fußballs. Sie überschütteten die Spieler des FSV Mainz 05 mit Spott, Hohn und Häme. Das war die schwerste Niederlage an diesem Tag, sagte der Mainzer Trainer Jürgen Klopp. Nicht für uns, sondern für diese Menschen.“ (…) Daheim hatten sich 25.000 Anhänger der Mainzer Mannschaft, die mit ihrem abenteuerlich offensiven Stil in den letzten beiden Jahren einen Fußball-Boom in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt ausgelöst hatte, auf dem Gutenbergplatz versammelt, um die Live-Übertragung des Spiels aus Braunschweig zu verfolgen. Es gab viel zu feiern während der 90 Minuten, doch am Ende herrschte auch hier nur noch blankes Entsetzen. Am Ende lief über die Lautsprecher nicht So ein Tag, so wunderschön wie heute, am Ende spielten sie den traditionellen Trostspender der Mainzer Fastnacht. Heile, heile Gänsje, es is bald wieder gut. Aber wird das je wieder gut sein? Kann sich ein Verein von einem solchen Schlag erholen, am Aufstieg gescheitert wegen eines einzigen Tores? (…) Am Montag nachmittag wurde schon wieder gefeiert. Die Mannschaft und Tausende von Fans trafen sich auf dem Gutenbergplatz, der Bürgermeister sprach ein paar warme Worte, und eine ganze Stadt feierte den großen Verlierer, der auch in der Niederlage Stil und Klasse bewiesen hatte.“

Erstmals ein bisschen aufgestiegen

Christof Kneer (BLZ 27.5.) hat weitere Kleingeister entdeckt. “Am Tag danach hatte der Schmerz auch den Rest der Republik erreicht. Ich fürchte, klagte ein Leidgeprüfter im Internet-Forum des 1. FC Union Berlin, ich fürchte, für die Heulsusen sind wir nicht mehr Staatsfeind Nummer eins – den Titel nehmen die Braunschweiger mit in die dritte Liga. In Köpenick wissen sie, wie man Mainzer quält. Vor einem Jahr haben sie dem FSV Mainz 05 in einem eigenartig feindseligen Spiel den Erstliga-Aufstieg verdorben, und seitdem gibt es für den Unioner nichts Schöneres, als den Mainzer weinen zu sehen. Vermutlich ist das also ein herrliches Wochenende gewesen für die Anhänger von Eisern Union, aber der Rest der Republik wird die Abschlusstabelle der zweiten Bundesliga weniger lustig finden. Flächendeckend hat das Land Anteil genommen am Schicksal dieses Fußball-Zweitligisten, dessen spezieller Charme darin besteht, Fußball-Zweitligist zu sein. Zum dritten Mal innerhalb von sechs Jahren war Mainz 05 am letzten Spieltag dringend aufstiegsverdächtig – aber zum dritten Mal blieben den Mainzern am Ende nur Komplimente für ihr schönes Spiel und ihren charismatischen Trainer. Aber es wird wenigstens knapper jetzt – vor sechs Jahren fehlte noch ein Sieg zum Aufstieg, vor einem Jahr fehlte ein Punkt, und nun, nach dem 4:1-Erfolg in Braunschweig, fehlte den Mainzern ein einziges Tor. Man kann sagen, dass sie erstmals ein bisschen aufgestiegen waren. Sie waren aufgestiegen, als ihre Partie abgepfiffen wurde, und sie waren es so lange, bis sie in diesem schrecklichen Fernseher sahen, wie der Frankfurter Schur hochspringt und dieses schreckliche Kopfballtor zum 6:3 gegen Reutlingen erzielt, in der Nachspielzeit. Es gibt Bilder, die sind so dicht, dass sie der Fußball nie mehr los wird. Man wird nicht vergessen, wie Trainer Jürgen Klopp vor dem schrecklichen Fernseher zusammenzuckt. Man wird ihn immer sehen, wie er ausbricht aus dem Kreis der Spieler, wie er einsam ein paar Meter Rasen abschreitet. Und wie er dann plötzlich, unglaublich aufrecht, auf die eigenen Fans zuläuft und ihnen so etwas wie Dank oder Mut oder beides zuklatscht.“

BLZ-Interview mit Alex Schur

(26.5.)

Thomas Kilchenstein (FR 26.5.) gratuliert der Eintracht zum Aufstieg. „sie können stolz sein, stolz auf eine Saison, die viel besser verlaufen ist als die meisten erwartet haben. Man kann den Hut ziehen vor der Leistung dieser Mannschaft ohne echten Star, die vom ersten Spieltag an immer ganz oben mitgemischt hat. Sie hat eine rechtschaffen respektable Saison gespielt. Und sie hat, und das ist das Verdienst des Trainers Reimann, durch engagierte, ehrliche Arbeit, nahezu immer bis ans Limit gehend, Vertrauen bei den Fans, beim Umfeld zurückgewonnen. Die Eintracht hat schließlich ihr ramponiertes Image aufpoliert, und zwar mit Tugenden, die lange verschütt gegangen waren in diesem Club: mit Bescheidenheit und Demut. Sowohl auf der Wiese als auch hinter den Kulissen. Und zu einem Happyend, zu einem der unglaublichsten Art, hat es sogar auch noch gereicht.“

Mounir Zitouni (FR 26.5.) berichtet von enttäuschten Mainzern. “In Braunschweig war schon immer Platz für große Gefühle, wenn die Zuschauer ins altehrwürdige Stadion an der Hamburger Straße strömten. Für die Emotionen war bislang die heimische Eintracht zuständig, der deutsche Meister von 1967. Auch gestern erlebte die mit 23.500 Zuschauern picke-packe volle Spielstätte einen denkwürdigen Nachmittag, doch die Blau-Gelben spielten diesmal nicht die Hauptrolle. Sie gebührte dem Gegner. Der hieß FSV Mainz 05 und war nach Braunschweig gekommen, um Fußball-Geschichte zu schreiben. Das taten die Mainzer dann auch. Doch nicht mit dem ersten Aufstieg in die Bundesliga, den alle ersehnt hatten und den sie bei Spielende noch in ihren Händen wähnten. Doch mit Schurs Treffer zum 6:3 der Eintracht im fernen Frankfurter Waldstadion wurden die Rheinhessen in Niedersachsen jäh aus allen Aufstiegsträumen gerissen. Der Gegentreffer von Abdul Thiam in der 80. Minute zum 1:4-Endstand war, was die Braunschweiger Partie im dramatischen Fernduell zwischen Frankfurt und Mainz betraf, entscheidend. Mindestens ebenso sehr aber auch das Unvermögen der Mainzer, zum Spielende hin selbst aus dicksten Chancen durch Woronin, Azaouagh und den vierfachen Torschützen Auer weiteres Kapital zu schlagen. Am Mittelkreis angetreten, um eigentlich im Verbund den größten Erfolg der Vereinsgeschichte zu bejubeln, traf die Nachricht aus Frankfurt die versammelten Mainzer wie ein Blitzschlag. Trainer Jürgen Klopp eilte mit schnellen Schritten und bleichem Gesicht in die Kabine, Spieler wie Michael Thurk oder Benjamin Auer warfen sich auf den Boden, konnten das eben Verkündete nicht glauben. Das Spielfeld verwandelte sich für sie binnen Sekunden von der Stätte des vermeintlichen Triumphs in einen Ort fassungsloser Trauer, während die unterlegenen Gastgeber nach ihrem dritten Abstieg aus der zweiten Liga von ihren Fans noch gefeiert wurden (…) Vielleicht waren sich die Gäste ihrer Sache so kurz vor Toreschluss gar zu sicher. Auch Thiams Gegentreffer schien sie nicht weiter aus der Ruhe zu bringen. Mainz verwaltete den vermeintlich sicheren Vorsprung vor dem großen Rivalen in Frankfurt – und wurde dafür bitterböse bestraft. Die Verantwortlichen der 05-er rangen nach dem K. o. in letzter Runde natürlich um Fassung. Wenn es Gerechtigkeit gäbe, wären wir aufgestiegen, haderte Präsident Harald Strutz mit höheren Mächten. Doch bewies der Clubchef, der zunächst seinen Tränen freien Lauf gelassen hatte, auch Größe, trat vors Mikrofon und gratulierte den Frankfurtern: Glückwunsch an die Eintracht. Sie haben das Tor halt gemacht, also haben sie es auch verdient. 05er-Manager Christian Heidel wischte sich die rotgeheulten Augen blank und verkündete in einer Mischung aus Trotz und Stolz: Ich hab‘ keine Lust auf eine Tränenarie. Wir werden wieder aufstehen. Nur kein Mitleid.“

FR-Spielbericht Eintracht Frankfurt – SSV Reutlingen 6:3

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