Ballschrank
The Scotsman
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| Donnerstag, 25. März 2004
Die schottische Tageszeitung The Scotsman lässt an der englischen Leistung gegen Brasilien kein gutes Haar: „Unter der unerbittlichen Sonne und einem Himmel ohne Mitleid verbrannte England und vor allem der Torhüter. Ein Mann kurz vor der Rente wurde in die Verzweiflung getrieben. Anstatt ihm für die vielen Jahre zu danken, wurde der 38-Jährige als eine Art Andenken präsentiert. Seaman brach vor der ganzen Welt in Tränen aus, und bewies damit, dass Torhüter, obwohl verrückt, nicht komplett einem anderen Stamm angehören. Sie können wie auch wir zerbrechen. Das Bild der Hand, die er über sein Gesicht hielt, um die Tränen zu verdecken, trugen zu einer Szene mit unglaublichen Pathos, die nur schwer zu ertragen war. „Wir haben viel gelernt“, sagte Eriksson nach dem Spiel. Sie haben vor allem gelernt, wie man nicht gegen zehn Mann spielt. England bewies sich selbst, dass sie so zweitklassig sind, wie es viele befürchteten.“
Ronald Reng (FR 22.6.) über das Spiel Brasilien gegen England. „Es war ein solider Erfolg für Scolaris Team. Der größere Sieg war aber vielleicht, dass nun, aufgrund des Renommees des geschlagenen Gegners, wohl erstmals die Massenmedien und das breite Publikum zuhause die Tugenden dieses Teams zu schätzen beginnen. Bislang war Scolaris Brasilien über Gebühr, vor allem von den nationalen Medien, kritisiert worden. Weil die Offensivkräfte Ronaldo oder Rivaldo sich mit ihren Einzelaktionen über jede Kritik stellten, wurde das diffuse Gefühl, dass etwas mit diesem brasilianischen Team nicht stimmt, an den Defensivkräften ausgelassen. Innenverteidiger Lucio von Bayer Leverkusen lieferte mit einer haarsträubenden Vorlage für Owen zu dessen Tor zwar wieder Bildmaterial für nationale Entrüstung. Doch konnte niemandem verborgen bleiben, wie gut Brasilien im Gesamtverbund verteidigte, gerade mit nur zehn Mann.“
Bei Martin Hägele (NZZ 22.6.) lesen wir. „“Good old England“ ist nämlich keinesfalls im Spielrausch der viermaligen Champions untergegangen. Die Engländer unterlagen ganz einfach, weil selbst neun brasilianische Feldspieler mehr rannten und rackerten als zehn vom Mutterland. Die einzige Samba-Nummer hatte Ronaldinho in der Nachspielzeit der ersten Hälfte auf den Rasen gelegt. Soll bloß kein Mitteleuropäer versuchen, in solchem Tempo mit Übersteigern und Side-Steps eine komplette Abwehr auszutanzen (…) Man kann über die Rechtmäßigkeit der roten Karte für Ronaldinho streiten – und auch ganz anderer Meinung sein. Hinterher aber weiß man, dass er den Kollegen damit sogar einen Dienst erwiesen hat. Ähnlich wie die Deutschen gegen Kamerun nach Ramelows Ausschluss traten die Brasilianer nun als homogenes Team auf; jeder, selbst Ronaldo und Rivaldo, verteidigte erst einmal den Vorsprung.“
Peter Heß (FAZ 22.6.) zum selben Spiel. „Die beiden charismatischsten der noch im Turnier verbliebenen Teams auf dem Feld, die beste Abwehr gegen den besten Angriff, Samba-Fußball gegen Beckham-Magie – es gab viele Gründe, die Vorfreude ins Unermessliche zu steigern. Aber am Ende wurde es ein ganz normales Fußballspiel, angereichert mit ein paar glanzvollen und ein paar grotesken Szenen (…) Die oft gescholtene Abwehr erwies sich bis auf Lucios Aussetzer als hervorragend aufeinander eingespielte Einheit. Sogar die gefürchtete Kopfballstärke der Engländer nach Flanken und Ecken von Beckham kam nicht zum Tragen. Mit wässrigen Augen bat Scolari noch um ein Schlusswort ans brasilianische Volk: „Glaubt, glaubt: Wir Brasilianer können noch viel mehr. Nicht nur im Fußball, überhaupt.“ Nach dieser disziplinierten Meisterleistung mit einigen Blitzen großer Klasse darf Brasilien auf jeden Fall an ein gutes Ende dieser WM glauben.“
Holger Gertz (SZ 22.6.). „Ein großes Spiel? Naja, jedenfalls hatten die Brasilianer Großes geleistet, wenn das bedeutet: diszipliniert spielen, den Gegner stören, die Kunst dem Resultat unterordnen.“
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