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| Donnerstag, 25. März 2004
Themen: „der chaotischste Saisonstart, den Italien je erlebt hat“ (FAZ) – Montella fliegt wieder – Beckham macht alles richtig, wirklich alles – neuer Realismus in Barcelona – Lehmann verblüfft Arsenal-Anhänger und stellt Ansprüche im Nationalteam – Häßlers Debüt in Salzburg u.v.m.
Chaotischster Saisonbeginn, den Italiens Fußball je erlebt hat
Dirk Schümer (FAZ 2.9.) berichtet den ersten Spieltag der Serie A. „Es war der chaotischste Saisonbeginn, den Italiens Fußball je erlebt hat. Nach einem Streit um die Fernsehverträge, wird die Serie B frühestens mit zwei Wochen Verspätung den Spielbetrieb aufnehmen – und das wohl mit vierundzwanzig Vereinen, von denen vier abgestiegene oder bankrotte Clubs nur aus dubiosen Gründen gnadenhalber zugelassen wurden. Über diese Maßnahme, die tausende von Fans auf den Straßen demonstrieren ließ, ist die Führung von Verband und Liga inzwischen heillos zerstritten. Sogar ans Verfassungsgericht will ein erboster Vereinspräsident aus Cagliari appellieren, um – wie er sagt – den Sport vor den Investoren und Funktionären zu retten. Am Sonntag gab es, nachdem schon der Pokalwettbewerb vor einer Woche von fast allen Mannschaften boykottiert worden war, deshalb erstmal nur Freundschaftsspiele. In der etwas feineren Serie A sah es lange Zeit gleichfalls nach einer peinlichen Verzögerung aus. Doch mit italienischer Improvisationsgabe einigte man sich mit dem neuen Bezahlsender Sky des Medienmoguls Murdoch doch noch auf eine Sendeplattform für die kleinen Vereine, an denen das Bezahlfernsehen wenig Interesse zeigt. Und so konnte die Liga, die in der vorigen Saison immerhin Europas Champions League dominiert hatte, am Sonntag tatsächlich pünktlich angepfiffen werden – trotz eines umstrittenen Regierungsdekrets zur Beendigung von Gerichtsverfahren und trotz dubioser Lizenzerschleichung durch falsche Bürgschaften. Nur wer die Warnzeichen der vergangenen Jahre – den Bankrott von Florenz, die halbe Pleite von Lazio Rom – übersah, konnte dem System mit überteuerten Mannschaften, sinkenden Fernsehgeldern und größenwahnsinnigen Präsidenten noch vertrauen. Aber die rebellischen unter den Vereinseignern der Serie A wagten nach zahlreichen chaotischen Eilversammlungen am Ende doch keinen Aufstand; zu viel Geld stand auf dem Spiel. In jedem Fall hat der Konflikt den Graben zwischen den reichen Großklubs und den Habenichtsen aus den unteren Tabellenregionen weiter vertieft. Der erste Spieltag brachte denn auch durchweg sichere und langweilige Siege der Reichen gegen die Armen. Die Drohung der feinen Gesellschaft aus Turin, Mailand und einigen besseren Adressen, sich mit einer italienischen Premier League, also einer vom Verband unabhängigen Eliteliga, selbständig zu machen, ist durchaus ernstzunehmen.“
Peter Hartmann (NZZ 2.9.) fliegt auf Montella. „Vincenzo Montella hat ein rabenschwarzes Jahr hinter sich. Seine schöne Ehefrau Rita ist ausgeflogen, sein Klub, die AS Roma, stürzte in der Meisterschaft tief ab, und er selber hatte kaum noch Gelegenheit, seine „Aeroplanino“-Jubelnummer aufzuführen. Eine Bilanz von neun Saisontoren ist für einen Goalgetter, der auf einer Gage von 4,5 Millionen Euro beharrt, wenn schon Totti als Regisseur zu Abstrichen bereit ist, fast ein Entlassungsgrund. Abgeschoben wurde, letzten Winter, der Argentinier Batistuta, mit dem er sich hinter den Kulissen und manchmal auch auf dem Feld eifersüchtige Querelen geliefert hatte. Aber jetzt spürt der 29-jährige Montella, als Mittelstürmer ein Leichtgewicht, wieder Aufwind. In Udine gelang ihm in der Startrunde der SerieA ein artistischer Treffer mit dem Absatz zum 2:1-Sieg der Römer. Fliegerchen Montella breitete seine Arme aus und begann zu schweben. Aus der Wundertüte des Calcio sprühten die Tore nur so heraus an diesem Wochenende, 30 insgesamt, das Montagabend-Spiel Ancona gegen Milan nicht gerechnet, kein einziges Null-Null, Del Piero traf zweimal für Juventus, Vieri tat für Inter seine Pflicht spät, in der 86.Minute, aber er tat sie – mit dem erlösenden 1:0 gegen das bescheidene Modena-Team (am Ende gewann Inter 2:0). Aber die Fernsehsender zeigten immer wieder ihn, Vincenzino, Rücken zum Tor, mit diesem magischen Touch, dieser leichtfüssigen Ballabfälschung. Das war wieder der alte Montella, auch wie er nach dem Spiel gegen den Trainer zu polemisieren begann: „Ich kenne mein Schicksal, ich weiss, Capello bevorzugt grosse, athletische Stürmer.“ Das war eine Kampfansage an den neuen Konkurrenten John Carew, den schwarzen Riesen aus Valencia, der zum Nulltarif nach Rom kam.“
Eine Art Nachfolger von Lady Di
Beckham mache alles richtig, lobt Peter Burghardt (SZ 2.9.). „Dem Hauptdarsteller stehen Schweißperlen auf der Stirn, Beckham trägt jetzt ein hellblaues Hemd mit Nadelstreifenjacket und Jeans, ein frisch geduschter Dressman. Um seinen schmalen Mund ziehen sich feine Lachfalten, die blauen Augen blitzen, und die Brillantringe glänzen im Scheinwerferlicht, als er den Reportern geduldig die harmlosen Fragen beantwortet. Eine gute Nacht? „Yeah, a very good night“, sagt er mit seiner weichen Stimme. Traumhaft, das schnelle Tor, und toll, die Mannschaft, „jeder würde gerne in diesem Team spielen“. Ach, „das ist mein glücklichster Moment in anderthalb Jahren“. Die Berichterstatter erleben einen netten jungen Mann mit britischen Manieren, dem sein Beruf Spaß macht. In solchen Momenten sieht es gar nicht so aus, als stünde da der Inbegriff der Dekadenz, mit dem ein Fußballverein seinen Größenwahn auf die Spitze treibt und ein Spiel zur Show verkommen lässt. Dabei fürchten Moralhüter das Schlimmste, seitdem Real Madrid den Kapitän der englischen Nationalelf im Juli für 35 Millionen Euro von Manchester United abgekauft und in einer Zeremonie vorgestellt hat, an der 547 Journalisten teilnahmen und die in 63 Länder live übertragen wurde. „Das war ein Affentheater“, moserte Uli Hoeneß, der Manager des FC Bayern München. Real Madrid entwickle sich „vom Fußballklub zum Zirkus“. Florentino Perez ist die Aufregung nur recht. David Beckham sei gekommen, „weil er ein großartiger Fußballer ist“, erläuterte der Madrider Vereinspräsident bei der Präsentation, als habe er an Fußball erinnern müssen. Perez nannte ihn aber auch „Symbol der Postmoderne“, „kulturelle Ikone“ und „Trendsetter mit hingebungsvollen Fans rund um den Globus“ (…) Laut Studien ist Beckham mittlerweile nicht nur der bekannteste Engländer, eine Art Nachfolger von Lady Di. Er ist der bekannteste Sportler auf dem Erdball. Weil seine Lieblingsnummer 7 bereits der Madrider Kapitän Raul besetzt hatte, überreichte ihm Reals Ehrenpräsident Alfredo di Stefano ein Hemd mit der Nummer 23 – die 23 trug immer der US-Basketballer Michael Jordan, der früher als der bekannteste Sportler galt. In vier Stunden waren die ersten 8000 dieser Trikots zu 78 Euro das Stück vergriffen. Insgesamt sollen weltweit mehr als eine Million davon verkaufen werden, das wären Einnahmen von ungefähr 80Millionen Euro. Der beste Markt wird in Asien vermutet, also gingen Beckham und Real Madrid vor Saisonbeginn sogleich auf PR-Tournee. In Fernost stellte sich dann heraus, dass ein Großteil der Leibchen gefälscht ist, auch sonst kam einem manches unwirklich vor. In Tokio empfing Beckham, der auch für Mobiltelefone, Schönheitssalons und Motorenöl Reklame macht, eine überlebensgroße Schokoladen-Figur seiner selbst. In Bangkok wartete in einem Buddha-Schrein ein goldenes Bildnis des Menschen, den manche für eine abendländische Gottheit halten. In dem Hotel in Thailands Hauptstadt, das die Delegation aus Spanien beherbergen durfte, werden jetzt Beckhams Unterhose und Bademantel versteigert. Bei einem Freundschaftsspiel in Peking sahen ihm eine Milliarde Chinesen zu, das war nationaler TV-Rekord, selbst für Trainingsbesuche wurden 40 Euro Eintritt gezahlt. Mehr als zehn Millionen Euro Gage nahm Real Madrid schließlich mit nach Hause – Beckham selbst hatte 7,5Millionen Euro kassiert, als er wenige Woche zuvor mit seiner Frau vier Tage lang durch Asien getingelt war. Überhaupt, seine Frau! Real hat nicht nur David Beckham verpflichtet, sondern gewissermaßen auch Victoria Adams.“
Was geschah sonst noch in der Primera Division? Georg Bucher (NZZ 2.9.) antwortet. „Neben dem medial überhitzten Liga-Début des Titelhalters interessierte vor allem der doppelte Vergleich zwischen Basken und Katalanen. Real Sociedad war auf dem Montjuic in Schieflage geraten, nach sensationeller Vorarbeit des Südkoreaners Lee Chun Soo rettete der Goalgetter Kovacevic wenigstens einen Punkt gegen Espanyol. Barça hatte in Bilbao – wie in mehreren Testspielen nach einer Standardsituation – reüssiert und sich danach zurückgezogen. Öfter kamen Reiziger, Cocu und van Bronckhorst ins Schwimmen, dennoch lagen die erfahrenen Verteidiger auf der Linie ihres Trainers. Der irritierend emotionslose einstige Weltstar Frank Rijkaard dämpfte Erwartungen punkto Spielkultur und gewichtet vorerst Resultate. Ungewöhnlich im katalanischen Vorzeigeklub, denn die Aficionados erwarten traditionell Ballkunst und Spektakel. Solange den technisch brillanten Zuzügen Ronaldinho und Quaresma die Bindung zu ihren Sturmkollegen Saviola, Luis Enrique und Overmars fehlt, ist der Minimalismus nachvollziehbar. Er spiegelt allerdings Abstriche auf anderen Ebenen. Erstmals musste Barça das Budget gegenüber der Vorsaison – um 27 auf 164 Millionen Euro – reduzieren. Die Saläre wurden von 116 auf 93 Millionen Euro gekürzt, der Kreditrahmen wurde um 40 auf 100 Millionen Euro erweitert. Hintergrund des Wandels sind vier Jahre ohne Titelgewinn mit wirtschaftlich fatalen Folgen. Die Amtszeit des Hoteliers Johan Gaspart geht als dunkles Kapitel in die Klubhistorie ein. Allein in der letzten, nach Gasparts Abtritt von Enric Reyna zu Ende gebrachten Saison stiegen die Verbindlichkeiten um 72 auf 244 Millionen Euro. Ein Immobiliendeal à la Madrid, mit dem die „Königlichen“ schlagartig mehr als 300 Millionen Euro Schulden abbauen konnten, ist nicht in Sicht. Stattdessen will das Präsidium mittels einer „Schocktherapie“ bis 2007 die Schulden tilgen. Ziel ist es, das immer noch hohe Prestige umzumünzen, Beziehungen zu Wirtschaftskreisen zu intensivieren und als Team aufzutreten, in dem profilneurotische Alleingänge von Hahnenkämpfern unerwünscht sind.“
Ich habe Pech, dass ich die Nr. 2 in der Nationalmannschaft bin, ich denke, ich sollte spielen.
Raphael Honigstein (taz 2.9.) klopft Arséne Wenger, dem Trainer von Arsenal London, auf die Schultern, weil Wenger Torhüter Seaman gegen Torhüter Lehmann ausgetauscht hat. „Vor dem Spiel hatte der schlaksige Fußballlehrer zugegeben, aus alter Gewöhnung noch oft Seaman anstatt Lehmann auf den Spielberichtsbogen zu schreiben. Auch sein rechter Verteidiger Lauren schien in der 10. Minute vergessen zu haben, wer genau sein Torwart war: nach einem 30-Meter-Sprint und einem kleinen Schubser von seinem Verfolger Trevor Sinclair schoss der Kameruner mit links unhaltbar für Lehmann ins Netz: ein kurioseres Eigentor wird man diese Saison kaum erleben. Das begabte Ensemble aus London geriet in der Folge völlig aus dem Rhythmus und Keegans Mannen sorgten mit einfachsten Mitteln für Gefahr: PSV-Veteran Paul Bosvelt stieg Patrick Vieira andauernd auf die Füße und Michael Tarnat durfte lustvoll lange, diagonale Bälle in Richtung Nicolas Anelka bolzen, die Chaos in der Abwehr der Gunners verursachten. Allein der starke Lehmann verhinderte mit drei großen Paraden Schlimmeres, bis sich der Vizemeister nach der Pause auf seine Genialität besann und durch Sylvain Wiltord und Ljungberg das Blatt wendete. Der vorzügliche 33-jährige Torwart wurde hinterher von Mitspieler Martin Keown für seine ruhige Ausstrahlung und von Wenger für seine Präsenz gelobt, und auch die Arsenal-Fans haben freudig registriert, dass diese Saison Flanken tatsächlich gefangen werden. Nur in Deutschland vermisst Lehmann die gebührende Zuneigung. Ich bekomme nicht den richtigen Respekt, hat er sich am Samstag im Daily Telegraph beschwert. Ich habe Pech, dass ich die Nr. 2 in der Nationalmannschaft bin, ich denke, ich sollte spielen. Ich bringe zur Zeit bessere Leistung als die Nr. 1. Das macht mich wütend, sehr wütend. Lehmanns Äußerungen werden diese Woche wohl für kleinere atmosphärische Störungen sorgen, doch seinem Arbeitgeber Arsenal lacht derweil die Sonne. Nach Manchester Uniteds unerwarteter 0:1-Niederlage bei Southampton stehen die Londoner ganz oben in der Tabelle.“
Michael Smejkal (SZ 2.9.) berichtet die Premiere Thomas Häßlers in Salzburg. „Der Weltmeister ist bescheiden geworden, sehr bescheiden sogar. „Eine tolle Stimmung herrscht hier, unglaublich, wie mich das Publikum aufgenommen hat“, befand Thomas Häßler nach seinem Debüt am Sonntag im violetten Trikot der Salzburger Austria. Den 37-Jährigen, der einst mit Juventus Turin, Borussia Dortmund oder der deutschen Nationalelf die Kathedralen des Fußballs gefüllt hatte, wollten gerade noch 8500 sehen. Bei Anpfiff waren nicht einmal die 8500 da. Die Fanklubs boykottierten die ersten 15 Minuten, auf den leeren Plätzen waren hohntriefende Transparente zu lesen. „Gaudimax-Sieger 2003: Austria Scheichburg“, stand da zu lesen, in Anspielung auf den missglückten Coup mit einem arabischen Großinvestor, der sich weder als Scheich noch als Großinvestor entpuppte. „Das sind Dinge, die waren vor meiner Zeit, die will ich auch nicht kommentieren“, meinte Häßler. In seiner Zeit in Salzburg geschah ein 0:0, Austrias erster Punktgewinn im siebten Saisonspiel. Trotzdem war es besser, dass Häßler den Inhalt aller Transparente gar nicht so genau verstand. Denn über die ganze erste Reihe spannte sich ein Plakat, auf dem stand: „Roli – für immer in unseren Herzen.“ Mit ganzem Namen heißt jener „Roli“ Roland Kirchler; er war Salzburgs einziger österreichischer Nationalspieler, und am Tag des Häßler-Kaufs wurde er für 25000 Euro an den SV Pasching quasi verschenkt. Kirchler lag im Dauerstreit mit dem Trainer. Als ihm wegen Häßler die Ersatzbank drohte, brach die Beziehung endgültig. Die Geschichte zeigt allerdings auch, wie sehr die Salzburger Austria an Thomas Häßler glaubt.“
Aus Frankreich teilt Arnaud Ramsay (NZZ 2.9.) mit. „Der Lille Olympique Sporting Club (LOSC) war an sich bereits abgestiegen, bevor die Saison begonnen hatte. So oder ähnlich jedenfalls lautete der Tenor der Fachleute vor der Saison. Denn wer bereits vergangene Spielzeit gegen den Abstieg gekämpft hat, für den wird mit dem zweitkleinsten Budget der Liga der Klassenerhalt zum Wunschtraum. Zumal ein Blick auf die Transferliste vor Saisonbeginn die beschränkte finanzielle Potenz der „Nordistes“ noch untermauerte: Mathieu Bodmer, ein Nachwuchsinternationaler aus Caen, stiess neu zum LOSC, während in den Personen von Sylvain N‘Diaye (zu Marseille) und Fernando D‘Amico (zum Aufsteiger Le Mans) zwei wichtige Spieler den Klub verliessen. Ein Blick auf die Tabelle zeigt da Erstaunliches: Vor Jahresfrist mussten die Lillois als Tabellenletzte bis zur fünften Runde warten, ehe sie überhaupt einmal ins Tor trafen. Nun sind sie hinter zwei renommierten Klubs (Monaco und Marseille) Tabellendritte, auch wenn sie am Samstag in Sochaux zum ersten Mal in dieser Saison als Verlierer das Feld verlassen mussten. Liegt das tatsächlich nur am „Dusel“, wie es Michel Seydoux, Filmproduzent und Président délégué des Vereins, schmunzelnd zu ergründen versuchte?
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