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| Donnerstag, 25. März 2004
Themen: Hick-Hack um Makaay -Transfer – Diskussion um Hitze – Führungskrise bei der Eintracht – der langsame Aufstieg von Erzgebirge Aue – der altbekannte Loddamaddäus – ein Geschichtsbuch über Fußball – neuer Servie für Blinde in der AOL-Arena
Mit zwei Themen schlagen sich die Fußball-Chronisten derzeit herum: Erstens erörtern sie mit Ärzten die Gefahren des Rennens und Kämpfens bei 40 Grad. Doch der Vorschlag, die Spiele des kommenden Wochenendes in den Abend zu verlegen, wurde mittlerweile von den Entscheidern abgelehnt: Profis müssten das vertragen! An die Zuschauer denkt keiner; die SZ hat bei DFL und DFB andere Fingerspitzengefühle entdeckt: „Nibelungentreue gegenüber den Geldgebern vom Fernsehen (…) Bundesligatrainer fordern, kurz vor Sonnenuntergang anzustoßen, doch das ist nicht ernst zu nehmen, denn dann müsste die neue Sportschau ab 18 Uhr Segeln oder Wasserski bringen.“
Zweitens verweigert Präsident Lendoiro (Deportivo La Coruña) seine Unterschrift unter den Transfervertrag Makaay und fordert statt dessen von Bayern München einen zusätzlichen Haufen Cents. Dadurch beraubt er uns um die Antwort auf die Frage, wie die Münchner die Verpflichtung des millionenschweren Holländers aufgeführt hätten: nach allen Regeln der Fußballoper vermutlich. Ob die Verantwortlichen von Real Madrid auch hingeschaut hätten? Schließlich kläffte Bayern-Manager Hoeneß vor Monatsfrist noch Zorn und Neid über das ausverkaufte Madrider „Affentheater“ um David Beckham. Dem englischen Pop-Star und Hauptdarsteller applaudieren noch immer Zehntausende.
Kaufmännische Vernunft gegen Großmannssucht
Roland Zorn (FAZ 8.8.) kommentiert die Hintergründe um die Verzögerungen des Makaay-Transfers. „Seitdem die früheren Lire- und Pesetenparadiese verwaist sind und in Euroland Ebbe in den Kassen herrscht, setzt sich auch im Fußball, wenn auch nur allmählich, kaufmännische Vernunft gegen Großmannssucht durch. Und damit wird die lange übersehene Bundesliga langsam konkurrenzfähig. In Deutschland, dessen erste Fußballklasse Schulden von immerhin 860 Millionen Euro belasten, wird zumindest verläßlich bezahlt. Dazu sind die investiven Möglichkeiten der Spitzenklubs im Vergleich zu manchem europäischen Konkurrenten größer geworden. Und das, obwohl auch in der Bundesliga Sparsamkeit das Gebot der Stunde ist. Dennoch: Einen Roy Makaay hätten die Bayern vor ein, zwei Jahren vermutlich noch nicht bekommen, da die reichen Münchner bis heute ihrem Prinzip des ökonomischen Augenmaßes treu geblieben sind. Daß Flavio Conceiçao von Real Madrid nach Dortmund wechselt, Ümit Davala nach den Stationen AC Mailand und Galatasaray Istanbul in Bremen anheuert, sind weitere Anzeichen für die wachsende Attraktivität des Fußball-Standorts Deutschland. Augusto Lendoiro wird schon wissen, daß er aus München garantiert und dazu schneller als von anderswo jeden Cent überwiesen bekommt, den er für den Transfer von Roy Makaay erfeilschen kann. Daß die Bayern diesen beinharten Verhandlungspartner inzwischen als Nervensäge betrachten, muß Deportivos Aufkäufer von gestern und Sanierer von heute nicht weiter kümmern.“
Elisabeth Schlammerl (FAZ 8.8.) teilt dazu mit. „Deportivos Präsident besteht nun darauf, daß die Bayern diesen Betrag zusätzlich zur Ablösesumme entrichten, die Münchner darauf, daß dieser in den 17,7 Millionen Euro, auf die sich die beiden Klubs am Montag abend mündlich geeinigt haben, beinhaltet ist. Für Bayern-Manager Uli Hoeneß ist die Rechtslage klar: Der Verein, der die Ablöse bekommt, hat die Ausbildungsentschädigung zu zahlen. Aber laut Fifa-Reglement muß nicht La Coruña bezahlen, sondern der neue Verein, also der FC Bayern. Es ist wohl Verhandlungssache, ob die fünf Prozent in der Transfersummer beinhaltet sind oder nicht. Vermutlich haben es die Bayern versäumt, dies am Montag abend explizit zu klären. Wie es aussieht, wird sich für die Bayern der Preis noch einmal erhöhen. Um wieviel ist wohl wieder Verhandlungssache.“
Nibelungentreue gegenüber Geldgebern vom Fernsehen
Ralf Wiegand (SZ 8.8.) kritisiert die Haltung der Verbandsfunktionäre, die in der „Hitze-Diskussion“ keine einheitliche Position fanden. „Dem Fußball fällt im Kampf gegen die heißeste Braut des Sommers ein Hoch auf Michaela! – scheinbar nichts ein, außer mal wieder in Nibelungentreue gegenüber seinen Geldgebern vom Fernsehen zu erstarren und ein paar Widersprüchlichkeiten abzuliefern. Warum gestattet der DFB den Klubs der Regionalliga Nord, ihre Spiele zu verlegen, wenn nicht aus medizinischen Gründen? Warum aber gelten dieselben Gründe nicht bei der DFL und der Bundesliga? Ist es in den Büros der Otto-Fleck-Schneise 6 (DFB) heißer als in den Räumlichkeiten der Otto-Fleck-Schneise 6 (DFL)? Kochen Amateure schneller gar als Profis? Man könnte über das Thema Hitze auch ernsthaft diskutieren, Stunden lang und am besten drinnen. Man kann es aber auch sein lassen, denn es führt zu nichts, wenn das Meinungsangebot so breit ist wie in dieser Angelegenheit. Der eine Arzt empfiehlt, den Spieltag von Amtswegen zu verbieten, der andere rät zum Training in brütender Mittagshitze, um den Biorhythmus umzustellen. Der eine Experte hält Ozon für gefährlich, der andere behauptet, Leistungssportlern schade das nicht. Der eine Fernsehsender – Premiere – würde eine Verlegung der Spiele akzeptieren, andere – der MDR etwa – wollen nicht mal die Regionalliga aus ihrer Pflicht entlassen, pünktlich sendefähiges Material abzuliefern. Aber allen ist es zu warm. Schön wär’s schon, hätte die DFL einen eigenen medizinischen Ratgeber, dessen Urteil sie sich beugen könnte. Aus dem Sammelsurium von Meinungen in der etwas heiß gelaufenen Debatte kann sie ja nur den Weg des geringsten Widerstands wählen, und der ist: spielen, als wär’s schon wieder Winter.“
Selbstdarsteller
Ingo Durstewitz (FR 8.8.) kritisiert die Führungsetage von Eintracht Frankfurt. “Die reifen Männer in den feinen Armani-Anzügen hatten lange Zeit, Anschauungsunterricht zu nehmen. Verdammt lange. Sie hätten, auf ihren wichtigen Plätzen in Block acht auf der mittlerweile abgerissenen Haupttribüne hockend, nur mal hinsehen müssen, wie alle 14 Tage mäßig talentierte Profis der Frankfurter Eintracht auf dem Fußballfeld alles daran setzten, ihre Gegner niederzuringen – mit gebündelter Kraft, mit geschlossenen Reihen. Oft genug hat das geklappt, weil sich jeder auf den anderen verlassen konnte und sich auf das beschränkt hat, was er am besten kann. Auf höherer Ebene aber beweisen die Selbstdarsteller von AG und Verein in etwa so viel Teamgeist wie Oliver Kahn auf der Pirsch in der Münchner Abschleppdienst-Zentrale P 1. Bei Eintracht Frankfurt herrscht mal wieder das blanke Chaos. Das Schmierenstück dreht sich, wie in der kleinsten Metropole der Welt üblich, um verletzte Eitelkeiten, Profilneurosen und Geltungsdrang. Der Rücktritt von Jürgen Neppe als Aufsichtsratsvorsitzender kommt beileibe nicht überraschend. Er ist nur die logische Folge aus den vielen Scharmützeln der vergangenen Wochen, als sich alle Verantwortlichen – natürlich nur zum Wohle der Eintracht – gegenseitig zerfleischten. Die Keilereien im Einzelnen: Neppe und Fischer gegen Sparmann und Reimann, Verein gegen AG, Aufsichtsrat gegen Vorstand, zum Schluss Aufsichtsrat gegen Aufsichtsrat. Das war dann kaum noch zu toppen.“
Hintergründe der Führungskrise FR
SpOn-Interview mit Kurt Jara (Hamburger SV)
Wir kommen aus der Tiefe, wir kommen aus dem Schacht
Matthias Wolf (FAZ 8.8.) referiert den langsamen Aufstieg von Erzgebirge Aue. “In der Dresdner Staatskanzlei reibt man sich noch immer die Augen. Von einem Fußballwunder spricht Ministerpräsident Georg Milbradt: Einer Stadt mit 20.000 Einwohnern gelingt das, was Dresden und Leipzig mit 500.000 nicht schaffen, unglaublich. Klar doch, daß ganz Sachsen stolz ist auf seinen FC Erzgebirge aus Aue, das übrigens nur 18.900 Einwohner hat. Als kleinster Standort in der Zweiten Bundesliga nimmt man nun den Kampf gegen scheinbar übermächtige Gegner auf. Mit einem bescheidenen Saisonbudget von 5,1 Millionen Euro. Zwar meldete der Aue-Fanshop ob des Ansturms bereits Lieferprobleme für viele Artikel, wehen an vielen Häusern im Erzgebirge lila-weiße Fahnen – doch bei manchem war der anfängliche Überschwang schon vor der 0:1-Niederlage gegen Regensburg am ersten Spieltag verflogen. Wir sind in einer schwierigen Situation, sagt Trainer Gerd Schädlich: Wer so klein ist und so wenig Geld hat, dem stehen schwere Zeiten bevor. Als Klagen aber will der Fünfzigjährige seine Worte nicht verstanden wissen. Er wußte doch, auf was er sich einließ, als er 1999 in Aue unterschrieb: Jahr für Jahr gingen die besten Spieler, weil sie anderswo mehr verdienen konnten. Aufgestiegen ist der erdverbundene Trainer aus dem Vogtland mit einem Kader voller Sachsen, Thüringer und Brandenburger, verstärkt mit einer Handvoll Osteuropäer. Nur 2,5 Millionen betrug das Budget – da investierten selbst viertklassige Klubs wie der VfB Leipzig oder Carl Zeiss Jena mehr. Doch während sie dort von der Angst wie gelähmt sind, in der Bedeutungslosigkeit vollends zu verschwinden, läuft das in Aue ganz anders. Die Veilchen sind wie eine lila Pause vom Niedergang der einstigen Fußball-Hochburg Sachsen (…) Aue nennt sich auch das Schalke des Ostens. Früher arbeiteten viele Spieler unter Tage. Was eine Versicherung als Grund nennt, sich als Hauptsponsor auch in Aue und nicht nur in Gelsenkirchen zu betätigen. Zu DDR-Zeiten wechselte der Verein den Namen so oft, daß der Überblick schwerfällt. Die Gründung 1945 erfolgte als SG Aue, ein Jahr später nannte man sich BSG Pneumatik Aue, bevor von 1950 an das Wismut-Kombinat als Geld- und Namensgeber auftrat, wo unter russischer Leitung bis 1990 Uranerz gefördert wurde. Seit elf Jahren firmiert der FC Erzgebirge, doch viele Fans ignorieren das neue Vereinswappen und ziehen die alten Insignien vor: zwei gekreuzte Hämmer und ein großes W – für Wismut. Dazu singen sie den Schlachtruf des dreimaligen DDR-Meisters: Wir kommen aus der Tiefe, wir kommen aus dem Schacht – Wismut Aue, die neue Fußballmacht. 1991 wurde, damals unter Trainer Klaus Toppmöller, der Aufstieg knapp verpaßt. Doch am vergangenen Wochenende begann endlich das große Abenteuer.“
Der Moment, der aus Lothar Matthäus wieder Loddamaddäus machte
Gerhard Fischer (SZ 8.8.) hat den altbekannten Lothar Matthäus erlebt. „Eigentlich will Lothar Matthäus sein Image ändern. Er will nicht länger als schnell sprechender Nichtssager namens Loddamaddäus gelten. Lothar Matthäus will ernst genommen werden. Dazu muss er als Trainer erfolgreich sein. Das hat am Mittwoch geklappt: Sein Klub, Partizan Belgrad, zog durch ein 2:2 bei Djurgarden Stockholm in die dritte Runde der Champions-League-Qualifikation ein. Außerdem muss er fair auftreten und nicht jähzornig, seriös und nicht urwüchsig. Das ist ihm in der Pressekonferenz nach dem Spiel zunächst gelungen. Er lobte die Spieler von Djurgarden und das schwedische Publikum für ihre sportliche Art, das Aus zu akzeptieren. „Ich mag diese Mentalität“, sagte Lothar Matthäus. Und er sei „überglücklich, gegen so eine starke Mannschaft mit ein bisschen Glück eine Runde weiter gekommen zu sein“. Außerdem sei er stolz auf seine Mannschaft. Klar, er hatte gut reden, er war der Sieger. Aber es gab trotzdem nicht viel auszusetzen, vielleicht nur, dass er bei seinen wohl gewählten Worten kaum Emotionen zeigte. Man hatte manchmal den Eindruck, er sagte das, was man eben sagen soll, und nicht das, was er wirklich dachte. Und dann kam ein Moment, der aus Lothar Matthäus wieder Loddamaddäus machte. Dabei hat er nicht einmal geredet. Er hat nur geschaut. Er blickte auf die blanken, langen Beine einer Journalistin, die sich von den Stühlen erhob, um sich neben einen Kollegen zu stellen. Matthäus schaute entschieden zu lang und entschieden zu auffällig. Und er hat es nicht einmal gemerkt. Aber er war authentisch.“
Erik Eggers (taz 8.8.) schreibt über seine angenehme Lektüre. „Es ist dies die faszinierende Biografie eines Bonvivants, der beseelt war von einem romantischen Gedanken: Mit dem Fußball diejenigen Grenzen niederzureißen, die der Nationalismus und andere neue Ideologien gerade schufen. Der Sport ist eine Religion, ist vielleicht das einzige wahre Verbindungsmittel der Völker und Klassen, so goss er sein Credo später in einen einzigen Satz – als Herausgeber des von ihm 1920 gegründeten kicker. Längst der renommierteste deutsche Fußballpublizist, warb er darin für Internationalismus, Völkerverständigung und Friedensidee. In diesen 20er-Jahren schien Bensemann geradezu omnipräsent auf den großen Fußballplätzen Europas und auf all jenen Kongressen, die den modernen Fußball heutiger Machart prägten (…) Dem Autor glückt es in seinem Buch, auf den ersten Blick verwirrende Details aus der längst vergessenen Frühzeit des deutschen Fußballs in eine wohl geordnete und zugleich sehr lesenwerte Form zu bringen. Es ist zudem eine einfühlsame, zuweilen sogar bewegende Schilderung einer historischen Figur des Fußballs, die, obwohl sie seinerzeit von der Öffentlichkeit als schillernd und extrovertiert wahrgenommen wurde, in Wirklichkeit von einer tiefen Melancholie bedrückt wurde. Der Charakter Bensemanns wird von Bernd Beyer freigelegt, und zwar mit der beharrlichen Behutsamkeit eines Archäologen, der die entscheidenden Sedimente Zug um Zug vom dicken Staub der Geschichte befreit.“
besprochenes Buch: Bernd-M. Beyer: Der Mann, der den Fußball nach Deutschland brachte. Das Leben des Walther Bensemann. Ein biografischer Roman. Werkstatt-Verlag Göttingen 2003, 560 Seiten, 26,90 €.
Neuer Service für sehbehinderte und blinde Fußballfans in der AOL-Arena (Pressemitteilung des HSV):
Mit Beginn der Spielzeit 2003/2004 richtet der Hamburger Sportverein in der AOL-Arena 16 feste Sitzplätze für Sehbehinderte und Blinde ein. Diese Plätze sind mit hochwertigen Infrarot-Kopfhörern ausgestattet, über die eine speziell für Sehbehinderte gesprochene Live-Reportage empfangen werden kann und so konzipiert, dass zudem die Stadionatmosphäre ans Ohr der Nutzer dringen kann. Der neue, professionelle Service ist das Ergebnis eines Kooperationsprojekts des Hamburger Sportvereins mit dem Institut für Sportjournalistik des Fachbereichs Sportwissenschaft der Universität Hamburg. Gemeinsam mit dem Fanclub Sehhunde – Fußball-Fanclub für Blinde lief seit Beginn der Rückrunde der abgelaufenen Bundesliga-Spielzeit eine erfolgreiche Erprobungsphase, bei der die technischen Voraussetzungen sowie Qualität und Stil der Reportagen optimiert wurden. Die Live-Reportagen werden von angehenden Sportjournalisten vom Fachbereich Sportwissenschaft der Universität Hamburg gesprochen. Die Reporter werden im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Universität wissenschaftlich und journalistisch betreut und auf ihren Einsatz im Stadion vorbereitet. So ist dauerhaft eine auf die besonderen Bedürfnisse der Nutzer abgestimmte Live-Reportage garantiert. Die Preise für die Sonderplätze im Block 3 C auf der Osttribüne betragen je nach Spielkategorie 7,50 Euro, 9,50 Euro oder 11,50 Euro. Begleitpersonen haben freien Eintritt. Für sie sind zehn zusätzliche Plätze reserviert. Als Ansprechpartner stehen die Projektleiter Christian Reichert vom HSV-Vorstand und Broder-Jürgen Trede vom Fachbereich Sportwissenschaft zur Verfügung.
Gewinnspiel für Experten