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| Donnerstag, 25. März 2004
Themen: veränderte Finanz- und Transferpolitik in der Bundesliga – die Lage beim Aufsteiger Osnabrück – Beckham gerät in den Präsidentenwahlkampf von Barcelona
Christoph Biermann (SZ 12.6.) erkennt deutliche Veränderungen in der Transferpolitik von Bundesligaklubs. „Die Situation ist festgefahren, weil fast alle Klubs ihre Kader reduzieren und Personalkosten senken wollen. Mit 559 Millionen Euro sind die Klubs nach Angaben der Deutschen Fußball Liga (DFL) verschuldet. Neue Spieler werden meist erst verpflichtet, wenn vorher Stellen abgebaut wurden. So ist inzwischen selbst beim Wechsel aus laufenden Verträgen der Verzicht auf Ablösezahlungen üblich, wie etwa bei Niko Kovac’ Transfer vom FC Bayern zu Hertha BSC. Wenn nicht sogar Abstandssummen wie im Fall Ojigwe fällig werden, um die Kosten zu senken. In der Bundesliga hat die Deflation eingesetzt. Der neue Geiz ist angesichts des Schuldenstandes bei zugleich sinkenden Einnahmen notwendig. Die Panik nach einem missratenen Saisonstart wird im Herbst mit Sicherheit bei einigen Blockaden lösen. Also wird sich das Transfergeschäft, dessen Höhepunkt in den Vorjahren im Frühling lag, nach hinten verschieben. Bis dahin ist es für Spieler und Berater ein Nervenspiel. Bayer Leverkusen ist von der Situation dramatisch betroffen und muss sich wie ein Anleger am Neuen Markt zu Zeiten des großen Kurssturzes vorkommen. Die Mannschaft gründlich umbauen und gut 25 Millionen Euro sparen will der Klub. Noch vor Jahresfrist wäre das mit einem oder zwei Transfers leicht möglich gewesen. Für Bernd Schneider gab es damals ein Angebot des FC Barcelona, der 15 Millionen Euro zu zahlen bereit war. Der brasilianische Verteidiger Lucio wurde sogar mit 40 Millionen Euro gehandelt. Angesichts der Überschuldung in Spanien und Italien sind die Hoffnungen auf solche Beträge geplatzt (…) Ob Jan Simak, Christoph Preuß oder der Brasilianer Franca, Bayer hat etliche Optionen, in Weggänge zu investieren.“
Unterschiedlicher können Fußballfunktionäre kaum sein
Harald Pistorius (FR 12.6.) gratuliert zum Aufstieg. “Er gehörte zum Inventar der Zweiten Fußball-Bundesliga, spielte meist jenseits von Gut und Böse und machte vor allem Schlagzeilen durch spektakuläre Trainer-Rausschmisse. Der VfL Osnabrück war zwei Jahrzehnte lang eine Tochter der Unternehmensgruppe Piepenbrock. Hartwig Piepenbrock bezahlte an der Bremer Brücke die Kapelle und bestimmte ganz allein die Musik. Bis er 1996 die Lust am teuren Spielzeug verlor, seinen sportlichen Lebenstraum vom Aufstieg in die Bundesliga begrub und den Verein mit einem bösen Satz in die Unabhängigkeit entließ: Die Regionalliga ist ein Gefängnis, aus dem es kein Entrinnen gibt… Am Pfingstsonntag hat der VfL Osnabrück seinen Ehrenpräsidenten zum zweiten Mal nach 2000 Lügen gestraft. Doch diesmal soll die zweite Liga kein einjähriges Intermezzo sein, jetzt will sich der Verein dort etablieren, wo er nach seinem Selbstverständnis hingehört. Dass der Verein sich den Aufstieg erneut erarbeitet hat, ist eine beachtliche Leistung. Während andere Traditionsclubs wie Fortuna Köln, Darmstadt 98, Stuttgarter Kickers oder Fortuna Düsseldorf den Strukturwandel des Profifußballs nicht überstanden haben und abgerutscht sind, ist Osnabrück noch immer ein Standort mit Chancen. Seit dem Ende der Ära Piepenbrock hat der Verein mit Basisnähe und Familiengeist das Publikum der Region erobert. Seit 1998/99 liegt der Zuschauerschnitt stets um 10 000. Doch ohne zahlungsfreudigen Mäzen und ohne dominanten Hauptsponsor war das Wirtschaften schwer. Wir sind oft totgesagt worden, sagt Präsident Dirk Rasch. Der ehemalige Geschäftsführer eines Buchverlages führt den Club seit 1997, zusammen mit dem Gastronomen Dieter Prütz. Unterschiedlicher können Fußballfunktionäre kaum sein: Hier der feinsinnige Gourmet Rasch, ein linksliberaler Schöngeist, der Che Guevara zitiert und Solidarität als höchsten Wert preist. Dort der hemdsärmelige Selfmademan Prütz, ein entschlossener Macher mit Tendenz zum Poltergeist, der Geld heranschaffen kann und lieber aneckt als seine Meinung zurückzuhalten. Einig sind sich die beiden in ihrer Leidenschaft für den VfL, den sie schon als Jugendliche von den Stehrängen anfeuerten.“
Hauptquartiere wie Parteizentralen
„Eines haben sie beim FC Barcelona schon immer besser als anderswo gemacht: Viel Lärm um nichts. In diesen Tagen übertreffen sie sich darin selbst“, schreibt Ronald Reng (BLZ 12.6.) über die mit dem Barceloneser Präsidentenwahlkampf verbundenen Transfergerüchte um David Beckham. „Präsidentschaftswahlen in spanischen Fußballklubs sind einzigartig, sie werden wie politische Wahlkämpfe betrieben. Insgesamt rund sechs Millionen Euro investieren die ehemals neun, nun noch sechs Kandidaten in Barcelona für ihre Kampagnen, sie haben Hauptquartiere eingerichtet wie Parteizentralen, und überall in der Stadt kleben ihre Poster: „Zuerst: Barca. Joan Laporta“ – „Wir gewinnen. Lluís Bassat.“ 94.339 Vereinsmitglieder entscheiden am Sonntag an den Urnen über den Nachfolger von Joan Gaspart, der in nur drei Jahren den 16-maligen spanischen Meister sportlich wie finanziell dem Ruin nahe brachte. Lluís Bassat, 62 und Besitzer einer großen Werbeagentur, ist der übermächtige Favorit; das hat es ihm erlaubt, als einziger die Vernunft zu bewahren in diesem Wahlkampf. Die Anstrengungen der anderen haben zu den skurrilsten Aktionen geführt, nicht immer hatten sie Stil. Tausende Unterschriften, darunter die des Ministerpräsidenten von Andorra (und zwar gleich zweimal), wurden gefälscht, um die erste Hürde, die Empfehlung von 1529 Wahlberechtigten, zu erreichen. Kandidat Llauradó wurde antisemitisch ausfallend gegen Bassat. Laportas Abkommen mit United für einen Transfer Beckhams ist der vorläufige Höhepunkt des Fiebers. So wie Florentino Pérez im Jahr 2000 die Präsidentschaft von Real Madrid gewann, indem er die Verpflichtung des damals weltbesten Spielers, Luís Figo, versprach, versuchen die Kandidaten in Barcelona nun, die wählenden Fans damit zu ködern, sie würden ihnen den größten Star schenken. Glaubt man alles, was die Kandidaten bislang erzählten, spielen in der kommenden Saison 143 Superstars in Barcelona, von van Nistelrooy über Makaay bis eben zu Beckham. Nur Klaus Toppmöller, der derzeit beschäftigungslose rheinländische Trainer, band sich leider an den falschen Kandidaten. Jordi Medina präsentierte ihn als seinen Trainer – und schied am nächsten Tag aus, weil er die 1529 Empfehlungen nicht zusammenbrachte.“
Vertragliche Verfügungsmasse für wechselnde Unternehmensziele
Christian Eichler (FAZ 12.6.) kritisiert die Vorgehensweise der englischen Vereinsverantwortlichen. „Byebye, Becks: Das war der Kern der Meldung, in der Manchester United, ein sonst in Verhandlungssachen höchst diskretes Unternehmen, herausposaunte, man sei über einen Beckham-Transfer einig mit, ja wem? Nicht mit dem FC Barcelona, sondern mit einem, der gern am Sonntag dort Präsident werden will. Das war eine eiskalte Scheidung; eine, von der der andere aus der Zeitung erfährt. Beckham hat sich aus Amerika prompt enttäuscht und überrascht geäußert. Niemand sollte aber nun Überschriften wie Beckham nach Barcelona glauben. Barcelona ist nur ein Geplänkel, das die Verhandlungsposition von Manchester verbessert (vielleich auch die Wahlchancen eines gewissen Laporta). Nun, da man einen ersten Angebotspreis in Umlauf gebracht hat (gerüchteweise rund 40 Millionen Euro), gibt United die verhandlungstaktische Heuchelei auf, man wolle den Star unbedingt halten. Der kostet zuviel, paßt nicht mehr ins taktische Konzept und soll nach dem Willen des durch den Meistertitel wiedererstarkten Ferguson weg sein, ehe im Sommer die Vorabdrucke von Beckhams Autobiographie erscheinen. Und der erwartete Aufschrei bei Fans, Kollegen, Aktionären? Nur geschäftiges Tuscheln. Der Börsenkurs stieg nach der Meldung um vier Prozent (…) Die bizarre Auktion, die bevorsteht, könnte eine der letzten, heftigsten Zuckungen des guten alten Transfermarktes sein. Dessen Mechanismen sind längst von den Regeln der Rezession überholt. Es sind nur noch ein paar solvente big player übrig, und die schielen nun gierig auf den Happen, den Manchester in die Mitte geworfen hat. Längst ist der Mensch in diesem kalten Fußball-Monopoly nicht mehr nur Sportler, auch Werbeträger, Wahlkampfhelfer, Medienmarionette. Er ist einem globalen Trend unterworfen, der die Rolle des Arbeitnehmers immer mehr wandelt: vom menschlichen Mitarbeiter zur vertraglichen Verfügungsmasse für wechselnde Unternehmensziele. Der Unterschied zu anderen Angestellten: Bei einem Beckham gefährdet ein Rausschmiß nicht die Existenz. Er fördert die Prominenz.“
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