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Ballschrank

Kerner und Beckenbauer, „die intellektuelle Sparversion des Duos Delling/Netzer“

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Kerner und Beckenbauer, „die intellektuelle Sparversion des Duos Delling/Netzer“

Weiteres Thema in der Presse: der Kaiser spricht im Fernsehen – Zeit der Welt den Hintern zuzudrehen. „Der angebliche Fußball-Weise Beckenbauer“ (taz) hat viel zu melden und wenig zu sagen. Das ZDF stellt ihm nun einen Diener zur Seite: Johannes Kerner; was dabei herauskommt ist „die intellektuelle Sparversion des ARD-Duos Delling/Netzer“ (taz). „Einen Gedanken zu Ende zu denken, zählte noch nie zu seinen Stärken“, vermutete der Spiegel schon vor 20 Jahren, und das SZ-Magazin veranschaulicht die Wirkung von Kaiserworten: „Franzeln klingt wie Blubbern. Vielleicht trägt das zum Gefühl bei, man könnte versinken in lauter Beckenbauer.“

Der Mannschaft fehlt es an natürlichem Talent und erarbeiteter Klasse

Über die Lehren, die aus dem Spiel zu ziehen sind, weiß Peter Heß (FAZ 22.8.) nichts genaues nicht. „Für Teamchef Rudi Völler war es ein Länderspiel zum Schwärmen, für Mittelfeldstratege Jens Jeremies Gelegenheit, altbekannte Schwächen zu kritisieren. Die 0:1-Niederlage im Testländerspiel gegen Italien ließ viele Interpretationen zu. Wer wollte, erinnerte sich vor allem an die erste Halbzeit, in der die Deutschen nur eine Torchance herausspielten und ansonsten gegen nur phasenweise konzentrierte Italiener einen bedauernswerten Mangel an Esprit und Durchsetzungsvermögen offenbarten. Wer die deutsche Fußball-Welt gerne in Rosarot sieht, durfte mit Recht auf die zweite Halbzeit verweisen, in der Völlers Auswahl die Italiener überrannte und gegen die ausgewiesenen Abwehrkünstler zu acht großen Torgelegenheiten kam. Was soll es nun bedeuten, das 0:1? Das Aufbruchsignal, daß in nächster Zeit sogar einmal eine noch größere Fußball-Macht besiegt werden könnte als Paraguay, Vereinigte Staaten, Südkorea, Serbien und Montenegro, Kanada und Färöer? Oder der Hinweis darauf, daß Italien, Spanien, England, Niederlande, Brasilien und Argentinien bis auf weiteres außer Reichweite liegen? Weder noch. Das Kräftemessen mit Italien ließ nur einen grundsätzlichen Rückschluß zu: Seit der WM 2002 hat sich nichts geändert, die deutsche Nationalelf ist gut genug, fast alle Höhen des Fußballs auszumessen, und schlecht genug, in fast alle Tiefen abzutauchen. Der Mannschaft fehlt es an natürlichem Talent und erarbeiteter Klasse, sich locker über einen Gegner hinwegzusetzen. Jeder Sieg bedarf höchster Konzentration und vollen Einsatzwillens. Von alleine oder irgendwie klappt gar nichts. Deshalb bedeutet die gute Leistung in der zweiten Halbzeit nichts über den schönen Fußball-Abend im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion hinaus.“

Britische Fairness wie beim Ritterturnier am Hofe von Richard Löwenherz

Ludger Schulze (SZ 22.8.) fällt das freundliche Miteinander der Beteiligten auf. „Mit der Außenseite der rechten Hand strich Rudi Völler dem Kollegen aus Italien im Vorbeigehen behutsam über die linke Wange; eine zärtliche Geste, wie sie unter Männern eher unüblich ist, zumal unter Fußballern, die im persönlichen Umgang häufig zur Grätsche tendieren. Die rührende Szene offenbarte, von wie viel Sympathie, Herzlichkeit und Respekt inzwischen das Verhältnis nicht nur des deutschen Teamchefs zu Giovanni Trapattoni getragen ist, sondern die diplomatischen Beziehungen zwischen Bundesliga- und Serie-A-Kickern im Allgemeinen. Das war früher anders. Der Catenaccio galt hierzulande über Jahrzehnte als Synonym für taktische Verschlagenheit, nachtreterische Niedertracht und schreiend unverdienten Triumph. Die regelmäßigen Ein-Törchen-Unterschied-Niederlagen empfand der deutsche Fußball als hinterhältig-welschen Stich ins edle Germanengemüt: unsere Balltreter treu, aber leider letztlich ein bisschen doof, die Mitglieder der Squadra azzurra hingegen ausgekocht bis ins letzte Ganglion. Das Stuttgarter Spiel vom Mittwochabend enthielt sämtliche Zutaten dieser zu Volkes Meinung gewordenen Dolchstoß-Legende, und doch war alles anders. Zwar ein Misserfolg – aber eine zauberhafte Niederlage. Ein 0:1, claro, aber kein ins Netz hineingelogenes Konter-Kuckucksei, sondern „ein prächtiges, kaiserliches, ja galaktisches Tor des Sternentrios“, wie die Gazzetta dello Sport mit Anzeichen dichterischen Wahns schrieb. Keine an vorsätzliche Körperverletzung erinnernde Knochenhärte, sondern britische Fairness wie beim Ritterturnier am Hofe von Richard Löwenherz.“

Jörg Hanau (FR 22.8.) erklärt die erzieherische Wirkung des Misserfolgs. „Die Niederlage, sei sie auch noch so schmerzlich und vermeidbar gewesen, erfüllt ihren Zweck. Vor den beiden wichtigen EM-Qualifikationsspielen Anfang September auf Island und gegen Schottland unterliegt nun wirklich niemand der Gefahr abzuheben. Ein Last-Minute-Sieg gegen den dreimaligen Weltmeister hätte die Mannschaft von Teamchef Rudi Völler nur abgelenkt vom eigentlich wichtigen Tun. Das Spiel kann und darf kein Maßstab sein. Natürlich zählt Italien im Weltfußball zu den ganz Großen. Selbstverständlich wäre es ein Prestigegewinn gewesen, die Squadra Azzurra zu schlagen. Die Deutschen wären sicherlich mit breiter Brust nach Keflavik geflogen. Auf Island aber nutzt es ihnen herzlich wenig, erhobenen Hauptes allein mit spielerischen Mitteln den Erfolg zu suchen. Dieser Schuss würde vermutlich nach hinten losgehen. Die Isländer werden sich auf eine wesentlich robustere Art und Weise ihrer Haut erwehren als die technisch versierteren, am Ende aber kraftlosen Italiener, die sich nach ihrem schnellen Führungstor zurückgezogen haben und den deutschen Mittelfeldspielern erst jenen Platz frei räumten, den sie brauchten. Weder die von sich begeisterten Isländer noch die hemdsärmligen Schotten werden dem deutschen Mittelfeld einen vergleichbaren Gefallen tun. Es dürfte ein hartes Stück Arbeit werden, wollen die Bundesliga-Stars gegen die robusten Nordeuropäer bestehen. Ein glorifizierter Sieg im Klassiker gegen Italien hätte nur abgelenkt.“

Zapp-zapp, der Ball war drin – und Kahn entgeistert

Roland Zorn (FAZ 22.8.) ist von der italienischen Offensive angetan. „Am Ende geriet über den deutschen Aufschwung zu beachtlicher spielerischer Klasse fast in Vergessenheit, daß es zunächst die Italiener waren, die mit ihrer elegant-elitären Klasse die Angriffsversuche der Bobic, Neuville, Schneider und Freier souverän abgeblockt hatten, die dazu die deutschen Verteidiger mit ihren Doppelpässen und Schnellangriffen figurenhaft stehengelassen hatten. Das 1:0 durch Vieri war ein Treffer wie aus dem Lehrbuch: Del Piero zu Vieri, der zum überragenden Totti, der noch einmal zu Vieri, und der untermauert seinen Ruf als einer der europäischen Torjäger par excellence. Zapp-zapp, der Ball war drin – und Kahn entgeistert. Das 2:0 durch Del Piero kam ähnlich zügig im Zusammenspiel der großen drei aus der Abteilung Attacke all‘italiana zustande.“

Jörg Hanau (FR 22.8.) auch. „Selten zuvor aber überzeugte eine derart zusammengewürfelte DFB-Auswahl. Es war fein anzusehen, mit welch hohem Tempo und spielerischer Lust sich die deutschen Nationalspieler gegen die Niederlage stemmten und eine Vielzahl von Torchancen herausspielten. Das ist denn auch der einzige Kritikpunkt, sagte Völler, wir haben keine davon genutzt. Es war schon eine merkwürdige Gemengelage. Sollten sie sich nun freuen, ob des tollen Spiels in den zweiten 45 Minuten? Oder grämen, dass es ihnen mal wieder nicht gelungen war, einen Klassiker zu gewinnen? Für Jens Jeremies, die Arbeitsbiene vom FC Bayern München, überwog die Enttäuschung, ganz klar. Heute seien die Italiener zu schlagen gewesen. Stimmt. Nachdem die Köpfe des italienischen Spiels, Francesco Totti, Christian Vieri und Alessandro del Pierro ausgewechselt waren, war der Unterschied nicht mehr so groß (Völler) zwischen dem Weltmeisterschafts-Zweiten und der Mannschaft von Giovanni Trapattoni. Für den war der Erfolg in Deutschland ein ganz besonderes Erlebnis. Eines, das ihm fürderhin die Arbeit nach dem vorzeitigen WM-Aus im vergangenen Jahr gegen Südkorea wieder etwas leichter machen dürfte. Der Trip nach Deutschland besaß für Trap den Charakter eines Heimaturlaubs. Der Traditionalist unter den italienischen Trainern fühlt sich nördlich der Alpen von jeher richtig wohl, er zieht gerne und oft Parallelen zwischen deutscher und italienischer Fußballphilosophie. Sie sei sich sehr ähnlich. Davon war in der ersten Halbzeit freilich herzlich wenig zu sehen. Totti, Vieri und del Pierro zelebrierten die hohe Fußballkunst.“

Zappeligkeit und gedankliche Langsamkeit

Michael Rosentritt (Tsp 22.8.). „Das Spiel der Deutschen war in der ersten Halbzeit umständlich und mutlos. Für beides stand im negativen Sinne Carsten Ramelow, und das auf einer der wichtigsten Positionen, im zentralen, defensiven Mittelfeld. Hier müssen Angriffe des Gegners abgefangen und in kürzester Zeit eigene Gegenangriffe eingeleitet und kreiert werden. Das Spiel des Leverkuseners war geprägt von Zappeligkeit und gedanklicher Langsamkeit. Nichts deutete bei ihm und einigen seiner Mitspieler darauf hin, dass sie noch vor einem Jahr im WM-Finale standen.“

Philipp Selldorf(SZ 22.8.) stellt fest, „dass klassische Nationalspielertypen wie Ramelow, Wörns und Jeremies rar geworden sind in der Bundesliga. Selbst auf den hinteren, angestammt deutschen Posten haben nun Profis aus Brasilien, Kamerun, Polen und anderen fremden Ländern Position bezogen. An den drei Spieltagen der laufenden Saison betrug der Anteil ausländischer Kicker rund 60 Prozent, der FC Bayern kann sich erlauben, in Spanien einzukaufen, und ein Verein wie der VfL Wolfsburg leistet sich argentinische Stars in Scharen. Das führt zu einer paradoxen Situation: Nach einer Saison, in der Talente wie Lauth, Friedrich, Freier, Rau und Kuranyi in die Nationalelf fanden und der Aufbruch in große Zeiten proklamiert wurde, rufen plötzlich die Fachleute den nationalen Notstand aus, weil deutsche Spieler in der Bundesliga kaum mehr zum Einsatz kommen. Nun will der DFB-Chef Mayer-Vorfelder auf dem Gesetzesweg Abhilfe und Platz für deutsche Fußballer schaffen, was ein gut gemeinter, aber nach Lage des Europarechts ziemlich aussichtsloser Versuch ist. Vielleicht hilft er wenigstens, eine fruchtbare Diskussion zwischen Verband und Vereinen zu erzeugen.“

Italienische Pressestimmen zum Spiel FR

Meine Worte sollte man nicht auf die Goldwaage legen

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 22.8.) hat dem Kaiser aufs Maul geschaut. „In seinem Prolog hat Beckenbauer grundsätzlich festgehalten, was alle schon seit langem wissen: Meine Worte sollte man nicht auf die Goldwaage legen. So etwas würde Günter Netzer, in vergleichbarer Position bei der ARD, nie über die Lippen kommen. Der hätte sich auch festgelegt bei der Frage Abseits oder nicht. Schon, weil ihn der quengelnde Gerhard Delling andernfalls in den Senkel gestellt hätte. Kerner dagegen verstand sich als Stichwortgeber für den Prominenten an seiner Seite. Im Vergleich zum Scharfrichter Netzer ist Beckenbauer ein Plauderer, der in seiner Analyse eines nett anzusehenden Spielchens zu allen nett blieb: Schiedsrichter sind auch nur Menschen, alle haben ihre Leistung gebracht, sie können alle Fußball spielen, keiner hat enttäuscht. Auch Beckenbauer nicht, weil er genau das von sich gab, was man von ihm erwartet. Und die Sache mit den Italienern, die uns eingeschläfert haben, wollen wir ihm nicht krummnehmen, wir leben ja noch. Eher schon die krause Erklärung zum Doppelpaß, der heutzutage effektiver sei als früher. Einen Glückspilz hat er den italienischen Trainer Giovanni Trapattoni genannt, Beckenbauer wiederum hatte das Glück, seinen Einstand mit einer kurzweiligen Partie zu geben. Einen herauszuheben wäre verkehrt gewesen, befand Beckenbauer. Auch den Experten nicht. Wir freuen uns auf mehr, verabschiedete sich Moderator Kerner vom moderaten Beckenbauer. Viel mehr wird nicht mehr kommen von ihm. Und das bis ins Jahr 2006.“

Kerner also kellnerte. Was aber tat Beckenbauer? Er plauderte.

Nachdem er die Analysen der ZDF-Experten gehört hat, zuckt Benjamin Henrichs (SZ 22.8.) mit den Achseln. „Beckenbauer war nicht allein als Experte. Ihm assistierte Johannes B. Kerner, ganz bleich vor Freude darüber, neben einem ‚Großen‘ stehen und wirken zu dürfen, wie er gleich zu Beginn in öliger Devotion bekannt gab. Kerner also kellnerte. Was aber tat Beckenbauer? Er plauderte. Schnell und fröhlich wie ein Wasserfall. Wobei er sofort wieder seine schon klassische Virtuosität bewies in der hohen Kunst, etwas flott zu behaupten und gleich darauf das Gegenteil. Also Europameister werden die Deutschen nicht. Aber natürlich können sie Europameister werden. Weil sie nämlich eine echte Turniermannschaft sind. Man sieht hieran, dass Beckenbauer auch als Experte immer noch Libero ist: ein freier Mensch. Beneidenswert frei jedenfalls von den profanen Gesetzen einer allzu engen, strengen Logik. Beckenbauer ist als Redner nicht ohne Reiz. Wenn ihn die kindliche Heiterkeit antreibt oder auch die kindsköpfige Wut. Bei seiner ZDF-Premiere aber erlebten wir nicht das Glückskind Franz und nicht den Hitzkopf, sondern den freundlichen Fußballonkel. Der Experte, so verstanden, das ist einer, der immerzu redet – Genaues aber leider auch nicht weiß.“

Michael Hanfeld (FAZ 22.8.) verbrachten einen durchwachsenen Fernsehabend. „Besser als diejenige der Pausenmoderatoren Johannes B. Kerner und Franz Beckenbauer war die Vorstellung der Nationalspieler. Hatte Kerner die Mannschaft zur Halbzeit beinahe zur drittklassigen Amateurschießbude runtergeredet, war Beckenbauer (der teuerste Einkauf, seit es beim ZDF Komoderatoren gibt) von Beginn an von der deutschen Krankheit befallen, sich selbst so wenig Chancen wie Möglichkeiten und anderen in geißelnder Selbstbeschau so viele Qualitäten wie denkbar zuzuschreiben. Das könnte ja schönes Understatement sein, wenn es nur nicht diesen selbstquälerischen Unterton hätte. So schön haben wir unsere Fußballer lange nicht verlieren sehen. Das ist zwar bitter, wie Oliver Kahn sagte, aber weniger furchtbar und allemal unterhaltsamer als ein herbeigeholzter Sieg gegen die Färöer in der 91. Minute. Der Deutsche muß arbeiten, um erfolgreich zu sein: Mit dieser Weisheit hatte Beckenbauer den Abend eröffnet. Daß Arbeit im Fußball auch hierzulande nicht alles sein muß, wurde in den anschließenden neunzig Minuten aufs erfreulichste bewiesen, an diesem Mittwoch, 20. August 2003, wie Moderator Kerner datumsbedeutungsheischend sagte. So gewinnen wir die Europameisterschaft tatsächlich nicht, da hat Beckenbauer recht. Doch wäre das so schlimm? Vielleicht konzentriert sich bis dahin ja sogar das Fernsehen auf die Hauptsache und muß aus einem Fußballspiel nicht unbedingt einen Themenabend machen. Es ist schließlich das Interesse am Spiel, das dem ZDF die Traumquote von bis zu 11,91 Millionen Zuschauern beschert hat (mit einem Marktanteil von bis zu vierzig Prozent), und nicht die Vorliebe für Hokuspokus wie das jetzige Vorspiel des ZDF im Sony-Center am Potsdamer Platz.“

Dimension, die für die Schweiz unerreichbar ist

Dario Venutti (NZZ 22.8.) sah überlegene Franzosen und unterlegene Schweizer. „Der französische Fussball ist in der Zwischenzeit in eine Dimension vorgerückt, die für die Schweiz unerreichbar ist und deshalb im Prinzip auch gar keine Vergleiche zulässt. Der Erfolg, besonders die beeindruckende Dominanz der „Bleus“ in Genf, hat aus Schweizer Sicht immerhin die Relationen zurechtgerückt: So gut, wie der Verlauf der EM-Qualifikation glauben machen liess, ist die Schweizer Mannschaft nun doch nicht, auch wenn sie den Europameister als Leader der Gruppe 10 herausforderte. Da die Schweiz gegen Frankreich chancenlos war, ist ihre Leistung schwierig einzuschätzen. Das Team war dem Gegner nicht deshalb krass unterlegen, weil es schlecht gespielt oder konzeptionelle Defizite aufgewiesen hätte. Die Spieler Frankreichs waren am Mittwoch schlichtweg in einer Verfassung und Laune, mit der sie wohl ein WM-Turnier gewonnen hätten. „Ich wusste, dass wir gegen die besten Fussballer aus den besten Klubmannschaften Europas spielen. Trotzdem hatte ich es mir anders vorgestellt“, brachte der Schweizer Nationalcoach Köbi Kuhn seine Verwunderung zum Ausdruck. Die Absicht Vogels (‚Eigentlich wollten wir auch ein bisschen mitspielen‘) konnte wegen der Unterlegenheit in allen Belangen nicht umgesetzt werden. Erst gegen Matchende, als der Druck Frankreichs leicht nachliess, erarbeiteten sich die Schweizer zwei Torchancen durch Celestini und Huggel. Insgesamt blieb aber eine Szene kurz vor Schluss als repräsentatives Bild haften: Der eingetretene Cissé, nach Henry und Trézéguet nur dritte Wahl im französischen Sturm, distanzierte Henchoz, den wohl sichersten Wert in der Schweizer Defensive, in einem Laufduell über etwa zehn Meter gleich um fünf Meter.“

Berichte von anderen Plätzen FR

(21.8.)

Man sollte Italienern im Fussball nicht trauen

Martin Hägele (NZZ 21.8.) berichtet die Niederlage Deutschlands gegen Italien. „Selten zuvor hat eine Niederlage so viel Begeisterung ausgelöst. Denn nach der Pause kam das deutsche Team wie verwandelt aus der Kabine. Ein Team, das zuvor nur hinterhergelaufen war, gab nun den Takt an. Und wäre mit Buffon nicht der beste Mann von Trapattonis Auswahl im Tor gestanden – die ‚Azzurri‘ wären nicht als Sieger heimgeflogen. Man sollte Italienern im Fussball nicht trauen. Schon gar nicht, wenn sie wie Vieri im Vorfeld des ‚Klassikers‘ erzählen, dass sie keine grosse Lust auf diesesn Match hätten – und ja auch ohne Wettkampfpraxis und aus den Ferien nach Stuttgart angereist seien. Eine Viertelstunde lang schien diese Einschätzung zu stimmen, bis auf Zambrotta konzentrierten sich neun Mitglieder der ’squadra azzurra‘ vor allem darauf, dass am Ende des lauen Abends unbedingt eine Null hinter ihrem Landesnamen zu stehen habe. Doch dann überfielen die drei Superstars del Piero, Totti und Vieri die deutsche Abwehr ohne jene Vorwarnung und in hohem Tempo – ausgerechnet Vieri hatte alle Zeit, um auch dem weltbesten Keeper keine Chance zu lassen. Keine zehn Minuten später wiederholte sich das Spektakel zwischen den drei Prototypen von Juventus, AS Roma und Inter in ähnlicher Hochgeschwindigkeit, nur dass diesmal del Piero die Ballstafette ins deutsche Tor trug. Der Referee Nielsen anerkannte den Treffer wegen Abseits nicht – die TV-Kameras zeigten hinterher, dass sich die dänischen Unparteiischen geirrt haben. Dank Schiedsrichters Hilfe entging das Arme- Leute-Nationalteam des WM-Zweiten (acht Stammspieler fehlten verletzt) so einer spielerischen Demütigung, und es konnte die Partie noch einmal voller Mut beginnen.“

Mehr zum Spiel Deutschland – Italien morgen

NZZ-SpielberichtSchweiz – Frankreich (0:2)

Die Deutschen mögen Homestories und Nebenbilder, Dinge, von denen die Italiener nichts wissen wollen

Auszüge aus einem FAZ-Interview mit Oliver Bierhoff

FAZ: Wie populär ist Trap noch in Italien?

OB: Er wird geschätzt, gehört aber schon ein bißchen zum alten Eisen.

FAZ: Steht der traditionelle Defensivfußball bei den Tifosi immer noch hoch im Kurs?

OB: Der italienische Fan ist gegenüber taktischen Maßnahmen viel offener als der deutsche. Er akzeptiert es eher, wenn ein Trainer hinten dichtmacht. Er zieht einen schlechten 1:0-Sieg einer schönen 3:4-Niederlage vor. Das sieht man auch an Kleinigkeiten. In England gibt es Riesenapplaus, wenn einem ein Dribbling gelingt, der Ball aber beim abschließenden Schuß zehn Meter übers Tor fliegt; in Italien wird so ein Spieler ausgepfiffen, mag das Dribbling noch so toll gewesen sein.

FAZ: Also geht es den Fans in der Fußballnation Italien mehr um das Wesentliche und weniger um die Zierleisten in diesem Sport?

OB: Auch wenn sich die Verfechter des risikobereiten Offensiv- und Spaßfußballs, den beispielsweise mein letzter Verein Chievo Verona praktiziert, mehren: Wenn die Luft dünn wird, ist es immer am wichtigsten, daß ergebnisorientiert gespielt wird. Über Fußball allgemein wird fachlicher als in Deutschland geredet und berichtet. Fragen wie, welche Musik hören Sie daheim am liebsten, wären in Italien undenkbar. Die Deutschen mögen Homestories und Nebenbilder, Dinge, von denen die Italiener nichts wissen wollen.

(…)

FAZ: Tut der Bundesliga ein teurer Transfer wie der von Roy Makaay zum FC Bayern München in der Außenwirkung gut?

OB: Auf jeden Fall. Die Bundesliga ist im Ausland zuletzt nicht so interessant gewesen. Auch, weil die Topstars nicht in Deutschland spielen. Ist Elber ein internationaler Topstar? Nein. Lizarazu? Der ist zwar Weltmeister mit Frankreich geworden, ist aber nicht das Aushängeschild der Franzosen. Aus Deutschland kommen nur Kahn und Ballack für diese Kategorie in Frage. Wenn man in Italien Fußball im Pay-TV schaut, sieht man die englische Liga, die spanische Liga, aber nicht die Bundesliga.

FAZ: Interessieren sich die Fans in Italien noch für deutsche Spieler?

OB: Kaum. Das war anders Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre, als viele deutsche Profis in der Serie A spielten.

(21.8.)

Themen: sehr lesenswerte Portraits über Trapattoni und Deutungen seiner historischen Rede – Diskussion um die vielen Absagen an Rudi Völler – Hinkel, das Stuttgarter Talent – Vieri, der beste Stürmer Italiens u.a.

Statt protestantischer Arbeitsethik ein Volk der Dauerurlauber und Krankfeierer

Dirk Schümer (FAZ 20.8.) deutet die historische Trapattoni-Rede. „Nicht Silvio Berlusconi und nicht einmal Stefano Stefani zeichnen für den berühmtesten Wutausbruch eines Italieners gegenüber Deutschen verantwortlich. Dieses historische Verdienst gebührt Giovanni Trapattoni, der am 10. März 1998 mit seiner berüchtigten Philippika die Nation heftiger aufrüttelte als sämtliche Ruckreden sämtlicher Bundespräsidenten. Indem hier ein kultivierter, weltkundiger, fleißiger Italiener seine deutschen Schutzbefohlenen – allesamt verwöhnte Kicker – in tiefer Verzweiflung als Faulpelze, Intriganten und Stümper (schwach wie Flaschen leer) bloßstellte, schuf der geniale Fußballtrainer, der heute abend als Italiens Nationalcoach in sein altes Wirkungsland zurückkehrt, weit mehr als ein amüsantes Sprach-Happening. Er definierte die Sichtweise Italiens auf die Germanen, die seit Tacitus zweitausend Jahre unverändert geblieben war, neu. Die Italiener, die sich stets von den ameisenartigen Organisationsgenies aus dem Norden als unzuverlässige Schludriane abqualifizieren lassen mußten, drehten nun ein für allemal den Spieß um: Sie hatten fertig. Berlusconi und Stefani haben mit ihren Eskapaden diese wohlbegründete taktische Linie nur verfestigt. Ersterer, indem er als Exponent der Gastarbeitergeneration sich als Padrone gerierte und einem deutschen Funktionär generös einen Komparsenjob anbot; letzterer, indem er bei den lax gewordenen Preußen Disziplin, Anstand und Benehmen einforderte. Ein neuer Geist sprach aus ihren Worten. Die Verzweiflung und das abgrundtiefe Erstaunen, ausgerechnet bei den bewunderten Tedeschi mit Unerzogenheit und Arbeitsverweigerung konfrontiert zu sein, reicht bis tief ins Empfinden des hochsensiblen Volkes der Italiener. Wo man sparsames Wirtschaften bewundert hatte, klafft heute der Schuldenabgrund der Einheit. Wo man nüchterne industrielle Wertarbeit vermutete, kauft man im Norden lieber italienisches Design. Wo man protestantische Arbeitsethik erwartete, ist ein Volk der Dauerurlauber, Frührentner und Krankfeierer herangewachsen. Während junge Italiener einst mit harter Arbeit die Ruhrschlote rauchen ließen, verrentete sich ein müßiges Genießervölkchen in toskanischen Bauernhäusern. Sich von derart unsicheren Kantonisten auch noch herablassend behandelt zu wissen, brachte Trapattoni stellvertretend für Millionen Compatritoti auf die Palme, als er beinahe weinend einen Vorwurf beklagte, der schon 1943 nicht gestimmt hatte: Ick abbe imma die Schulde.“

Trapattoni gewann alle drei möglichen Europapokale, aber nicht die Herzen der Italiener

Helmut Schümann (Tsp 20.8.) erzählt Trainer-Anekdoten. „Im Hotel Bachmair, draußen am Tegernsee, wo Bayern München lange Jahre Residenz nahm vor den Heimspielen, sind schon viele Tassen und Kännchen verrückt worden. Taktikbesprechung nannte sich der Kaffeeklatsch. Trainer Erich Ribbeck versuchte sich weiland auf diese Weise auf weißem Tischtuch an der Viererkette, eine für seine Möglichkeiten und Kenntnisse doch arg komplizierte Abwehrformation. Der Versuch schlug fehl, der Spieler Jan Wouters rettete die einheimischen Kaffeekännchen vor dem Debakel, indem er Milchdöschen aufs theoretische Spielfeld beorderte: „Trainer, Sie haben die Abdeckung nach hinten vergessen.“ Anschließend durfte die Bedienung das Porzellan abräumen. Oder Otto Rehhagel. Der beanspruchte gerne das Zuckerdöschen und postierte es an den Tischrand, da, wo das Spielfeld beendet ist und von wo er, der Trainer, das Kommando gibt. Keiner aber handhabte das Hotelgeschirr so virtuos wie Giovanni Trapattoni. Da wirbelten Tassen um Untertassen herum, brach sich die Kaffeekanne Bahn zwischen der fülligen Teekollegin und der kleinen von der Milch, angefeuert zudem vom lautstarken Italodeutsch des Trainers – nicht nur einmal zuckte das Hotelpersonal erschrocken zusammen, in großer Furcht, Trapattonis Taktikbesprechung ende in einem Scherbenhaufen. Allein, keiner verstand Trapattoni, und vielleicht lag es daran, dass tags darauf beim Spiel im Olympiastadion zumeist nichts mehr zu sehen war vom wirbelnden Kombinationsspiel, sondern die Bayern ihre Siege mit einem Fußball einfuhren, der anzusehen war, wie kalter Kaffee schmeckt. Giovanni Trapattoni, heute in Stuttgart beim Länderspiel der Deutschen verantwortlich für Gegner Italien, ist nach seinem Gastspiel in der Bundesliga anderweitig in Erinnerung geblieben. Als Mann, der Thomas Strunz berühmt machte, der die Ruckrede des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog ins Fußballstadion weitertrug und Schlagworte wie „Flasche leer“ und „habe fertig“ ins Plattitüdendeutsch einführte. Diese berühmte Rede – bis heute ist ungeklärt, ob es sich dabei um einen cholerischen Anfall oder eine übertemperierte, aber kalkulierte Attacke wider die Spielerherrlichkeit handelte – hat Trapattoni populär gemacht, in die Harald-Schmid-Show gebracht und mit seinem gebrochenen Deutsch („Isse so cremig“) ins Werbefernsehen. Und vor allen Dingen hat sie verhindert, dass noch irgendjemand über Trapattonis Fußballphilosophie spricht. Dabei dürfte selten einmal ein Trainer dem Spiel und dem Spaß am Spiel derart den Garaus gemacht haben wie Giovanni Trapattoni. Damit ist er einmal Meister geworden mit den Bayern, 1997, aber München nicht glücklich mit ihm. Damit ist er siebenmal Meister geworden in Italien und zweimal Pokalsieger und gewann damit auch alle drei möglichen Europapokale, aber nicht die Herzen der Italiener.“

Philosophie vom organisierten Sicherheitsfußball

Noch malDirk Schümer (FAZ 20.8.). „Ob der 64jährige Fußballguru der richtige Mann auf dem wichtigsten Posten in Italiens Fußball ist, darüber gibt es auf der Halbinsel geteilte Meinungen. Zwar ist Trap mit achtzehn nationalen und internationalen Titeln einer der erfolgreichsten Trainer der Welt, doch reichen seine Erfolge bei Juventus Turin bis in die siebziger Jahre zurück. Sein jüngster Ruhm resultiert aus seiner legendären Zeit als radebrechender Entwicklungshelfer beim FC Bayern München, mit dem er 1997 deutscher Meister wurde. In Italien indes trennen ihn inzwischen Welten vom Vereinsfußball der Moderne. Hier haben längst Männer einer jüngeren Generation Taktik und Spielweise geprägt – wie der Weltmann Marcello Lippi bei Juventus Turin, das emilianische Schlitzohr Carletto Ancelotti beim AC Mailand oder gar der offensive Wundertrainer Gigi del Neri, der den Vorortverein Chievo Verona an die Spitze brachte und hartnäckig als Nachfolger des Urgesteins Trapattoni gehandelt wird. Daß der Nationalcoach im Rentenalter mit seiner Philosophie vom organisierten Sicherheitsfußball ein Mann von gestern sei, hat jüngst der überraschende Aufschwung des italienischen Spiels beinahe widerlegt. Denn alle drei Mannschaften aus Mailand und Turin, die in der Champions League ins Halbfinale stürmten, agierten im Zweifel defensiv (…) Wer die wenigsten Fehler macht, hat Trapattoni einmal mit herbergerscher Bündigkeit seine Philosophie zusammengefaßt, der gewinnt. Dergleichen vorsichtiges Denken hat viel mit der Armut und der Verunsicherung im Nachkriegsitalien zu tun, wo sich auch Trapattoni jede Lira hart erarbeiten mußte. Daß sich in diesem Familienmenschen ein Choleriker verbirgt, wissen nicht nur die deutschen Fans nach seinem legendären Wutausbruch gegen die laxen Bayern-Profis. Auch bei der WM fiel er unangenehm auf, als er gegen eine Plexiglaswand, hinter der Funktionäre saßen, eine Flasche – keine leere – schleuderte. Er ist ein offenes Buch, urteilte noch jüngst ein italienischer Kommentator milde. Zu behaupten, daß Trapattoni mit den Deutschen nach seiner wechselhaften Zeit bei den Bayern noch eine Rechnung offen hätte, wäre übertrieben. Nachdem ihn die Verhohnepipelung seines italodeutschen Kauderwelschs anfangs tief verletzte, macht der Liebhaber von Bach und Beethoven inzwischen mit gewohnter Eleganz und Selbstironie deutsche Joghurtwerbung: Schmeckt wie verruckt bis Becher leer. Trotz aller Fährnisse seiner spätestens mit der kommenden Europameisterschaft auslaufenden Epoche bleibt der bodenständige Lombarde ein Weltmann des Fußballs. Und ein wahrer Italiener sowieso. Als ihn einst Dieter Kürten voll des Lobs im Fernsehen aus Germania verabschiedete, mußte Signor Trapattoni vor laufender Kamera manche Träne verdrücken.“

Roland Zorn (FAZ 20.8.) referiert den Rüffel des Kapitäns gegenüber dessen Kollegenschar. „Am Dienstag hatte via Bild schon Kahns von Berufs wegen stürmischer Berliner Nationalmannschaftskollege Fredi Bobic sein Befremden über die zuletzt gewachsene Ohne-mich-Mentalität geäußert. Auch wenn man nicht ganz fit ist, sollte man sich zumindest im DFB-Quartier blicken und behandeln lassen. Eine Kritik, der Leser Kahn beim Frühstück spontan zustimmte. Da kam die folgende Pressekonferenz für den Kapitän gerade recht. Mit all seiner Autorität als Kapitän der Elf des WM-Zweiten von 2002 forderte Kahn ein Ende der Klubegoismen und überzogenen Vorsichtsmaßnahmen – und meinte damit vielleicht sogar seinen eigenen Verein Bayern München, dessen Trainer Ottmar Hitzfeld bei Völler durchgesetzt hatte, daß der nach langer Verletzungspause endlich wieder beschwerdefreie Sebastian Deisler diesmal noch nicht nominiert werde. Der Teamchef hatte sich dem Argument der Bayern nolens volens gebeugt, mußte aber am Montag abend zur Kenntnis nehmen, daß deren Präsident Franz Beckenbauer in der Sendung Blickpunkt Sport (hab ich auch gesehen und schüttle noch immer den Kopf: was dort gekrochen und gelogen wird!, of) des Bayerischen Fernsehens wieder einmal anders redete: Schade, daß Sebastian Deisler noch nicht dabei ist. Ich bin nicht der Meinung, daß sein Debüt zu früh kommt. Vergessen scheint, daß nach der Europameisterschaftsblamage 2000 vom Deutschen Fußball-Bund und den Bundesligavereinen eine Task Force installiert wurde mit dem Ziel, die Interessen der Nationalmannschaft in Zukunft einvernehmlich zu stärken. Inzwischen grassiert längst wieder der Egoismus.“

Verband und Liga müssen und werden sicher an einem Strang ziehen

Jörg Hanau (FR20.8.) kommentiert die Diskussion um die zahlreichen Absagen, mit denen Rudi Völler leben muss. „Die Zeit, da die Profis die Nationalelf nutzten, um auf sich aufmerksam zu machen, ist längst vorbei. Während einer WM- oder EM-Endrunde mag das noch der Fall sein. Kahn aber hat sich seinen Ruf als weltbester Torwart nicht als Nationalkeeper erworben, sondern durch seine Glanzparaden in der Champions League. Im Schatten der europäischen Superliga und angesichts des enger werdenden Terminkalenders im Weltfußball mangelt es manchem Vereinsvertreter an Einsicht, wenn es um die Abstellung seiner Leistungsträger für Testländerspiele geht. Die Ehre, den Adler auf der Brust zu tragen, ist eine Seite der Medaille. Die psychische wie physische Dauerbelastung der Nationalspieler eine andere. Kahn weiß darum. Er durfte nach der WM durchatmen und musste nicht mit nach Sofia reisen, um in einem unbedeutenden Länderspiel gegen Bulgarien im Tor zu stehen. Nun, da in einem Jahr die besten europäischen Nationalteams in Portugal aufeinander treffen, müssen und werden Verband und Liga sicher an einem Strang ziehen. Denn eines ist selbst den Topvereinen bewusst: Sollte Völler wie sein Vorgänger Erich Ribbeck in der Vorrunde scheitern, wäre der bei der WM neu erworbene Kredit binnen weniger Tage wieder verspielt. Und darunter würde auch die Liga leiden.“

Der billigste Nationalspieler Deutschlands

Martin Hägele (SZ 20.8.) porträtiert den Stuttgart Shooting-Star Hinkel. „Der kleine Andreas ist mit zehn Jahren von seinem Vater aus Leutenbach zum Roten VfB-Haus gebracht worden. Er schlief in VfB-Bettwäsche, und in seinem Zimmer hing ein großes Poster von Matthias Sammer. Doch er hat sich nie blenden lassen von der Traumwelt, und kommt ganz damit zurecht, dass er mit rund 200 000 Euro der billigste Nationalspieler Deutschlands ist. Obwohl er zusammen mit seinem Vater schon mehrfach vergebens wegen einer leistungsgerechten Gehaltsaufbesserung und einer Vertragsverlängerung verhandelt hat, lässt er sich nicht einmal von den öffentlichen Debatten über die Geld- und Personalpolitik des VfB aus der Balance bringen. Im Gegenteil. Er war der Wortführer der Jung-Star-Gruppe mit Kevin Kuranyi und Iannis Amanatidis, die ihre internationalen Berufungen und den Status als Leistungsträger beim Vizemeister ebenfalls entsprechend entlohnt haben wollten. Dieses Trio erschien nun vorige Woche bei Teammanager Magath mit dem Vorschlag, alle Verhandlungen auf den Herbst zu verschieben, „weil wir uns jetzt voll auf die Champions-League konzentrieren müssen“. Denn wenn er ständig an den nächsten Vertrag oder an den Ferrari und das Konto von Oliver Kahn denken würde – der Kollege Torwart verdient gut vierzig Mal mehr – „dann könnte ich mit dem Fußballspielen gleich aufhören“. Andreas Hinkel wird wohl nicht mehr lange als der Kleinverdiener der Nationalelf gehandelt werden. Die Hoffnung, dass da einer an seinem gewohnten Arbeitsplatz zur Elite befördert wird, ist jedenfalls ziemlich groß. Auch wenn Hinkel bei seiner ersten großen Aufnahmeprüfung – zwei Kurzeinsätze hat er schon hinter sich – in einer ungewohnten Deckungsformation und nicht mit konstanten Nebenleuten wie sonst beim VfB aus der Abwehr arbeiten soll. „Volle Kraft nach hinten“, sagt Andreas Hinkel. Schon bevor es los geht gegen Italien, hat er kapiert, um was es wirklich geht in dieser Partie. Nicht um persönlichen Glanz, sondern darum, mit dem deutschen Notaufgebot eine Blamage zu verhindern. Und ganz bestimmt nicht um das Märchen vom Balljungen, der nach neun Jahren als fliegender Rechtsaußen zurückkommt.“

Dass der italienische Fußball hässlich ist, wissen wir alle

Birgit Schönau (SZ 20.8.) warnt vor Christian Vieri. „Er ist der stärkste Stürmer, den Italien hat, darüber sind sich Mitspieler und Gegner, Presse und Trainer einig. Groß und schwer, aber trotzdem nicht hölzern. Eine Kraftmaschine mit Torinstinkt. Ein bisschen Giorgio Chinaglia, ein wenig mehr Gigi Riva. Chelsea hat dem Vernehmen nach in diesem Sommer eine horrende Summe für den 30-Jährigen geboten. Vieri ist bei Inter geblieben. Er sei da noch nicht fertig mit seiner Arbeit, sagt er. Ausgerechnet Vieri, dem der Spitzname „mercenario“ anhaftet, der Söldner. Bevor er zu Inter kam, wechselte er in zehn Jahren neun Mal den Klub. Spielte für den AC Turin und Juventus, wurde in Spanien Torschützenkönig mit Atletico Madrid und, zurück in Italien, das teuerste Prestigeobjekt der Serie A. Als er Vieri 1998 für damals 30 Millionen Euro nach Rom holte, hob Lazio-Patron und Molkereibesitzer Cragnotti in der Hauptstadt den Milchpreis an. Die Römer boykottierten daraufhin den Cappuccino. Wegen Vieri war der Milchkaffee teurer geworden – stimmte zwar nicht ganz, blieb aber hängen. Schon vor dem ersten Match war der Ruf von Vieri auch bei den eigenen Tifosi ruiniert. Er blieb nur einen Sommer, dann ging’s für 45 Millionen Euro zu Inter. Dort hat er sich inzwischen selbst das Gehalt gekürzt. Weil der Präsident Massimo Moratti so ein Pfundskerl sei, sagt Vieri. Christian Vieri hat mindestens zwei Vaterländer, denn er ist in Australien aufgewachsen, wo sein Vater Roberto die Karriere als Profikicker beendete, und der Sohn beim Emigrantenklub „Marconi“ startete. Vieris Mutter ist Französin, und für Christian ist Italienisch nicht die erste Sprache. Auch deshalb gilt er als wortkarg, sogar verschlossen. Mit Journalisten redet Christian Vieri selten, aber wenn er es tut, spricht er einen im italienischen Fußball sehr ungewöhnlichen Klartext. Als einziger Spieler wagte es Vieri nach dem Ausscheiden der Squadra Azzurra beim Achtelfinale der WM 2002, Nationaltrainer Giovanni Trapattoni zu kritisieren. ‚Wir hatten es nicht verdient, weiter zu kommen‘, erklärte der Stürmer der Nation, die schon alle Verantwortung auf die Schiedsrichter abgewälzt hatte. Seine Kollegen und ihr Trainer, stellte Vieri klar, hätten ‚Angst vor der WM‘ gehabt. ‚Wir haben zu viel an den Gegner gedacht, anstatt nach vorne zu spielen. Von fünf Stürmern wurde immer nur einer eingesetzt.‘ Und dann kratzte der Mann aus Australien auch noch das letzte bisschen Lack vom nationalen Heiligtum: „Dass der italienische Fußball hässlich ist, wissen wir alle. Wir haben ein Mentalitätsproblem. Wenn du dich nur um den Gegner sorgst, heißt das, dass du nicht stark genug bist.“

Tsp-Interview mit Sebastian Kehl

Fußball und Politik sollen getrennt bleiben

Große italienische Mauscheleien meldet Thomas Fromm (FTD 20.8.). „Wochenlang wurde nun vor und hinter den Kulissen gestritten, geschoben und intrigiert. Wochenlang wurden Beweise für falsche Bankbürgschaften vorgelegt, mit denen sich die italienischen Fußballklubs ihre Lizenzen für die nächste Saison erschlichen haben sollen. Und wochenlang nutzten die Klubs ihre Sommerpause, um vor einem halben Dutzend von regionalen Verwaltungsgerichten gegen den nationalen Fußballverband und gegeneinander zu schießen. Der italienische Fußball im Sommer 2003 – ein stickiger Sumpf von nebulösen Hinterzimmer-Geschäften und Mauscheleien um Liga-Zugehörigkeiten. Am Ende ging es nur noch um eine Frage: Kann die Liga allen Ernstes planmäßig am 31. August ihre nächste Saison starten? Nichts schien absurder zu sein. Ministerpräsident Silvio Berlusconi ließ vor einigen Tagen wissen: ‚Fußball und Politik sollen getrennt bleiben.‘ Eine Verzögerungstaktik, wie sich später herausstellte. Insgeheim arbeitete der Politiker und Unternehmer da schon an seinem Masterplan. Gestern schließlich holte der Besitzer des A-Liga-Clubs AC Mailand zum großen Schlag aus: Per Dekret will seine Regierung nun garantieren, dass die Saison trotz aller Skandale pünktlich am 31. August angepfiffen werden kann – Chaos hin oder her. ‚Jetzt muss ich auch noch den italienischen Fußball retten‘, sagte der Mailänder Milliardär. Unter anderem sieht das Dekret ‚Salva Calcio‘ (Fußball-Rettungs-Dekret) vor, alle seit Wochen vor sich hin dümpelnden Verwaltungsgerichtsverfahren kurzerhand außer Kraft zu setzen. Ab sofort soll einzig und allein das Verwaltungsgericht der Region Lazio mit den Fällen beschäftigt werden. Für den wegen Korruption angeklagten Ministerpräsidenten, der selbst seit Monaten einen Krieg gegen die italienische Justiz führt, eine Traumlösung: Immerhin werden so per Dekrets-Entscheid über Nacht eine ganze Reihe von Verfahren ad acta gelegt. Selbst Parteifreunden Berlusconis stehen die Haare zu Berge.“

Die Nationalelf der Schweiz vor dem Spiel gegen Frankreich NZZ

(19.8.) Themen: Völlers Personalnot – Lehmann will spielen

Martin Hägele (NZZ 19.8.) referiert die schwierige Lage Rudi Völlers. „58,5 Prozent der hier angestellten Professionals besitzen keinen deutschen Pass, aber die fortlaufende Überfremdung oder Internationalisierung kann nicht einmal ein Idol wie Völler stoppen. Der hat zwar einmal den Vorschlag gemacht, die Klubs möchten sich in ihrer Startformation auf fünf Ausländer beschränken. Doch an diesen Wunsch ihres obersten Fussballlehrers werden sich dessen Landsleute erst wieder erinnern, wenn die Uhren auf den Juni 2006 vorgehen und der liebe Rudi doch bitte schön eine Mannschaft zusammengebaut haben sollte, die ihren nationalen Auftrag erfüllt und sich in Berlin den vierten Weltmeister-Stern an ihre Trikots heften kann. Im Fussball gehen zwei Jahre und neun Monate schnell vorbei; die Werbung, die auf dieses Highlight ausgerichtet ist, malt uns schon jetzt schöne Bilder von designierten Champions mit dem Adler auf der Brust. Wer diese virtuelle Fussballwelt mit der Realität vergleicht, muss erschrecken, wenn er die 18 jungen Männer sieht, die sich in der Sportschule Ruit auf die Auseinandersetzung mit der ’squadra azzurra‘ vorbereiten: Die ‚Arme-Leute-Ausgabe der Nationalmannschaft‘ spottet ‚Bild‘ voller Anteilnahme: Allein aus den Dauerpatienten (Hamann, Frings, Ziege, Metzelder, Böhme, Nowotny) und Rekonvaleszenten (Ballack, Deisler, Friedrich) des DFB-Kaders könnte man fast ein Team bilden. So aber wird der WM-Zweite nun sogar von etlichen Leuten vertreten, die in ihren Klubs meist auf der Bank sitzen wie Jeremies und Rau vom FC Bayern. Und sollte der Berliner Reservist Hartmann zusammen mit Rahn (Hamburger SV) abends in Zivil auf der Stuttgarter Königsstrasse bummeln, werden die beiden Jungnationalspieler garantiert nicht erkannt werden (…) Ganz egal, wie die Partie zwischen den ehemaligen Weltmeistern im ausverkauften Gottlieb-Daimler-Stadion endet – richtig gross gewinnen kann Völler nicht. Unterliegt sein Team, schreien wieder die Statistiker hurra mit der These, dass sich die DFB-Equipe unter ihrem populären Chef noch nie gegen Topteams habe durchsetzen können. Im Falle eines deutschen Erfolgs aber wird es heissen, die Italiener seien ohne Wettkampfpraxis angereist, weil die SerieA erst in zehn Tagen beginnt.“

Niemand kann sich entsinnen, wann Völler das letzte Mal eine Bestbesetzung aufs Feld schicken durfte

Philipp Selldorf (SZ 19.8.) teilt dazu mit. „Ins Tor auf dem Trainingsplatz der Sportschule Ruit hatte sich, wohl zwecks Zerstreuung, der Mittelfeldspieler Carsten Ramelow gestellt. Etwas ungelenk patschte er den Schuss von Bernd Schneider zur Seite, und vor dem rasend schnellen Flugobjekt, das Oliver Neuville auf ihn losgelassen hatte, zog er glücklicherweise den Kopf und die Hände ein – der Ball donnerte dann so hart gegen die Torstange, dass die gesamte Konstruktion schepperte und zu kippen drohte. Zwei Dinge fielen in diesem Moment den Beobachtern des Trainings der Nationalmannschaft ein: Sie fragten sich erneut, woher der 64-Kilo-Hänfling Neuville diese Schusskraft nimmt, mit der er Gefängnismauern sprengen könnte, und sie dachten an den brasilianischen Weltmeistertrainer Luiz Felipe Scolari, der vor dem ersten WM-Spiel in Japan sein Mittelfeldgenie Emerson einbüßte, nachdem dieser unbefugt und ungeschickt Torwart gespielt hatte. Ob in Deutschland über die kaputten Hände von Carsten Ramelow ähnliches Wehklagen ausgebrochen wäre wie damals über Emersons Ausfall in Brasilien, das weiß man nicht, aber es steht fest, dass Rudi Völler gelitten hätte. Völler schätzt Ramelow als loyalen Mitarbeiter, und außerdem kann er sich keine weiteren Verluste erlauben vor dem Testspiel gegen Italien am Mittwoch in Stuttgart. Seine Auswahl, die gegen einen starken Gegner an Renommee gewinnen und mit Blick auf die EM-Qualifikationsspiele gegen Island und Schottland ihr Selbstbewusstsein steigern soll, gleicht einer Notbesetzung. Das Personal für die Partie gegen sein Lieblingsland (‚Ich bin ein halber Italiener‘, behauptet Völler) musste er mühsam suchen, was zur Folge hat, dass nun der beim HSV als Ersatz für Bernd Hollerbach eingerückte Christian Rahn zum Kader zählt, ebenso wie der Berliner Marko Rehmer, dessen letzter großer Auftritt auf dem Platz nur noch den nächsten Angehörigen erinnerlich ist. Auch Michael Hartmann von Hertha BSC gehört dazu, ein Mann von 29 Jahren, der bei seinem Debüt im Frühjahr bereit war, das Spiel als Anfang und Ende der Nationalmannschaftskarriere zu werten. Niemand kann sich mehr entsinnen, wann Rudi Völler das letzte Mal eine so genannte Bestbesetzung aufs Feld schicken durfte.“

In Sachen Besetzung des Linksverteidigers zitiert Roland Zorn (FAZ 19.8.) Rudi Völler. „Wir müssen uns in Deutschland davon befreien, daß es auf links immer ein Linksfuß sein muß. Völler erinnert dabei gern daran, daß bei den Italienern der international renommierte Rechtsfuß Zambrotta von Juventus Turin links verteidige und daß bei den deutschen Weltmeistern von 1974 der einst links gesinnte Paul Breitner mit dem stärkeren rechten Fuß außen links nahezu stürmisch verteidigt habe. Von rechts nach links zu rücken, fiele dagegen Andreas Hinkel nicht im Traum ein. Der rechte Verteidiger des VfB Stuttgart ist am Mittwoch von Völler erstmals dazu ausersehen, von Beginn an auf dem Platz zu stehen. Weil er auch noch daheim ist bei seiner Premiere in der ersten Elf, betrachtet der 21 Jahre alte Schwabe sein drittes Länderspiel als ein kleines Karriere-Highlight. Vor meinem Publikum, in meinem Stadion, für mein Land, das ist auf jeden Fall etwas Besonderes. Hinkel ist ein bekennender Dauerläufer und Vorkämpfer auf seiner rechten Bahn und hat dazu mehr als die ähnlichen Kollegen von gegenüber schon viel von der Komplexität seines Antreiber- und Verteidigerjobs begriffen. Zuletzt als junger Wilder bei dem offensiven VfB des vergangenen Jahres, zur Zeit mit der Devise Volle Kraft nach hinten bei den im heißen Sommer 2003 vorsichtiger zu Werke gehenden Stuttgartern, die als einzige Bundesliga-Mannschaft noch ohne Gegentreffer geblieben sind. Hinkels Vorbild ist der französische Weltmeister Lilian Thuram, sein erster nationaler Konkurrent auf der rechten Seite der diesmal aussetzende, drei Jahre ältere Arne Friedrich. Andreas Hinkel mag diese Konstellation mit einer überschaubaren und nicht übermächtigen Konkurrenz. Und erklärt dem geschätzten Kollegen ganz feierlich den Kampf: Der Arne kann sich jetzt nicht ausruhen. Ich werde immer Gas geben, und das ist gut für Deutschland. Als Deutschland das letzte Mal in Stuttgart gegen Italien antrat, beim 2:1-Sieg im April 1994, war Hinkel auch schon im alten Neckarstadion dabei: als Balljunge. Der Knabe hat am Ball Karriere gemacht. Mal sehen, wer von den Balljungen am morgigen Mittwoch einem Andreas Hinkel nacheifern wird.“

Warum spiele ich eigentlich nicht, sondern Oliver Kahn?

Über den Rang Jens Lehmanns heißt es bei Michael Rosentritt (Tsp 19.8.). „Jens Lehmann wirkt irgendwie befreit. In der Turnhalle der Sportschule Nellingen/Ruit in Ostfildern wollen die vielen Journalisten von dem früheren Dortmunder nur wissen, wie es in der großen Stadt London ist. Dorthin hat es den 33-jährigen vor wenigen Wochen verschlagen. Am Samstag bestritt der Torhüter beim 2:1-Sieg gegen den FC Everton sein erstes Premier-League-Spiel für Arsenal. Am Tag darauf ist er für das Länderspiel am Mittwoch in Stuttgart in den Kreis der deutschen Nationalmannschaft zurückgekehrt. Auch dort will er sich aus der Enge befreien. Jens Lehmann ist hinter Oliver Kahn nur die deutsche Nummer zwei. Also Ersatz, oder Reserve – vermutlich sogar austauschbar. „Warum spiele ich eigentlich nicht, sondern Oliver Kahn? Die Frage hat mir noch niemand beantwortet“, sagt Lehmann. In London hat der FC Arsenal rund 3,5 Millionen Euro investiert, um Lehmann von Borussia Dortmund loszueisen. Für viele war er in der vorigen Saison der beste Torhüter der Bundesliga. Nur gibt es da noch einen Oliver Kahn, und an dessen Stellung mag Teamchef Rudi Völler nicht rütteln. So geht das schon seit Lehmanns Debüt in der deutschen Elf im Februar 1998. Immer war irgendeiner besser oder hatte einer ältere Rechte. Oder einer kam in der Öffentlichkeit besser an. Lehmann war lange Zeit auf wenig schmeichelhafte Etiketten festgelegt: mal überheblich und provozierend, mal ausrastend und anmaßend. Diese öffentliche Darstellung gipfelte in der Bemerkung des Liga-Präsidenten Werner Hackmann, Lehmann sei ein „arroganter Schnösel“. Lehmann hat sich damals nicht dazu geäußert. Heute sagt er, „dass diese Kritik mich tief getroffen hat“. Er hat an seinem Image gearbeitet, so sehr, dass ihm sein ehemaliger Dortmunder Trainer Matthias Sammer „eine immer höhere Akzeptanz bei Fans und Mitspielern“ attestierte. Lehmann zählt zu den Schlaueren in seinem Gewerbe. Er pflegt ein distanziertes Verhältnis zu Mitspielern und Medien. „Wahrscheinlich werde ich in der Nationalelf nur dann die Nummer eins, wenn der Olli eine Affäre mit der Frau von Rudi Völler anfängt.“ Das sagte Lehmann zu einem Zeitpunkt, als der Münchner Torwart noch eine glückliche Ehe führte. Heute hört sich das etwas anders an. „Ich habe über Jahre konstant gehalten. Irgendwann wird der Fußballgott ein Einsehen haben und mich dafür belohnen. Ich bin zu lange dabei, um an Überraschungen zu glauben“, sagt Lehmann und lässt doch keinen Zweifel daran, dass seine Zeit kommen werde. Der Job bei Arsenal soll ihm dabei helfen, soll ihn sozusagen abhärten. „Als Torwart in England wirst du in jeder Aktion attackiert, das ist von Vorteil“, sagt Lehmann. „Außerdem habe ich dort einen großartigen Trainer und Mitspieler, die Welt- und Europameister waren. Die sportliche Qualität ist viel höher als in Dortmund.“ Lehmann sagt all diese Sätze mit einer merkwürdigen Melodie in seiner Stimme. Sie klingt wie eine Mixtur aus Zweifel und Kampf.“

Dazu wirft Freistößler Gunnar Ehrke ein: „Lehmann bringt mal wieder das Fass zum Überlaufen. Kaum hat er sich aus Dortmund verabschiedet lobt er das wesentlich höhere Potential Arsenals gegenüber Dortmunds. Man kann seinem neuen Arbeitgeber auch schmeicheln, ohne seinen Alten zu beleidigen. Lehmann beleidigt das Dortmunder Team. Meier hingegen freut sich über seinen Coup, die Gehaltsliste zu kürzen. Amoroso trifft wieder, und ganz Dortmund jubelt ihm zu. Ich vermisse Michael Zorc (als Spieler), Norbert Dickel und Paul Lambert. Lambert hat bei seinem (von seiner Frau erzwungenen) Abschied aus Dortmund geweint. Wie ein Schlosshund. Wo sind die Typen, die sich noch wirklich mit ihrem Verein identifizieren? Und wo sind die Fans, die sie vermissen?“

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