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Spekulationen um Toppmöller
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| Donnerstag, 25. März 2004Themen heute: die Sonntagsspiele der Bundesliga in Leverkusen und München – Spekulationen um Toppmöller – René Jäggis (zu) schwere Aufgabe in Kaiserslautern – gelungenes Lorant-Debüt in Liga Zwei – Auslandsfußball am Dienstag
Bayer Leverkusen – Energie Cottbus 0:3
Zu den Perspektiven von Klaus Toppmöller heißt es bei Jörg Stratmann (FAZ 28.1.). „Klaus Toppmöllers Arbeit müßte sich auch in einer Struktur auf dem Spielfeld niederschlagen; in einer Ordnung, an der sich Mannschaften wieder aufrichten und festhalten können. Davon jedoch sind die Leverkusener auch nach der Bedenkzeit im sonnigen Trainingslager meilenweit entfernt. Erst jetzt tragen ihm manche Beobachter nach, daß er schon nach der verpaßten Meisterschaft im vorigen Mai das glückliche Händchen, die Autorität und Glaubwürdigkeit vermissen ließ. Und deshalb die beiden letzten großen Finals verlorengingen. Außerdem hat Leverkusen vor dieser Saison die tragenden Säulen Ballack und Zé Roberto verloren, die sich durch Franca, Simak, Preuß oder Balitsch nicht ersetzen ließen. Der gesamten neuformierten Mannschaft hat Toppmöller offensichtlich nicht vermitteln können, daß zu ihrem Beruf nicht nur der selbstbewußte Blick nach oben gehört, sondern vor allem die tägliche Arbeit an Grundlagen. Toppmöller findet nun keinen Zugang mehr zu seinen Spielern. Und der gehört als unerläßliche Voraussetzung zur Erledigung des Tagesgeschäfts Fußball.“
Andreas Burkert (SZ 28.1.) meint dazu. “So erklärbar der Freie Fall inzwischen ist, so unbekannt ist das Ausmaß dieses ungebremsten Absturzes, den Bayer nach einem Jahr zauberhaften Fußballs und Rekorden an zweiten Plätzen erleidet. Man kann auf vergleichbare Vorgänge verweisen, auf den FC Bayern etwa, der nach seiner glanzvollsten Ära Mitte der siebziger Jahre und drei Europacup-Siegen im Mittelmaß versank. Wie den Bayern damals, so ist dem Trainer Toppmöller jetzt bei Bayer der Umbruch eines (quasi-) erfolgreichen Teams missglückt. Zé Roberto, Ballack und Kirsten, Toppmöller hat für sie teuren Ersatz einkaufen dürfen – „Wunschspieler“ –, doch gerade im Falle Simaks und Francas wird er sich vorrechnen lassen müssen: sehr viel Geld für sehr wenig Leistung. Klaus Toppmöller hat es nicht geschafft, seinen – weiterhin exklusiven – Kader zu kontrollieren, im Gegenteil. Lange haben sie das bei Bayer ignoriert und mit Verve den Verlust Ballacks und der anderen beweint, dazu Nowotnys Blessur und dies und jenes. Immer wieder, vor allem Toppmöller. Wer die Augen schließt und an den schönsten Fußball seit jenem der Gladbacher Fohlen denkt, der denkt oft an Toppmöller: ’93/94 mit Frankfurt, danach in Bochum, zuletzt mit Bayer. Allein, es blieben wundersame Phänomene von kurzer Dauer.”
Daniel Theweleit (SZ28.1.) schreibt. „Die Trainerdiskussion ist in vollem Gange, schon sind Namen möglicher Nachfolger im Gespräch: Frank Pagelsdorf, Jürgen Röber, auch Falko Götz, 40, der Hertha BSC Berlin bei seiner ersten Station als Cheftrainer in desolatem Zustand übernahm und in der vergangenen Saison noch in den Uefa-Cup führte. Leverkusen käme seiner Idealvorstellung sicher nahe, er kennt den Klub, fand hier nach seiner Flucht aus der DDR seine erste Heimat im Westen und wurde mit Bayer 1988 triumphaler Uefa-Cup-Sieger. Götz weckt bei Bayer-Fans gewiss gute Gefühle, die Toppmöller nicht mehr zu entfachen vermag.“
Moritz Küpper (FR 28.1.) beschreibt die Stimmung unterm Bayer-Kreuz. „Als die Leverkusener Spieler gestern auf den Trainingsplatz schlichen, nieselte es über der BayArena. Es passte zum Tag nach dem verpatzten Rückrundenstart: Während das Stammpersonal um den Trainingsplatz auslief, spielten die Ersatzspieler Handball. Der Wechsel der Sportart als Therapie? Als am Abend zuvor im Spiel gegen Cottbus in der 85. Minute Andrzej Juskowiak das 0:3 für Energie erzielt hatte, erhob sich die sportliche Führung von Bayer und verließ die Tribüne. Draußen rückten die Ordner mit Hunden an, um die aufgebrachten Fans zur Ruhe zu bringen. Doch die wütenden Proteste der Anhänger am Zaun, die zum Ende der Hinrunde fast obligatorisch waren, blieben aus. Resignation macht sich breit unter dem Bayer-Kreuz. Der Vizemeister der vergangenen Saison steckt in einer seiner schwersten Krisen. Und der Verein wirkt dabei erschreckend hilflos. Einzig Manager Reiner Calmund, Trainer Klaus Toppmöller und Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser äußerten sich gestern zur Lage. Führungsspieler wie Carsten Ramelow und Hans-Jörg Butt liefen dagegen wortlos an den wartenden Journalisten vorbei. Und auch die Jungen wie Hanno Balitsch und Christoph Preuß, die nach dem Spiel noch nach Erklärungen suchten, verpassten sich einen Maulkorb. Calmund machte deutlich, worauf man sich in naher Zukunft in Leverkusen einstellen muss: Hier gibt es einen Albtraum-Abstiegskampf.“
Vor dem Spiel beschrieb Jörg Stratmann (FAZ 25.1.) Leverkusener Hoffnungen auf Jens Nowotny. „Der Hoffnungsträger selbst redet mittlerweile von seinem Arbeitsunfall an jenem 30. April vorigen Jahres, als schildere er leicht zu behebende Folgen eines Auffahrunfalls. Dabei war ihm kurz nach Beginn des Halbfinalrückspiels in der Champions League gegen Manchester United das vordere Kreuzband im rechten Knie gerissen, was zu den bittersten Verletzungen eines Fußballprofis zählt. Schlimm, aber reparabel, nennt es Nowotny. Doch nicht wenige sehen im Rückblick auf die lange Zeit der Rehabilitation Parallelen zur anhaltenden Leverkusener Formschwäche, die vom Finale der Champions League schnurstracks in den Keller der Bundesliga geführt hatte. Wird mit dem wiedergenesenen Kapitän nun alles besser? Auch diejenigen, denen die Balken des Bayer-Kreuzes nicht völlig den Blick verstellen, haben die Folgen der Rückkehr mit Wohlgefallen verfolgt. Nicht nur weht ein frischer Wind auf dem Platz und in der Kabine, seit Nowotny wieder mitmischt. Schon allein seine Präsenz stelle wieder die lange vermißte Hierarchie unter den Profis her, bemerkten Beobachter. Dabei hatte sein Wort immer schon Gewicht, nur setzte es Nowotny zumeist nicht in dem Maße ein, wie es sich mancher vom Mannschaftsführer gewünscht hätte. Das hat sich geändert. Stärker als früher nutzt Nowotny seine natürliche Autorität, um Nachlässigkeiten anzusprechen, die sich über die Wochen eingeschlichen haben, um ein Klima zu schaffen, in dem sämtlichen Mitarbeitern wieder das gemeinsame Ziel deutlich wird. Doch mehr noch überraschte, daß der so ruhige Nowotny darüber hinaus plötzlich gegenüber der Vereinsführung einen deutlichen Ton anschlug und gegen die allgemeine Selbstzufriedenheit und die im Mißerfolg dieser Saison einsetzende Larmoyanz wetterte. Ihn störe sehr die übliche Saisonvorgabe, daß das Erreichen der Champions League vollauf reiche.“
Interview mit Wolfgang Holzhäuser (Geschäftsführer Bayer Leverkusen) FR
Bayern München – Borussia Mönchengladbach 3:0
Peter Penders (FAZ 28.1.) resümiert resigniert. „Ach, wenn sie sich doch wenigstens für den Uefa-Pokal qualifiziert hätten! Irgendwann in ein paar Wochen, nach weiteren Spieltagen wie diesem zum Rückrundenstart, wird den Bayern vermutlich fürchterlich langweilig werden. Bis dahin dürfte das Freizeitdefizit aufgrund der ständigen internationalen Beschäftigung der vergangenen Jahre aufgearbeitet sein und der Vorsprung in der Bundesliga noch weiter angewachsen sein. Der deutsche Fußball-Rekordmeister hat schon jetzt acht Punkte Vorsprung – und nach dem 3:0-Sieg über Borussia Mönchengladbach demnächst ein Luxus-Problem: So etwas also soll nun bis zum Saisonende der Höhepunkt der Arbeitswoche sein? Acht Punkte voraus und nur die Bundesliga vor Augen? Solch einen Vorsprung noch zu verspielen, das würde man in ähnlicher Situation nur Leverkusen mit einiger Verläßlichkeit zutrauen, aber den Bayern? Die bemühen sich redlich, die Konzentration nicht zu verlieren. Übermäßig beanspruchen mußte der Tabellenführer sein zweifellos vorhandenes Können nicht, um die harmlosen Gladbacher vor erstaunlicherweise 40.000 Zuschauern, die der Kälte und der Fernsehübertragung trotzten, jederzeit zu beherrschen. Wie so viele andere Gegner auch hatte die Borussia nur eine Taktik gesehen, die einigermaßen erfolgversprechend schien: das 0:0 so lange wie möglich zu halten, damit den großen Favoriten vielleicht ob dieser Ungeheuerlichkeit tatsächlich so etwas wie Nervosität befällt und er sich Fehler leistet.“
Philipp Selldorf (SZ 28.1.) sah chancenlose Gäste. „Manager Uli Hoeneß offenbarte noch gestern, obwohl „total zufrieden“ mit dem Spiel gegen Gladbach, seinen finsteren Entwurf: „Mein Albtraum ist, dass wir am letzten Spieltag nach Schalke fahren und noch einen Punkt brauchen – während Dortmund gegen Cottbus spielt und zehn Tore machen kann.“ Oh ja, und bis es soweit ist, so warnt auch Ottmar Hitzfeld, liegen noch 15 Spieltage vor ihnen: „’ne Menge Holz“, wie der Trainer ungewohnt kumpelhaft anmerkte. So etwas müssen sie wohl sagen, aber wer glaubt daran? Und wer hilft mit, die Vision zu verwirklichen? Gegner wie Borussia Mönchengladbach jedenfalls nicht. Eine halbe Stunde spielte der VfL mit, „das sah von außen ganz niedlich aus“, fand Torwart Jörg Stiel. Mehr nicht. Gladbach war der typische Gast im Olympiastadion. Brav, dem geringen Anspruch ergeben und hinterher zufrieden, sich nicht blamiert zu haben. „Du bist doch doof, wenn du nach München fährst und das Gefühl hast: ich muss hier den großen Fußball bieten“, erklärte Stiel, der im Übrigen alles andere als doof ist. Der Torwart hatte in München einen kleinen Besitz zu verteidigen. Wäre er ohne Gegentreffer geblieben, hätte er eine Urkunde für den Rekord verdient, als erster Torwart der Bundesligageschichte viermal hintereinander gegen die Bayern kein Tor kassiert zu haben. Ein interessanter, aber auch exzentrischer Eintrag.“
Zu den Perspektiven von Ottmar Hitzfeld lesen wir von Axel Kintzinger (FTD 27.1.). „Es ist noch nicht lange her, da plagten Ottmar Hitzfeld ernste Zukunftssorgen. Nach dem Ausscheiden seines FC Bayern aus der Champions League rechnete er täglich mit seinem Rauswurf. Wir wissen das, weil er das einem befreundeten Pfarrer anvertraut hatte, und der das gleich in die Hitzfeld-Biographie aufnahm, an der er gerade schrieb, und die in diesen Tagen erscheint. Mit dem Beichtgeheimnis wurde auch schon mal strikter umgegangen. Hitzfeld muss das nicht stören, denn wie es aussieht, wird die Erfolgsgeschichte des Mathematikers mit dem verkniffenen Gesicht in München weitergehen. In der Bundesliga ist weit und breit niemand in Sicht, der dem Rekordmeister Konkurrenz machen könnte im Titelkampf. Dreimal ist Hitzfeld mit den Bayern Meister geworden, zweimal Pokalsieger, hat nach Jahrzehnten erstmals wieder den Europacup der Landesmeister gewonnen und den Weltpokal noch dazu – von so einer Statistik zehren Leute wie Udo Lattek heute noch. Und so sicher, wie wir heute schon wissen, was über die Amtszeit von, sagen wir einmal, George W. Bush in den Geschichtsbüchern stehen wird (Wirtschaftskrise, Krieg, Zerrüttung des Verhältnisses zu Europa), so sicher sind auch die Kapitel über Hitzfeld – und sie werden besser klingen als die Einträge über Bush.“
Joachim Mölter (FAZ 28.1.) schreibt dazu. „Daß er mit dem Eingeständnis mancher Schwäche seine Autorität in der Macho-Branche Profifußball aufs Spiel setzt, glaubt Hitzfeld nicht, dafür aber zumindest, daß die Spieler des FC Bayern mich jetzt anders sehen werden. Auf die Resonanz im Fußball-Business sei es ihm freilich nicht angekommen, versicherte Hitzfeld. Er habe die Einblicke vor allem gewährt, um Jugendlichen Mut zu machen, daß man einiges erreichen kann im Leben, wenn man sich Ziele setzt und diese Ziele auch gegen Widerstände anpeilt. Ein großer Widerstand in Hitzfelds Karriere war das Heimweh, sobald er auch nur für ein paar Wochen im Sommer seinen Geburtsort Lörrach und seine Familie verlassen mußte. Im Buch ist ein rührender Brief abgedruckt, den der liebe, kleine Muttis Schatz und Papas Bubele aus einem Internat an seine Eltern schickte, immer und immer wieder seine Heimkehr erflehend.“
Interview mit Franz Beckenbauer FAS
Interview mit Bixente Lizarazu (FC Bayern München) SZ
Christoph Biermann (SZ 25.1.) beleuchtet die wirtschaftlichen Aussichten von Borussia Mönchengladbach. „170 Sponsoren zählt der Klub inzwischen, der Verkauf von Fanartikeln boomt, doch die ganz große Dynamik soll sich durch das neue Stadion entwickeln. „Es ist etwas ungewohnt, dass es das bald wirklich geben wird“, meint Vereinspräsident Adalbert Jordan. Weil sich die Planungen, Diskussionen und Verhandlungen fast ein Jahrzehnt lang hinzogen, ist der Baubeginn im vergangenen November fast unbemerkt geblieben. 60.000 Zuschauer bei Spielen in nationalen Wettbewerben und 45.000 in der dann komplett bestuhlten Arena bei internationalen Begegnungen werden ab Beginn der übernächsten Saison Platz finden. Mit rund 88 Millionen Euro vergleichsweise preisgünstig ist das Stadion, das Borussia in Eigenregie baut. Daher sieht Vizepräsident Königs den Klub ab 2004 vor einem „Quantensprung in der Entwicklung“. Mit dem neuen Stadion soll endlich das Potenzial des bundesweit immer noch ausgesprochen populären Klubs ausgeschöpft werden, sollen die Investitionen ins Team deutlich steigen. Nur ist bis dahin eine sportlich holprige Strecke zu bewältigen. Die Phantasiewelten von einer goldenen Zukunft im internationalen Fußball wurden vielleicht zu früh errichtet, sie könnten sich als schädlich erweisen.“
Weitere Hintergrundberichteaus der Bundesliga
Martin Hägele (NZZ 28.1.) analysiert die schwere Aufgabe des Vorstandsvorsitzenden des 1. FC Kaiserslautern. „Bisher ist Jäggi auch sehr gut angekommen bzw. dargestellt worden. Für viele Leute und für viele Journalisten spielt er den Hoffnungsträger einer verarmten Region, in der gerade aus sozialen Aspekten Fussball und ganz besonders der 1. FC Kaiserslautern mehr bedeuten als anderswo. „Wenn einer den FCK retten kann, dann ist es der Jäggi“, sagen die Leute. Und obwohl er den Fans anfangs nur schlechte Nachrichten übermitteln konnte, sahen sie in dem neutralen Schweizer gleich eine Vertrauensperson. Bis ihn, pünktlich zum Wiedersehen mit den Basler Freunden, erstmals das kritische Stadtmagazin „T 5“ attackierte. Die neue Führung um Jäggi bleibe bemerkenswert tatenlos, obwohl die Negativschlagzeilen über den moribunden Verein nicht abrissen, heisst es dort vor einer ganzen Reihe Fragen an den Vorstandsvorsitzenden: „Sollen die Altkader geschont werden?“ „Wieso führt er nicht, was schon aufgrund des Mitglieder-Mandats angezeigt wäre, die genaueren Ermittlungsergebnisse der von ihm mit der Sonderermittlung beauftragten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC einer breiteren Öffentlichkeit zu?“ „Wieso legt Jäggi nicht en détail offen, wie genau den Dingen nachgegangen werden soll, welche Massnahmen sind vorgesehen gegen das alte Management oder auch gegen Spielerberater (in diesem Fall die Firma Rogon und Ciriaco Sforzas Agent Martin Wiesner)?“ Diese Kette von Fragen liesse sich noch beliebig verlängern, und man wird zu Jäggis Verhalten wohl nur eine Erklärung finden. Der Mann ist in der Tat allein in einer fremden Stadt, überfordert, denn wenn sein Auftrag betrachtet wird, kommt einem nur die mythologische Gestalt Sisyphos in den Sinn. Den ganzen Schlamm, der sich unter den Vorständen Friedrich, Wieschemann, Herzog und Co. angesammelt hat, kann ein Mensch gar nicht entschlacken. Er wäre ja den ganzen Tag nur mit Staatsanwälten, Finanzkommissaren und Ermittlern über den Büchern und müsste sich jeden Abend selbst befragen: Lohnt sich dieser Einsatz? Kann dabei irgendetwas herauskommen? Etwa, dass jene Herren, die sich am FCK vergriffen oder ihn so gut wie ruiniert haben, zur Kasse gebeten werden? Wohl kaum. Und deshalb konzentriert sich der Nachlassverwalter des Pfälzer Fussballelends darauf, das Leiden halbwegs erträglich zu gestalten, anstatt in alten Wunden zu bohren. Eine Haltung, die sich weniger an moralischen oder rechtsstaatlichen Prinzipien orientiert, sondern an der Realität in den mit dem FCK verwobenen politischen Kreisen. Die Aufklärung jener Misswirtschaft erscheint dort eher als Energie- und Zeitverschwendung.“
Vor dem Start in die Rückrunde war Peter Heß (FAZ 25.1.) ob der Anziehungskraft des runden Leders skeptisch. „Die Winterpause währte nur knapp sechs Wochen. Aber in dieser vergleichsweise kurzen Ruhephase sank der Bundesliga-Fußball tiefer ins Unterbewußtsein der Sportfreunde ab als während eines langen heißen Sommers. Es war aber auch überhaupt nichts los. Keine spektakulären Transfers – insgesamt kam kaum ein Dutzend zustande. Kein Budenzauber – die Hallenrunde wurde soweit abgespeckt, daß es sich nicht mehr lohnt, sie nur zu erwähnen. Blieb der Streit um die Fernsehrechte. Aber so etwas lockt schon lange keinen mehr hinter dem Ofen vor; es gab schon so viele und immer eine Einigung. Wenigstens menschelte es ein wenig: Lothar Matthäus hat sich in eine Siebzehnjährige verliebt, und Ottmar Hitzfeld offenbarte in einer von ihm autorisierten Biographie, daß sich hinter seiner stoischen Fassade Gefühle verbergen. Kurz vor dem Anpfiff der Rückrunde ist das Interesse kaum aufgetaut. Der neue Tennis-Held Rainer Schüttler, Skispringer Sven Hannawald und andere Heroen und Heroinen des Wintersports lenken sportlich ab, noch mehr die schlechten Nachrichten aus Politik und Wirtschaft. Das ist neu: Der Ball muß erst wieder richtig rollen, damit König Fußball regiert.“
In einem Leitartikel kommentiert Michael Horeni (FAZ 25.1.) die Lage der Liga. “In der größten Finanzkrise der Liga weiter an die Hochkonjunktur zu denken – das paßt zum erfolgreichsten deutschen Fußball-Manager. Aber außer altbekannte Ansprüche zu stellen, haben die Profiklubs und die Deutsche Fußball Liga bisher noch nichts Nennenswertes unternommen, was der veränderten Marktlage Rechnung trüge. Die Fernsehsender sind wegen der prekären Situation oftmals schon nicht mehr in der Lage, journalistische Mindeststandards zu erfüllen. Beim Pay-TV-Sender Premiere kommentieren Reporter ein Bundesligaspiel erst eineinhalb Stunden live und fassen danach das Spiel in einer weiteren Sendung zusammen – und sind im Stadion gar nicht dabeigewesen. Während sich zahlreiche Sportarten zum Teil stark veränderten, um Zuschauer vor den Bildschirm zu locken, ist die Fußball-Bundesliga in ihrer Erscheinungsform seit vierzig Jahren nahezu identisch. In diesen Tagen wurde in der Formel 1 unter Getöse ein neues Reglement geschaffen, um die Attraktivität für das Publikum zu erhöhen. Zunächst umstrittene Modernisierungen haben auch ehemalige Randsportarten wie Skispringen und Biathlon zu einem Quotenerfolg gemacht. In der vom Fernsehen verwöhnten Fußballbranche sind derzeit aufgrund der Vertragslage nicht einmal Live-Übertragungen von Bundesligaspielen im frei empfangbaren Fernsehen möglich. Auch der Spielplan, der den attraktiveren Freitagabend außer acht läßt und dafür auf den unbeliebteren Sonntagvorabend setzt, müßte aus Sicht der Sender und einiger Klubs optimiert werden (…) Das Fußballeben hat sich in der Krise spürbar verändert. Der erzwungene Anpassungsprozeß der Bundesliga an die ökonomische Wirklichkeit ist in vollem Gange. Die Führungskräfte der großen deutschen Klubs Bayern München und Borussia Dortmund, die vor Jahresfrist von einer Krise noch nichts wissen wollten, kündigen ihrem Personal für die nächste Gehaltsrunde schon eine Verminderung der Bezüge um bis zu 50 Prozent an. Unter den innerhalb kurzer Zeit dramatisch veränderten Bedingungen ist auch die Mehrheit der Hauptdarsteller im ehemaligen Traumtheater zu einem freiwilligen Gehaltsverzicht bereit. Nach einer Umfrage unter den Bundesligaspielern würde ein Viertel der Kicker Abzüge von bis zu zehn Prozent hinnehmen. Jeder zehnte Profi nennt angesichts drohender Arbeitslosigkeit überhaupt keine Verhandlungsgrenze für mögliche Einkommensreduzierungen mehr – wenn nur der Job erhalten bleibt.“
Im Feuilleton schreibt Andreas Bernard (SZ 27.1.). “Fußball als Grundschicht der Sozialisation, als erstes verlässliches Wissens- und Orientierungssystem: Das war das Thema eines Vortrags von Klaus Theweleit im Rahmen seiner Gastprofessur an der Weimarer Bauhaus-Universität. Alles in allem ging es um die Ausführung des schönen Mottos, das Jochen Wagner einmal einer Tutzinger Fußball-Tagung voranstellte: „So lange am Samstag um 22 Uhr die jazzige Erkennungsmelodie des ,Aktuellen Sportstudios’ erklingt, habe ich keine Orientierungskrise.“ In überraschend autobiografischer Manier näherte sich Theweleit der im Vortragstitel – „Wozu Fußball?“ – gestellten Frage nach der Legitimität des Spiels; nicht die kulturwissenschaftliche Analyse interessierte ihn an diesem Abend, sondern geradezu ein pädagogisches Argument. In der Leidenschaft für den Fußball, so seine These, bildet sich ein Modell des In-der-Welt-Seins, das ein Leben lang nicht mehr verloren geht, das sich später vielleicht auf andere Felder überträgt (Pop, Film, Literatur, Wissenschaft), aber immer wieder auf jenes erste Ordnungssystem zurückweist. Man könnte die Sozialisation eines Kindes vollständig auf der Folie des Fußballs erzählen: Wie es die Zeit einteilt – nach dem Spielplan der Liga; wie es Einsamkeit erträgt – durch Erfinden neuer Spiele am Garagentor; wie es Wissen anhäuft – durch das lückenlose Erstellen von Listen und Tabellen. Um die Entfaltung einer solchen, vom Fußball magnetisierten Biografie ging es Klaus Theweleit, und er tat das in einer Selbstvergessenheit, die jene Zuhörer, die nicht alle Bundesligameister seit 1963 parat haben, mehr und mehr überforderte. Schließlich kehrte die Konzentration aber noch einmal zurück, als der professionelle Textinterpret Theweleit vorführte, was er heutzutage darunter versteht, „ein Spiel zu lesen“. Wie ein orthodoxer Strukturalist zerteilte er Ausschnitte von WM-Spielen des vergangenen Jahres in bis zu 24 Bilder pro Sekunde, um nachzubuchstabieren, welch marginalen, kaum bemerkbaren Szenen mittlerweile dafür verantwortlich sind, ein Spiel zwischen zwei hochklassigen Mannschaften zu entscheiden.”
Karin Bühler (SZ 28.1.) berichtet das erfolgreiche Debüt Werner Lorants (sein neuer Klub LR Ahlen gewann mit 2:1 beim SSV Reutlingen). „Lorant fuchtelte, brüllte, stampfte, lamentierte und drehte sich an der Seitenlinie. So wie man es von ihm kennt und so wie man es gern im Fernsehen zeigt. Ahlens Mittelfeldspieler Sebastian Bönig sagte: „Wir sind 90 Minuten gerannt bis zum Umfallen. Heute haben alle mitgemacht.“ Und Stürmer Marcus Feinbier meinte: „Der Trainer hat uns 120-prozentig motiviert, uns drei Wochen lang in die Köpfe gepresst: ,Männer, wir schaffen das.‘“ Der Sieg sei wichtig nach der desolaten Hinserie. Und dann fügte Torschütze Feinbier, den die Klubführung nach einem Vorfall bei der Weihnachtsfeier freigestellt hatte, an: „Lorant war der Anlass, warum ich in Ahlen geblieben bin. Nur er konnte mich überzeugen.“ Der Trainer selbst war guter Laune und erstaunt, dass die Mannschaft schon im ersten Spiel nach einer Phase der Verunsicherung eine so gute Leistung zeigte. Spielerisch, das gab Lorant zu, müsse man sich noch steigern. Als bei der Pressekonferenz zunächst keine Frage an ihn kam, zog er die Mundwinkel verwundert nach unten. Kurz darauf – und es klang fast stolz – sagte er: „Und da seid ihr ja doch alle wieder“, als sich zehn, zwölf Journalisten seinem Tisch näherten. „Früher“, sagte Manager Krug, „waren das in Ahlen immer nur zwei oder drei.“ Lorant zieht, auch bei Premiere, das am Sonntag als Live-Spiel der Woche Ahlen – St. Pauli sendet. Lorant sei Dank. Aufgeräumt schlenderte der Trainer nach dem erfolgreichen Tag den Kabinengang entlang. Er erwartete den Reutlinger Schiedsrichterbetreuer, dem er zuvor ein paar Euro zugesteckt hatte. Kein Bestechungsversuch. Es war nur Geld für eine neue Schachtel Marlboro.“
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