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David Beckham, zu groß und berühmt für Manchester United und Alex Ferguson
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| Donnerstag, 25. März 2004Beckham, die kulturelle Ouvertüre zur WM, und Vieles mehr
Erik Eggers (FR 16.9.) befasst sich mit uns. “Einmal am Tag reisen viele Fußballexperten in die Provinz, in die hessische Fußball-Diaspora nach Gießen. Wenn auch per Mausklick und nur für Minuten. Denn dort wacht mit www.indirekter-freistoss.de der wohl wichtigste virtuelle Richter über all die Texte zum Fußball, die in den deutschen Qualitätszeitungen verbraten werden. Im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses wird zusammengefasst, was für diesen Sport zusammengefasst gehört, jeden Vormittag zwischen zehn und zwölf Uhr wird das Originellste und Klügste aus den Printmedien ins Netz geladen. Verantwortlich dafür ist Oliver Fritsch.”
Man muss sich, wenn schon nicht sportlich, wenigstens intellektuell qualifizieren
Michael Althen (FAZ 15.9.) rezensiert die Ouvertüre der WM 2006. „Keine tausend Tage sind es mehr bis zur Fußballweltmeisterschaft 2006, und da so ein großes Ereignis seine Schatten entsprechend weit vorauswirft, hat man schon mal mit dem Aufwärmen begonnen. Emotional vor allen Dingen, aber auch geistig. Denn da Deutschland als Veranstalter einen Platz bei der WM sicher hat, wurde beschlossen, man müsse sich, wenn schon nicht sportlich, so doch wenigstens intellektuell für das Ereignis qualifizieren. Mit einem Kulturprogramm zum Beispiel, das am Freitag abend im Berliner Paul-Löbe-Haus offiziell eröffnet wurde. Es sprachen der Kanzler, der Innenminister und als Hausherr der Bundestagspräsident, und obwohl sie zaghaft darauf hinwiesen, daß Deutschland eine parlamentarische Demokratie sei, sprachen sie das Wort Kaiser mit einer Ehrfurcht aus, als befänden sie sich in einer Monarchie. Denn der unumwundene Herrscher des Abends war natürlich Franz Beckenbauer, eine von Kamerateams umturnte Lichtgestalt, die den Deutschen diese WM geschenkt hat. Schon an der Art, wie sie sich durch die Menge bewegten, sah man den Unterschied zwischen Kaiser und Kanzler: Der eine bewegte sich mit jener natürlich-leichtfüßigen Autorität, die er auf dem Fußballplatz erworben hat; der andere schritt aus, als müsse er mit jedem Schritt um seine Bedeutung ringen und mit jedem Blick seine Jovialität betonen. Beckenbauer steht jenseits solcher Erwägungen, was kein Wunder ist, denn schließlich ist er auf Wahlergebnisse nicht mehr angewiesen. Neben ihm verkümmerten auch Leute wie Jürgen Klinsmann oder Oliver Bierhoff zu Zaungästen. Der Mann steht längst so jenseits aller Kritik, daß alle freudig schmunzeln, wenn er auf der Pressekonferenz zur Verbindung von Fußball und Kultur befragt wird und antwortet, er sei mal bei der WM in den Vereinigten Staaten in Chicago – er sagt natürlich Tschikago – neben Plácido Domingo gesessen, der in der Pause gehen mußte, um einen Flug nach Dallas zu erwischen, wo er ein Spiel der Mexikaner sehen wollte. Da habe Beckenbauer begriffen, daß Fußball alle Schichten fasziniert – selbst die Intellektuellen.“
Das Wort hat jetzt der Kaiser!
Volker Weidermann (FAS 14.9.) ergänzt. „Die achthundert geladenen Gäste essen, trinken, plaudern, bis die Lichtgestalt die Menge teilt. Franz Beckenbauer schreitet auf den einzigen hell erleuchteten Altartisch zu, nickt kurz in die Menge, schüttelt Otto Schily, der am Tisch schon wartet, kurz die Hand, ignoriert Oliver Bierhoff offensiv, der kurz darauf zu einem weniger hell erleuchteten Nebentisch wechselt. Er plaudert mit dem Kanzler, begrüßt Angela Merkel, klopft Mayer-Vorfelder auf den Rücken und ist ganz ruhig und würdig. Als ihn später die aufgedrehte Katharina Thalbach, die den Abend moderiert, von der Bühne herunter um Freikarten fürs Endspiel bittet, sie würde darauf auch gerne auf ihre Gage verzichten, da wirkt er zum einzigen Mal an diesem Abend etwas verkniffen. Als Wolfgang Thierse später vom Podium herab ebenfalls Endspielkarten für sich reklamiert, schaut er schon wieder etwas milder. Und man wüßte nur ganz gerne, seit wann das eigentlich so ist, daß Franz Beckenbauer wirklich und ganz unironisch der Kaiser ist, daß selbst Innenminister Otto Schily, der seine Rede mit einem schmetternden Der Kult der schlechten Laune ist vorbei! Jetzt ist Vorfreude! beendete, den nächsten Redner mit einem ernsthaften Das Wort hat jetzt der Kaiser! auf die Bühne bittet.Aber es verleiht dem ganzen Abend wirklich so etwas wie eine heitere Würde. Und nachdem Thomas Hürlimann eine große Rede auf Bedeutung und Ursprung der einzig wahren Fußballphilosophie gehalten hatte, Loriot in einer Grußbotschaft, die Otto Sander für ihn verlaß, die Gäste aufforderte, mit Bierbüchsen nach dem Redner zu werfen, falls sich eine Fußball-Ungenauigkeit in seine Rede eingeschlichen habe, ein Gospelchor Fußballweisheiten heiter-hüpfend vortrug und die Lyrikerin Dagmar Leupold die Franzosen für ihren lächerlichen Torruf faire un but verspottet hatte, da war sich jeder Besucher sicher: Das vom Groß-Impresario Andre Heller erdachte Kulturprogramm zur Fußball-WM wird ein schöner, großer Tausend-Tage-Erfolg. Zum Schluß leuchtete ein großes, brennendes Glückswort hinter der Bühne auf: Vorfreude!, und alle, alle klatschten.“
FAS-Interview mit André Heller, Kultur-Beauftragter des DFB
FAS: Sie wollen Intellektuellen Spaß bereiten. Was ist mit den anderen?
AH: Niemand kann von mir einen Musikantenstadl erwarten. Ich finde übrigens, daß sinnliche und intelligent gemachte Massenunterhaltung im deutschen Sprachraum ein skandalös unterschätztes Thema ist. Die Intellektuellen und gewichtigere Künstler wenden sich zumeist mit Ekel davon ab. Die Verfeinerung von Menschen und ihre Konfrontation mit Qualitätszwischentönen ist aber ein eminent politisches Thema. Denn wie die Menschen denken, so handeln und wählen sie ja schließlich auch. Mich interessieren diese Menschen. Mit meinen Verwirklichungen mache ich ihnen seit 35 Jahren immer wieder wohlüberlegte Angebote. Charlie Chaplin hat einmal gesagt: Wenn die Leute aus meinen Filmen gehen, soll jeder gelacht haben. Aber ich habe nichts dagegen, wenn jeder an einer anderen Stelle gelacht hat. So ähnlich ist auch unser Konzept.
FAS: Sie müssen sich noch fragen lassen: Und Cordoba?
AH: Dieses lächerliche Cordoba. Die Österreicher spielen in den letzten Jahrzehnten fast immer vom Mißgeschick umflort. Und dann gewinnen sie einmal in Cordoba gegen den klassischen Angstgegner und machen sich noch fünfundzwanzig Jahre später damit Mut.
Madrid ist die Hauptstadt der einen Galaxis, Manchester die der anderen
Sehr lesenswert! Thomas Hüetlin (Spiegel15.9.) widmet sich David Beckham: ein Spieler, den viele für überschätzt und einige für unterschätzt halten. „Angeekelt von Beckhams Ruhm, hatte ihn sein Trainer Alex Ferguson in Manchester, einem Verein, für den er zwölf Jahre lang gespielt hatte, verkauft wie ein teures Rennpferd. Nach Madrid, dem glamourösesten und gnadenlosesten Club des Weltfußballs; zu einem Ensemble, in dem sich die Besten der Besten, Spieler wie Zidane, Ronaldo, Raúl und Figo, tummeln; Artisten, die vom Publikum als Los Galácticos verehrt werden – Wesen von einem anderen Stern. Im grauen Manchester, umgeben von grauen Kämpfern wie Phil Neville und Nicky Butt, hatte Beckham gestrahlt, aber was würde von ihm übrig bleiben, wenn die Galaktischen ihre langen Schatten auf ihn werfen? Nicht um einen Vereinswechsel geht es hier, es geht um den Wechsel von einer Fußballgalaxis in die andere: Ist die Mannschaft der Star, oder ist der Star der Star, der Popkünstler, der seine Fans zu Fans der Mannschaft macht? Madrid ist die Hauptstadt der einen Galaxis, Manchester die der anderen (…) Es ist schon seltsam, David Beckham, Kapitän der englischen Nationalmannschaft und sicher der berühmteste Kicker, den United je in seinen Reihen hielt, verlässt den Verein, und ein Aufstand bleibt aus. Keine Wut auf die Vereinsführung, kein Hass auf den blonden Glamourboy. Bloß so ein leises Gemurmel unter der steifen Oberlippe. Kein Spieler darf wichtiger sein als der Club, die Vereinigung, United. Das liegt natürlich daran, dass Manchester United viel mehr ist als nur ein Fußballverein – die Red Army, die rote Armee, ist eine Weltanschauung, die in ihrem Fort, dem Stadion Old Trafford, verteidigt wird. Die rote Armee – am liebsten sehen es die Fans, wenn sie aus gebrochenen Helden besteht; aus Männern in roten Trikots, die sich durch nichts davon abbringen lassen, ihre Mission zu Ende zu führen (…) Kein Wunder also, dass Old Trafford als eine Art Nationalheiligtum angesehen wird für die vielleicht britischste aller Tugenden – das grace under pressure, das würdevolle Durchhalten. Die postmoderne Ironie an diesem Schrein der Underdogs besteht darin, dass Old Trafford die Zentrale des weltweit fortgeschrittensten Fußballkapitalismus ist, der die rote Armee in den neunziger Jahren hinaufkatapultierte zum reichsten Club überhaupt. 1991 an die Börse gegangen, erwirtschaftete Manchester United im vergangenen Jahr einen Gewinn von 50 Millionen Euro. Nike bezahlt in den nächsten 13 Jahren rund 500 Millionen Euro, um der roten Armee die Uniformen stellen zu dürfen und das gesamte Merchandising zu übernehmen. United mischt mit im Kreditkartengeschäft, leistet sich einen eigenen Fernsehsender und ist stolz darauf, pro Spiel 5000 Plätze à 300 Euro das Stück zu verkaufen. Das billigste Ticket kostet mehr als 30 Euro. Trotzdem ist das Stadion mit 67 700 Plätzen immer voll besetzt. Es geht darum, die Marke United größer zu machen und gleichzeitig auszubeuten, sagt Marketing-Direktor Peter Draper. Beckham war ein Guthaben, aus dem wir jetzt Kapital geschlagen haben. Draper ist ein Brillenträger Mitte 40, in seinem Büro steht eine Weinkaraffe aus Glas in Form eines Fußballs. Er hat sie noch nie benutzt. Jeder, so lautet Drapers Botschaft, ist ersetzbar: jeder bis auf einen. Den Mann, der nicht ausgetauscht werden kann wie eine alte Glühbirne, findet man bei den Spielen in Old Trafford meist an der Außenlinie. Vor dem Anpfiff wirkt er wie ein Kartenabreißer in Rente, nach dem Anpfiff wie ein weißhaariger Derwisch. Kein Spieler darf größer werden als der Verein, lautet das wichtigste Gebot dieses unkündbaren Feldherrn, der im bürgerlichen Leben Alex Ferguson heißt und bei United Trainer ist. Ein Mann der ganz alten Schule, rotes Gesicht, Clubkrawatte und eine harte Kindheit in den Docks von Glasgow. Einer, der jeden Morgen um 7.30 Uhr auf dem Platz steht, selbst wenn es finster ist und Winter – seit 16 Jahren. Der Feldherr duldet keine Widerrede. Wer es trotzdem wagt, bekommt das, was sie in Manchester den Föhn nennen. Er stellt sich dann einen Zentimeter vor dem Sünder auf und brüllt ihn an – so laut, dass die Haare des Büßers nach hinten fliegen. Für Ferguson ist Fußball ein Krieg, bei dem man nicht aufgibt (…) Ferguson erwartet von seinen Soldaten, dass sie rennen bis zum Umfallen und nach dem Spiel schweigend in der Dusche verschwinden. Aber dieser Typ, den die Medien zum globalen Popstar ausriefen; der in jeder Teenager-Zeitschrift zum coolsten Burschen Britanniens gekürt wurde; der Millionen von Pfund mit Werbeverträgen für Haargel und Sonnenbrillen verdiente; den Universitätsprofessoren schon als Hauptindikator für einen Wandel im Männerbild des 21. Jahrhunderts ausspähten – wie sollte Ferguson es schaffen, dass er den als genauso gesichtsloses Werkzeug in den Händen hielt wie seine anderen Fußballmillionäre, die trotzdem Arbeiter geblieben waren? Seine Arbeiter! Aus Antipathie wurde offener Hass.
Wolfram Eilenberger (Tsp 16.9.) fügt hinzu. „Mehr als acht Jahre sind mittlerweile vergangen, da Beckhams rechtes Fußgelenk die Fußballwelt erstmals verzückte. Atemberaubend war die zugige Schwebe seiner Flügelwechsel, seine Kopfballflanken prägte ein neuartig zentrifugaler Drall, und seine Freistoßtechnik verhalf der Bestimmtheit des Innenspannstoßes und der Härte des Vollspannschusses zu einer ungekannten, hoch präzisen Synthese. Im Verlauf dieser acht Profijahre unter Manchesters Trainer Alex Ferguson konnte Beckham sein Fähigkeiten zwar verfeinern, aber nicht eigentlich erweitern. Der selbst angestrebte Entwicklungssprung ins zentrale Mittelfeld blieb ihm in Manchester wie in Englands Nationalelf versagt. Derart rechts beschränkt, stagnierte Beckham die letzten Spielzeiten auf hohem – und weltweit überschätztem – Niveau.“
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