Ballschrank
Themen: Saufen für St. Pauli – Euphorie in Briegels Albanien – Nobby Stiles, “der grinsende Inbegriff des bad guy, der Gesäßentblößer”
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| Donnerstag, 25. März 2004
Oke Göttlich (taz 11.6.) referiert teilenehmende Beobachtung. „Na klar, auch das Sailors Inn ist dabei. Hier gibt es Whiskey-Cola für 3,50 Euro, und sowieso ist die Welt noch in Ordnung: Die Kneipe wird geschlossen, wenn der letzte Gast geht. Und das dauert häufig länger als ein Tag Stunden hat. Man könnte auch sagen: Im Sailors spielt das wahre Leben -und die Jukebox gern Herbert Grönemeyers Mensch, ohne Probleme neunmal am Tag. Vielleicht setzen sich deshalb manche Gäste jetzt im Sommer nach draußen. Freiwillig verlässt nämlich sonst niemand die aschduftende Luft, die den klassisch fahlen Teint auf die Gesichter zaubert, der St. Paulianern gesünder erscheint als die Färbung durch ultraviolettes Licht. Gut, dass der FC St. Pauli für jedes Getränk 50 Cent bekommt, die zuvor draufgeschlagen wurden. Im Sailors Inn wird ausschließlich Schnaps getrunken. So gehört sich das für echte Seefahrer, die täglich die Wogen des Lebens umschiffen. Auch mit ihrer Hilfe versucht der Kiez-Club die Lizenz für die Regionalliga zu erhalten. 1,95 Millionen Euro fehlten dem Verein noch vor zwei Wochen. Nun heißt es: Bier trinken, St. Pauli retten. Der lokale Bierpartner des Vereins kann sich gut mit dieser Kampagne identifizieren und hat bereits die Zusammenarbeit für die Regionalliga zugesichert. Gleich wurde der ganze Stadtteil mit Plakaten zugekleistert: 168 Bierkästen stapeln sich darauf im Tor vor der Südkurve des Millerntors. Ein Ball kommt da nicht mehr durch. Grund genug für viele Sympathisanten, sich ebenso breit zu machen für ihren Verein (…) Auf der Suche nach Entspannung am Strand von St.-Peter-Ording sollen die bösen Gedanken endlich Ruhe geben. Eis essen für St. Pauli, flasht mir ein Schild beim Strandverkäufer entgegen. Rette sich, wer kann!“
Zur Lage in Albanien schreibt Dario Venutti (NZZ 11.6.). “Die Menschen in armen Ländern taufen ihre Kinder seit je auf die Namen von bedeutenden Persönlichkeiten, in der Hoffnung, dass sich auf diese Weise ein wenig von deren Grösse auf die eigenen Kinder übertragen lässt. So war es auch in Albanien Ende März dieses Jahres. Die Albaner nannten ihre Kinder aber nicht nach dem Präsidenten Fatos Nano, der das Land durch die Eröffnung einer Zuglinie von der Hafenstadt Shkoder nach Montenegro gerade an den internationalen Eisenbahnverkehr angeschlossen hatte. Ein anderes Ereignis schien ihnen in jenen Tagen eher von historischer Tragweite zu sein. Der 3:1-Erfolg der Fussballnationalmannschaft in der EM-Qualifikation gegen Russland provozierte eine Eruption der Gefühle, und so wurden auffallend viele Kinder, die in jener Zeit geboren worden waren, auf den Namen des Nationalcoachs getauft. Briegel ist seither ein geläufiger Vorname im Land. Seit dem Tag des Sieges gegen Russland, dem 29.März, ist der Deutsche Hans-Peter Briegel ein Nationalheld in Albanien. In seinem ersten Spiel als Nationalcoach führte Briegel die Fussballauswahl zum ersten Erfolg überhaupt gegen ein namhaftes europäisches Team. Bis dahin waren Albaniens Fussballer einer breiteren europäischen Öffentlichkeit nur dann ins Bewusstsein gelangt, wenn sie gegen Deutschland spielten und den übermächtig erscheinenden Gegner nicht selten an den Rand einer Niederlage oder eines Unentschiedens drängten. Am 29.März aber war der Anlass gross genug, dass der Ministerpräsident den Erfolg zusammen mit den Spielern in der Kabine tanzend feierte und der Menschenauflauf auf den Strassen von Shkoder dem Mannschaftsbus die Durchfahrt versperrte. Das Team erreichte das Hotel in der Hauptstadt Tirana erst weit nach Mitternacht. So überraschend der Sieg gegen Russland ausfiel, ein Produkt des Zufalls war er nicht.“
Das Streiflicht (SZ 11.6.) ist uns immer Pflichtlektüre. „Die wichtigste Lehrmeisterin in der höheren Schule der Menschenkenntnis ist die britische Krone. Zwar verdankt sie ihre Virtuosität in der Kunst, zwischen Sein und Schein zu unterscheiden, der Erfahrung von Jahrhunderten. Aber sie ruht sich gerade nicht auf den Einsichten der Königsdramen Shakespeares aus, in denen hinter dem Lächeln Richards ein Abgrund an Bosheit lauert. Queen Elizabeth II. hat früh begriffen, dass seit dem zwanzigsten Jahrhundert der umgekehrte Fall ins Zentrum gerückt ist: In der modernen Kultur gähnen hinter dem Schein von Unbotmäßigkeit und bösem Außenseitertum wahre Abgründe an Harmlosigkeit. Die Queen hat darum schon die Beatles in den Adelsstand erhoben, als noch einige Lords dagegen protestierten. Sie hat sich von irgendwelchen obszönen Fingergesten nicht täuschen lassen und Mick Jagger zum Ritter gemacht. David Beckham hat zwar ein Spice-Girl geheiratet und mit auffälligen Haarschnitten einigen Wirbel entfacht. Aber dass die Queen sich durch derlei nicht täuschen lassen würde, war abzusehen. Also hat sie Beckham, der nicht raucht, nicht trinkt, nie über die Stränge schlägt und seine Abende zu Hause verbringt, nun zum „Officer of the British Empire“ ernannt. Wer aber war 1989 bis 1993 Jugendtrainer bei Manchester United und also Führungsoffizier des jungen David Beckham? Nobby Stiles, der grinsende Inbegriff des bad guy, der Gesäßentblößer und Weltmeister von 1966 mit der Aura Richards III. Beckham, o.k, geht in Ordnung. Aber nachdrücklicher hat die Queen ihre Kunst der Menschenkenntnis schon im März 2000 bewiesen, als sie Nobby Stiles die Auszeichnung „Member of the British Empire“ verlieh.”
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