Internationaler Fußball
Olympique Lyon, Serbischer Beckham
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| Donnerstag, 25. März 2004
Themen: Überraschender Kantersieg im italienischen Pokalfinalhinspiel – Olympique Lyon französischer Meister – Parallelen zwischen der politischen Entwicklung Serbiens und dem dortigen Fußball – Beckham goes Armani
Eine nie dagewesene Schmach, ein surreales Ergebnis
Birgit Schönau (SZ 22.5.) berichtet einen überraschenden Kantersieg im Hinspiel des italienischen Pokalfinals. „Carlo Ancelotti muss eine Vorahnung gehabt haben. Als die 60.000 AS-Rom-Fans im Olympiastadion ihre Vereinshymne sangen, trällerte der Milan-Trainer einfach mit. „Das ist eine besondere Hymne“, gestand Ancelotti später. „Einige meiner Spieler haben sie auch gesungen.“ Alessandro Nesta wohl nicht, der war mal Kapitän von Lazio Rom. Nesta, einer der Superstars von Milan, saß auf der Bank. Neben ihm Andrej Schewtschenko. Maldini, Seedorf und Inzaghi waren gleich in Mailand geblieben, Kräfte sammeln für das Champions-League-Finale gegen Juventus Turin kommende Woche. Nach Rom hatte Ancelotti die Formation Milan due mitgebracht, gegeben wurde ja bloß das Final-Hinspiel um den Italien-Pokal, da musste die Reservemannschaft reichen. In der Hauptstadt waren sie empört. Für die Roma, die nach einer sehr durchwachsenen Saison aus der Champions League vorzeitig ausgeschieden war und in der Meisterschaft auf Platz acht festsitzt, bedeutete der Einzug ins Pokalfinale die Chance zur Rettung der Saison. Im Halbfinale war der Lokalrivale Lazio in zwei spektakulären Derbys geschlagen worden, nun fieberten Mannschaft und Tifosi ihrem Match des Jahres entgegen. Und da schickten die Snobs aus Mailand nur die Reserve! In dem guten Dutzend lokaler Radiosender, die sich in Rom ausschließlich mit Fußball beschäftigen, machten sich die Fans Luft. Im Stadion entrollten sie ein Spruchband: „Ihr habt nur die Mode, wir die Geschichte.“ Ein Glück, dass angesichts der Ewigkeit Roms die 90 Minuten vom Dienstag Abend wie ein Lufthauch erscheinen werden. Milan zwei schlägt Roma eins 4:1, eine nie dagewesene Schmach, ein surreales Ergebnis.“
Das französische Real Madrid
Jean-Marie Lanoë (NZZ 22.5.) gratuliert Olympique Lyon zur französischen Meisterschaft. „Einerseits empfingen 7000 Supporter ihr Team in der Nacht auf Mittwoch frenetisch. Andererseits liess sich der zurückhaltende Trainer Paul Le Guen, der im Alter von 38 Jahren als viertjüngster Trainer in der Geschichte der französischen Eliteliga die wichtigste nationale Trophäe gewonnen hatte, auf Schultern tragen. Für den Bretonen, der als defensiver Mittelfeldstratege bei Paris-SG seine grössten Erfolge als Spieler verbuchen konnte, ist die Genugtuung umso grösser, als der Weg zum Titel speziell für ihn ein sehr steiniger war. Dazu trug die “Altlast” bei, die ihm der momentane Nationalcoach Jacques Santini in Form des Meistertitels im vergangenen Jahr hinterlassen hatte. Dann aber auch der Umstand, dass Le Guen hinter Perrin (bei Marseille), Halilhodzic (Rennes, ab nächster Saison P-SG) und Bölöni nur vierte Wahl war, als er im vergangenen Frühjahr in die zweitgrösste Stadt Frankreichs berufen wurde. OL erwarb sich in der ersten Saisonhälfte unter Le Guen den Ruf eines „französischen Real Madrid“. Mit dem ausgeprägt offensiv ausgerichteten Mittelfeld Dhorasso/Carrière/Juninho wurden wohl Tore fast am Laufband erzielt, aber die Abwehr unter Edmilson schlug allzu oft Leck. Die Ambivalenz dieser Ausrichtung zeigte sich auch in der Champions League, in der beispielsweise dem späteren Halbfinalisten Inter in zwei Matches vier Punkte abgetrotzt, aber auch die taktischen Limiten gegen Ajax aufgezeigt wurden. Die Monate Dezember und Januar wurden dann gar zur ernsthaften Nagelprobe für Le Guen. Sein Ensemble scheiterte im Uefa-Cup, in den die Lyonnais nach dem Ausscheiden aus der Champions League verbannt worden waren, am mediokren türkischen Verein Denizlispor. Im Januar bedeuteten im französischen Cup die Amateure von Libourne Saint-Seurin Endstation. Mitverantwortlich für die Baisse war die langwierige Adduktorenverletzung des Tore-Garanten Anderson. Die Rückkehr des brasilianischen Goalgetters und taktische Umstellungen im Mittelfeld (Violeau in der defensiven Zentrumszone und Dhorasso als Mann des ersten Passes vor die Abwehr nominiert) zeitigten ihre Wirkung. Seither hat der neue Meister nie mehr verloren.“
Sven Gartung (FAZ 22.5.) resümiert. „Mit Lyon, Marseille, Bordeaux und Monaco haben sich zum Ende der Meisterschaft in der zwanzig Vereine umfassenden Liga wie erwartet die etablierten Klubs mit den großen Budgets und den stärksten Spielerkadern auf den für die europäischen Wettbewerbe wichtigen Plätzen festgesetzt. Jenseits aller Erwartungen liegt Paris Saint-Germain mit Weltmeister Ronaldinho: Nach zahlreichen Eskapaden, die sich Mannschaft und Trainer Luis Fernandez leisteten, war die Folge Mittelmaß. PSG kam nicht weiter als bis auf Platz neun. Auch AJ Auxerre spielte entgegen der Prognosen nie ernsthaft um die Meisterschaft mit. Letztlich fielen auch die vom deutschen Trainer Gernot Rohr famos geführten Aufsteiger aus Nizza aus der Spitzengruppe bis auf Platz acht zurück.“
Fußballgeschichte kann das politische Leben im heutigen Jugoslawien illustrieren
Dragan Velikic (FAZ 21.5.) zieht Parallelen zwischen der politischen Entwicklung Serbiens und dem dortigen Fußball. “Zu Titos Zeiten und noch zehn Jahre danach figurierte die jugoslawische Nationalmannschaft im internationalen Fußball als prestigeträchtiges Team, obwohl sie bei Europa- und Weltmeisterschaften niemals große Erfolge erzielte. Dennoch wurde sie von allen respektiert, denn sie war ein unangenehmer Gegner und konnte auch die beste Auswahl überraschen. Aber in der Praxis überraschte sie meist sich selbst, indem sie auch solche Spiele verlor, bei denen sie unangefochtener Favorit war. Jugoslawische Nationalspieler kickten in den berühmtesten europäischen Clubs, sie waren echte Größen, häufig sogar Stars, aber die höchste Errungenschaft der Nationalmannschaft war der vierte Rang bei einer Weltmeisterschaft. Die Ursache dafür ist nicht leicht zu ergründen, aber es ist eine interessante Tatsache, daß die Spieler auf der Bank oft besser waren als die, die auf dem Feld herumrannten. Diese Fußballgeschichte kann das politische Leben im heutigen Jugoslawien illustrieren. Der Nukleus der serbischen Mafia ist nicht zufällig im Fußball entstanden. Arkan übrigens, der serbische Al Capone, von Milosevic zum Patrioten ernannt und ein Führer der paramilitärischen Banden, die in Kroatien, Bosnien und im Kosovo wüteten, war Ende der achtziger Jahre Anführer der Fußballfans von Roter Stern Belgrad. Nicht zufällig erbaute er seine Villa gegenüber dem Stadion. Wenn wir den Fußball auf das politische Leben von Milosevics Jugoslawien übertragen und die Reservebank mit der Opposition identifizieren, können wir sagen, daß die fähigsten Politiker länger als zehn Jahre aus dem Spiel waren und dubiose Spieler das Land auf dem politischen Terrain vertraten und sein Schicksal bestimmten. Man sollte nicht vergessen, daß all das vor vollen Stadien ablief, daß also Publikum da war. Und daß auch die schlechten Spieler ihre Fans hatten.“
Philipp Selldorf (SZ 21.5.). „Beckhams Leistungen auf dem Fußballplatz mögen gelegentlich schwanken, aber in modischen Dingen ist er eine Autorität. Deshalb trägt Englands Nationalelf künftig eine Kollektion von Giorgio Armani. Dem besagten Treffen in London mit dem italienischen Modedesigner wohnte außer dem Flankengott aus Manchester ein qualifiziertes Gremium bei: Nationalkeeper David James, seit Jahren nebenberuflich auf Laufstegen tätig, die schicken Verteidiger Sol Campbell und Rio Ferdinand und der mit einem Mannequin liierte Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson. Man war sich einig, und jetzt starteten Beckham und Freunde zum ersten Mal in ihrer neuen Uniform zur großen Länderspielreise, mit Ziel Südafrika. Versehen mit maßgeschneidertem marineblauem Anzug, perlgrauem Knopfkragen-Hemd, Krawatte, Schuhen, Gürtel, Unterwäsche und natürlich der erwähnten Strickjacke aus Kaschmir. 4.000 Pfund sind pro Mann dafür fällig. Sicherlich wird es ein erhebender Anblick sein, wie die seit Paul Gascoignes First-Class-Eskapaden berüchtigtsten Flugreisenden des Fußballs in ihren Luxusklamotten die Bordbar plündern und anschließend feierlich zertrümmern. Im allgemeinen ist man in England mit der Wahl zufrieden. Es hätte wahrlich schlimmer kommen können, denn Beckhams Geschmack birgt Gefahren. Öffentliche Auftritte in indonesischen Gewändern sowie in der Unterwäsche seiner Frau ließen ganz andere Möglichkeiten zu. So hält sich der Spott in Grenzen, und es heißt, dass Armanis Aufgabe darin bestehe, das Team neben dem Platz besser aussehen zu lassen als auf dem Platz.“
TV-Tipp! 3sat sendet heute ab 22.25h einen Themenabend zum FC Basel. Mit seinen legendären Fußballnächten in der Champions League hat der Schweiter Meister landesweite Begeisterung ausgelöst.
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