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Trainersuche auf Schalke – Bielefelder Abstiegsangst – Reitmaier muss sich (wohl) aus dem Profifußball verabschieden
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| Donnerstag, 25. März 2004
Dubiose Typen resozialisieren
Richard Leipold (FAZ 15.5.) beleuchtet die Trainersuche des Schalke-Managers Rudi Assauer. “Während der Manager das Kandidatenfeld sichtet, drängt ihm eine Boulevardzeitung voller Wohlwollen täglich einen Joker auf: Befragen wir doch das Publikum. Die Antwort manifestiert sich in Schlagzeilen wie: Christoph Daum und Rudi Assauer: Sie mögen sich nicht – aber Fans fordern Zwangsehe. An Rückenwind würde es dem aktuellen Meistertrainer der österreichischen Bundesliga nicht fehlen, weder auf dem Boulevard noch auf den Nebenstraßen. Während Bild sich bei der Kampagne auf das Votum der Basis beruft, wirbt ein anderes großes Revierblatt, das auch zum publizistischen Gefolge Assauers gehört, im eigenen Namen für den Zampano. Daum sei genau der Mann, den Schalke jetzt braucht. Wenn es einen Klub gibt, der in der zuweilen verlogenen Bundesligagesellschaft umstrittene, ja dubiose Typen resozialisiert, dann ist es Schalke 04. Oliver Reck, anfangs als Pannen-Olli verspottet, wurde in Gelsenkirchen zum Publikumsliebling. Andreas Möller, als Dortmunder Zecke gegeißelt, wurde auf Schalke immerhin geduldet, und sogar Thorsten Legat, einst als Schläger und Rassist aufgefallen, wurde in die Vereinsfamilie aufgenommen. Daum neben Assauer auf der Trainerbank? Die Vorstellung ist nicht ohne Reiz, erfordert aber eine Menge Phantasie.“
Gruppe schwer Erziehbarer
Jan Christian Müller (FR 15.5.) wirft ein. “Der mächtige Macher Rudi Assauer muss nun auch eine Grundsatzentscheidung treffen. Nämlich jene, einen starken, womöglich sogar stärkeren Mann an seiner Seite zu dulden, zum Beispiel einen, der aus ähnlichem Holz geschnitzt ist wie Wilmots‘ Landsmann Erik Gerets. Das Experiment Neubarth ist gescheitert, das Experiment Wilmots wird nun bereits in der Vorbereitungsphase abgebrochen. Neuerliche wagemutige Versuchsanordnungen mit ähnlich unerfahrenen Probanden sind wenig ratsam. Assauer hat das immerhin bereits eingesehen, wird vermutlich nicht auf die schräge Idee kommen, etwa Thomas Hörster von der U 19 bei Bayer Leverkusen wegzulocken, und kündigte stattdessen an, er gehe jetzt auf die Suche nach einem gestandenen Trainer. Das erscheint bitter nötig, zumal der aktuelle Schalker Bundesligakader, der nun um die Verteidigung des UI-Platzes bangen muss, sich zunehmend als Gruppe schwer Erziehbarer darstellt. Dass Assauer zugab, er sehe kein Team mehr, sondern einen zusammengewürfelten Haufen, in dem jeder macht, was er will, muss sich der selbstbewusst agierende Manager auch persönlich ankreiden.“
Replikanten auf Bezirksliga-Niveau
Jens Kirschnek (SZ 15.5.) diagnostiziert Bielfelder Abstiegsangst. „Die allgemeine Mutlosigkeit ist ja in der Bundesliga der neueste Schrei. Den Leverkusener Trainer Thomas Hörster hat ein entsprechendes Bekenntnis („Nach der Leistung heute, muss ich sagen, habe ich aufgegeben“) den Job gekostet. Der Rostocker Coach Armin Veh zog nach dem 0:3 in Mönchengladbach ein Gesicht, als hätte er erkannt, dass eine finstere Macht seine Kicker gegen Replikanten auf Bezirksliga-Niveau ausgetauscht hat. Und im Presseraum in Bielefeld stand der am letzten Spieltag gesperrte Ansgar Brinkmann und sagte: „Ich weiß nicht, wie wir den Klassenerhalt überhaupt noch schaffen wollen.“ Der sonst oft nassforsche Angreifer von Arminia Bielefeld war nach dem 1:3 gegen den VfL Bochum von tiefer Melancholie erfasst worden. Brinkmann trug eine Miene zur Schau, als hätten die Ostwestfalen nur noch theoretische Chancen auf den Ligaverbleib, dabei haben sie bei zwei Punkten Vorsprung auf Leverkusen ihr Schicksal selbst in der Hand.“
Manchmal wundere ich mich über mich selbst
Jörg Marwedel (SZ 15.5.) porträtiert den ausgebooteten Torhüter des VfL Wolfsburg. „Er weiß nicht, wie es sein wird am Samstag gegen Hertha BSC Berlin, wo er doch schon bei jedem normalen Bundesligaspiel eine „Gänsehaut“ spürt, wenn er auf den Rasen läuft. Vielleicht ist es gut, dass es keine Blumen geben wird und keine salbungsvolle Worte, was daran liegt, dass sein Vertrag bis 2004 läuft und die Auflösung noch nicht besiegelt ist. Vielleicht aber werden den Torwart Claus Reitmaier, 39 Jahre, über 600 Profi-Pflichtspiele, davon 328 Bundesliga-Einsätze, die Gefühle dennoch überwältigen. Das wäre kein Wunder bei einem, der gerade als ältester Bundesligaspieler eine seiner besten Spielzeiten für den VfL Wolfsburg absolviert hat und trotzdem Abschied nehmen soll – weil er zu alt ist. Trainer Jürgen Röber hat ihm das vor knapp drei Wochen eröffnet. Das war ein Schock für Claus Reitmaier. Auch mit etwas Abstand sagt er: „Ich werde den Trainer nie verstehen, selbst wenn ich sterbe in 50 Jahren nicht.“ Bis zu jenem Gespräch hat Reitmaier die Bundesliga als eine Gesellschaft gesehen, in der „nur die Leistung zählt und das Alter kein Argument ist“. Nun muss er erkennen, dass nicht er selbst bestimmt, wie lange er noch Fußballprofi sein darf. Was ist überhaupt alt? Das hat er sich zuletzt oft gefragt und nur eine theoretische Antwort gefunden: „Ich denke, wenn einer Wehwehchen bekommt, wenn er nicht mehr so schnell ist und seine Leistung nicht mehr abrufen kann.“ Erfahren hat er es noch nicht; nicht einmal kleine Anzeichen will er wahrgenommen haben. „Manchmal“, sagt er, „wundere ich mich über mich selbst.“ Wie er beim Sprinttraining noch immer fast alle hinter sich lasse, bis auf „absolute Raketen“ wie Tobias Rau oder Martin Petrov.“
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