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Tränen bei den Siegern

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Tränen bei den Siegern

Martin Hägele (NZZ 14.05.02) sah Tränen bei den Siegern: „Ausgerechnet auf den Wangen von Manager Assauer glänzte es nass. Ein Mann, der als der größte Macho der Bundesliga gilt, war auf einmal so ergriffen, dass er nicht mehr weiterreden konnte, als es ans Abschiednehmen ging. Trainer Stevens, Mulder, Thon, Nemec, Wilomts, Büskens und Eigenrauch, sieben Männer, die in den Annalen des Revier-Vereins auch als „Eurofighter“ geführt werden, hatten vor vier Jahren in Mailand mit dem Gewinn des Uefa-Cups zum größten Erfolg der Schalker Geschichte beigetragen. Nun sind sie alte Herren. Ihre Generation hat ausgedient. Doch der Stil, mit dem sie in Berlin in ein fast schon verlorenes Spiel zurückfanden und die Partie noch umbogen, erinnerte ein wenig an die glorreichen Abende der europäischen 97er Tour.“

Das Streiflicht (SZ 13.05.02) beschreibt die Ästhetik des Zweiten: „Leverkusen, Meister nur der Tränen, du bist übel dran. Wenn es darauf ankommt, stehst du vor dem Tor und scheust die entscheidende Tat, gleich dem Jüngling im Angesicht der Holden. Ein schwacher Trost mag sein, dass sich im Club der ewigen Zweiten nicht die schlechteste Gesellschaft findet, trotz der Anwesenheit von Jürgen Möllemann und Franz Josef Strauß. Da ist aber noch der nette Prinz Charles und der Opel Astra, nach dem Urteil der Fachpresse „ewiger Zweiter der Marktführerschaft“. Und natürlich die Mutter aller ewigen Zweiten, die SG Flensburg-Handewitt, Deutscher Handball-Vizemeister 1996, 1997, 1999 und 2000, vielfacher Vizepokalgewinner und Vizeeuropapokalsieger.“

Andreas Burkert (SZ 13.05.02) über das Faszinosum DFB-Pokal: „Diese Trophäe ist wahrhaft ein Wunderstück. Sie kann: eine komplette Saison retten, wie im Falle der Schalker, die nun weiterhin daran glauben werden, ein Umbau ihrer überalterten wie spielerisch limitierten Mannschaft könne noch ein Weilchen warten; sie kann außerdem: einen mutmaßlich traurigen Abschied eines Trainers in eine Romanze mit Happy End verwandeln. Des weiteren: selbst aus diesem Trainer, einem angeblich groben Klotz Mensch wie dem holländischen Stieselkopp Huub (Schalke-Manager Assauer), Gefühle entlocken. Und sie kann sogar: in den Gedanken eines nur fast verrückten Spielers den Anspruch reifen lassen, er müsse unbedingt mit zur WM in Asien, trotz aller Schwächen in der Defensive – weil es ja auch dort möglich ist, Freistöße aus halbrechter Position genial in den Giebel zu zimmern. Und mal ehrlich: Ist das nicht, wovon wir alle ein halbes Leben lang geträumt haben? Der Kanzler im Sportstudio! Deshalb jetzt alle: Es lebe der DFB-Pokal!“ (Volltext)

Die Richtigen haben gewonnen, findet Friedhard Teuffel (FAZ 13.05.02): „Es geht doch noch gerecht zu im Fußball, denn Schalke hat den DFB-Pokal gewonnen. Die Schalker haben schließlich nicht nur die formellen Kriterien des Veranstalters erfüllt, also bis ins Finale zu kommen und dort mindestens ein Tor mehr zu schießen als der Gegner. In einer informellen Ausschreibung zu diesem Wettbewerb könnten noch andere Eigenschaften verlangt werden. Etwa, dass die beste Mannschaft den DFB-Pokal zur Herzenssache macht, sich besonders darauf vorbereitet, sich einfach alle Mühe gibt, dieses Endspiel in Berlin zu einem Fußballfest zu machen. Und dass auch am Ende die Mannschaft gewinnt, die sich am meisten darüber freut. Nach so einer Ausschreibung können nur die Schalker Sieger sein. Sie haben alle Anforderungen erfüllt. Die im engeren Sinne, weil sie den erfolgreichsten Fußball gespielt, sich im Halbfinale gegen den FC Bayern München durchgesetzt und im Finale gleich vier Tore erzielt haben. Die im weiteren Sinne, weil sie den Pokal als Hauptgewinn in Empfang genommen haben, als Auszeichnung für sich. Nicht mehr als ein Trostpreis wäre der Pokal dagegen für die Leverkusener gewesen. Was hätten sie schon groß mit ihm anfangen sollen? Dieser Sieg wäre ihnen nach der verpaßten Meisterschaft doch nur ein unbefriedigender Ersatz gewesen.“

Andreas Burkert (SZ 13.05.02) beschreibt Schalker Reaktionen nach dem Triumph: „Mit dem 4:2 über die erneut aufrichtig betrauerten Leverkusener ist am Samstagabend in Berlin eine Ära der Klubgeschichte glanzvoll zu Ende gegangen, und gegen drei Uhr hatte das auch Rudi Assauer endlich begriffen. Als habe jemand seine Davidoff aus frischen Zwiebelringen gedreht, entließ Schalkes Manager, der sonst mit Hingabe sein Image als unberührbarer Macho des Gewerbes pflegt, prallste Tränen. „Niemals geht man so ganz“, spielte die Musik dazu, und die Thon, Büskens, Mulder und all die anderen, die von Bord gehen, sie schluchzten mit ihm. Assauer hat ihnen versprochen, dass sie für ewig der blau-weißen Familie angehören werden. „Ihr hab’t hier ein Zuhause“, sagte er. Es war herrlich kitschig. So geht es zu in diesem Verein, dessen Anhänger das Olympiastadion seit zwei Jahren wie selbstverständlich zum Zielort ihrer Maiprozession erklären. Aus gut 45000 Stimmen setzte sich diesmal der Schalker Chor zusammen.“

Sven Astheimer (FR 13.05.02) über den Abschied der Generation Huub: „Mit dem Abpfiff hat auch ein Umbruch auf Schalke begonnen. Stevens wird künftig durch den jungen Frank Neubarth ersetzt und in Michael Büskens, Yves Eigenrauch, Youri Mulder, Olaf Thon, Jiri Nemec und Oliver Reck tritt gleich eine ganze Reihe von Symbolfiguren ab. Sie stehen zusammen mit dem Trainer für den üngsten Aufschwung des Traditionsvereins, der einer ganzen Region neues Selbstbewusstsein eingehaucht hat.“

Jan Christian Müller (FR 13.05.02) beschäftigt sich mit der Frage, ob Rudi Völlers Entscheidung richtig war, den Schalker Jörg Böhme, der im Finale per fulminantem Freistoß traf, nicht für die WM zu nominieren: „Der Teamchef räumt ein, seine Gruppe zwar zuvorderst nach dem Leistungsprinzip zusammengestellt, zwischenmenschliche Überlegungen aber durchaus berücksichtig zu haben. Einer wie der exaltierte Böhme im WM-Kader wäre Chance und Risiko zugleich. Völler meint: Zu wenig Chance, zu viel Risiko. Im vergangenen Herbst gegen England hatte er noch anders entschieden: Böhme spielte gegen Beckham, Ziege hockte auf der Ersatzbank – was sich dann als folgenreicher aufstellungs-taktischer Fehler erwies. Beckham spielte mit Böhme Katz und Maus. Und Freistoß für Deutschland vom Strafraumeck gab es nicht.“

Mit den Verlierern aus Leverkusen befasst sich Javier Cáceres (SZ 13.05.02): „Unter den Leverkusenern scheint sich das Emerson’sche Theorem, aufgestellt in Unterhaching („Leverkusen wird nie etwas gewinnen! Nie!“), durchzusetzen. Oliver Neuville erzählte dem Berichterstatter des spanischen Sportblattes Marca, dass der Leistungseinbruch eine Frage von „mangelndem Selbstvertrauen“ gewesen sei. Michael Ballacks Urteil fiel noch vernichtender aus. „Eine gute Mannschaft“, sagte er mit Blick auf die ersten beiden Gegentore, „steckt so was weg“. Lúcio, der bei den Treffern zum 1:2 und 1:3 äußerst unglücklich agierte, hauchte etwas von Schuldbewusstsein und „Traurigkeit“. Gemeinsam mit Zé Roberto und Ulf Kirsten, dem Schützen zum 2:4, war Lúcio unmittelbar nach Schlusspfiff in die Kabine gelaufen; die Silbermedaille holten sie sich nicht ab. „Was sollte ich da?“, fragte Zé Roberto. Eine „Unverschämt-heit“ nannte Toppmöller dies, der in der Kabine „so laut wie noch nie“ geworden sein will, „als Fußballer gehört es sich nicht“, dem Sieger keinen Respekt zu zollen. „Man muss verlieren können“, sagte der Coach. Dass Leverkusen dies noch nicht gelernt hat, war die tatsächlich überraschende Erkenntnis des DFB-Pokal-Finales.“

Philipp Selldorf (SZ 13.05.02) über die Folgen der Finalniederlage für die WM aus historischer Perspektive: „Diesmal sind die Probleme der Leverkusener Spieler keine Privatsache, sondern ein gefährlicher Einfluss auf „die wichtigste Mannschaft des Landes“, wie Karl-Heinz Rummenigge die Nationalelf nennt. Ballack, Schneider, Ramelow und Neuville sollen tragende Rollen in Rudi Völlers Team übernehmen; besonders Ballacks Beitrag ist unentbehrlich, und wer ihn am Samstag gesehen hat, der erkannte nicht den aufstrebenden deutschen Spielmacher, sondern eine müde, moralisch gebrochene Gestalt (…) Hoffnung lehrt diesmal die Geschichte. 1954 standen fünf Spieler des 1. FC Kaiserslautern in der deutschen Auswahl für die WM in der Schweiz. Die Männer unter dem Kommando von Fritz Walter hatten in Hamburg das Endspiel um die Meisterschaft 1:5 gegen Hannover 96 verloren, und das Publikum verhöhnte den Bundestrainer mit „Herberger, Herberger“-Chören. Auf die Kritik der Presse am „müden, alten Fritz“ reagierte der Kapitän, indem er seinen Rücktritt anbot. Doch Fritz Walter blieb. Und wurde Weltmeister.“

Markus Völker (Spiegel Online 12.05.02) über den „Autoamtismus des Verlierens“: „Die Königsblauen schmauchten dicke Zigarren, schleppten riesige Pilsgläser über den Rasen des Berliner Olympiastadions, nahmen Bierduschen und zettelten eine Party in blau-weiß an. Finster blickte hingegen ein Grüppchen von Anzugträgern auf den Konfettiregen, der auf die Gewinner rieselte. Abseits standen Manager Reiner Calmund, Trainer Klaus Toppmöller sowie Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser und versuchten tapfer, die Gedanken davon abzulenken, sie seien die ewigen Zweiten, spielten zwar den schönsten Fußball der Liga, schrammten aber mit fataler Logik stets knapp an den Titeln vorbei.“

Welche Konsequenzen sind nun für das bevorstehende Finale der Champions League zu befürchten, fragt Christoph Kieslich (Tsp 13.05.02): “ Mehr denn je wird das Champions-League-Finale am Mittwoch zu einer Angelegenheit von übergeordneter Bedeutung werden. Nicht nur die Anhänger von Bayer Leverkusen oder die in dieser Saison neu hinzugewonnenen Freunde Leverkusener Fußballkunst werden mit einer Mannschaft fiebern, die am Ende einer famosen Saison einen kapitalen Absturz erleben könnte. Das Endspiel gegen Real Madrid wird, so steht zu vermuten, auch unmittelbar auf die WM-Vorbereitung des Nationalteams abstrahlen. Falls Bayer auch die dritte finale Chance nicht packt, wird sich der DFB-Tross auf dem Weg nach Asien in eine Auffanggesellschaft für fünf gestrandete Fußballerseelen verwandeln. Hans-Jörg Butt wird an Position drei im deutschen Tor dabei nicht ausschlaggebend sein, aber auf Michael Ballack, Oliver Neuville, Bernd Schneider und Carsten Ramelow ruhen derzeit viele Hoffnungen beim WM-Turnier. Hoffnungen auf Stabilität, Kreativität und Torgefährlichkeit.“

Stefan Herrmanns Michael Rosentritt (Tsp 13.05.02) zum selben Thema: „Bayer Leverkusen ist große Niederlagen gewohnt – doch inzwischen ist die Schmerzgrenze erreicht (…) Für die Spieler von Bayer ist zurzeit vermutlich alles besser, als sich wieder und wieder mit den schweren Gedanken im Kopf zu plagen. Sie müssen sich vorkommen wie ein Pokerspieler, der vier Könige auf der Hand hat, die ersten beiden siegesgewiss auf den Tisch legt, woraufhin sein Gegenspieler mit zwei Assen antwortet. Er deckt den dritten König auf – und es kommt das dritte Ass. Zwei Titel hat Bayer schon verspielt, und jetzt bleibt ihnen am Mittwoch im Finale der Champions League nur noch eine Chance. Vermutlich wird Real Madrid dann das nächste Ass zücken (…) „Das Verlieren gehört dazu“, sagte Toppmöller. Das Problem ist nur, dass inzwischen manche den Eindruck haben, dass das Verlieren bei Bayer Leverkusen inoffizielles Vereinsziel ist. Statt Titeln und Pokalen bekommt die Mannschaft Mitleid, und vermutlich können es die Spieler schon lange nicht mehr hören, dass sie in dieser Saison den schönsten Fußball geboten haben.“

Bezüglich der Aussichten Leverkusens auf einen Erfolg gegen Real Madrid ist Matti Lieske (taz 13.05.02) sekptisch: „Sie wirkten wie eine in Stein gehauene Trauergesellschaft. Reglos, mit erstarrter Finstermiene, die Mundwinkel kollektiv nach unten gezogen, als wollten sie eine olympische Goldmedaille im Synchronschmollen gewinnen, standen die Führungspersönlichkeiten der Fußballabteilung von Bayer Leverkusen auf dem Rasen des Olympiastadions und sahen zu, wie Schalke 04 seinen Pokalgewinn feierte (…) wie kann sich eine Mannschaft noch einmal erheben, die binnen kurzer Zeit zwei solche Nackenschläge hinnehmen musste, war die Frage, die am Samstagabend beharrlich durch das Olympiastadion geisterte. Eine Mannschaft zudem, die sich in der zweiten Halbzeit des Pokalfinales fast widerstandslos einem Gegner ergab, den sie 44 Minuten lang nach Belieben beherrscht und mit dem 1:0 in der 27. Minute fast schon erledigt hatte (…) Das Rezept für den Mittwoch hat er auch schon parat: Nicht etwa jener wunderschöne Fußball, für den die Leverkusener zuletzt mehr mitfühlende Komplimente bekamen als sie ertragen können, vor allem aus Dortmund und Schalke, sondern Tugenden, die irgendwie vertraut klingen hierzulande. Jetzt sind ganze Kerle gefordert, die ihren Mann stehen, fordert der Coach. Schluss also mit dem soften, geradezu ökologisch anmutenden Fußballbiotop in Callis und Toppis Märchengarten, her mit der guten alten Rasenfressermentalität klassischer Prägung. Man könnte es auch Winnermentalität nennen.“

Sven Astheimer (FR 13.05.02) ist ebenfalls pessimistisch: „Ausgerechnet vor diesem absoluten Höhepunkt machen sich Risse im bislang so solide scheinenden Bayer-Fundament bemerkbar. Was im Laufe der Saison mühsam aufgebaut worden ist, droht nun jäh zusammenzufallen. Toppmöller spürt das und versucht, verbal gegenzusteuern (…) Doch Toppmöllers Versuche, die Spieler nach verlorener Meisterschaft und Pokal wieder stark zu reden, erinnerten an eine zu kurz geratene Tischdecke: Wenn er vorne zieht, reicht’s hinten nicht mehr.“

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