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Triumph des Spielerischen über das Destruktive

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Triumph des Spielerischen über das Destruktive

Die kroatische Tageszeitung Vjesnik: „Am Ende wurde dann doch der Fußball gefeiert: Den Triumph des Spielerischen über das Destruktive ermöglichten – neben Weltmeister Brasilien – vor allem die Türkei und Senegal. Die Deutschen sind bei dieser WM weiter gekommen als erwartet – nicht zuletzt aufgrund des ausgelosten `Durchzuges´. Allerdings steigerte sich die Elf von Spiel zu Spiel und überwand somit die Krise der letzten Jahre. Im Finale standen sich schließlich die zwei bestgerüstetsten Mannschaften gegenüber, von denen überraschenderweise die deutschen besonders brasilianisch spielten. Die deutsche Elf lieferte ein großartiges Spiel; in diesem Licht betrachtet erscheint der Erfolg Brasiliens noch eine Nuance glanzvoller. Von der Leichtigkeit und Spielfreude der Brasilianer hingegen waren bei dieser WM ausnahmslos alle begeistert.“ Verblüffend erscheinen hingegen die Beobachtungen eines kroatischen Journalisten (Vecernji List), der vor Ort über die Gepflogenheiten der deutschen Fans beim Feiern der Vizeweltmeisterschaft berichtete und zugleich mitzechte: Die ganze Nacht über feierten wir, begleitet von den Klängen der brasilianischen Trommeln und der Samba aber auch der deutschen Akkordeonspieler und der Polka.

Felix Reidhaar (NZZ 1.7.) erachtet das Finale als „spielerischen Höhepunkt“ des Turniers. „Das deutsche Team, zwar mit herzlich wenig Kredit an die WM gereist, aber fulminant dazu gestartet mit dem 8:0 gegen die Saudiaraber, brach seinen Steigerungslauf im siebenten Spiel nicht etwa ab, sondern verlieh der seit dem Achtelfinal kontinuierlich erhöhten Pace gar noch Sprinttempo. Nicht viel fehlte, und dies hätte auf den Gipfel hinauf geführt. Es waren die Internationalen von Rudi Völler, die an diesem Abend zu zaubern begannen und dem Geschehen mit raschen direkten und exakten Passfolgen und guter Organisation den Stempel aufdrückten. Das Anfangstempo bekam den Brasilianern gar nicht gut, sie fanden weder Zeit noch Raum, ihre Reihen zu ordnen, und konnten von Glück reden, nach knapp zehn Minuten nicht schon in Rückstand geraten zu sein. Nach herrlicher Direktkombination konnte Edmilson im letzten Moment mit der Fußspitze klären. Auffallend, wie sicher die Deutschen das Passing Game beherrschten, wie schnell sie sich im Mittelfeld ein Übergewicht erarbeiteten, wie oft sie Zweikämpfe für sich entschieden, einen Schritt früher an den Ball kamen als der Gegner, der sowohl tempomäßig wie physisch Anlaufschwierigkeiten bekundete. Kaum je zuvor standen die Brasilianer so unter Druck wie während der ersten knapp 30 Minuten. Auch nach dem Seitenwechsel war das Bestreben der Deutschen offensichtlich, gleich wieder das Gesetz des Handelns an sich zu reißen. Deshalb ist es auch ihr Verdienst, dass dieser Final packende Momente und viele Torsituationen enthielt. Wenn sie auch als mehr im Ballbesitz befindliche, im Abschluss aber harmlose Mannschaft zunehmend die Dominanz des Gegners akzeptieren mussten.“

Hans-Ulrich Gumbrecht (NZZ 2.7.). „Ein unglücklicher Zufall war der große Final aus ästhetischer Perspektive, und zwar weil Deutschland und letztlich auch Brasilien (so wie alle großen Nationalteams heute) einen Stil pflegen – Deutschland aus traditionellem Mangel an Talent und Brasilien wohl eher fehlgeleitet vom Ehrgeiz, sich der Sachlichkeit der „erstenWelt“ anzupassen –, bei dem es nicht darum geht, mehr Tore zu schießen als der Gegner, sondern darum, weniger Tore zuzulassen. Dieses Sparprinzip macht Fußballspiele, welche früher dramatische Geschichten aus vielen Kapiteln waren, zu Ereignissen mit meist nur einem Höhepunkt, welche eher als an klassische Epen an das Zufallsprinzip des Roulettes erinnern. Man spielt, solange es geht, vor allem auf Verhindern von Toren und im Vertrauen darauf, dass die eigene Mannschaft – irgendwie – schon einen Treffer schaffen wird. Dieses eine, zum neuen Typ des Spar-Siegs nötige Tor soll sich nicht als Höhepunkt aus der Improvisation gelungener Spielzüge ergeben, sondern aus der Anhäufung von Zufallssituationen und ihrer Verdichtung zur Wahrscheinlichkeit des Erfolgs.“

Die französische Tageszeitung Le Monde. „Das (End)Spiel der (End)Spiele, der Kampf der Titanen, die Superlative haben sich vor dem ersten Finale des 21. Jahrhunderts überschlagen. Bei der von Rudi Völler trainierten Elf ist die Mannschaft der Star: insbesondere die lückenlose Organisation, die es ihr erlaubt hat, wieder zu der Dampfwalze zu werden, die ihre Gegner erstickt. So ähnelte die Leistung der Brasilianer anfänglich auch der von vor vier Jahren im Stade de France zu Paris. Wenig inspiriert, physisch dominiert, verfingen sich die Südamerikaner in dem von Rudi Völler ausgelegten Netz. Das Mittelfeld wurde von Dietmar Hamann und Jens Jeremies buchstäblich abgeriegelt, während die lebhaften Schneider und Neuville die brasilianischen Verteidiger mit ihrer Schlagzahl quälten. Doch zeichnete sich mit zunehmendem Spielverlauf ein Chancenübergewicht für den deutschen Gegner ab, den die Deutschen nur nochmals zu Beginn der zweiten Hälfte in Bedrängnis bringen konnten. So war es wie so oft, dass die Stars den entscheidenden Unterschied machen. Oliver Kahn hat dies ebenfalls erfahren; jedoch nicht in dem von ihm erwarteten Sinne. Er beging den einzigen Fehler des Turniers zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt und im Angesicht des gefährlichsten aller Torjäger. Die Folgen waren fürchterlich!“

Die spanische Presse ist sich einig, dass es ein ausgezeichnetes und spannendes Finale war, das spannendeste der letzten Zeiten. Dazu habe vor allem Deutschlands überraschend offensive Spieltaktik beigetragen. Als Außenseiter seien sie mit der besten Verteidigung und einer deprimierenden Spielform ins Finale gekommen. Deutschland verwandelte sich im Finale in einen würdigen und ambitionierten Gegner. Gegen jede Erwartung und geführt von einem glorreichen Schneider bot Deutschland ein interessantes Spiel und brachte Brasilien in ernste Schwierigkeiten. Zu Schneider heißt es in El País: „Ein Spieler, der einen Sinn sowohl für die feine Technik als auch für das weltliche Arbeiten hat.“ Trotz der langen Saison mit seinem Verein habe er eine ausgezeichnete „Exhibition fußballerischer Energie und Technik“ gezeigt und wurde zu dem „brasilianischsten Deutschen“ gekrönt.

Die New York Times berichtet von erhobenen Häuptern bei den Siegesfeiern am Potsdamer Platz, rechnet dagegen mit der amerikanischen Fernsehberichterstattung ab, besonders mit der kontroversen Entscheidung der Walt-Disney-Kanaele ESPN und ABC, auf die Übertragung der Siegerehrung zu verzichten und die vorgesehene zeitversetzte Wiederholung abzusetzen. „Hätte die USA gewonnen, dann wäre ABC bestimmt bis weit nach 9 Uhr morgens übertragen, allerdings hätte dies seinen Preis gehabt: Man hätte dem chauvinistisch-nationalistischem Blabla von Jack Edwards zuhören müssen. Erinnern sie sich noch an sein „mine eyes have seen the glory“ nach dem Sieg über Portugal? Und sein „land of the free and the home of the brave“, mit dem er den Sieg über Mexiko kommentierte?“

ESPN preist Haltung und Leistung der deutschen Mannschaft und rechnet besonders mit der Berichterstattung der englischen Medien ab. Schließlich setzt er zu einer bemerkenswerten Eulogie deutscher (Fußball-) Kultur an: „Es war für alle sichtbar, dass die „Panzermannschaft“ gestern ein ehrenhafter Verlierer war“ Die Engländer sollten sich an dieser würdevollen Haltung ein Beispiel nehmen, besonders in Bezug auf die Reaktionen der Fans, die sich wohltuend vom Prolo-Gehabe der Briten abhebe, denen nichts Besseres als das Gerede vom Blitzkrieg und vom humorlosen Deutschen einfiele. Franz Beckenbauer sei der größte Fußballer aller Zeiten und könne dazubesser Englisch sprechen, als Tony Banks, der die englische Kampagne für die WM 2006 leitete. Deutschland habe im Gegensatz zu England seine Gruppe gewonnen und sei im Gegensatz zu England zum siebten Mal ins Endspiel gekommen – sechs mal mehr als England. Das Gerede von der deutschen „Disziplin“ sei ein „germanophobes“ Klischee, denn ohne Deisler, Scholl und Nowotny hätte nur Disziplin niemals ausgereicht, so weit zu kommen. Im übrigen, so die politisch wenig korrekte Argumentation, habe Deutschland der Welt schon mit Bach, Beethoven und Brahms mehr gegeben als ganz Südamerika. Mit Bezug auf die abgelaufene WM meint man, in einer der „schlimmsten Weltmeisterschaften aller Zeiten“ habe ein durchschnittliches brasilianisches Team gegen ein gewöhnliches deutsches gesiegt.

Christian Eichler (FAZ 2.7.) surfte. „Vielleicht kann man dafür zur Abwechslung mal das Gute im Deutschen sehen? Der Londoner Guardian hat es versucht und seine Leser während der WM auf seiner Website aufgefordert, „nette Dinge über die Deutschen zu sagen“. Mit bescheidenem Erfolg. So kommt zum Beispiel nicht nur deutscher Humor schlecht weg, sondern auch ein Außenminister namens „Oscar Fisher“. Immerhin, ein Leser fand gleich zwei Dutzend Dinge, die er aus deutscher Produktion mag: von Thomas Mann bis Beate Uhse. Es muss nicht immer Fußball sein.“

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