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Über das Verhältnis von TV-Sportreportern zu ihren Duzfreunden

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Über das Verhältnis von TV-Sportreportern zu ihren Duzfreunden

„Kaum ein Berufsfeld im deutschen Fernsehen hat sich in den letzten Jahren stärker gewandelt als das der Sportjournalisten“ stellen Nils Klawitter, Marcel Rosenbach Michael Wulzinger (Spiegel 04.02.02) fest. Da die Fernsehstationen Millionensummen für die Übertragungsrechte von Olympiaden, Leichtathletik-Weltmeisterschaften oder Fußballspielen und -turnieren bezahlten, herrsche auf sie ein großer Druck, den Sport so unterhaltsam und bejahend und damit so quotenträchtig wie möglich darzustellen. „Wir sind abhängig von der Ware, für die wir viel bezahlen und die wir nicht auseinander hebeln können“ wird ZDF-Reporter Michael Palme zitiert. „Kritische Fragen werden zum unkalkulierbaren Risiko der teuren Inszenierungen“ (Klawitter ua). Das für den Reporter daraus resultierende Dilemma formuliert der Berliner Sportsoziologe Gunter Gebauer wie folgt: „Die Sender jazzen dieselben Veranstaltungen hoch, die ihre Sportjournalisten dann kommentieren und kritisieren sollen.“ Dieses Vorhaben scheint bereits im Voraus zum Scheitern verurteilt. Das Ergebnis kann man derzeit täglich in sämtlichen Olympia-Studios beobachten, in denen sich Lobhudeleien und Verbalumarmungen abwechseln. „Ob Waldi mit Hanni oder Poschi mit Anni: Man kennt sich. Man duzt sich. Man schätzt sich“ (Klawitter ua).

Der Münchner Kommunikationswissenschaftler Josef Hackforth erkennt eine Gefahr, wonach „die Grenzen zwischen Journalismus und PR zunehmend verwischen.“ Angesagt ist demnach nicht mehr der „kritische Branchenbegleiter“, sondern der „devote Stichwortgeber“. (Klawitter ua). „Nur wenige Sportjournalisten können diesem Kuschel-Stil noch widerstehen“ schreiben Klawitter, Rosenbach Wulzinger und müssen nicht lange im Archiv kramen: Wolfgang Poschmann, ZDF-Sportchef und gelegentlicher Moderator des aktuellen sport-studio, begrüßte dort kürzlich Ottmar Hitzfeld, Trainer des FC Bayern sowie Oliver Kahn, Torwart in diesem Verein. Wiederholt bezeichnete er seine Gäste als die „Weltbesten“ ihrer Branche, bevor er sich vor ihnen „endgültig in den Staub warf“ (Klawitter ua). „Das ist das Schicksal großer Menschen, ausgezeichneter Menschen, hochdekorierter Menschen“ (Poschmann). Die 1:5-Schlappe, welche der FC Bayern am selben Tag bei Schalke 04 bezog, wurde nicht zum Gesprächsthema. Ein anderes prominentes Beispiel: ARD-Sportreporter Waldemar Hartmann, „diese aggressiv-heitere, mopsig-joviale Inkarnation von rettungsloser Selbstliebe und intellektuellem Bankrott“ (Jürgen Roth in FR 12.02.02) sieht keinen Interessenkonflikt, wenn er „für gutes Geld nebenher“ (Klawitter ua) die Weihnachtsfeier der Münchner Bayern moderiert. Befürchtungen, daraus könnte eine Distanzlosigkeit zum Berichtgegenstand entstehen, wischt er entweder beiseite oder nimmt sie in Kauf. Schließlich profitiert Hartmann nicht nur finanziell von den Günsten und der Nähe zu Vereinsfunktionären und Profisportlern. Vielmehr wird er selbst zum Star. „Die Selbstinszenierung, die Personalityshow, die Aufbauschung des Moderators zum Medium grenzenloser Mitteilsamkeit und geradezu süchtiger Selbstverausgabung, konterkariert alles, was jemals `seriöser Sportjournalismus´ genannt wurde“ (Roth).

Kritische Sendeformate zum Thema Sport haben (im Gegensatz zur überregionalen Tageszeitung) im deutschen Fernsehen keinen Platz mehr. So musste der Sport-Spiegel, einst Flaggschiff und gleichzeitig Oase seriöser TV-Hintergrundberichterstattung, 1996 die Segel streichen, weil – so der damalige Chef Marcel Reif – „die Sender die Zuschauer mit zu viel Live-Veranstaltungen totgeschlagen haben.“ In der Zwischenzeit hat er sich als Live-Reporter bei Premiere World und RTL in diesem System bestens assimiliert. „Wenn man heute nicht dazugehört, ist man auch nicht mehr dabei.“ Diesem ernüchternden und entlarvenden Eingeständnis Waldemar Hartmanns muss man wohl ebenso zustimmen wie dem Fazit von Klawitter, Rosenbach Wulzinger: „Wer heute als junger Sportreporter kritisch einsteigt, schafft es gar nicht ins System.“ Trübe Aussichten.

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