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Überraschend viele Fans am Römer – Nia Künzer im Portrait
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| Donnerstag, 25. März 2004
Du geiles Teil!
Detlef Esslinger (SZ 15.10.) freut sich mit etwa 5000 Fans am Frankfurter Römer: „Dem Empfang haftet nicht die geringste Peinlichkeit an. Das war ja die Frage, die unter der Hand gestellt wurde, am Montag und am Morgen dieses Tages: Würden denn tatsächlich mehr als nur ein paar Menschen kommen? Oder ist das Thema Frauenfußball schon wieder abgehakt, würden sich zwei Tage danach nur noch Eltern, Onkels und Freunde auf dem großen Platz verlieren? Von wegen. Die ZDF-Bühne steht wieder dort, wo sie schon damals stand, und wohl 5000 Menschen sind es, die dahinter die Kulisse bilden. Mittags, an einem Werktag, außerhalb der Ferienzeit. Ein Quintett mit Akkordeon, Saxofon, Gitarre, Cello und Gesang spielt nicht Es gibt nur ein’ Rudi Völler, sondern Guantanamera, das Original. Für Brautpaare die Gelegenheit: Neben der ZDF-Bühne befindet sich der Aufgang zum Standesamt – und, was machen natürlich alle Paare, bevor sie hineingehen? Lassen sich fotografieren, mit dem Rücken zu all den Jublern und Fahnenschwenkern. Dieser Eindruck wird bleiben, wie fröhlich die Ehe auch immer sein wird: so viel Freude, damals, bei unserer Hochzeit! „Sie hatten am Sonntag zwei Millionen mehr Zuschauer als Völlers Truppe am Samstag“, sagt Petra Roth drinnen im Kaisersaal; die Oberbürgermeisterin mag überhaupt nicht mehr aufhören mit Männer-Bemerkungen an diesem Tag. Gerhard Mayer-Vorfelder, der Präsident des Deutschen Fußballbundes (DFB), berichtet, nach diesem Abend in Los Angeles müsse er sagen: „Die Frauen können auch ganz schön feiern.“ Ein älterer Herr mit DFB-Nadel am Revers umschlingt mit beiden Händen die Spielerin Birgit Prinz am Hals. „Du geiles Teil!“ sind seine Begrüßungsworte. Der Gesichtsausdruck der Frau besagt: Okay, heute darf der das.“
Evi Simeoni (FAZ 15.10.) fügt hinzu: “Sind Frauen wirklich die besseren Männer? Ist der Fußballgott eine Frau? Deutschland sieht sich seit Sonntag, als die Nationalmannschaft der Frauen das Weltmeisterschafts-Endspiel gegen Schweden 2:1 gewann, gezwungen, seine Fußball-Grundlagen zu überdenken. Zugegeben: Noch stand auf dem Schild an dem Bus, der die Mannschaft (Frauschaft?) des Deutschen Fußball-Bundes vom Frankfurter Flughafen zum Römer brachte: Frauen-Weltmeister 2003. Aber eigentlich ist der Zusatz nicht nötig. Auf eine Weltmeisterfeier der Männer-Elf wartet das Land schließlich schon viele Jahre vergeblich. Die letzte liegt bereits 13 Jahre zurück. Männer, seht auf diese Frauen, rief denn auch die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth triumphierend vom Balkon des Römers herab. Alles Weltmeisterinnen! Zwischen 4000 und 5000 Fans, die den Frankfurter Römerberg füllten, stimmten ihr eifrig zu. Schwarz-rot-goldene Fahnen wehten. Und auch Schals für fünf Euro, die mit den Erfolgen der Männer-Nationalmannschaft bedruckt waren, fanden Käufer. Männer-Schals? fragte der Händler verwundert zurück. Männer oder Frauen, das ist doch ganz egal. Hauptsache, Fußball-Weltmeister. Kapitänin Bettina Wiegmann und ihre Mitstreiterinnen möchten natürlich nicht ständig mit den Helden von Bayern München bis Borussia Dortmund verglichen werden. Aber im Moment läßt sich das nicht vermeiden (…) Damit auch endlich die Jubelchöre einen professionellen Anstrich bekamen, schwang sich schließlich ein dicker Fan mit dem Megaphon auf ein Podest und stimmte ein Loblied auf die siebenfache WM-Torschützin an. Birgit Prinz – ist unser bester Mann. Aber auf Dauer konnte er sich nicht durchsetzen. Vielleicht, weil sich bei dem einen oder anderen doch leise Zweifel regten. Hatte doch die Frauen-Elf beim WM-Vorbereitungsspiel ganz in der Nähe gegen die U 16 von Eintracht Frankfurt beim 0:2 keine Chance gehabt und zuvor gegen zwei weitere männliche Jugendmannschaften 0:5 und 0:4 verloren. Es wird also auch nach dem Titelgewinn keine Frauen in der Männer-Bundesliga geben.“
Die FTD (15.10.) ergänzt: „Es gab wohl selten einen besseren öffentlichen Anschauungsunterricht dafür, wie sehr sich dieses Land nach Helden sehnt. Sicher, die Frauen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) haben in den letzten Wochen in den Vereinigten Staaten Großes geleistet. Sie haben schönen und attraktiven Frauenfußball gespielt. Sie waren besser als die anderen Mannschaften und sind deshalb auch verdient Weltmeister geworden. Doch sie deshalb nun auf eine Stufe mit den kickenden Männern zu stellen ist im besten Falle politisch korrekt – aber leider realitätsfremd. Der Freude tat das keinen Abbruch.“
Am Ende des langen Irrweges
Michael Ashelm (FAZ 14.10.) porträtiert Nia Künzer: „Genau so schreiben sich Heldengeschichten im Sport. Ein junger Athlet gilt als unglaubliches Talent, wird aber immer wieder von persönlichen Rückschlägen weit zurückgeworfen. Beharrlich arbeitet der Kämpfer am großen Comeback, läßt sich von den Tiefschlägen nicht einschüchtern und landet am Ende des langen Irrweges, wie im Traum, wirklich als Star auf der großen Bühne (…) Obwohl erst 23 Jahre alt, hatte Nia Künzer das Pech, daß ihr Körper schon oft den hohen Belastungen auf dem Fußballplatz nachgab. Immer wieder mußte sie in den vergangenen Jahren ganz von vorne anfangen, an der Rückkehr auf das Feld hart arbeiten. Im Winter des Jahres 1998 rissen ihre Kreuzbänder im linken Knie, zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren. Bis dahin hatte sich die Spezialistin für defensive Aufgaben einen vielversprechenden Ruf erworben, galt in der Szene als eines der größten Talente im deutschen Frauenfußball. Als sich Nia Künzer, die in der Bundesliga für den Meister und Pokalsieger 1. FFC Frankfurt aktiv ist, wieder nach der Verletzung an die alten Leistungen herangearbeitet hatte, zog sie sich vor der Europameisterschaft 2001 im eigenen Lande prompt einen Bänderriß, diesmal im Fußknöchel, zu. Der Tiefpunkt ihrer Karriere sollte aber noch folgen: Im vergangenen Jahr gaben aufs neue die Kreuzbänder im Knie nach, schon spekulierte der eine oder andere Fachmann auf das Karriereende. Die Pessimisten hatten die Rechnung jedoch nicht mit der unverbesserlichen Optimistin Nia Künzer gemacht. Ihre größte Krise bewältigte sie mit einem physischen und psychischen Kraftakt, trainierte eifrig an ihrem Comeback, kam im Februar zurück auf den Platz und hatte dabei nur ein Ziel: die Teilnahme mit der deutschen Nationalelf an der Weltmeisterschaft.“
Die FAZ (14.10.) rügt die ARD hart: „Der WM-Sieg der deutschen Fußballfrauen hatte einen bitteren Beigeschmack. Denn leider hatte die ARD offensichtlich versäumt, ein finaltaugliches Personal nach Los Angeles zu entsenden. Nachdem Nia Kuenzer vor 13,57 Millionen Zuschauern daheim an den Fernsehern das Golden Goal markiert hatte, brach am Spielfeldrand die große Hilflosigkeit aus. Ursula Hoffmann wußte nicht, wie und was sie genau die Expertin Doris Fitschen fragen sollte, und konnte dem Fußballgott danken, daß die Ex-Europameisterin mit einer schnellen Auffassungsgabe und einer sicheren Stimme gesegnet war – und so die Arbeit der Reporterin gleich mitmachte. Noch schlimmeren Flurschaden stellte Carsten Flügel an, der am Spielfeldrand den Weltmeisterinnen mit schwachsinnigen Fragen auflauerte, in denen sich auf bemerkenswerte Weise Unkenntnis mit Herablassung verband. Werden Sie gleich in der Kabine ein Ständchen singen, wie Sie es angekündigt haben? fragte er etwa die deutsche Trainerin Tina Theune-Meyer, obwohl die Zuschauer zuvor informiert worden waren, daß die schwedische Trainerin dies für einen Sieg ihrer Mädchen angekündigt hatte. So ging der historische Moment, den Ursula Hoffmann in ihre Abmoderation annoncierte, letztlich in einem unguten Gefühl unter. Die Fußballfrauen zählen halt doch noch nicht so viel im Ersten – da kann Gerhard Mayer-Vorfelder noch so viele verkniffene Küsse verteilen.“
Die FAZ (15.10.) meldet: „Noch viel verrückter ging es in Stockholm zu. Zwei Tage nach dem verlorenen WM-Finale wurden die schwedischen Fußballspielerinnen begeistert empfangen. Das aus Kalifornien kommende Flugzeug wurde beim Anflug auf den Flughafen Arlanda von zwei Jagdflugzeugen der Luftwaffe eskortiert und nach der Landung mit Wasserkanonen der Feuerwehr besprüht. 20 000 Fans warteten im Stadtzentrum auf die unglücklichen Verliererinnen.“
Das Streiflicht (SZ 15.10.) erweist sich als anthropologisch kundig: „Was hat man nicht vermisst in diesem spannenden, hart umkämpften Endspiel gegen die Schwedinnen? Um die Antwort zu finden, begebe man sich in die Heimat des afrikanischen Buntbarschs (Tilapia makrochir). Treffen dort Männchen aufeinander, hebt ein intensives Drohen und Imponieren an. Sie umkreisen sich mit abgespreizten Flossen. Phase zwei ist gekennzeichnet vom typischen „Maulklatschen“: Die Kontrahenten rammen sich mit offenen Mäulern und versuchen, den anderen wegzuschieben. Wer am stärksten droht, wer am heftigsten schiebt, der behauptet den Platz. Parallelen zum Männerfußball sind überdeutlich. Besonders Furcht erregend öffnet der Torwart Kahn das Maul. Imponiergesten auf Distanz werden mit drohender Körperstraffung und den abgespreizten vorderen Gliedmaßen vollzogen, was exemplarisch am Spieler Effenberg zu beobachten war; gelegentlich kommt es zum rituellen Bespucken. Ist der direkte Kampf eröffnet, stoßen die Kontrahenten mit der Stirn aufeinander und versuchen den Gegner wegzuschieben. Einige greifen heimlich nach unten. Endlich lässt sich der Schwächere fallen – eine klassische Demutsgeste, um beim Stärkeren die Aggressionshemmung auszulösen. Das alles hat gefehlt in diesem Endspiel, ohne dass man es vermisst hätte. Fußballerinnen sind eben anders Spitze.“
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