indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

VfB Stuttgart – 1. FC Nürnberg 0:2

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für VfB Stuttgart – 1. FC Nürnberg 0:2

Martin Hägele (SZ 25.3.) erläutert die Ursachen des verhinderten Stuttgarter Höhenflugs. „Die Schuld am Unfall an der Mercedesstraße 87, wie das Gottlieb-Daimler-Stadion postalisch benannt ist, war schnell geklärt. Die Fahrschüler zeigten Konzentrationsmängel und Übereifer, und weil sich dazu noch Lampenfieber und Examensangst gesellten, war der Blechschaden vorhersehbar. Felix Magath, den Lehrer des Hochbegabten-Kurses, hatte schon zuvor die Befürchtung beschlichen, dass es für einige zu viel wäre, wenn sie – unter den Augen des höchsten Prüfers der Nation – all ihre Fähigkeiten entfalten müssten. Es muss an DFB-Teamchef Rudi Völler gelegen haben, dass die Nationalmannschaftskandidaten Kevin Kuranyi und Andreas Hinkel, aber auch all die anderen hoffnungsvollen Spieler des VfB Stuttgart gegen den 1. FC Nürnberg so hibbelig agierten wie noch nie in dieser Runde. Es lag aber auch an den gewaltigen Ambitionen, welche die Region dem neuen Musterunternehmen aufgehalst hatte: Die jungen Wilden sollten Meister Borussia Dortmund in der Bundesliga-Tabelle überholen, weil Rang zwei am Ende nicht nur die direkte Qualifikation zur Champions League bedeutet, sondern automatisch sehr viel Geld. Mit diesen Einnahmen könnten die Chefs vom Cannstatter Roten Haus die 16,5 Millionen Euro Schulden tilgen; sie könnten die Fußball-Abteilung aus dem Verein ausgliedern und zum Unternehmen umfunktionieren; sie könnten Kuranyi, Hinkel und die anderen Aufsteiger mit entsprechenden Verträgen ausstatten; sie könnten Geld ausgeben für Verstärkungen, statt immer nur zu sparen; sie könnten an einer großen Zukunft bauen; sie könnten, könnten, könnten… Doch sie konnten, mit solchen Tagträumen im Kopf, nicht umschalten auf den Alltag und die Aufgabe, den Widerstand der Nürnberger zu brechen (…) Warum eine Mannschaft plötzlich ein ganz anderes Gesicht zeigt, ist beim 1.FC Nürnberg keine Frage eines psychologischen Reifeprozesses hin zum erwachsenen Profi. Es war mehr eine Sache der persönlichen Ehre und allgemeiner Berufsmoral, die Klaus Augenthaler noch einmal aus einem schon abgeschriebenen Bundesliga-Team herauskitzelte.“

Thomas Klemm (FAZ 25.3.) gratuliert den siegreichen Gästen. „Das Ende vor Augen, starteten die Nürnberger in Stuttgart einen Neuanfang. Mit engagiertem Auftreten und Komplimenten für die mitgereisten Anhänger warben die Franken um Vertrauen, ließen sich gegen den Tabellendritten nicht mal beirren, als der Aufschwung in Stuttgart ins Stocken geriet. Nur zwei Minuten, nachdem Kai Michalke einen Foulelfmeter verschossen hatte, erzielte Jarolim in der 28. Minute den Führungstreffer; nach einem halbherzigen Abwehrversuch des Innenverteidigers Fernando Meira, der eine noch laxere Einstellung als die meisten seiner Mitspieler an den Tag legte und zur Halbzeit ausgewechselt wurde. Anscheinend haben einige gedacht, daß es auch ohne hundertprozentigen Einsatz geht, haderte Felix Magath. Nun hofft der VfB-Trainer, daß die Mannschaft lerne, daß es in der Bundesliga auch um Einsatz und Kampfbereitschaft geht. Die Aussicht, mit einem Sieg Borussia Dortmund vom zweiten Tabellenplatz zu verdrängen und damit der Blick auf eine direkte Qualifikation für die Champions League schien die Schwaben zu lähmen. Mit viel Aufwand erspielten sie sich Torchancen in Serie, die sie aber nicht zu nutzen verstanden. Vor allem Kevin Kuranyi, von Rudi Völler für das Europameisterschaftsqualifikationsspiel am Samstag gegen Litauen nominiert, gehörte zu den im Abschluß Gescheiterten. Der DFB-Teamchef urteilte aber gewohnt nachsichtig, daß der Jungstürmer sich gut bewegt habe, aber nicht so gut wie sonst ins Spiel gekommen sei. Sein Trainerkollege Magath indes sah seine Befürchtungen bestätigt, daß Kuranyis erstmalige Berufung eine Belastung für ihn darstelle.“

Hertha Berlin – Energie Cottbus 3:1

Frank Ketterer (taz 25.3.) fragt sich, ob er den vorzeitigen Abschied von Energie Cottbus erlebt hat. „Es war exakt die 85. Minute, und drüben, in der großen Kurve, war es auf einmal doch beängstigend ruhig geworden, still beinahe. Ausgerechnet Alex Alves, das Schweinchen Dick vom Zuckerhut, hatte zum zweiten Mal und somit zur Führung ins Tor getroffen für die Berliner Hertha, und genau in diesem Moment muss den Menschen aus Cottbus dort drüben in der Kurve aller Mut und alle Hoffnung entfahren sein. Keinen Muckser gaben sie mehr von sich, nur noch eine große, traurige Stille, bestimmt eine Minute, eine traurige Schweigeminute lang. Dann lief Michael Preetz in den Fünfmeterraum und schob eine Hereingabe auch noch zum dritten Treffer für die Berliner ins Netz. Und erst mit ihm kam wieder ein wenig Leben zurück in die zu Salzsäulen erstarrten Körper: Nun hoben sie alle ihre Schals in die Höhe und wiegten sie langsam hin und her. Es sah immer noch traurig aus – aber auch ein wenig trotzig und stolz. Und dazu zuckten vereinzelt kleine Blitzchen aus kleinen Fotoaparaten, und aus der Ferne sah es so aus, als ob da jetzt ein paar traurig-stolze Cottbuser ein paar traurige Abschiedsfotos schießen. Abschiedsfotos von der Bundesliga. Auf sechs Punkte ist der Abstand nun wieder angewachsen zu jenem Platz, der am Ende den Klassenverbleib sichern würde. Das ist, wenn auch nicht unmöglich, so doch eine ganze Menge, zumal bei nur noch acht ausstehenden Partien. Herr Geyer, wars das?, wurde Eduard Geyer, der Trainer, deshalb später gefragt. Ja. Das sieht nicht gut aus, hat Herr Geyer da geantwortet, mit ganz ruhiger Stimme; und dass er bei der Frage nicht ein wenig aufgebraust ist, wie es schon mal seine Art sein kann, wenn ihm etwas nicht passt, hat die Angelegenheit nur noch trauriger gemacht – und hoffnungsloser.“

Mathias Wolf (FAS 23.3.) porträtiert den Berliner Spielführer. „Preetz hatte bei Hertha immer eine entscheidende Rolle inne. Im Prinzip schon, bevor er für die Berliner gespielt hat. Erinnert sei an jenen 8. Juni 1996, als er noch für Wattenscheid 09 stürmte und in der 88. Minute der Partie gegen Hertha eine große Chance vergab. Es blieb beim 0:0. Andernfalls wäre Hertha in der Drittklassigkeit gelandet. Der Verein hat ihn sechs Wochen später verpflichtet. Schnäppchen Preetz (125 000 Euro Ablösesumme) wurde zum Sinnbild für den Aufstieg des Klubs. Er hat Hertha nicht nur in die Bundesliga geschossen, sondern auch in den Uefa-Pokal und in die Champions League. Mit 23 Treffern wurde er 1999 Torschützenkönig. Nebenbei hat er dreimal, in letzter Minute, wichtige Treffer erzielt, mit denen er den Job des früheren Trainers Jürgen Röber rettete. Zu ihm ist in sechs gemeinsamen Jahren eine Freundschaft entstanden. Als Röber in Wolfsburg anheuerte, verschickte Preetz sofort eine Glückwunsch-SMS. Er war der entscheidende Mann in meiner Karriere, sagt Preetz, dem in seiner wenig ertragreichen Bundesligazeit bei Fortuna Düsseldorf und beim MSV Duisburg (bis 1994, insgesamt nur sieben Treffer) viele die Erstklassigkeit absprachen. Mit seinen 192 Zentimetern verspottete ihn mancher Kritiker als unbewegliche Giraffe. Doch in Berlin bewies der gebürtige Düsseldorfer, vor allem per Kopf, oft das Gegenteil. 1998, als er ein Tor mit der Hacke erzielte, nannten ihn die Kollegen sogar eine zeitlang Pretzinho. Auch die Statistik spricht für den Rheinland-Brasilianer. In diesen Tagen schickt sich Preetz an, den Berliner Uralt-Rekord von Erich Beer zu knacken. 83 Tore gelangen dem in 253 Bundesliga-Einsätzen für die Hertha. Kürzlich schüttelte das Hertha-Idol aus den Siebzigern Preetz die Hand und sagte feierlich: Michael, Dir würde ich es gönnen. Nun wollen alle Reporter vor dem Spiel gegen Energie Cottbus an diesem Sonntag nur das eine hören, doch Preetz sagt kühl: Der Rekord wäre eine schöne Sache, hat aber keine Priorität. Typisch Preetz. Der Kapitän ist immer im Dienst. Nur allzu gerne hätte Trainer Huub Stevens ihn noch zum Weitermachen überredet – und sei es nur in Stand-by-Funktion. Doch in dieser Zwitterrolle, hat Preetz erkannt, werde er sich nicht wohl fühlen. Es ist Zeit für einen Schnitt im Leben des Tausendsassas der Liga. Seinen Posten als Vizepräsident der Spielergewerkschaft wird er zwar im Juni abgeben (Ich sehe mich als Vertreter der Spieler – das verträgt sich dann nicht mehr mit dem neuen Job), aber er bleibt Botschafter für die WM 2006. Im Team von Hertha werden sie den Vielbeschäftigten vor allem in einer Funktion vermissen: als Beichtvater. Unlängst wurde das einmal mehr deutlich, als Marcelinho im feuchtfröhlichen Karnevalssumpf zu versinken drohte. Preetz nahm sich seiner an in vielen Gesprächen und half.“

Portrait Alex Alves (Hertha Berlin) BLZ

Verflixter Frühling in Bremen

Martin Hägele (NZZ 25.3.) skizziert die schwierige Lage in Bremen. „Es sind nur noch traurige Geschichten, die aus Bremen kommen, jetzt im Frühling. Ganz anders als im Herbst, als der Fussball im Weserstadion blühte. Werder sonnte sich im spielerischen Glanz von Johan Micoud, der Weser- Zidane sei nicht viel schlechter als der Regisseur von Real Madrid und Equipe tricolore, den Landsmann Micoud im Team des Europameisters ja auch ein paar Mal vertreten hat. Goalgetter Ailton traf mit der Präzision eines Bogenschützen, die Zeitungen nannten den Brasilianer „Agent 007“, und alle im grün-weissen Team avancierten zu „Bayern-Jägern“. Nachdem diese in der Vorrunde ihren Lieblingsfeind aus München geschlagen hatten, geriet sogar die Geschichtsschreibung in der Hansestadt durcheinander: Esel, Hund, Katz, Hase (ich behaupte steif und fest: es nadelt sich nicht um einen Hasen, sondern um einen Hahn, of) – und Werder, so hiess es, der Klub hatte sich den Platz auf dem Denkmal mit den berühmten Stadtmusikanten erspielt. Nun aber sind die Bremer nicht mehr stolz auf die Musik und alles andere, was sie sonst noch aus dem Weserstadion vernehmen. Der sensible Micoud entpuppt sich als Rüpel, er fliegt immer wieder mal vom Platz, stänkert gegen Trainer Schaaf, einem Reporter von „Bild“ hat er eine Ohrfeige verpasst. Auch wenn Ailton ab und zu ein Tor schiesst, hält dies den Brasilianer zwar an der Spitze der Scorerliste, in der einzig wahren Bundesliga-Tabelle aber stürzt Werder trotzdem immer weiter ins Niemandsland. Nach sieben Niederlagen aus den letzten neun Partien muss die zweitbeste Mannschaft der ersten Halbserie um die Qualifikation für den UI-Cup bangen. Man spricht ganz offen von Krise. Nur weiss niemand, an welchen Punkten man diese Krise genau festmachen kann. Warum wackeln auf einmal alle Figuren, die über den Winter noch als Fixpunkte des Klubs dagestanden hatten? Und wenn dann der Vorstandsvorsitzende Born den in die Kritik geratenen Manager Allofs und Trainer Schaaf öffentlich Beistand leistet („Thomas und Klaus gehören zu uns wie Schwein und Schwanz“), lacht man im Rest der Republik über solch ein Bonmot. – Es ist eben alles anders als in Werders grosser Epoche, solange sich dieser Klub als Familienidyll darstellen konnte und alles so gemacht wurde, wie es das Ehepaar Rehhagel und dessen Vorstands-Freunde im stillen Kämmerlein bestimmt hatten. Heute machen Leute Politik und Stimmung in der Werder-Welt, die dort früher nichts oder nur wenig zu sagen hatten. Schöner Herbst, verflixter Frühling.“

„Der KSC arbeitet am Lizenzantrag – für die Regionalliga“SZ

Gewinnspiel für Experten

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

104 queries. 0,560 seconds.