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VfB Stuttgart, die neue „Fohlenelf“ (Zeit) – 1860 München, mehr als Mittelmaß (FTD) – SpOn-Interview mit Lars Ricken

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für VfB Stuttgart, die neue „Fohlenelf“ (Zeit) – 1860 München, mehr als Mittelmaß (FTD) – SpOn-Interview mit Lars Ricken

Über alte und neue Fohlen

Christoph Biermann (Zeit 20.11.) ehrt den VfB Stuttgart als Nachfolger der Gladbacher Fohlenelf: „Von seinem Mythos lebt der Klub (Gladbach, of) noch heute, nicht nur in banaler Form, wenn während der Spiele am Bökelberg ein Maskottchen namens „Jünter“ ins Publikum winkt, das mit ein wenig Mühe als Fohlen auszumachen ist. Winken wird „Jünter“ auch, wenn der VfB Stuttgart in der ersten Dezemberwoche zum Pokalspiel am Bökelberg antritt. Stuttgarts Trainer Felix Magath hat sich nach der Auslosung dieser Partie erfreut geäußert, weil seine Mannschaft in diesen Tagen für das stehen würde, was Mönchengladbach einst verkörperte: jugendlichen Schwung, den das Publikum liebt. Wir sind die neuen Fohlen, wollte er sagen, und das Publikum ist ihm dabei gefolgt. „Außer meinem Verein am liebsten ist mir…“, war die Vorgabe bei einer Umfrage von Sport Bild, und am weitaus häufigsten wurde der VfB Stuttgart genannt. Wieder ist es die Jugend, die hier ihren Zauber entfaltet. Kevin Kuranyi mit dem feinen Bärtchen, dem zarten Lispeln und der noch zarteren Ballbehandlung ist gerade 21 Jahre alt, wie der wunderbare und so vernünftige Außenverteidiger Andreas Hinkel oder Stürmer Christian Tiffert mit seiner Seepferdchen-Frisur. Nur ein Jahr älter ist der Weißrusse Aliaksandr Hleb, das begnadete Mittelfeldgenie, und Außenverteidiger Philipp Lahm ist gerade erst 20 Jahre alt geworden. Im Schnitt ergibt sich daraus das jüngste Team der Bundesliga, das darüber hinaus auch noch wunderschön anzuschauenden Fußball spielt. Daher wählten Fernsehzuschauer in einer Abstimmung von Sat.1, am kommenden Spieltag der Champions League nicht die Partie des FC Bayern bei Celtic Glasgow zu zeigen, sondern die des VfB gegen die Glasgow Rangers. Sportlich sind beide Spiele gleichermaßen bedeutsam, der Klub mit den meisten Fans in Deutschland unterlag dem Newcomer dennoch deutlich. 70 Prozent mochten lieber Stuttgart als die Bayern sehen, und viel deutlicher kann der Sehnsucht nach Jugend und schönem Fußball nicht Ausdruck gegeben werden. Stuttgart spielt zudem nicht mit aus aller Welt zusammengekauften Spielern, sondern mit Profis aus der eigenen Jugendmannschaft, die fast durchweg deutsche Pässe haben und so Rudi Völler dabei helfen könnten, dass er bei der Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land ein ernst zu nehmendes Team aufbietet. Der VfB Stuttgart kam damit genau zur rechten Zeit, als unablässig über den Mangel an solchen Talenten geklagt wurde. Selbst Bundeskanzler Schröder, der stets weiß, wie die Herzen des Publikums schlagen, hat den Klub öffentlich für seinen Mut zur Jugend gelobt – und längst umwerben reichere Vereine die Spieler. Mit der Jugend zum Erfolg, diese Geschichte ist fast zu schön, um wahr zu sein. Doch in Wirklichkeit ist sie eine von fast schon unglaublichen Zufälligkeiten (…) Eine märchenhafte Geschichte ist die vom Aufstieg des VfB Stuttgart, nur soll niemand erzählen, es hätte dahinter so etwas wie ein Plan gestanden. Die lange Reihe glücklicher Zufälle kann aber nichts daran ändern, dass es ungeheuren Spaß macht, dieser Mannschaft zuzuschauen. Durch seinen Vergleich mit Borussia Mönchengladbach will Magath das Märchen nun adeln und an eine Art mythische Kraftquelle anschließen. Doch das Reden über alte und neue Fohlen bewegt sich im Imaginären, und das soll es auch, weil Fußball zum Träumen da ist. Der VfB Stuttgart wird in dieser Saison wohl einen neuen Rekord im Toreverhindern aufstellen und vielleicht auch als Meister das Erbe der Gladbacher antreten. Doch welchem Geist entsprang die Idee vom Fohlen wirklich? Ganz ist das nicht zu klären, aber offenbar war der „Fohlen“-Erfinder Wilhelm August Hurtmanns weniger musikalisch und kunstsinnig, sondern eher herrisch und soldatisch, wie sich ein Kollege aus Mönchengladbach erinnert. Als Soldat war Hurtmanns im Zweiten Weltkrieg Mitglied einer Propagandakompanie in Verona. Dort lernte er, was Worte bewegen können. In Friedenszeiten jedenfalls ist dem Erfinder der „Fohlenelf“ eine zweifelsfrei sinnstiftende Wortschöpfung gelungen.“

Leider fällt niemandem auf, wie gut der TSV 1860 ist

Joachim Mölter (FTD 20.11.) befasst sich mit 1860 München vor dem Derby: „Der TSV 1860 ist derzeit eine Großbaustelle. Überall wird auf- und umgebaut oder zumindest geplant, egal, ob es um das Vereinsheim geht, die Allianz-Arena oder die Mannschaft. „Wir arbeiten auf das Jahr 2005 hin“, sagt Cheftrainer Falko Götz: „Wir werden mit einer Perspektivmannschaft ins neue Stadion gehen.“ Karl-Heinz Wildmoser junior glaubt, dass die Massen folgen: „Da wird eine neue Fankultur dazukommen“, sagt er, und „diejenigen, die sich nicht für 1860 begeistern, werden wir überzeugen, dass sie es tun.“ – „Sollten“, fügt Götz hinzu. Mit der Begeisterung für den TSV 1860 ist es nämlich derzeit nicht weit her, sie nimmt eher ab, wenn man Zuschauerzahlen vergleicht. Die Ränge elf, neun und zehn hat die Mannschaft in den letzten drei Spielzeiten belegt, Plätze jenseits von größerem öffentlichem Interesse. Schon wird gespottet, dass die so genannten Löwen zu grauen Mäusen mutieren, aber das Wort „Mittelmaß“ mag Geschäftsführer Karl-Heinz Wildmoser nicht hören, der Sohn des gleichnamigen Klubpräsidenten. „Bei 27 000 Fußballvereinen in Deutschland ist das alles andere als Mittelmaß“, belehrt er. Leider fällt niemandem auf, wie gut der TSV 1860 ist, weil es in München noch einen Bundesligaklub gibt: „Den Verein da drüben“, sagt Wildmoser junior und deutet nach Osten. Nur eine Querverbindung – die Dolomitenstraße – weiter, aber in anderen Höhen residiert der deutsche Rekordmeister: „Wir haben das Pech, dass der FC Bayern der erfolgreichste Verein in Europa ist und das Geschehen bestimmt.“ Zumindest in München und in dieser Woche will der TSV 1860 mitbestimmen. Am Samstag empfängt er den Rivalen im Olympiastadion zum Derby, und deshalb gehen die Löwen zum PR-Angriff über: Täglich gibt es Pressekonferenzen, zum Beispiel mit den Torhütern Michael Hofmann (31) und Petar Radenkovic (69), Symbole von Gegenwart und Vergangenheit. Letzterer schwebt ja ständig über dem TSV 1860 München: An der schrägen Decke der Vereinskneipe Löwenstüberl hängt ein Poster der Meisterelf von 1966; Radenkovic stemmt die Schale.“

SpOn-Interviewmit Lars Ricken

SpOn: Schmerzt es Sie, wenn bisweilen vom ewigen Talent die Rede ist?

LR: Nein, ich denke eher resignierend: Ihr Ignoranten! Werft mal einen Blick auf meine Autogrammkarte und die Titel, die dort aufgeführt sind. Das schafft kein ewiges Talent! Und im Übrigen kann so eine Titulierung nur Spielern passieren, die sehr früh auch sehr erfolgreich sind. Wer erst mit 25 Profi wird, den würde man wohl kaum ewiges Talent schimpfen.

SpOn: Erinnert Sie die Aufregung um die neuen Jungkicker wie Andreas Hinkel oder Kevin Kuranyi an die Zeit, als Sie als die Zukunft des deutschen Fußballs galten?

LR: Der Unterschied ist, dass ich damals der Einzige war, während es heute mehrere gibt, auf deren Schultern sich dieser Wirbel verteilt. Und wenn ich sehe, dass einige Spieler nackt oder halbnackt posieren, dann kann ich mir doch auf die Schulter klopfen, weil ich das vermieden und mich immer gegen das Image eines Popstars gewehrt habe. Trotzdem habe ich damals sicher nicht alles richtig gemacht und manches ist anders gelaufen, als ich mir das vorgestellt habe.

SpOn: Meine Sie die Karriere in der Nationalmannschaft? Bei der WM 2002 standen Sie als einziger Feldspieler nicht eine Minute auf dem Platz.

LR: Diese Erfahrung war sehr bitter. Da liegen wir gegen Brasilien zurück und sieben Spieler laufen sich warm, unter anderem auch ich. Dann kommt Bundestrainer Michael Skibbe zu mir und sagt: Lars, du musst dich wieder setzen, weil sich nach den Statuten nur sechs Mann warm machen dürfen. Da habe ich mich schon gefragt, was ich eigentlich hier mache. Ich habe heute aber auch ohne die Nationalmannschaft ein Sinn erfülltes Leben, und Rudi Völler kommt, wie man in der EM-Qualifikation gesehen hat, auch ohne mich zurecht.

SpOn: Hat es eine Aussprache gegeben?

LR: Eher nicht. Kurz nach der WM, beim Spiel gegen die Niederlande in Gelsenkirchen, war ich noch mal im Kader und durfte mich wieder 45 Minuten lang warm laufen. Damals habe ich entschieden, dass ich mich nicht mehr demütigen lasse, nur weil 2006 eine WM in Deutschland ansteht.

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