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VfL Bochum – Borussia Dortmund 3:0

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für VfL Bochum – Borussia Dortmund 3:0

Sonntags-Spiele in Bochum und Leverkusen – Neururers „Wunder von Bochum“ (FAS) – Neururer wird und wirkt erwachsen – Leverkusen zwischen Bescheidenheit und Anspruch – die Machtfülle von Hertha-Manager Dieter Hoeneß

VfL Bochum – Borussia Dortmund 3:0

Kein Vergleich mit Winfried Schäfer

Martin Hägele (NZZ 28.10.) meldet gute Aussichten für den VfL Bochum: „In der aktuellen Statistik liegen die Bochumer sieben Punkte vor den hundertmal berühmteren Rivalen aus Gelsenkirchen – würde man nur die letzten sieben Spieltage rechnen, wäre das oft als Graue-Maus-Team verspottete VfL-Team sogar Leader der Bundesliga. Dieter Meinhold soll diesen Aufstieg und die tolle Serie nun verkaufen. Deshalb wurde der Marketing-Experte von Opel geholt. In den fünf Monaten, die der Vorstand für die Lizenzspieler, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit bei seinem neuen Arbeitgeber werkelt, ist ihm bald klar geworden, dass der VfL Bochum ganz dringend ein Image braucht, um in der Konkurrenz mit zwei der grössten deutschen Traditionsvereine zu überleben. „Wir müssen uns klein, fein und antastbar präsentieren“, sagt Meinhold deshalb, denn Schalke und Borussia Dortmund seien mittlerweile schon so riesig geworden, dass die Kundenbetreuung fast anonym verlaufe. Peter Neururer hat nicht nur im Jahr nach dem Wiederaufstieg in die Bundesliga, sondern erst recht in dieser Saison ein äusserst effektives Ensemble zusammengestellt. Wer etwa hätte gedacht, dass der Coach den Verlust von Bundesliga-Topskorer Christiansen (zu Hannover 96) und des VfL-Urgesteins Schindzielorz (1.FC Köln) nicht nur kompensieren, sondern sogar vergessen lassen würde durch die Integration des dänischen Internationalen Madsen sowie des Polen Szdebel, eines alten Bekannten Neururers, den der Trainer aus der Türkei geholt hat? Die Offensive, vor allem die Konter der Bochumer, ist inzwischen noch um einiges variabler und giftiger geworden (…) Die grösste Gefahr droht momentan jedenfalls durch die Euphorie im und um das Team, weshalb Neururer schon überlegt, wie er den ersten Anzeichen von Selbstgefälligkeit begegnet. Er müsse sich in psychologischer Hinsicht etwas einfallen lassen, so der Coach, dem allerdings auch selbst der Hang zum Abheben nachgesagt wird. Er wolle sich nicht mehr länger über grosse Sprüche definieren, hat Neururer („Ich war der Schrecken aller Präsidenten“) versprochen. Auch Meinhold stellt die absolute Seriosität seines Kollegen heraus. Ein Fachmann in Mannschaftsführung, Trainingslehre, Sportmedizin, kurzum auf allen Gebieten, die zum Fussball gehörten, sagt Meinhold: „Kein Vergleich etwa mit Winfried Schäfer, mit dem ich als Manager im Karlsruher SC gearbeitet habe.“ Neururer wird sich über dieses Kompliment sicher freuen.“

Christoph Biermann (SZ 28.10.) sieht das genauso: „Neururer war klar, dass der 3:0-Erfolg über Borussia Dortmund nur sieben Tage nach dem 2:0 bei Schalke 04 zu den schöneren Erfolgen in der Geschichte des VfL Bochum gehörte. Doch der Coach blieb im Moment des Glücks bei seiner Stop-and-go-Rhetorik, die er in den letzten Wochen entwickelt hat. Die Siege in den Revierderbys kündigte er vor den Partien quasi an („So groß, wie Dortmund sich fühlt, spielen wir Fußball“), um anschließend auf die eigenen Schwächen hinzuweisen. Auch nach der partiell furiosen Partie gegen Dortmund kritisierte er sein Team. „Wir haben den Ball teilweise nicht unseren Verhältnissen entsprechend laufen lassen“, sagte Neururer. Da hatten sich die Bochumer an ihren eigenen Tricks berauscht, wo sie lange kühl und sehr abgeklärt die Überzahl nach dem Platzverweis von Sebastian Kehl ausgenutzt hatten (…) Spielentscheidend war die Rote Karte für Kehl, denn selbst in Unterzahl zeigten die auf fremden Plätzen instabilen Dortmunder eine sehr gute Auswärtsleistung. Kehl versuchte den Schaden seiner erneuten Herausstellung zu mindern, nachdem er vor drei Monaten im Ligapokal Schiedsrichter Aust attackiert hatte und für sechs Wochen gesperrt worden war. „Du siehst den Roten Karton und denkst: Was ist denn hier wieder los?“, sagte Kehl. Los war jedoch seine Unbeherrschtheit, als er gegen Zdebel nachzutreten versuchte. Wiederholungstäter Kehl wird ihm nun einige Wochen fehlen, und damit ist der 23-jährige Nationalspieler erst einmal auf dem Tiefpunkt seiner Karriere angekommen.“

Er will endlich als seriöser Fachmann geschätzt werden

Richard Leipold (FAS 26.10.) lobt die Arbeit Peter Neururers: „Die Akzeptanz in der Öffentlichkeit wird immer größer, sagt Neururer. Wenn diese Akzeptanz sich zum Respekt steigern ließe, wäre das für einen oft belächelten Trainer wie ihn der größte Erfolg in seiner an Stationen so reichen Karriere. Insofern steht der Übungsleiter exemplarisch für den ganzen Verein. Auch Neururer giert nach Anerkennung. Er will endlich als seriöser Fachmann geschätzt werden und versucht mit aller Kraft, aus der Schublade auszubrechen, in die er auch deshalb geraten ist, weil er viel zu lange Effekthascherei nach Art eines Staubsaugervertreters betrieben hat. Für den Kampf um ein besseres Image ist Bochum der ideale Ort. Hier glauben sie ihm, daß er mehr kann als den Feuerwehrmann spielen. Hier haben sie ihm eine Chance gegeben, als die Rückkehr in die Bundesliga für den Trainer Neururer fast unerreichbar schien. In Bochum genießt er das, was er so lange vermißt hat: Vertrauen und Respekt. Neururer nimmt das kleine Glück demütig an. Ich bin sehr erfreut über das, was ich hier erleben darf. In der Bochumer Geborgenheit scheint Neururer sich zum Strategen zu entwickeln. Seinen Vorgesetzten, besonders dem Präsidenten Werner Altegoer, dankt er, indem er sie bei jeder Gelegenheit als die Väter seines Erfolges hinstellt. Neururer arbeitet nach der Devise, teile (das Lob) und herrsche. Es fällt ihm um so leichter, da weder ein Sportdirektor noch sonst eine sportliche Instanz seine Kompetenzen beschneidet. In der Mannschaft hat Neururer eine Hierarchie geschaffen und gefestigt. Zuerst lastete die meiste Verantwortung auf Kapitän Dariusz Wosz und Torwart Rein van Duijnhoven; in der Rückrunde der vergangenen Saison kam der frühere Dortmunder Sunday Oliseh dazu. Als Trainer oft vorzeitig entlassen, setzt Neururer bei seinen Führungsspielern auf Kontinuität. An Wosz etwa hält er seit Wochen fest, obwohl der Regisseur meist unter Form gespielt hat. Wenn Wosz in die Kritik gerät, fährt der Trainer sämtliche Schutzschilde aus und erfindet kurzerhand taktische Aufgaben im linken Mittelfeld oder sonstwo, die den Genius daran gehindert hätten zu glänzen. Oliseh hat der Trainer aus seinem goldenen Käfig in Dortmund befreit. Im Gegenzug kann Neururer, der bald sein zweijähriges Dienstjubiläum in Bochum feiert, sich auf die Loyalität der Führungsspieler verlassen, die in ihm einen berechenbaren Partner sehen.Um das Führungstrio und den aufstrebenden Nationalspieler Paul Freier herum hat er eine Mannschaft gebaut, die offenbar genug Substanz besitzt, Neururers Halbwertzeit als Erfolgstrainer zu verlängern.“

Die größten Sprüche klopft Neururer vor dem Spiel

Andreas Morbach (FTD 28.10.) ergänzt: “Einer unter den rund 50 tippenden Journalisten hatte das Ergebnis tatsächlich exakt vorhergesagt: Bochum schlägt Dortmund 3:0. Ein cooler Tipp. Fand auch Peter Neururer, deshalb rief er den Mann, ständiger Begleiter der VfL-Geschicke, am Sonntagabend vor dem Gang zum Siegestrunk anerkennend zu: „Nicht schlecht. Die Presse wächst offensichtlich mit meiner Mannschaft mit.“ Was nichts anderes hieß als: Das ist kein Zufall hier, sondern ein stetiger Marsch nach oben. Das zu betonen, wagte Bochums Trainer auch nach dem spektakulären Sieg in einem attraktiven Derby noch. Ansonsten galt wie immer: Die größten Sprüche klopft Neururer vor dem Spiel.“

Bayer Leverkusen – Borussia Mönchengladbach 1:0

Erwartungshaltung an die Ästhetik

Daniel Theweleit (BLZ 28.10.) bemerkt zur Leverkusener Bescheidenheit: „Er wurde mal wieder deutlich, der Unterschied zwischen Bayer Leverkusen und dem ewigen Rivalen FC Bayern. In München feiern sie nach einem Arbeitssieg gegen Kaiserslautern den Killerinstinkt ihres Stürmers Roy Makaay, sie huldigen dem Genie von Sebastian Deisler und preisen die Gewinnermentalität. In Leverkusen, beim Tabellenführer, kam nach dem glücklichen und hart erkämpften 1:0 gegen den Tabellenvorletzten ein schlechtes Gewissen zum Vorschein. Ich habe jetzt schon das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen, verkündete Trainer Klaus Augenthaler mit bitterem Unterton. Man hatte den Gegner diesmal nicht an die Wand gespielt wie die bisherigen Teams, die in der Bay-Arena zu Gast waren, und der Trainer hatte das Gefühl, sich dafür verteidigen zu müssen. Obwohl ihm niemand einen Vorwurf gemacht hatte. Aber in Augenthalers Satz kam die Erwartungshaltung zum Vorschein, die man beim Fast-Absteiger der vergangenen Saison schon wieder an die Ästhetik des eigenen Spiels entwickelt hat. Und doch zeigte der Trainer ein wenig des bayerischen Fußballcharakters, von dem er durchdrungen sein müsste. In Leverkusen wird nun immer unverhüllter von einer möglichen Meisterschaft gesprochen. Sie beginnen also langsam zu träumen, nach dem Trauma des vergangenen Jahres, und Jens Nowotny verkörpert diese Rückkehr aus der Depression wie kein anderer.“

Der Trainer war in dieser Situation richtig für uns

Erik Eggers (FTD 28.10.) vermutet, dass Klaus Augenthaler Bayer gut tut: „Augenthaler ist wohl der Vater des neuerlichen Erfolgs. Seine staubtrockene Sachlichkeit, die minimalistische Rhetorik und sein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit scheint dem mit Stars gespickten Kader gut zu tun. Von Beginn an hat Augenthaler klar gemacht, dass bei ihm – das war bei Klaus Toppmöller anders – auch Weltmeister keine Extrawürste bekommen. So musste Lucio, obwohl er um ein paar Tage Extraurlaub bat, pünktlich zum Sommertrainingslager in die Schweiz anrücken. Und wer über die Medien aufbegehrt, den watscht Augenthaler prompt und auf demselben Wege ab. So erging es etwa Hanno Balitsch und Jens Nowotny. Balitsch maulte via „Express“, er fühle sich nicht so wohl auf der Position des rechten Außenverteidigers – und las in der nächsten Ausgabe dieses Blattes: „Der kann froh sein, wenn er überhaupt spielt.“ Quelle: Augenthaler. Seitdem schweigt Balitsch gegenüber dem Boulevard. Auch in anderen Details äußert sich die Handschrift des Trainers. Er protestierte zum Beispiel, als der Klub, allen voran der in den Medien kaum noch präsente Sportdirektor Jürgen Kohler, den als Fehleinkauf titulierten Franca loswerden wollte. Der Brasilianer spielte schlecht und war sogar schon ausgelacht worden von den eigenen Fans. „Den kriege ich wieder hin“, glaubte hingegen Augenthaler, und nun sorgt der schmächtige Stürmer mit seinen Vorlagen für große Torgefahr in einer Mannschaft, in der bereits zwölf verschiedene Spieler getroffen haben. „Der Trainer war in dieser Situation richtig für uns“, lobt Holzhäuser – wie gut ein Trainer aber wirklich sei, zeige sich erst in Krisen. Was aber geschieht, wenn sich in dieser Saison keine einstellt in Leverkusen? Dann könnte er verfliegen, der Fluch vom „Ewigen Zweiten“.“

Stefan Hermanns (Tsp 28.10.) schildert die Machtfülle von Dieter Hoeneß: „Seit sieben Jahren arbeitet Dieter Hoeneß für Hertha BSC. Er hat 1996 als eine Art Frühstücksdirektor beim damaligen Zweitligisten angefangen, trug den offiziellen Titel Vizepräsident, wurde später Manager mit operativen Befugnissen und leitet heute als Vorsitzender der Geschäftsführung der Kommanditgesellschaft mit beschränkter Haftung auf Aktien die Geschicke des Klubs. Herthas Organisationsstruktur ist so übersichtlich wie ein Burda-Moden-Schnittmuster, aber die Öffentlichkeit interessiert sich ohnehin nicht für komplizierte Organigramme: Für sie ist Hertha Hoeneß. Und umgekehrt. In diesen Wochen, in denen für den Verein und seinen Macher einiges auf dem Spiel steht, wird das wieder verstärkt so empfunden. Hoeneß hat sich mit seiner ganzen Macht dafür eingesetzt, dass Huub Stevens Trainer des Fußball-Bundesligisten bleiben darf. Als fast die ganze Stadt, die meisten Medien und auch Teile der vergleichsweise machtlosen Vereinsgremien gegen den Niederländer waren, hat Hoeneß einen Abend lang nachgedacht und dann eine Lösung präsentiert, die er seitdem als Vereinbarung mit Stevens verkauft. In der Öffentlichkeit aber wird diese Abmachung vor allem als Ultimatum an den Trainer wahrgenommen. Die Stimmung scheint zu kippen. Die „Bild“-Zeitung hat das Ultimatum jetzt als „menschenverachtend“ bezeichnet, was Rupert Scholz, den Aufsichtsratsvorsitzenden, zu der Aussage bewogen hat: „Das ist hier wie in Schilda.“ Hoeneß weist darauf hin, dass die Lösung „nicht gegen Huub Stevens gerichtet“ war. Die einzige andere Möglichkeit wäre schließlich gewesen, ihn gleich zu entlassen. Hoeneß hat dies verhindert, und das hat noch einmal gezeigt, welche Macht und welchen Einfluss der Manager im Verein Hertha BSC besitzt.”

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