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Ballschrank

Viele Journalisten begrüßen diese Entscheidung und können sie verstehen

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Viele Journalisten begrüßen diese Entscheidung und können sie verstehen

Verbiesterte Kleinkariertheit und ewige Besserwisserei

Martin Hägele (NZZ 23.9.) begrüßt die Entlassung Lienens: „Dass anstelle des ehemaligen belgischen Internationalen nun in Mönchengladbach „Zettel- Ewald“ Lienen als erster Fussball-Lehrer in dieser jungen Saison die Papiere bekommen hat, war gewiss kein sensationeller Rauswurf. Die Kündigung Lienens war schon länger geplant; sonst hätte der Sportdirektor Hochstätter seinem Spezl, Klubscout und Coach der Borussia-Amateure nicht Ende August eine Rückkehrklausel in den Vertrag mit Rot-Weiss Essen schreiben lassen. Bereits nach 24 Tagen hat der Traditionsklub von dieser Option im Kontrakt des ehemaligen Internationalen Gebrauch gemacht. Nicht nur wegen der vier Niederlagen in Folge, sondern weil es mit Lienen einfach nicht mehr weitergehen konnte. Mit seiner verbiesterten Kleinkariertheit und ewigen Besserwisserei ging der introvertierte Coach seinem gesamten Umfeld auf den Geist. Ganz egal, ob Mannschaft, Angestellte der Geschäftsstelle oder Journalisten, alle waren schliesslich genervt von den Monologen und Widersprüchen des Oberlehrers Lienen. Offensichtlich aber haben sich die Vorstände des Nostalgievereins nicht nur in der Figur Lienen verschätzt, der am 2.März und unter dem Motto vom verlorenen Sohn zu seinem Lieblingsklub heimgeholt worden war. Die generelle Vorgabe von Platz neun zum Saisonende erscheint utopisch. Man mag mit solchen Visionen vielleicht ein paar Tickets für das neue Stadion mehr an den Mann bringen. Vizepräsident Rolf Königs, ein steinreicher Unternehmer und der starke Mann im Verein, hat im Zusammenhang mit dem Trainerwechsel das Saisonziel noch einmal an die Wand gemalt. Und ganz deutlich erklärt, dass diese Vorgabe von Hochstätter und Fach empfohlen worden sei. Weshalb nun das nächste Ultimatum der Bundesliga, das dieses Mal wieder zwei Freunde trifft, in Mönchengladbach am Niederrhein läuft.“

„Der Wechsel von Lienen zu Fach ist Ausdruck der nüchternen Politik von Gladbachs Manager Hochstätter“, urteilt Christoph Biermann ( SZ 23.9.): „Lienen war offensichtlich nicht nur Journalisten gegenüber äußerst misstrauisch, sondern zeigte sich auch gegenüber Mitarbeitern des Vereins weniger kooperativ als gewünscht. Unter diesen Bedingungen erklärte die sportliche Führung zuletzt vier Niederlagen in Folge nicht mehr allein durch die Verletzungsmisere und Pech bei den Spielen. Lienen Vorgänger Hans Meyer kritisierte im kicker zwar, „er hat keine echte Chance bekommen“, aber scheinbar war das Verhältnis zwischen Trainer und Team nach nur sieben Monaten erodiert. Lienen sieht das nicht so und kündigte im kicker sogar Enthüllungen an: „Ich bin mit dem Klub noch nicht auseinander und kann daher zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht die volle Wahrheit erzählen.“ Die Umstände des Wechsels erscheinen jedoch konspirativer als sie es sind. Hochstätter entließ Fach aus seinem Vertrag nur mit einer Rückkehrklausel zu RW Essen. Diese beinhaltete, dass Fach bei einem Angebot der Borussia den Drittligisten jederzeit wieder verlassen könnte. Hochstätter hielt zwar eine Option für Fach offen, sah den Verfall seines Profiteams aber nicht so schnell voraus: „Dann hätte ich ihn erst gar nicht gehen lassen.“ Fach war zudem nicht der einzige Kandidat, neben Klaus Toppmöller sprach Hochstätter mit einem ausländischen Coach. Sein Entschluss, dem Präsidium die Demission Lienens vorzuschlagen, macht für den Sportdirektor die Arbeit nicht leichter. Das war ihm gestern anzumerken, als er müde und gereizt am Trainingsplatz stand. Hochstätter kann es sich zugute halten, die Situation nicht bis zur Unerträglichkeit eskaliert haben zu lassen, um sich dann hinter den angeblichen Gesetzen der Branche zu verstecken. Das zeugt von Nüchternheit und Sachlichkeit.“

Fußball ist ein Dorado der Schwindler

Dahingegen kritisiert Bernd Müllender (FR 23.9.) die Umstände der Entlassung: „Medienpolitisch ist es bemerkenswert, dass sich ausgerechnet die Bild-Zeitung, der natürliche Feind des linksliberalen Pazifisten Lienen, indirekt auf dessen Seite schlug: Trieb Gladbach ein linkes Spiel? Die Nummer ist eine Blitz-Entlassung, deren Dreistigkeit Lienens Bass-Stimme noch am Tag danach bass enttäuscht klingen lässt. Viele hatten geglaubt, Lienen und Borussia, das würde passen: heimgekehrter Sohn, Heimatgefühle, enge Bindung, ehemaliger Spieler mit großer Trainerzukunft. Er und Sportdirektor Hochstätter, der ehemalige Kumpel auf dem Rasen, verstünden sich prima, sagten beide ausdauernd. Manche hatten gar geweissagt, Lienen könne mit seiner Idee vom hart erarbeiteten Angriffsfußball langfristig womöglich in die Fußstapfen von Hennes Weisweiler treten, dem Magier des Fohlenfußballs der Goldenen 70er Jahre (…) Fußball ist glücksabhängiges Lotto auf höchstem Niveau. Und ein Dorado der Schwindler. Gladbachs Nachfolge-Regelung war besonders dreist. Schon Mittwoch hatte man Ex-Spieler Fach heimlich kontaktiert. Der war bis vor drei Wochen Borussias Amateurtrainer, wurde dann dem kränkelnden Drittligisten Rot-Weiß Essen überlassen mit der vielsagenden Klausel, dass er für Borussias Cheftrainerposten umgehend freizugeben sei. Fach erklärte jetzt, das sei eine Bedingung von Christian Hochstätter gewesen. Lienen musste sich vorgeführt vorkommen. Dennoch: Die vierte Entlassung in acht Jahren (hinzu kommt eine Demission beim spanischen Zweitligisten CD Tenerife) unterstreicht, dass Lienens Halbwertszeit immer kürzer geworden ist. Von den Gladbacher Fans war er auffällig wenig gefeiert worden. Respektiert haben sie ihn, das ja, aber nicht geliebt. Als am letzten Spieltag der Vorsaison der Klassenerhalt gesichert war, jubelte man mehr Vorgänger Hans Mayer zu. Der Vorwurf, Lienen habe im Fußballalltag nicht die besten Antennen, sei manchmal realitätsfern, empört den Fußballpädagogen heftig. Aber: Er redet und reflektiert manchmal zu viel für den Schlichtsport Fußball.“

Lienen bevorzugt die akribisch gerade gezogene Furche

Wolfgang Hettfleisch (FR 23.9.) fasst Lienens Karriere zusammen: „Im November wird Lienen 50 Jahre alt. Da ist es an der Zeit, mal innezuhalten und auf die bisherige Trainerlaufbahn zurückzublicken. Spötter sprechen von der Lienenschen Parabel, wenn sie argumentieren, den anfänglichen Erfolgen auf seinen bisherigen Trainerstationen sei noch stets der Niedergang auf dem Fuße gefolgt. Lienen würde sagen, das sei boshaft und ungerecht. Jedenfalls ist es kein Naturgesetz. Man frage mal Felix Magath. Unzweifelhaft machte es Lienen sich und den Clubs, für die er gearbeitet hat, nie leicht. Als Kumpel der Spieler taugt der oft pedantisch daher kommende Ostwestfale ebenso wenig wie als Partner im Eine Hand wäscht die andere-Geschäft des Boulevards. Lienen bevorzugt die akribisch gerade gezogene Furche. Clownerien im Stil eines Peter Neururer sind ihm ein Graus. So einen mag man nicht sonderlich in der Bussi-Gesellschaft des deutschen Profifußballs, deren Mythen lieber vom Intuitiven und Anekdotenhaften des Spiels handeln: Geht’s naus, spuilt’s Fußball! Nicht von ungefähr folgt Lienen in Gladbach einer, der erst mal die Philosophie ausgab, keine Philosophie zu haben.“

Das schafft kein Besen dieser Welt

Christian Zaschke (SZ 23.9.): „Die clevere Besen-Industrie mitsamt der zahlreichen Besen-Lobbyisten weiß gar nicht, was sie angerichtet hat, als sie in einer kleinen Absatzkrise den Werbespruch ersann: „Neue Besen kehren gut!“ Der Satz gilt mittlerweile überall (außer in Bayern, wo man denkt: „. . . aber alte Besen kennen alle Ecken.“) und für alles, besonders für Fußball-Trainer. Bei Misserfolg wird flugs ein neuer eingestellt, und schon fegt man die Gegner sauber vom Platz. Besen- und Fußball-Industrie sind damit immer gut gefahren. Bis zwei Sportpsychologen aus Münster sich die Mühe machten, das zu überprüfen. Bei solchen Überprüfungen kommt stets heraus, dass alles anders ist, als wir immer wussten, und so fanden die beiden in ihrer Studie heraus, dass neue Trainer wenig bringen. Sie haben Trainerwechsel von 1963 bis 1998 untersucht, sich die zwölf Spiele vor und nach dem Wechsel angeschaut und geschlossen: „Rauswurf ist die falsche Strategie.“ Fußball- und Besen-Industrie sind erschüttert. Holger Fach, der das Traineramt von Ewald Lienen bei Borussia Mönchengladbach übernimmt, soll nun Neunter werden. Das schafft kein Besen dieser Welt, sei er auch noch so neu.“

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