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Vierzigste Bundesligasaison

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Vierzigste Bundesligasaison

Zum Abschluss einer „spannungsfreien und sonst ziemlich handlungsarmen vierzigsten Bundesligasaison“ (FAZ) durfte die Fußballnation nicht einmal ihre Schadenfreude ausleben. Bayer Leverkusen hat sie mit dem finalen 1:0-Sieg bei Absteiger Nürnberg davor bewahrt; und sich selbst vor dem Abstieg. Gegenüber dem traditionslosen Werksklub – und das ist die Erkenntnis dieser Spielzeit – herrscht in Stadionkurven nämlich keineswegs Gleichgültigkeit, wie das noch vor Jahren üblich war. Mit wem man in den letzten Wochen auch sprach: Auf einen Abstieg des Serienzweiten der Vorsaison setzte ein Großteil der Fußballfans große Hoffnung. Insbesondere die Anhänger des FC Bayern schienen Bayer wohl krumm zu nehmen, dass sie ihrem Klub die Rolle des Vorzeigeklubs auf internationaler Bühne auf eine solch imposante und hierzulande lange nicht da gewesene Weise streitig gemacht hatten. Immerhin belegt der Spott, dem Calmund Co ausgesetzt sind („Ihr werdet nie Deutscher Meister!“ wurde nun durch andere Gemeinheiten ersetzt) und dessen Klimax am Wochenende ausbleiben musste, dass Bayer Leverkusen zu den Großen der Liga zählt. Auch eine Form der Anerkennung. Mitleid gilt schließlich nur dem Underdog, und Dankbarkeit – zum Beispiel für den Löwenanteil am viel bejubelten deutschen WM-Erfolg in Fernost – ist unter Fußballfans keine übliche Kommunikationskategorie.

Zum Glück vieler treuer Anhänger, die seit den glorreichen Siebzigern übers ganze Land verstreut sind, konnte sich auch Lokalrivale Borussia Mönchengladbach durch ein 4:1 über die ambitionierten Bremer retten. Auch in Deutschlands Sportredaktionen freut man sich über „die große Mönchengladbacher Koalition der Gefühle“, wie die FAZ die Stimmung auf dem Bökelberg beschreibt, nachdem Coach Ewald Lienen in den Armen seines Vorgängers Hans Meyer lag. Überschattet wurde der Erfolg – allerdings nicht die Berichterstattung – von einem Foul (Marcelo Pletsch am Bremer Markus Daun), dessen Brutalität der langjährige Augenzeuge der Bundesliga nicht gewohnt ist. Statt Bayer oder Gladbach erwischte es mit Arminia Bielefeld die „Paternoster-Elf der Liga“, witzelt die FAZ. In Ostwestfalen wertet man den sechsten Abstieg der Vereinshistorie „eher als Normalfall denn als Apokalypse“ (taz): „wie schlechtes Wetter, famos emotionslos, achselzuckend, ja fast gelangweilt“ (FTD).

Jahr der Desillusionierung

Michael Horeni (FAZ 26.5.) kommentiert. „Es paßte zum Jahr der Desillusionierung im zu Ende gehenden Traumtheater des Fernsehfußballs, daß diese Rolle auf einem Nebenschauplatz ein Darsteller von gestern ausfüllte. Als die Mönchengladbacher Spieler ihren während der Saison entlassenen Trainer Meyer nach geglücktem Klassenverbleib von der Tribüne in den Mittelpunkt rückten – und Lienen dem Anteil seines Vorgängers selbstlos den gebührenden Platz zuerkannte – und die Zuschauer beide Fußballehrer für ihr Gemeinschaftswerk hochleben ließen, umwehte den Bökelberg ein Hauch von nostalgischem Gefühlskino und Zukunftshoffnung: daß eine große Koalition im Land der Selbstdarsteller tatsächlich den Weg aus der Krise finden kann. Ansonsten aber herrschten im Reich der Alleinunterhalter auch bei den anderen Siegern des letzten Spieltags weiter die alten Regeln. Der Leverkusener Volksschauspieler Calmund hatte nach einer Saison, die Bayer an den Rand der Zweitklassigkeit geführt hatte, noch die Chuzpe, sich auf einer Ehrenrunde feiern zu lassen. Ganz so, als wäre er in dieser Saison die Lösung des Bayer-Problems gewesen – und nicht einer seiner Gründe (…) Immerhin rundete diese Krise auch die rundum schönste Erfolgsgeschichte des Jahres: der Aufstieg des VfB Stuttgart von einem Klub in Existenznot in die Champions League. Doch auch dieses Gemeinschaftswerk geriet nach dem glücklichen Ende immer mehr zu einem Soloauftritt. Der für seine erstklassige Aufbauarbeit von den Spielern gefeierte Trainer Magath verstand es, die Gelegenheit zu nutzen, daß an dem großen Tag des VfB vornehmlich über seine Zukunft diskutiert wurde – und nicht über die Perspektive des Klubs oder die Verdienste von Spielern wie Balakow oder Kuranyi. Der Horizont im Ländle der Himmelsstürmer reduzierte sich auf die kleinmütige personalpolitische Frage Magath: Stuttgart oder Schalke?“

In punkto Kapitalvernichtung hat sich die Liga unter Europas Besten festgesetzt

Thomas Kistner (SZ 26.5.) zieht enttäuscht Bilanz. „Schwer fällt es, sich überhaupt ein paar Auftritte mit Niveau ins Gedächtnis zu rufen. Wie auch: Der Meisterschafts-, Pokal- und Champions-League-Zweite Leverkusen entging um Haaresbreite dem Abstieg, Vorjahres-Meister Dortmund vergeigte im letzten Heimspiel gegen die längst abgestiegenen Söldner von Cottbus die direkte Qualifikation. Parallel dazu fanden Europas Klubwettbewerbe ab dem Viertelfinale ohne deutsche Beteiligung statt. Und der FC Bayern, Maß aller Dinge in dieser Bundesliga? Hatte sich in der Champions League als Prügelknabe herumreichen und nach sechs Vorrundenspielen pensionieren lassen: Viermal verloren, zweimal unentschieden. Man kann die Gesamtbilanz auch in die Zukunft drehen und sagen, hier wurde einfach schon mal die Leistung abgeliefert, die demnächst sowieso mit wesentlich weniger Geld belohnt werden wird. So macht das Defizit an Entertainment letztlich Sinn – doch gemach, das richtige Spiel geht ja erst los. Tricks und Drehs sind in den nächsten Wochen zu bestaunen, wenn sich die Liga am Grünen Tisch für dürre Zeiten wappnen muss. Auf rund 442 Millionen Euro beläuft sich der Verschuldungsstand der Branche – endlich mal ein Resultat, das dem Betrachter wirklich den Atem raubt. In punkto Kapitalvernichtung hat sich die Liga unter Europas Besten festgesetzt.“

Die wahre Leidenschaft ist zur Ware verkommen

Axel Kintzinger (FTD 26.5.) erkennt „fußballerische Depression“. „Sollte der Zustand dieses wunderschönen Sports also wieder einmal dem von Politik und Wirtschaft in diesem Land entsprechen? Kann sein, allerdings ist das Leiden nicht neu und gehört zum Fußball vielleicht ja sogar dazu. „Ich bin nicht mehr als ein Bettler um guten Fußball“, seufzte schon vor Jahren Eduardo Galeano aus Uruguay, ein bedeutender politischer Autor Südamerikas. „So gehe ich durch die Welt, den Hut in der Hand, und in den Stadien bitte ich: ,Nur einen schönen Spielzug, Gott vergelt’s.‘“ In den Stadien der Bundesliga, von denen viele nun ganz schick geworden sind, Soundso-Arena heißen und meistens sogar gut gefüllt sind, wäre Galeano dieses Jahr verhungert. Lachshäppchen in den Logen machen eben nicht satt, wenn die Kunst auf dem Rasen brotlos bleibt. Dem Spiel scheint der Spaß abhanden gekommen zu sein, die wahre Leidenschaft ist zur Ware verkommen. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Aber selten war sie so offensichtlich wie in dieser Saison.“

Aus den Treuesten der Treuen ist eine solide Mehrheit geworden

Dahingegen bemerkt Philipp Selldorf (SZ 26.5.). „Im Jahr 2003 hat sich die Liga modernen Bedürfnissen geöffnet. Es gibt Pizza und Döner, man sitzt bequem – im Winter unter Heizstrahlern – und schaut hübschen Mädchen in knappen Kostümen zu, die in der Pause artistisch eine Pyramide türmen. Das Stadion ist nun keine aufgemöbelte Kampfbahn mehr, sondern eine richtige Arena. Doch der Fußball ist, wie er war, auch wenn die Spieler jetzt Amoroso, Hashemian oder Reghecampf heißen. Vielleicht ist er schneller und technisch besser geworden, aber daraus allein entsteht kein Spektakel, und am Ende steigen immer noch Nürnberg und Bielefeld ab und gewinnt wieder Bayern München die Meisterschaft. Und trotzdem war die Bundesliga nie so wertvoll wie heute. 401.249 Zuschauer kamen am Samstag zu den neun Spielen, zehn Millionen im Laufe des Jahres – zwei Rekorde, die bloß eine Saison halten werden. Dank der Aufsteiger Frankfurt, Köln und Freiburg steht schon die nächste Steigerung bevor. Aus den Treuesten der Treuen ist eine solide Mehrheit geworden.“

Wortmüll

Gerd Schneider (FAZ 26.5.) ist zuzustimmen. „Der Mensch ist eine Gewohnheitstier. Und deshalb tut der verbale Flachsinn, der vor allem im Fußball flächendeckend Einzug gehalten hat, nicht einmal mehr sonderlich weh: Daß es zum Beispiel keine gewöhnlichen Niederlagen mehr gibt, sondern nur noch Pleiten. Oder daß jeder Mißerfolg gleich zu einer sportlichen Katastrophe erklärt wird. Oder daß Trainer, die zum Leistungsprinzip stehen, fortan Quälix genannt werden und noch froh sein müssen, wenn sie nach zwei Niederlagen nicht als Auslaufmodell abgestempelt werden. Am Samstag aber war, trotz aller Abstumpfung, die Schmerzgrenze überschritten. Ein Reporter des Fernsehsenders Sat.1 sagte in der Fußball-Sendung ran folgenden Satz: Bayer-Manager Calmund habe am Ende einiges richtig gemacht, er habe Augenthaler verpflichtet und – Thomas Hörster entsorgt. Ein besonders schwerer Fall von rohem Spiel. Für diesen Wortmüll hätte der Reporter die Gelbe Karte verdient. Mindestens.“

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