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Ballschrank

zur 0:2-Niederlage Frankreichs gegen Dänemark

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für zur 0:2-Niederlage Frankreichs gegen Dänemark

Thomas Kilchenstein (FR 12.6.) zur 0:2-Niederlage Frankreichs gegen Dänemark. „So hart ist lange kein Weltmeister mehr auf dem Hosenboden gelandet, so deutlich wurde selten, dass eine Mannschaft ihren Zenit überschritten hat. Am Ende hatte man fast Mitleid mit den abgestürzten Überfliegern, drückte die Daumen, dass ihnen wenigstens ein Tor gelingen möge (…) Der Sieg der kompakt stehenden, einfach spielenden Dänen, die als Gruppenerster ins Achtelfinale einziehen, war nicht nur hochverdient, er war auch nie ernsthaft in Gefahr. Die Dänen, meilenweit entfernt von ihrem herzerfrischenden Fußball der 80er Jahre, aber diszipliniert und prima geordnet, hatten nichts Überraschendes im Programm, aber genug, um die Franzosen in Schach zu halten.“

Ralf Wiegand (SZ 12.6.) dazu. „Zidane war tatsächlich alles gewesen, was Frankreich zu bieten hatte, aber die zehn anderen um ihn herum spielten mit ihm nicht besser als vorher ohne ihn. Dugarry spielte so schlampig, wie sein Trikot aus der Hose hing, Thuram fehlerhaft, Desailly ängstlich. Und die Stürmer, die doch der Grund gewesen sein sollten, warum diese französische Mannschaft noch besser sei als die von 1998, diese Stürmer trafen nicht. Der Ball fliegt nicht leichter ins Tor, nur weil Zidane ihn gepasst hat. Diese Hoffnung war ein Irrglaube gewesen. Nun ist der Mythos von Frankreichs Fußball zerstört, aber der von Zinedine Zidane, dem Mann des Spiels, ist erhalten geblieben (…) Dänemark spielte einen Fußball, der aussah wie Stig Töfting: so kompakt, als sei er mit einer Dampframme zusammen gestaucht worden. Trainer Morten Olsen hatte seine Mannschaft zusammengeschnurrt zu einem mächtigen, roten Block, zu einem Signal, das dem Weltmeister sagte: Stopp, bis hierher und nicht weiter.“

Die NZZ (7.6.) über das Spiel Frankreich-Uruguay (0:0). „Die defensiv eingestellten und ihren gewohnt knochenharten Stil pflegenden Uruguayer hätten die Franzosen mit etwas mehr Réussite gar schon vorzeitig aus dem Turnier werfen können. Vor allem dann, wenn die diesmal gut aufgelegte Inter-Diva Recoba zu seinen Dribblings ansetzte, brannte es vor dem untadeligen Barthez meist lichterloh. Dennoch nutzte die Equipe des schwergewichtigen Trainers Pua die numerische Überzahl zu wenig resolut und wäre mit einem Sieg doch etwas gar gut bedient gewesen.“

Den Franzosen traut Ralf Itzel (FR 7.6.) im weiteren Turnierverlauf wenig zu. „Angenommen, der Coup gegen Ebbe Sand, Stig Töfting und Co. gelänge, bliebe dem Favoriten für die K.o.-Runde mehr als die Rolle eines Außenseiters? Einige haben offensichtlich nichts mehr im Tank, allen voran Lizarazu. Ausgepowert reisten er und die anderen von ihren Klubs zu dieser WM, bei der die Kraftreserven zum entscheidenden Faktor werden dürften. Für Teams wie das Italiens könnte der Fluch, im internationalen Vereinsfußball zu versagen, in Asien zum Segen werden. Die Equipe Tricolore aber hat durch die Schlappe gegen Senegal und das gestrige Unentschieden auch noch mit einer Gewohnheit gebrochen, die grundlegend war für die Triumphe 1998 und 2000. Die begann sie mit zwei Siegen und konnte im dritten Vergleich die Stars schonen und Ergänzungsspieler ranlassen, die sich so auch als Teil der Familie fühlten. Gegen Dänemark werden die Franzosen alles in die Waagschale werfen müssen, ohne Rücksicht auf Verluste.“

Christoph Biermann (SZ 7.6.) über den französischen Auftritt gegen Uruguay. „Den erneuten Ausfall von Zinedine Zidane, der sich erwartungsgemäß nicht fit gemeldet hatte, kompensierte der französische Trainer Roger Lemerre nicht mit einer taktischen, sondern einer personellen Änderung. Anstatt, wie spekuliert worden war, zum System der letzten WM mit drei defensiven Mittelfeldspielern und einer Spitze zurückzukehren, nahm Johan Micoud vom AC Parma die Position von Zidane ein. Das war bereits der zweite Versuch, das auf Zidane zugeschnittene System ohne ihn zu spielen. Bereits in der ersten Partie gegen Senegal war Youri Djorkaeff damit überfordert gewesen.“

Thomas Klemm (FAZ 7.6.) sah ein packendes 0:0. „Die zerfahrene Partie entwickelte sich zur Freude der 38 000 Zuschauer zu einer abwechslungsreichen Partie, in der sich beide Mannschaften an ihre letzte Chance klammerten: ein Tor, um die Aussichten auf das Achtelfinale zu verbessern. Einschussmöglichkeiten boten sich hüben wie drüben im Minutentakt (…) Selbst in der Nachspielzeit nahm der Fußballkrimi kein Ende: Nach Pass von Bayern-Profi Bixente Lizarazu wurde Sylvain Wiltord im letzten Augenblick am Schuss gehindert, im Gegenzug parierte Barthez einen Schuss Recobas – damit waren endgültig alle Chancen vergeben. Beiden Teams bleibt nun nur noch die Hoffnung auf das letzte Spiel. Viel ist das nicht für den Welt- und Europameister.“

Eine sehr fragwürdige Entscheidung der Fifa bewertet Ralf Wiegand (SZ 7.6.). „Normalerweise aber hätten auch nicht die Dänen, die nicht unbedingt die Wüstensöhne Europas sind und schon am Strand von El Arenal als Zweite einen Sonnenbrand kriegen (nach den Engländern), gleich zweimal in dieser Vorrunde am sonnigen Nachmittag spielen müssen, sondern die Franzosen. So hatte es ursprünglich die Reihenfolge bei der Auslosung ergeben. Erst, nachdem die Fifa feststellte, dass der Weltmeister zweimal zur TV-Unzeit spielen sollte, wurden kurzerhand die Plätze von Dänemark und Frankreich im Spielplan getauscht. Nun gibt’s die Dänen in Europa zum Frühstück und Frankreich zum Nachtisch.“

Zu den klimatischen Bedingungen im Stadion heißt es bei Hans Trens (FAZ 7.6.). „Nun wissen wir endlich, wie die koreanische Variante jener Spielart aussieht, die in Europa gemeinhin als Sommerfußball bezeichnet wird. Dem Spiel im Glutofen von Daegu sei Dank. Es bietet sich nur eine Steigerung an: Saunafußball war das, was Dänen und Senegalesen am Donnerstag beim leistungsgerechten 1:1 geboten haben.“

Über die Spielweise Senegals schreibt Thomas Kilchenstein (FR 7.6.). „Salif Diao, der groß gewachsene Torschütze, ist aber auch ein gutes Beispiel für die beiden Gesichter der senegalischen Mannschaft, die eben nicht nur schön spielte, sondern auch schön holzte. Ohnehin war es eine ziemlich nicklige Begegnung, was auch an der Hitze gelegen haben kann. Salif Diao war es jedenfalls, der das bis dahin brutalste Foul dieser WM beging: Er trat Rene Henriksen beim Tackling fast das Schienbein durch. Diao musste früher duschen gehen, elf Dänen wären ihm zu gern gefolgt.“

Die NZZ (7.6.) über Senegals Spielweise. „Die Senegalesen bewiesen nach der Pause, dass sie in taktischer Hinsicht äußerst flexibel sind, als Trainer Metsu auf Grund des Rückstandes gleich zwei Offensivkräfte einwechselte und sich für diese mutige Ausrichtung alsbald belohnt sah.“

Christoph Biermann (SZ 3.6.) sah Dänemarks siegreiche Elf (2:1 gegen Uruguay) zunächst in Schwierigkeiten. „Das lag jedoch nicht daran, dass Uruguay das alte Stereotyp der wild um sich tretenden Fußballverhinderer erfüllte, sondern die Dänen zu Beginn beider Halbzeiten mit einigen schönen Spielzügen aus der Ruhe brachte.“

Thomas Klemm (FAS 2.6.) erklärt das Zustandekommen des dänischen 2:1-Siegs über Uruguay. „Je länger das Spiel dauerte, umso deutlicher zeigte sich die taktische Überlegenheit der Europäer. Der dänische Offensivstil nach holländischem Vorbild – flach, schnell und über die Flügel – führte zum Erfolg.“

Helmut Schümann (Tsp 2.6.) über die unterlegenen Südamerikaner. „Die Uruguayer verfügen über keine Mannschaft, da ist kein zwingendes Zusammenspiel erkennbar, und konditionsschwach waren sie gegen die Dänen auch noch.“

Das Eröffnungsspiel analysiert Felix Reidhaar (NZZ 1.6.). „Was hätte dem mit Abstand zugkräftigsten Sportanlass nach den üblen Ränkespielen hinter den Kulissen Besseres geschehen können als eine saftige Überraschung zu Beginn? Ein gutes, packendes Startspiel obendrein, wo doch solche Partien in der Vergangenheit oft verkrampft und von taktischen Vorsichtsmassnahmen geprägt blieben (…) Wenn die Westafrikaner letztlich als knappe Sieger das Terrain des formidablen Stadions am Han-Fluss verließen, dann besonders dank ihrer Mischung aus Kampf und Spielfreude, aus athletischen Fähigkeiten und technischer Individualität. Das bessere Team waren sie über 94 Minuten hinweg natürlich nicht gewesen, sie gerieten im Gegenteil gegen Schluss nochmals erheblich unter Druck, weil die Kräfte schwanden und sich Konzentrationsmängel bei der Ballbehandlung einschlichen. Doch den Franzosen, mindestens einigen unter ihnen, schien es an gedanklicher wie physischer Frische und an Einfallsreichtum zu fehlen. Mit zunehmender Dauer schlugen sie nur mehr hohe Bälle aus allen Gegenden in den Strafraum, etwas, was man von Lemerres Auswahl sonst nicht kennt.“

Martin Hägele (taz 1.6.) über den Matchwinner. „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird El Hadji Diouf, der beste Spieler Afrikas, nicht nur für einen Abend als Sternschnuppe glühen. Sein Solo in der 29. Minute legte den Grundstein für die Sensation, den 1:0-Sieg der Turnierdebütanten aus Senegal über die Weltmeister aus Frankreich (…) Die einzige Angst der ruhmreichen Equipe schien es zu sein, den respektlosen Gesellen mit dem Furcht erregenden Kosenamen „Serial Killer“ (Serienmörder) irgendwie von ihrem Strafraum fernzuhalten. Aber dieser Diouf wagte sich immer wieder in den Grenzbereich.“

Roland Zorn (FAZ 1.6.) über das Spiel. „Mit einem weit leuchtenden Zeichen der Ermutigung für alle Außenseiter und Debütanten der Fußball-Weltmeisterschaft in Korea und Japan ist am Freitag Abend (Ortszeit) das einmonatige Turnier im mit 62.500 Zuschauern fast ausverkauften Weltcup-Stadion von Seoul eröffnet worden (…) Schockiert mussten die Titelverteidiger in diesem ersten Duell zwischen der Grande Nation und einer ihrer ehemaligen Kolonien zur Kenntnis nehmen, dass der Fußball von heute kaum noch Privilegien vergibt.“

Ralf Wiegand (SZ 1.6.) zum selben Thema. „Eröffnungsspiele haben die Eigenschaft, dass sie aus Tradition die Besten, nämlich die Sieger des letzten Turniers, und einen meistens unbekannten Herausforderer zusammenführen, ähnlich wie im Boxen der Champion jemanden fürchten muss, der sich das Recht, gegen ihn antreten zu dürfen, irgendwo im Verborgenen erworben hat. Ein solcher Gegner ist wie eine Wundertüte, nur dass die Überraschung nicht immer eine freudige sein muss (…) Das Spiel der Franzosen war sehr sicher in der ersten Halbzeit, sie verdichteten bei Ballbesitz des Gegners das Spielfeld und schwärmten wie auf Kommando aus, wenn sie im Angriff waren. Aber sie spielten Sicherheitspässe ohne große Inspiration.“

Den Sieg Senegals könnte man als weitere Etappe des afrikanischen Emanzipationsprozesses deuten. Doch Ludger Schulze (SZ 1.6.) relativiert diese Aussage. „Merkwürdigerweise ist der Sieg der Senegalesen gleichzeitig ein Sieg der Franzosen. Gewonnen hat eine französische Klubauswahl, die unter dem Namen Senegal firmiert, gegen eine französische Weltauswahl, deren Mitglieder in England, Italien, Deutschland und Spanien Ruhm und Reichtum mehren. Es wäre also irreführend, von einem Zweikampf zwischen Europa und Afrika zu sprechen. Sämtliche“Löwen aus Senegal“ haben ihre Grundausbildung bei Fußball-Lehrern aus dem Land des einstigen Kolonialherren erfahren und ihre Fähigkeit in der angeblich so maroden Liga des Weltmeisters kultiviert. Nicht eine Revolution hat also stattgefunden, die zweite Generation schwarzafrikanischer Profis ist lediglich ein gutes Stück vorangekommen beim langen Marsch durch die Institutionen.“

Fa-bu-leux! titelt die größte senegalesische Zeitung Le Soleil (1.6.) und ordnet den Auftaktsieg gegen den amtierenden Weltmeister historisch ein. Unsere Löwen haben sicherlich noch nicht die internationale Reputation wie ihre unbezwingbaren Cousins aus dem Kamerun, aber der Sieg des WM-Debütanten im ersten Spiel sei ebenso historisch wie der unseres Dia Ba National, des Mannes der, genau hier in Seoul bei den Olympischen Spielen 1988 im Finale des 400 Meter-Hürden-Laufes den großen Edwin Moses bezwungen hat. Vor den Augen der ganzen Welt, fährt das Blatt begeistert fort und schätzt, dass diese Jungs noch nicht so bald realisieren werden, was sie gestern getan haben. Sie träumten davon, ohne allzu sehr daran zu glauben. Aber sie haben es getan ohne zu zittern, ohne einen Augenblick zu zweifeln. Die Löwen haben die Hähne ungebraten verspeist, der König des Waldes war ohne Mitleid für das Goldhähnchen im Hühnerhof. Der Lehrling hat den Meister übertroffen. Der Auftritt gestern war einfach fabelhaft. Hunderttausende waren in Senegal auf den Strassen, unter ihnen der Präsident der Republik, in blau gekleidet, auf seinem Four-Wheel-Drive sitzend, die Fahne des Senegal um seinen Körper geschlungen und ohne den Versuch, die immense Freude zu kaschieren, die ihn ergriffen hatte. Zum Matchwinner wurde El Hadj Diouf erklärt, der Junge aus St-Loius, der früheren Hauptstadt des Senegal und einstmals Sitz des französischen Generalgouvernements über ganz Afrika. Der gewohnte Torschütze (zuletzt beim französischen Vizemeister RC Lens und in der WM-Qualifikation) habe er sich gestern als Meister der Vorlage erwiesen, und es wurde bekannt, dass er in der nächsten Saison zum FC Liverpool wechselt.

Le Monde hat den Sieg der senegalesischen Mannschaft im Foyer Soundiata, einem Wohnblock im 20. Pariser Bezirk miterlebt, wo im traditionellen Arbeiterviertel Ménilmontant heute Tausende afrikanischer Einwanderer leben. Im Gemeinschaftsraum durften die Jungen das Spiel nicht ansehen: Freitag ist der Tag des Gebets, und außerdem stammt die Mehrheit der Besucher hier aus Mali, einem Nachbarland und Fußballrivalen Senegals. In Ahmeds Café, in das die jugendlichen Fußballfans ausweichen, hängen Bilder von Johnny Halliday und Charles Aznavour, neben dem von Zinedane Zidane. Unser Zidane heißt Khalilou Fadiga, schmettern die Anhänger der Löwen, die gerade dabei sind, die Hähne zu verspeisen. Und als Trezeguet die Latte trifft, jubeln sie ihm ironisch zu, so sei es, wenn man vom Marabout verhext werde. Das Tor von Diop lässt Ménil, wie das Viertel kurz genannt wird, erzittern, an der Metro-Station Chevaleret wird heute noch Samba getanzt.

Kaum verhohlene Freude in den italienischen Tageszeitungen über den Sieg der Senegalesen: „Der Debütantenball“ titelt der Corriere della Sera (1.6.), proklamiert Diouf zum Helden der Afrikaner und berichtet, der französische Premierminister Chirac habe seine Mannschaft telefonisch zu trösten versucht. La Repubblica (1.6.) mutmaßt dagegen, Chirac habe aus (eigennützigen) politischen Gründen in Seoul angerufen, von der Furcht getrieben, dass die üble Laune der Grande Nation auch auf die Wahlen (am 9. und 16. Juni) durchschlagen könnte. Anerkennung in allen Kommentaren für den senegalesischen Trainer. „Jetzt wird niemand mehr Bruno Metsu sagen, er habe zu lange Haare zum Trainieren“ heißt es im Corriere della Sera, der Metsu zitiert: „Meine Jungs sind genial. Amüsant. Ein bisschen verrückt. Das Problem sind nur die Medizinmänner, die nun das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, Zidane verhext zu haben.“

Die französische Tageszeitung Le Monde (31. 5.) sollte in ihrer unheilverkündenden Vorahnung bestätigt werden. „Die Tatsache, dass den Eröffnungsspielen üblicherweise eine feierliche Eröffnung vorangeht, hängt eventuell damit zusammen, dass diese die traditionelle Tristesse der Eröffnungsspiele kaschieren sollen.“

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