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Zweckoptimismus in Schalke

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Zweckoptimismus in Schalke

Zweckoptimismus in Schalke – Johan Micoud und Fabian Ernst, zwei Regisseure von Werder Bremen in Hochform – SpOn-Interview mit Volker Finke – FAZ-Interview mit Bernd Schneider – FR-Interview mit Gerhard Aigner, Uefa-Generaldirektor, über die Macht der großen Vereine

Schalke wird immer stärker (geredet)

Richard Leipold (FAZ 1.11.) begutachtet die Stimmung in Schalke: “Jupp Heynckes hat an seinem Beruf schon mehr Freude gehabt als derzeit in Schalke. Der Weltmann ist mit einer überschätzten Mannschaft im Mittelmaß versunken und vor drei Tagen aus dem Pokalwettbewerb ausgeschieden. Aber die Rückkehr in die Bundesliga hat auch ihr Gutes für Heynckes, etwa das Wiedersehen mit den Bayern, mit denen er in den späten achtziger Jahren zweimal die deutsche Meisterschaft gewann. Es ist gut, jetzt gegen die Bayern zu spielen. Aber werden die Schalker auch gut spielen gegen die Bayern? Oder wird sich das Grau zum Grauen steigern? Im Hochsommer hatten die Schalker sich vorgenommen, den Bayern im Herbst mindestens als Widersacher aus der Spitzengruppe zu begegnen, vielleicht sogar als Titelkonkurrent. Der Name Heynckes bürgte doch für Qualität. Mit ihm konnten sie nichts falsch machen, haben sie geglaubt, weil Heynckes alles richtig machen würde. Nun, da die dunkle Jahreszeit beginnt, wird es allmählich duster, mag die Arena in noch so hellem Lichterglanz erstrahlen. Die Begeisterung um den vermeintlichen Heilsbringer ist verflogen und Heynckes in der Schalker Wirklichkeit angekommen. Auf dem Boulevard ist Don Jupp, der stolze Spanier aus Mönchengladbach, zum Don Flop, zuletzt gar zum Don Mega-Flop geschrumpft. Der Fußballtrainer ahnt, daß es ungemütlich und kalt wird. Selbst wenn die Mannschaft gewonnen hat, wirkte ihr Auftreten gequält. Noch nicht ein einziges Mal hat sie ihr Publikum gut unterhalten. Als Tabellenzwölfter ist Schalke weit von den Ansprüchen entfernt, die von Manager Assauer vorgegeben und von Heynckes mitgetragen wurden. Jupp hat die Klasse, mit dieser Mannschaft Fünfter zu werden, hatte Assauer gesagt. Und Heynckes hatte sich dem erwartungsvollen Publikum als Siegertyp vorgestellt. Nun, da sich die Niederlagen häufen, werden die Fragen unangenehmer, bohrender. Hat er sich verschätzt, hat Assauer ihm mehr versprochen, als die Mannschaft halten kann? (…) Der Spaßfaktor dürfte für Heynckes derzeit ähnlich hoch liegen wie einst in Frankfurt, wo er gescheitert ist. Doch Heynckes ist kein Spaßmacher, sondern Analyst. Und Analysten haben – für den Augenblick – immer recht, mögen die Kurse später auch einen anderen Verlauf nehmen als vorhergesagt. Inzwischen sieht er sich in einer Lage, in der nur noch das Ergebnis zählt. Also muß er den Kursverfall aufhalten, wenigstens bremsen. Insofern fühlt Heynckes sich durch das Debakel in Freiburg ermutigt. Mir wäre sehr unwohl, wenn die Mannschaft so hoch verloren, dabei noch schlecht gespielt hätte und in schlechter physischer Verfassung wäre. Die Lehre aus dem Pokalspiel? Schalke wird immer stärker (geredet). Da kommen die Bayern gerade recht.“

Der Arbeiter dient dem Künstler

„Die Bremer Fabian Ernst und Johan Micoud sind das Beste, was die Bundesliga derzeit in der zentralen Spielfeldzone zu bieten hat“, schreibt Frank Hellmann (FR 1.11.): „Ernst: Geboren in Hannover, Realschüler, Berufswunsch Astronaut, als Fußballer anpassungsfähig, beliebt, integrierbar. Teamspieler halt. Micoud ist anders. Er kommt mit grellrotem Fellmantel zur Weihnachtsfeier, hat einmal Journalisten geohrfeigt, die Taktik kritisiert und soll sich Anfang Oktober geweigert haben, an einer Laufeinheit teilzunehmen. Trainer Thomas Schaaf verdonnerte ihn angeblich vor versammelter Mannschaft zu einer Geldstrafe. Dazu gesellen sich stets Unsportlichkeiten wie im Heimspiel gegen den VfB Stuttgart bei einem Kopfstoß gegen Timo Hildebrand. Er muss lernen sich zu beherrschen, fordert Allofs. Micoud: Aufgewachsen in Cannes, Abiturient, Berufswunsch Gitarrist, als Fußballer eigenwillig, launisch, unberechenbar, Individualist halt. Auf dem Platz passt es perfekt, als Typ sind beide grundverschieden, sagt Sportdirektor Klaus Allofs über Bremens Beste, die auf dem Rasen als kongeniale Ergänzung Fußballgenuss pur bieten. Fast verwunderlich, dass Frankreichs Nationaltrainer Jacques Santini die Tür für Micoud zugeschlagen hat, Rudi Völler die für Ernst bisher nur einen Spalt öffnete. Fakt ist: Nie waren beide so wichtig für Werder. Micoud und Ernst: Eine Bremer Einheit, die vor dem heutigen Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt ihresgleichen in der Liga sucht; im Fachmagazin kickerwerden sie mit sagenhaften Notendurchschnitten als zweit- und drittbester Spieler der gesamten Liga geführt. Der Arbeiter dient dem Künstler – unter Otto Rehhagel bildete sich daraus eine hanseatische Tradition. So wie einst Benno Möhlmann für Uwe Bracht (Anfang der 80er) schuftete, Mirko Votava erst für Norbert Meier (Ende der 80er) rackerte, dann für Andreas Herzog (Anfang der 90er) arbeitete oder Dieter Eilts für Mario Basler (Mitte der 90er) lief. Doch in der Moderne ist die Geschichte vom fleißigen Lieschen in der Defensive und dem filigranen Liebling in der Offensive nicht mehr haltbar. Auch der umgekehrte Part ist 2003 dem anderen genehm: Micoud grätscht, erobert Bälle, Ernst spielt perfekte Pässe, legt mit der Hacke ab.“

Enge Zusammenarbeit ist der Schlüssel, um zu überleben

Wie immer sehr lesenswert! SpOn-Interview mit Volker Finke

SpOn: Manche sagen, dass Sie beim SC Freiburg alles steuern – nicht nur das Verhältnis zu den Spielern. Stimmt das?

VF: Das ist doch Quatsch. Hier werden die Entscheidungen von einigen wenigen Guten gefällt, die sich absolut mit dem Verein identifizieren. Co-Trainer Achim Sarstedt zum Beispiel ist qualitativ sensationell. Da kann ich nicht schlampig meine Trainingseinheiten machen. Da fragt er mich dann schon: Tickst du nicht sauber? So ist es auch umgekehrt. Wir beobachten uns alle untereinander, achten auf Qualität. Für Vereine mit geringem Budget ist diese enge Zusammenarbeit der Schlüssel, um zu überleben.

SpOn: Trotzdem hat Freiburg kaum erfolgreiche Nachahmer gefunden.

VF: An den großen Bundesliga-Standorten kannst du die Vereine ja gar nicht gegen die Wand fahren. Da kannst du sportlich drei Jahre nur Fehler machen, Geld vernichten, falsche Spieler verpflichten, zu hohe Gehälter zahlen, Schulden machen. An solchen Orten gibt es am Ende immer ein Netzwerk aus Politik und Wirtschaft. Letztlich werden die Clubs sogar mit öffentlichen Gelder gerettet. Nicht zufällig hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung Eintrach Frankfurt als VEB Frankfurt tituliert. Irgendwann wird auch in Leipzig dank des neuen Stadions eine Erstliga-Mannschaft stehen. Die Investoren werden schon kommen.

SpOn: Wie man mit wenig Geld größten Erfolg haben kann, stellt derzeit der VfB Stuttgart unter Beweis. Taugt der VfB als Vorbildmodell?

VF: Leider überhaupt nicht. In Stuttgart ist das Konzept der Jungen Wilden aus einer augenblicklichen finanziellen Notsituation entstanden. Im Unterschied zu uns aber kann der VfB den sportlichen Erfolg mit seinem Wirtschaftsraum und Stadion ökonomisch unterfüttern. Das Stadion wird noch einmal für 55 Millionen Euro umgebaut, mit VIP-Logen wird alles WM-tauglich gemacht. Dem VfB steht die Pforte offen, sich auf europäischer Ebene zu etablieren. Der VfB kann schnell wieder ein Einkaufsverein werden, während wir ein Ausbildungsverein bleiben müssen.

SpOn: Falls Sie Freiburg wirklich einmal verlassen sollten, was würde Sie mehr reizen: Noch einmal eine solche Aufbauarbeit oder eine ganz andere Herausforderung?

VF: Eine ganz andere Aufgabe, ein neuer Lebensabschnitt. Einen Verein übernehmen, der von seiner Struktur gar nicht in die Erste Bundesliga gehört, so etwas fängst du nicht noch mal von vorne an. Es kann beispielsweise sehr reizvoll sein, die Auswahlmannschaft eines kleineren Landes zu trainieren. Ich bin bereits jetzt immer gerne in Kontakt mit den Verbänden unserer Spieler. Reisen macht nicht dümmer, das macht Spaß.

FAZ-Interview mit Bernd Schneider, Bayer Leverkusen

FAZ: Macht Ihnen das Fußballspielen wieder Spaß?

BS: Wieso? Mir macht es immer Spaß.

FAZ: Immerhin standen Sie in der vorigen Saison bis zum Schluß im Abstiegskampf.

BS: Letztes Jahr hat es auch Spaß gemacht. Im Ernst. Schließlich ist es ein Spiel, in das nur mehr reininterpretiert wird. Natürlich gab es Phasen, in denen wir nicht so erfolgreich waren. Dann erhöht sich der Druck, das ist normal. Der Kritik muß man standhalten. Das ist nicht einfach, aber der Spaß war trotzdem da.

FAZ: Ein Spielertyp wie Sie ist aber offensichtlich auch darauf angewiesen, daß die Umstände stimmen.

BS: Fragen Sie mal Andreas Möller in Frankfurt. Wenn es gegen den Abstieg geht, spielen plötzlich auch andere Dinge eine Rolle. Oben in der Tabelle ist Fußball einfacher. Jetzt müssen wir genau so kämpfen. Aber im Abstiegskampf werden die Beine wie Blei, man denkt, man kommt nicht von der Stelle.

FAZ: Das scheint Bayer überwunden zu haben. Weshalb gewinnen Sie auch plötzlich wieder Spiele, die Sie vor einem Jahr noch allesamt verloren hätten?

BS: Das Glück, das wir jetzt auch schon gehabt haben, muß man sich wirklich erarbeiten. Auch vorige Saison haben wir gute Spiele gemacht. Aber jetzt ist es kontinuierlich gut. Es gibt Phasen, wo es besser ginge, aber der größte Teil ist gut.

FAZ: Was also hat sich geändert?

BS: Der Trainer hat natürlich seinen Anteil. Er hat wieder eine Ordnung geschaffen, das sieht man in jedem Spiel. Jetzt werden Positionen gehalten, wo im letzten Jahr zu oft Löcher entstanden sind. Da haben wir den Gegnern zu viel Raum gegeben. Jetzt stehen wir gut in der Defensive und erspielen uns vorn viele Chancen.

FR-Interview mit Gerhard Aigner, Uefa-Generaldirektor, über die Macht der großen Vereine

FR: Die Kürzung des Champions-League-Spielplans soll die Belastung der Spieler reduzieren. Wie passt das zum Qualifikationsmodus für die EM 2008 in Siebenergruppen und einer Achtergruppe? Auf Deutschland und andere warten zwölf Pflichtspiele in 15 Monaten.

GA: Es war, glaube ich, Wolfgang Hölzhäuser, der gesagt hat: Da würden Spiele hier weggenommen und dort wieder hinzugefügt. Aber das trifft nicht zu. Die Anzahl der Länderspiel-Termine bleibt ja gleich.

FR: Beim DFB würde man natürlich lieber gegen Italien oder Spanien spielen.

GA: Das weiß ich. Aber wir haben noch andere Verbände. Der DFB kann seine Freundschaftsspiele so gestalten, dass sie wirtschaftlich lohnend sind. Das trifft auf die meisten kleineren Verbände nicht zu.

FR: Hierzulande erfahren die Fans bei Freundschaftsspielen der DFB-Elf neuerdings: Die Bayern wollen den Ballack nicht hergeben, der soll sich lieber auskurieren.

GA: Die Vereine haben da schon immer einen gewissen Argwohn. Weil es natürlich vorkommt, dass einer verletzt wird. Entscheidend ist, dass der Spieler das Recht hat, in der Nationalmannschaft zu spielen.

FR: Aber man muss die Vereine verstehen: Da reist Michael Ballack angeschlagen zur WM, beißt sich durch, spielt ein Klasse-Turnier, erhöht seinen Marktwert und dann ist er so platt, dass die Bayern in der Vorrunde der Champions League ausscheiden. Verstehen Sie nicht, wenn es heißt: Die müssen vom Gewinn eines solchen Turniers zehn Prozent an die Clubs ausschütten?

GA: Das behebt doch das Problem mit Ballack nicht. Dann sprechen wir darüber, dass man denen, die das Geschick auf dem Spielfeld mit ihrem Geld regeln, noch mehr gibt, damit sie das noch besser können. Eine Entschädigung ändert nichts daran, dass Ballack verletzt wird.

FR: Beim neuen EM-Qualifikationsmodus geraten die Clubs aber unter Druck. Bei einem Testspiel konnten die bislang sagen: Unser Spieler kommt nicht, der ist angeschlagen. Gegen Serbien-Montenegro hat bei den Deutschen auch mancher gefehlt, der in einem Qualifikationsspiel rangemusst hätte.

GA: In Testspielen hat sich etwas eingestellt, das es früher nicht gab. Da konnte sich keiner erlauben, nicht die Besten zu schicken. Heute ist der Druck der Vereine so groß, dass man sich mit deren Trainern verständigt.

FR: Dem haben Sie jetzt geschickt einen Riegel vorgeschoben.

GA: So schlimm ist es ja nicht. In Siebener-Gruppen muss einer pausieren. Wissen Sie, ich war jüngst beim Freundschaftsspiel Schweiz gegen Italien – für die Schweizer ein wichtiger Test. Die Italiener kamen mit der Reserve. Warum? Weil die Vereine Druck gemacht hatten. Wir dürfen das den Fans nicht allzu oft zumuten. Heute sind fast alle Nationalspieler in wenigen Vereinen. Aber die haben ja gewusst, wen sie holen. Dann hat Bayern München da halt ein Problem, das der Hamburger SV so nicht hat.

FR: Uli Hoeneß hat gesagt, dann gebe es eben keine Nationalmannschaft mehr.

GA: Das war eine seiner weniger überlegten Aussagen. Er hat ja mit sehr viel Begeisterung in der Nationalmannschaft gespielt.

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