Ballschrank
Sonstiges
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| Mittwoch, 31. März 2004Lob für ein gesellschaftstheoretisches Fußballbuch (FTD) – „einfach mal eine Klasse tiefer spielen, AS Rom“ (FTD) u.a.
Mit Vergnügen und Interesse liest Daniel Theweleit (FTD 31.3.) ein Fußballbuch, das sein Vater geschrieben hat: „Ein besonders strahlender Planet im Universum Fußball heißt „Väter und Söhne“. Es ist ein Ort voll seltsamer Gefühle, einer, an dem ein ungewöhnlich günstiges Klima herrscht für Nähe zwischen Vätern und Söhnen. Vielleicht ist so ein Ort heute, wo Gefühle auch unter Männern eher zugelassen werden, nicht mehr so wichtig. Wahrscheinlich aber doch. Denn er nährt die Kommunikation über Emotionen, und die ist nach wie vor nicht einfach. Zwar handelt es sich um Fußballgefühle, und die sind meist gespeist von der Zuneigung zu einem bestimmten Klub – aber sie sind real und tief und können Türen öffnen in andere Gefilde. Trotzdem merkwürdig, wenn der eigene Vater die Bühne des öffentlichen Fußball-Diskurses betritt. Denn das ist ja eher mein berufliches Revier. Leser, denen die bisherigen Bücher Klaus Theweleits bekannt sind, mögen überrascht sein, dass plötzlich ein Fußballtext von ihm erscheint. Über ein anderes Thema allerdings hätte er derzeit wohl kein so gelungenes Buch hinbekommen. „Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell“ knüpft nämlich genau an an einen großen Strang in seinem Werk: Die Verbindung von Denken und Körperlichkeit, ein Grundelement aller poptheoretischen Überlegungen, dient auch hier als Ausgangspunkt. Film und Musik schlittern gegenwärtig ohne klar erkennbaren Geist durch die Geschichte, Politik hat sich dem Zugriff des Individuums entzogen. Was übrig bleibt, um den Geist und die Lebensgefühle dieser Zeit wiederzugeben, ist der Fußball. Zugegeben: Die These ist gewagt – aber in dem Buch sehr plausibel dargestellt und daher ungemein faszinierend. Dem ostpreußischen Flüchtlingskind Klaus Theweleit dient Fußball als erstes Weltsystem, das eine verlässliche Orientierung in der undurchsichtigen Umgebung nach dem Zweiten Weltkrieg bietet. Die Städtenamen der Klubs wachsen zu einem ersten geografischen Bild Deutschlands zusammen, das Errechnen von Tabellen schafft die Grundlage für ein theoretisch-abstraktes Denken, das Spiel mit dem Ball schafft ein Bewusstsein von Körperlichkeit und mündet in zwischenmenschlichen Erfahrungen, die erste soziale Mechanismen lernen lassen. Dieser autobiografische Teil ist so etwas wie das Fundament für jene Ausführungen, die den Fußball hier mit einer theoretischen Dimension versehen. „Wer mitbekommt, was sich im Fußball wann und wie verschiebt, ist über andere Gesellschaftsbereiche osmotisch informiert“, heißt es an einer Stelle. Fußball bietet also die Möglichkeit – in einem überschaubaren Rahmen – Mechanismen, Entwicklungen und Stimmungen zu erkennen, die in der für den Einzelnen kaum noch erfassbaren Komplexität der Welt nicht mehr zu durchschauen sind. In der Fußball-Miniaturwelt aber sehr wohl. Dass diese Erkenntnisse tatsächlich übertragbar sind, wird in dem Text eindrucksvoll vorgeführt und geht weit über politische und wirtschaftliche Dimensionen hinaus.“
Besprochenes Buch:
Klaus Theweleit: Tor zur Welt. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2004, 208 S., 8,90 Euro.
Langsam wird’s ernst für verschuldete italienische Klubs – Thomas Fromm (FTD 31.3.) teilt mit: „Das jüngste italienische Fußballdrama spielte sich nicht im Stadion und auf keinem Rasen ab. Und um wirklichen Fußball ging es schon gar nicht. Aber am Ende war es spannender als viele Spiele: Seit Tagen schon schreiben Italiens Sportgazetten den italienischen Fußball tot – dunkle und schwere Wolken hingen über den Arenen des Landes, selbst Regierungschef Silvio Berlusconi verfiel in große Schwermut. All seine Versuche, Italiens Profifußball mit eleganten Buchhaltungs-Tricks und spitzfindigen Abschreibungs-Pirouetten zu retten, waren am politischen Widerstand seiner Regierungspartner und der EU-Kommission gescheitert. Drohende Pleiten, Schulden beim Finanzamt, keine Spiellizenzen mehr – finito. Das ging so, bis sich Italiens Fußballexperten und Vereinsmanager am Montag zusammensetzten und zum Befreiungsschlag ausholten. „Wir nehmen zur Kenntnis, dass es an politischem Willen fehlt, den verschuldeten Klubs zu helfen“, knurrte Verbandschef Franco Carraro. Dann präsentierte man mögliche Selbsthilfemaßnahmen. Zugegeben, für die Ideen der Funktionäre braucht es Phantasie. Aber: Man redet wieder über Lösungen, und nicht mehr nur über Pleiten. Das Rezept der Funktionäre ist verglichen mit dem, was Berlusconi in den letzten Wochen zur Lösung angeboten hatte, einfach und bodenständig. Und so sieht das aus: A-Liga-Klubs, die wegen ihrer hohen Schulden keine Spiellizenz bekommen, sollen einfach Konkurs anmelden und in der B-Liga weiterspielen dürfen. Für die Vereine wäre das ein Segen: Als vor anderthalb Jahren der AC Florenz bankrott ging, wurde der noch in die vierte Liga verbannt.“
if-Leser Gregor Anselmann hält nicht viel von der wahren Tabelle, ein Format von blutgraetsche.de, das die Tabelle von Schiedsrichterfehlern bereinigt: „Fehlentscheidungen der Schiedsrichter bestimmen regelmäßig über Wohl und Wehe eines Vereins, ohne dass daraus Konsequenzen gezogen würden. Abgesehen vom gerade vergangene Spieltag sind in dieser Saison jedes Wochenende die Wogen hoch geschlagen angesichts spielentscheidender Fehler der Schiris. Nichtsdestotrotz ist die geballte Empörung jedes Mal wieder folgenlos verpufft. Die Statistik von blutgraetsche.de über Schiedsrichterfehlenscheidungen legt den Schluss nahe, dass die Schiedsrichter die Ergebnisse so stark beeinflussen wie es ansonsten nur die Topstürmer Ailton und Makaay vermögen: in mehr als jeder zweiten Partie gibt eine Fehlentscheidung des Unparteiische dem Spiel eine entscheidende Wendung. In den bislang bestrittenen 225 Partien kam es 125 mal zu spielentscheidenden Fehlern! Vor ein paar Jahren schon untersuchte eine Sportuni die empirische Erfolgswahrscheinlichkeit einer Abseitsentscheidung. Das Ergebnis nach der Auswertung von einigen tausend Abseitsentscheidungen: die Schiedsrichter hätten genauso gut würfeln können, die Wahrscheinlichkeit einer korrekten Entscheidung lag bei 50%. Selbst wenn man davon absieht, dass ein Schiedsrichterfehler nicht nur ein Spiel entscheiden kann, sondern darüber hinaus bisweilen auch die Weichen für die zukünftigen Spiele stellt und eine Mannschaft dauerhaft auf die Sieger- oder Verliererstrasse einbiegen lässt, selbst wenn man also nur die unmittelbaren Auswirkungen der Fehlentscheidungen betrachtet, sind die Auswirkungen gewaltig. Der „wahren Tabelle“, also der um die verzerrten Ergebnisse bereinigten Tabelle zufolge hätte die Eintracht 31 Punkte auf ihrem Konto statt nur 26, sie wäre also gerade mal 2 Punkte von UI-Cup-Rängen entfernt. Freiburg hingegen stünde mit 23 statt 30 Punkten auf einem Abstiegsplatz. Bochum würde sich für die CL qualifizieren und wäre den Bayern mit nur einem Punkt Rückstand dicht auf den Fersen. Und die Bremer wären den Bayern nicht um satte elf Punkte enteilt, sondern lägen mit gerade einmal 6 Punkten noch in Reichweite. Abstieg oder UI-Cup, UI-Cup oder CL, Meister oder nicht, darüber entscheiden die Fehler der Schiedsrichter. Und das muss auch so bleiben, schließlich würden elektronische Entscheidungshilfen bekanntlich das Wesen des Spiels verfälschen.“