Ballschrank
Vermischtes
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| Donnerstag, 1. April 2004die SZ diskutiert den Manipulationsvorwurf an die Helden von Bern: „der Mythos und die Spritze“; „der stille Wunsch, die Grenzen des Machbaren künstlich zu verschieben“; „das Wunder scheint angekommen, wo aller Leistungssport irgendwann landet“ – „Leichtigkeit“ bei der U21 – Dortmund und Amoroso, „der typische Einzelsportler“ (FR), trennen sich u.v.m.
Der stille Wunsch, die Grenzen des Machbaren künstlich zu verschieben
Thomas Kistner (SZ 1.4.) prüft den Dopingvorwurf: „Die Indizien sind rar: Spritzenfunde, die Jahrzehnte lang nur ein dementiertes Gerücht waren, Zeitzeugen, die sich all die Jahre zum Schweigen vergattert sahen, und nun die späte Aussage des Mannschaftsarztes Franz Loogen, man sei damals „auf den Dreh gekommen, den Spielern Vitamin C zu geben“. Nachprüfen lässt sich nicht mehr, was gespritzt worden ist, auch gab es damals noch kein Dopingverbot im Sport. Erste Regeln wurden 1967 eingeführt, nach dem Tod des Briten Tom Simpson bei der Tour de France. Insofern hat es wenig Sinn, sich der Frage sportjuristisch anzunähern. Aufgerollt gehört sie dennoch. Einmal, weil Loogen selbst den Verdacht äußert, dass aus dem häufigen Gebrauch derselben Kanüle jene rätselhafte Gelbsucht-Epidemie herrühren könnte, die Monate nach dem Triumph acht Spieler zur Kur zwang; überdies starben Jahre später zwei Akteure an Leberzirrhose. Zum anderen bemisst sich die Dopingfrage nicht nur an verabreichten Wirkstoffen, sondern an der Mentaliät, in der diese Einnahme erfolgt. So betrachtet, wohnte dem legendären Kameradschaftsgeist von Spiez der stille Wunsch inne, die Grenzen des Machbaren künstlich zu verschieben – „eine Spur mehr“, sagt Loogen, hätten die Spieler gewollt. Zudem entspricht es nicht der ärztlichen Ethik im Sport, gesunde Aktive mit Injektionen zu behandeln – in der Absicht, die Leistung zu verbessern. Es war immer so, dass genommen wurde, was Vorteile versprach – just Torschütze Rahn soll damals die Kameraden mit der Erzählung infiziert haben, dass die Brasilianer zu Medikamenten griffen. Ob man es Doping nennt, ist weniger wichtig – im Raum stehen bleibt ja das schlechte Gewissen, mit dem die Vorgänge damals vertuscht wurden. Und unrühmlich bis heute ist der Umgang des DFB mit der Problematik.“
Das Wunder scheint angekommen, wo aller Leistungssport irgendwann landet
Holger Gertz (SZ 1.4.) erkennt eine Entmythologisierung: „Jetzt sollen sie gedopt gewesen sein, die Helden von Bern, sozusagen falsche Vierundfünfziger. Journalisten des Magazins Report haben Walter Brönimann ausgegraben, den ehemaligen Platzwart des Berner Wankdorfstadions. Der sagt: „Ich habe nach dem Finale beim Putzen leere Ampullen unter Wasserablauf-Gittern gefunden.“ All die Jahre sei er zum Stillschweigen vergattert gewesen, aber jetzt, wo der fünfzigste Jahrestag des großen Spiels heraufdämmert und Reporter wühlen, rutscht dem einen oder anderen was raus. Der frühere Arzt des DFB, Franz Loogen, gibt zu, dass gespritzt wurde. „Da sind wir auf den Dreh gekommen, ein Vitamin C den Spielern zu geben. Und das haben sie auch bekommen. Vitamin C, sonst nichts.“ Ob noch etwas anderes in den Ampullen war, wird sich kaum klären lassen, aber schon die verabreichten Mittelchen sind ja im Spiel gewesen, um die Wettkampf-Härte gesunder Wunderspieler zu erhalten. Also, man spricht über Ampullen, über verunreinigte Spritzen, die die geheimnisvolle Gelbsucht-Dichte der Fußballer nach dem Finale erklären könnten. Das Wunder scheint angekommen, wo aller Leistungssport irgendwann landet – in der medizinischen Abteilung. Was wie ein Sieg des Willens über den Körper aussah, könnte in gewissem Sinn stimuliert gewesen sein. Die ganze Enthüllungs-Geschichte ist übrigens nicht neu, sie hätte schon vor 47 Jahren so erzählt werden können. Damals, 1957, hatte der ungarische Kapitän Ferenc Puskas dem französischen Fachblatt France Football ein Interview gegeben, in dem er über Spritzen und Gelbsucht sprach und die Frage stellte, ob denn bei den Deutschen alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Sofort schmolz Puskas in Deutschland zur persona non grata. Beim Endspiel hatte der Reporter Herbert Zimmermann noch voller Ehrfurcht diesen Puskas besungen, den „ungarischen Majorrr“. Nach dem Interview bekam er, einer der weltbesten Spieler, vom DFB Stadionverbot auferlegt, bis er sich schließlich halbwegs entschuldigte. Die Zeiten waren nicht reif für eine Entmythologisierung. Vielleicht sind sie es jetzt, zum Jubiläum.“
Das SZ-Feuilleton (1.4.) schreibt deutsche Geschichte um: „angenommen – nur mal eben angenommen! – es sei doch wahr. Wenn also die Erfinder des Tor-Tor-Tooor!- 3:2-für-Deutschland-Wunders das Gründungsdokument unserer Nachkriegsgeschichte durch Doping statt durch Vitamin-C-Spritzen besudelt und somit auch nachträglich unbrauchbar gemacht hätten . . . dann? Dann kommt uns die conditio sine qua non der BRD abhanden. Eben weil wir unsere Geschichte zum Kitsch geschrumpft haben. Denn darauf hatten wir uns schon vor der filmischen Interpretation der Nationen-Nostalgie geeinigt: „Jedes Land braucht eine Legende“. Und zwar eine, die alles andere als eine Legende sein sollte: nämlich wahr. Mindestens: gefühlte Wahrheit. Und was machen wir jetzt? Ungarn wäre Weltmeister, wir haben wieder 1954, der Tugendkatalog von Sepp Herberger ist vergriffen und der Ball ist eine Scheibe. Außerdem fällt das Wirtschaftswunder aus, denn es bestand aus einem „unerschütterlichen Glauben an sich selbst, an die ewige Wahrheit, die man auch als Land in sich fühlt“. Denkt man sich die ewige Wahrheit weg, so wird auch eine Geschichte danach dermaßen erschüttert, dass es Logik und Zeit gleich mit in den Abgrund zieht. Und auch die D-Mark, den antifaschistischen Schutzwall, das Mädchen Rosemarie sowie den Verlust der Mitte. Zusammen mit der Talare Muff, des Zopfes Alter und des Strandes Pflaster. Alles weg. Großartig. Und wenn man sich jetzt den ganzen grandiosen Erfolgstaumel unter dem Kennzeichen „D“ als zwangsneurotische Folge eines als wahr gefühlten 3:2-Heldentums hinwegdenkt, nur so zum Spaß natürlich, dann verschwindet endlich auch die Depression über den aktuellen Bankrott dieses Legendenlandes. Dann müssen wir endlich nicht mehr zurückblicken und uns fragen, wie und warum wir vom Kurs auf den ewigen Kraftstaat abgekommen sind. Dann könnte man ja mal wieder nach vorne schauen und die Wunder Wunder sein lassen.“
Michael Ashelm (FAZ 1.4.) berichtet Begeisterung über die deutsche U21, 2:2 gegen Georgien: „Wann hat es so etwas zuletzt gegeben, daß sich ein Vertreter der Fußball-Hochkultur Frankreich besonders positiv über deutsche Talente äußert? Alain Giresse, ein Mitstreiter aus der Platini-Ära, heute 51 Jahre alt und neuer Nationaltrainer Georgiens, fand die Darbietungen der deutschen Nachwuchs-Kicker jedenfalls erwähnenswert. „Dieses Land muß sich eigentlich keine Sorgen machen. Es hat mich überrascht, wie viele gut ausgebildete Spieler ich heute gesehen habe“, sagte Giresse in Mannheim nach dem Vergleich seiner Elf mit der „U21″-Auswahl des DFBs. Sicherlich wollte sich der Franzose nicht als unfreundlicher Gast geben und lobte auch deshalb mit freundlicher Miene. Doch auch einige andere an diesem Abend waren sich einig, daß das 2:2 aus deutscher Sicht eher positiv interpretiert werden könne. In Zeiten neuer Fußball-Depression im Lande ein seltener Moment, hoffnungsvolle Worte zu hören. „Die Leistung jedes einzelnen Spielers war herausragend“, lobte der zuständige Trainer Ulli Stielike, obwohl er eigentlich mehr ein Freund des kritischen Urteils ist. Nicht diesmal. „Es macht richtigen Spaß, dieser Mannschaft vorstehen zu dürfen.“ Auch wenn man diese natürlich im eigenen Interesse gefällte Höchstbewertung etwas defensiver einordnet, bleibt noch genug übrig, um Hoffnung aus den Leistungen dieser Mannschaft zu ziehen.“
Leichtigkeit
Daniel Theweleit (SZ 1.4.) ergänzt: „„Das war außerordentlich, jeder Spieler hat hier eine großartige Leistung gezeigt, ich bin hoch zufrieden. Heute hat es richtig Spaß gemacht, dieser Mannschaft an der Linie vorstehen zu dürfen“, sagte Stielike nach einem wirklich tollen Fußballspiel der U 21 gegen die A-Nationalmannschaft Georgiens. Nach einem Spiel, das zeigte, wie schön dieser Sport sein kann, wenn er von jener Schwere befreit wird, die so oft zentnerschwer auf Spielern und Trainern lastet. Man spürte die Leichtigkeit, die auch Völler versucht aus der U 21 in seine Mannschaft zu importieren. Es wurde mutig gedribbelt, riskant gepasst, gelupft, beherzt geschossen, technisch fein kombiniert. Die gängige Meinung, dass Fußballer in Deutschland schlecht ausgebildet werden, musste den Zuschauern im Carl-Benz-Stadion merkwürdig erscheinen. Der für gewöhnlich murrende Stielike jammerte diesmal nicht einmal über Völlers Plünderung seines Kaders. Er scheint mittlerweile alle Akteure ersetzen zu können. Neben Philipp Lahm, Kevin Kuranyi und Andreas Hinkel, die zum Stamm der A-Nationalmannschaft gehören, sagten Benjamin Lauth und Kapitän Hanno Balitsch kurzfristig ab, und selbst vier Auswechslungen zur Halbzeit verursachten keinen Bruch.“
Tsp-Bericht Deutschland-Belgien (3:0)
morgen mehr zu diesem Spiel
NZZ-Bericht Griechenland-Schweiz (1:0)
Amoroso war der typische Einzelsportler
Thomas Kilchenstein (FR 1.4.) bejaht die Kündigung Amorosos: „Es gab manche in Dortmund, die wussten beim Einlaufen, ob Marcio Amoroso heute ein Tor schießen würde oder Luftlöcher. Man sah das irgendwie an seiner Körpersprache, an der Art, wie er sich bewegte. Man wusste es aber immer erst, wenn der Ball schon im Spiel war. Das war das Problem für Matthias Sammer, für Borussia Dortmund: Wenn der Meister keine Lust hatte, war er fürs Team verloren, denn er war keiner, der ackerte und rackerte. Im Gegenteil: Bisweilen stand er so unbeteiligt auf dem Feld herum, dass die Kollegen an sich halten mussten, nicht auszurasten. Einmal ist es Jens Lehmann nicht gelungen, die Contenance zu bewahren. Amoroso war der typische Einzelsportler, brillant, wenn er in Laune war, eine Zumutung fürs Kollektiv, wenn es nicht lief. (…) Nun ist das Tischtuch endgültig zerschnitten. Überraschend kommt die Trennung nicht angesichts der Dreistigkeit, mit der Amoroso sich weigerte, aus Brasilien zurückzukehren. Und natürlich angesichts der höchst angespannten Finanzlage beim börsennotierten Verein. Zum Ende der Saison wird der Club eine Unterdeckung von etwa 58 Millionen Euro ausweisen, die Gesamtverbindlichkeiten belaufen sich auf rund 113 Millionen Euro. Angesichts derlei Zahlen liegt es auf der Hand, sich von teuren und unliebsamen Spielern wie Amoroso zu trennen.“
Ich kenne keinen Fußballjournalisten, der nicht Fan ist
Christoph Biermann (taz 1.4.) schildert den inneren Konflikt eines Fußball-Journalisten: „Hugo Borst gingen neulich die Nerven durch, als Sparta Rotterdam im Halbfinale des holländischen Pokals gegen den FC Utrecht spielte. Sparta ist einer der ältesten und traditionsreichsten Klubs des Landes, stieg aber am Ende der vorletzten Saison bedauerlicherweise nach 80 Jahren aus der ersten Liga ab, weshalb der Aussicht auf ein Pokalendspiel noch größere Bedeutung zukam. Auch für Hugo Borst, einen der bekanntesten und eigenwilligsten Fußballjournalisten Hollands. Im Algemeen Dagbald schreibt der Mann, der seinem Auftreten nach auch in einer Indie-Band mitspielen könnte, eine zumeist witzige Kolumne, in der Fernsehsendung Studio Voetbal spielt er den Part des scharfzüngigen Provokateurs. Und dann ist er eben noch Fan von Sparta Rotterdam, was die Fortsetzung einer langen Familientradition ist: Sein Vater besucht die Spiele im Stadion „Het Kastell“ seit 1938. Im Pokalspiel gegen Utrecht brachte ihn der Schiedsrichter auf, weil er in der ersten Halbzeit zwar einen Elfmeter für Sparta pfiff, dem gegnerischen Torwart aber keine rote Karte zeigte, obwohl der ein sicheres Tor verhindert hatte. Der Keeper blieb, hielt prompt den Elfer, und Borst stürmte in der Pause zu den Kabinen. Man muss an dieser Stelle sagen, dass er an jenem Abend nicht als Berichterstatter im Stadion war, sondern als Fan. Weil ihn aber bei Sparta jeder kennt, gelangte er auch ohne Pressekarte ungehindert zum Referee und beschimpfte ihn als „oplichter“ – als „Schieber“. „Ich wollte ihm helfen, ein besserer Schiedsrichter zu werden“, sagt Borst, „und in der zweiten Halbzeit hat er dann auch fast jeden Freistoß für Sparta gepfiffen“. So direkt möchte man als Fan gerne häufiger helfen, trotzdem reichte es für Sparta nicht, 3:3 stand es nach Verlängerung, im Elfmeterschießen gewann der Erstligist aus Utrecht und zog ins Finale ein. Tags darauf schrieb Hugo Borst seine Zeitungskolumne in eigener Sache, und in der Fernsehsendung kündigte er einige Tage später an, dass ihm so eine Entgleisung nicht mehr passieren werde. Außerdem sprach der Journalist Borst gegen den Fan Borst ein freiwilliges Stadionverbot aus: Anstatt zum nächsten Spiel von Sparta zu gehen, würde er eine Literaturlesung besuchen. Das war eine gerechte Strafe, und sie wurde mit der nötigen Selbstironie ausgesprochen. Denn einerseits wird von Fußballjournalisten die gleiche Verpflichtung zur Objektivität verlangt wie von den Kollegen anderer Ressorts, zugleich sorgt doch erst der emotionale Treibstoff für die nötige Schaffenskraft. Oder, um es anders zu sagen: Ich kenne keinen Fußballjournalisten, der nicht Fan ist oder es zumindest einmal war. Denn warum sonst sollte man sich mit etwas beschäftigen, das aus sich heraus so unwichtig ist?“