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| Freitag, 2. April 2004„Mythos Bern im Medientest“ (FAZ) – „Dynamo Dresden peilt Zweitliga-Aufstieg an, droht aber an gewaltbereiten Fans zu scheitern“ (SZ) – Wirtschaftswoche prüft Logen in Deutschlands Stadien u.v.m.
Bei der Suche nach neuem Stoff wird alles mögliche zu Tage gefördert
Michael Horeni (FAZ 2.4.) beklagt die Anklage einiger Journalisten gegen die Berner Helden: “Damals konnten Fußball-Wunder tatsächlich noch mit allen möglichen Substanzen und Stimulanzien im Körper möglich gemacht werden – es stand nicht unter Strafe. Aber nun ist der Verdacht in die Welt gesetzt, und ist es nicht ein weiteres Indiz für unlautere Methoden, daß es bald nach dem Titelgewinn zu zahlreichen Fällen von Gelbsucht bei den Weltmeistern kam? Bei dieser Art von Unterstellungen fällt es nicht schwer, von der Gnade der frühen Geburt zu sprechen. Damals noch wurden deutschen Sporthelden solche Fragen nicht gestellt – und Geschichten, die am Mythos kratzen, nicht in dieser Weise gemacht und vermarktet. Was die Väter aller deutschen Fußball-Helden in ihrem Jubiläumsjahr derzeit erleben, ist so etwas wie ein verspäteter Realitätsschock. Die Medien stürzen sich auf das deutsche Jahrhundertereignis Bern, und bei der Suche nach neuem Stoff wird alles mögliche zu Tage gefördert: Schönes, Wahres, Unangenehmes, Halbwahrheiten, Lügen. Vor einigen Tagen etwa wurde beschrieben, wie einige Ersatzspieler von damals sich heute weigern, ohne Bezahlung über ihre Erlebnisse von damals zu sprechen. Nun erleben die Männer der Nachkriegszeit, wie sie auf einmal selbst zu Mitgliedern der Sportunterhaltungsindustrie des 21. Jahrhunderts werden – mal aktiv, mal passiv. Ihrem Mythos wird das nicht mehr schaden. Aber diese Erfahrung kann all jenen nutzen, die in ihrem moralischen Urteil über die Nachfahren der Weltmeister aus der guten alten Zeit so siegessicher sind.“
Bernd Müllender (taz 1.4.) sieht das ähnlich und befürchtet Schlimmeres: „Sind wir unsportliche Pfuscher? Deutschland, einig Betrügerland? Es wird weitergehen mit den Enthüllungen der nationalen Miesmachergilde. Der Spiegel sitzt an einer großen Story über die gespritzten Antihelden von 1954; Stefan Aust hat dem Vernehmen nach das Ganze zur Chefsache erklärt. Die Geschichte wird im April erscheinen, zeitgleich mit dem nächsten Enthüllungsbuch – von ZDF-Historiker Guido Knopp. Und darin wird es, so viel ist jetzt schon durchgesickert, erst recht zur Sache gehen. Mit scheußlichen Details. Und neuen Beweisen, was Toni Turek zum Fußballgott gemacht hat. Wir sehen eine internationale Verschwörung am Werk: Ungarn wird sich bestätigt fühlen, dass seine Wundermannschaft nur mit Liebrichs brutalem Foul an Ferenc Puskas im Vorrundenspiel und eben mit Ampullen besiegt werden konnte. Ob Ungarn darauf verzichten wird, mit diesen Deutschen gemeinsame Sache in einer EU zu machen, wird sich zeigen. Auch ob Lothar Matthäus als Ungarns Bundestrainer noch tragbar sein wird. International wird der deutsche Fußball isoliert: Vor allem in England werden sie höhnen über die Spritzen-Krauts und Doping-Panzer. Ob die WM 2006 in Deutschland bleiben kann? Aus dem Hintergrund hatte Rahn geschossen, getroffen, und das wird immer so bleiben – selbst wenn er sich vorher einen Schuss gesetzt hat. Da können vaterlandslose Nestbeschmutzer wie Bertram, Knopp und Aust noch so viele Absurditäten ans Licht befördern. Die Spieler haben eben alles gegeben, Gesundheit und sogar das Leben.“
Roland Zorn (FAZ 2.4.) meldet, dass Wolfgang Holzhäuser Wilfried Straub als Vorsitzender der DFL ablösen wird: „Holzhäuser genießt den Ruf, genauso kundig in der Sache Bundesliga wie der jetzige DFL-Vorsitzende Straub zu sein. Während der aber im Zweifel dezent und auf der Grundlage seiner Lebenserfahrung ans Werk geht, hat sein designierter Nachfolger das Licht der Öffentlichkeit ein paar Mal zu oft gesucht. Zuletzt hat sich Wolfgang Holzhäuser merklich gebremst und nicht zu allem und jedem, was die Bundesliga bewegt, prompt Stellung bezogen. Das könnte ihm schwergefallen sein, hat ihm aber mehr Pluspunkte als so mancher eilige Reformvorschlag eingebracht.“
Gefühl des ostdeutschen Underdogs
„Dynamo Dresden peilt Zweitliga-Aufstieg an, droht aber an gewaltbereiten Fans zu scheitern“, schreibt Jens Schneider (SZ 2.4.): „Im VIP-Raum des Dresdner Rudolf-Harbig-Stadions ist es plötzlich ganz ruhig geworden. Keiner der Jugendlichen aus der Schulklasse, die an diesem Vormittag aus einem kleinen Ort bei Dresden gekommen ist, kichert noch. Einige der 14 und 15 Jahre alten Jungen schauen konzentriert weg, durchs Fenster hinaus auf den leeren Fußballplatz. Gerade hat die Klasse in einem Rollenspiel nacherlebt, wie beklemmend es sich anfühlen kann, in die Rolle eines Fans zu geraten, der aggressiv beschimpft wird. Oder wie es sein dürfte, als Polizist einer pöbelnden Meute gegenüber zu stehen. Jetzt hat Thorsten Rudolph, der Leiter des Fan-Projekts bei Dynamo Dresden, zum Abschluss eine schlichte Frage gestellt: „Warum gehst du zum Fußball?“ Die Schüler gaben zögerlich Stichworte: Dass man seinen Verein unterstützen, mit Freunden zusammen sein will, sich einfach für das Spiel begeistert. Einer aber mit braunen Locken, Zahnspange und gelbem Dynamo-Schal, hat einfach gesagt: „Zum Schlagen!“ Nicht als Provokation. Als Feststellung. Rudolph hat das erst mal notiert, nun zählt er den Jugendlichen auf, was das bedeutet: „zum Schlagen“. Mit jedem seiner Sätze werden sie stiller. Wenn es knallt, sagt er, ist es jedes Mal ein Genickschuss für Dynamo. Längst stehe der Verein auf der roten Liste – „passiert noch mal was, ist die Lizenz in Frage gestellt“. Der Student der Sozialpädagogik erklärt auch, dass die Probleme nirgendwo so gravierend sind wie hier. Er appelliert: „Denkt daran, dass ihr Euch nicht was für“s Leben verbaut!“ Gerade habe ein Steinewerfer, der einen Zuschauer aus Chemnitz verletzte, 15 Monate Haft bekommen. „Ich kann keinem Gästefan empfehlen“, sagt er, „nach Dresden zu kommen“. Als die Jugendlichen gegangen sind, rätselt der 24-Jährige Student, ob er junge Menschen wie diese mit seinem Anti-Gewalt-Training erreicht. Eine Verbesserung, sagt er, könne es nur langfristig geben. Dem Verein aber steht die Problematik jetzt schon bis zum Hals. Ja, bestätigt Achim Exner, der Sicherheitsbeauftragte von Dynamo Dresden, was diese „beschissene Lage“ angehe, sei man wohl einzigartig. (…) Das Gefühl des ostdeutschen Underdogs, der stolz ist, dass man sich anderswo vor ihm fürchtet, wird in Teilen der Fan-Szene gepflegt. Es sind nach Polizei-Schätzung etwa 150 Gewaltbereite, die Konfrontation suchen. Und es sind immer mehr 13- oder 14-Jährige darunter. „Es fehlen“, so Pätzold, „die Älteren, die auch eine soziale Kontrolle ausüben“. Im Stadion selbst gebe es kaum Probleme. Dort kriege der Verein die Situation in den Griff. Gegen Dynamo-Anhänger sind in Absprache mit dem DFB mehr als hundert Stadionverbote ausgesprochen worden, weitere 60 verhängte der Verein selbst. Zur Eskalation kommt es meist draußen vor dem Stadion. Die Sicherheitsexperten erklären das auch mit dem veralteten Stadion und seinem unkontrollierbaren Umfeld. Es liegt im Zentrum, umgeben von Parks – mit dem Gästeblock zwischen zwei Eingängen für die Heim-Fans. Es gebe kaum die Möglichkeit, auswärtige Zuschauer an gewaltbereiten Fans vorbei ins Stadion zu bringen, sagt Exner. Forderungen nach einem Umbau des Stadions scheitern an Finanznöten. Nein, hilflos fühle er nicht, sagt der Sicherheitsbeauftragte. Aber: „Ich fühle mich allein gelassen von den Politikern. Die sollen hier ihre sozialen Probleme lösen.“ Er weiß nicht, wie viel Hoffnung er in sozialpädagogische Fan-Projekte setzen soll. Aber dass die Stadt nur ein paar tausend Euro dafür bereit stelle, mache ihn ziemlich wütend.“
Thorsten Firlus (Wirtschaftswoche 1.4.) hat Logen in deutschen Stadien besucht und geprüft: „Die Kölschlaune ist gedämpft. Die Tore von 1860 München im Stadion des 1. FC Köln haben die Stimmung in der Loge versaut. Gastgeber Helmut Haumann, Vorstandsvorsitzender der GEW Rheinenergie, schenkt sich einen Weißwein ein, die Mitglieder des Aufsichtsrats der Stadtwerke Troisdorf bleiben beim Gaffel-Kölsch. Der vor wenigen Wochen noch unangefochtene Präsident des FC, Albert Caspers, stößt einige Minuten nach Abpfiff dazu und redet, wie ein Präsident das tun muss. Und Haumann macht nach einigen Minuten Besinnlichkeit gute Miene zum bösen Spiel des Tabellenletzten: „Verlieren verbindet auch.“ Denn eines kann den Männern in der im Stile eines amerikanischen Diners dekorierten Loge niemand nehmen – das Gemeinschaftsgefühl eines Fußballnachmittags mit Höhen und Tiefen. Die Emotionen des Fußballs zur Kundenpflege nutzen – das wünschen sich Logenkunden wie RWE, ADIG oder Tesa. Und die Fußballvereine in Köln, Wolfsburg, Schalke, Hannover, Hamburg, Mönchengladbach, München und Berlin haben aufgerüstet. Ihre Stadien werden regelrecht zu Vorzeigeobjekten des Hospitality-Managements umgebaut. Logen und Business-Seats gehören zum Konzept jeder neuen Arena. Zwischen 25 000 und 250 000 Euro pro Saison kosten die Logen in der Regel mit Platz für 6 bis 20 Gäste. Im Durchschnitt kostet den Gastgeber pro Spiel und Gast ein Platz rund 400 Euro – Verpflegung, Werbung im Stadion und Parkplätze inklusive. Kontaktpflege kostet, aber es scheint sich zu lohnen. Wenn zur Weltmeisterschaft 2006 sämtliche Stadien fertig sind, werden jedes Wochenende tausende Business-Treffen in das Fußballumfeld verlegt. Schon jetzt begegnen sich Spieltag für Spieltag in den Logen Konzernlenker und Mittelständler. Bayer Leverkusen hat bereits Mitte der Neunziger die Zeichen der Zeit erkannt, die BayArena mit VIP-Bereichen ausgestattet und 1997 die Firmenlogen fertig gestellt. Wie überall gibt es auch hier Unterschiede: Toplage sind die zehn Logen in der Südtribüne, mit Blick auf den Fanblock. Hier hat neben Adidas, RWE oder OBI auch die Firma Völkel aus Remscheid eine Loge. Firmeninhaber Peter Völkel war selbst zum ersten Mal vor gut 20 Jahren in England Gast in einer Loge und hat dort Gefallen an der Kundenpflege im Stadion gefunden. „Uns geht es um eine lustige Atmosphäre mit unseren Kunden“, sagt Völkel, der auch den Spaß nicht verliert, wenn in seinem Rücken seine Gäste mit a Bochum-Schal um den Hals jeden Treffer gegen Bayer 04 laut bejubeln.Völkels Loge ist dezent mit Bildern der Produkte der Firma geschmückt, die Hostess bringt das Bier oder den Rheinhessischen Grauburgunder.“