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Champions League
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| Dienstag, 20. April 2004FC Chelsea ist nicht nur durch Abramowitsch’ Millionen stark, Claudio Ranieri hat das Team über Jahre aufgebaut, etwa Frank Lampard (NZZ, FTD) – Didier Deschamps , früher als Spieler Stratege, heute als Monacos Trainer Stratege (FAS); „für einen Abend verwandelt sich der Luxusfelsen Monaco wieder in eine Fußball-Stadt“ (SZ) u.v.m.
Raphael Honigstein (FTD 20.4.) porträtiert Frank Lampard, fleißiger Star des FC Chelsea London: „Als Frank Lampard ein kleiner Junge war, nahm ihn sein Vater öfters auf den Golfkurs in Romford mit. Während Frank Lampard Senior, wie fast alle ehemaligen Fußball-Profis in England ein passionierter Golfer, fleißig am Handicap arbeitete, ließ er seinen Sohn immer wieder rund um den Platz laufen, auch der eine oder andere Sprint war verlangt. „Das hat mir beigebracht, ständig an mir zu arbeiten“, erinnert sich Lampard an die Tortour. Zweifel über den pädagogischen Nutzen dieser Züchtigung dürfen erlaubt sein. Was die Kondition angeht, scheint es aber etwas gebracht zu haben. Jeden Freitag, bei Chelseas öffentlichen Trainingseinheiten, läuft Lampard zusammen mit dem Kollegen John Terry vorneweg über den vom eisigen Wind platt gedrückten Rasen in Harlington, 10 Taximinuten vom Flughafen Heathrow entfernt. Auch in den Spielen geht keiner weitere Wege als die Nummer Acht. Falls die Batteriefirma, die seit vielen Jahren mit den trommelnden Häschen wirbt, auf eine menschlichen Werbeträger umsteigen sollte, wäre Lampard ein Kandidat: Der überragende Mittelfeldspieler mit dem satten Schuss und dem feinen Gefühl für den öffnenden Pass hat als einziger Kicker einer Spitzenmannschaft jedes der 34 Liga-Matches bestritten; das letzte Premier League-Spiel ohne ihn fand im September 2001 statt. Als im Sommer ein Superstar nach dem anderen dem Ruf der russischen Millionen von Roman Abramowitsch an die Stamford Bridge folgte, machte sich Lampard, 2001 für 11 Mio. £ von West Ham gekommen, Sorgen um seinen Stammplatz. Doch seine bestechende Form ließ selbst Trainer Claudio Ranieri, dem römischen Großmeister der Rotation, keinen Raum für Experimente. Im sich stetig verändernden, immer wieder neu zusammen gesetzten System Chelsea ist Lampard mit seinem dynamischen, effizienten Spiel längst nicht mehr der heimliche Chef, sondern ein strahlender Fixpunkt. „Magic Lamps“, die magische Leuchte, nennen ihn die Kollegen aus der zum Champions-League-Favoriten hoch frisierten Mannschaft. (…) Der in einer Privatschule erzogene Essex-Boy mit Einser-Abschluss in Latein war als Fußballer oft umstritten. Am Anfang seiner Karriere meinten Zyniker, er würde seinen Platz in der West-Ham-Elf weniger seinem Talent als der Tatsache verdanken, dass Trainer Harry Redknapp sein Onkel und sein Vater dessen Assistent war. Nach der EM 2000 war er mit seinen Nationalmannschaftskollegen Rio Ferdinand und Kieron Dyer in einen landestypischen Skandal verwickelt: Die drei hatten sich und eine junge Frau auf Zypern beim Sex gefilmt. Im September 2001 pöbelte er betrunken amerikanische Touristen an, die wegen des Terroranschlags in New York in einem Londoner Hotel festsaßen. Chelsea verdonnerte ihn zu 80 000 £ Strafe. Als Chelseas Team noch aus alternden Superstars und Durchschnittslegionären bestand, spielte Lampard irgendwie mit, und landete mehr Treffer in der Nobeldisko „China White“ als im gegnerischen Strafraum. Aber im ersten Jahr der Ära Abramowitsch hat er sich zum absoluten Leistungsträger und Musterprofi entwickelt: „Ich esse jetzt die richtigen Sachen zum richtigen Zeitpunkt, kein Fast-Food mehr wie bei West Ham. Und ich kann sogar kochen“.“
Unter solchen Bedingungen zu arbeiten, ist nicht einfach
Martin Pütter (NZZ20.4.) fühlt mit Chelseas Trainer – und lobt ihn: „Claudio Ranieri ist zu bewundern. Dass der Trainer des Chelsea FC Anstand, Verstand und Humor behalten hat, ist keineswegs selbstverständlich. Die „Blues“ haben ja den fest zementierten Ruf, dass sie mit Intrigen, Gerüchten und Affären genau so oft Gesprächsstoff liefern wie mit ihren sportlichen Leistungen. Das war im Übrigen schon unter dem vorherigen Eigentümer Ken Bates so und hat sich seit der Ankunft des russischen Ölmilliardärs Roman Abramowitsch nicht geändert – oder: „Plus ça change, plus ça reste le même.“ Jüngstes Beispiel: Am Samstag im Heimspiel gegen Everton (0:0) war Louis van Gaal, Technischer Direktor von Ajax Amsterdam, Gast von Chelseas CEO Peter Kenyon an der Stamford Bridge. Damit hatte Ranieri die non- verbale Antwort auf seine Bitte letzte Woche erhalten, Klarheit wegen seiner Zukunft zu schaffen. Die Spekulationen um eine Entlassung des Italieners hatten auch nicht aufgehört, nachdem der Vertrag des Schweden Sven Göran Eriksson als Nationaltrainer verlängert worden war. Unter solchen Bedingungen zu arbeiten, ist nicht einfach, besonders, wenn der Verein so kurz vor einem Höhepunkt der Vereinsgeschichte steht. Am Dienstag spielen die Blues in Monaco – so weit war der Gewinner des Europacups der Cup-Sieger (1998) in Europas prestigeträchtigstem Wettbewerb noch nie gekommen. Und trotz allen Umständen: Ranieri hat bisher beachtliche Arbeit geleistet. Einer der bemerkenswertesten Umstände am 2:1-Erfolg im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League lag etwa darin, wer überhaupt im Chelsea-Team figurierte: Von den über zehn neuen Spielern, die seit letztem Sommer für 120 Millionen Pfund an die Stamford Bridge gewechselt hatten, befanden sich auf dem Highbury-Rasen nur deren vier: Torhüter Marco Ambrosio, Aussenverteidiger Wayne Bridge sowie im Mittelfeld Damien Duff und Claude Makelele. Der Kern dieser Mannschaft, die eine Negativserie von 17 Spielen ohne Sieg gegen Arsenal beendete, hatte schon existiert, ehe Abramowitsch auf die Bildfläche trat und ehe Eriksson den Russen mit einer Einkaufsliste „beriet.““
Ein bißchen mehr Laisser-faire, ein bißchen mehr Verantwortung für bestimmte Spieler
Monacos Trainer hat strategische Fähigkeiten, meint Sven Gartung (FAS 18.4.): „Jene Jahre, die Didier Deschamps mit der „alten Dame“ verbrachte, waren seine erfolgreichsten. Es waren Deschamps‘ Meisterjahre: drei italienische Meisterschaften, ein italienischer Pokalsieg, der Gewinn der Champions League. Insgesamt neun Titel gewann Deschamps zwischen 1994 und 1999 als Spieler und Mannschaftskapitän mit Juventus Turin. Mit der französischen Nationalmannschaft wurde der Baske 1998 zudem Fußball-Weltmeister und zwei Jahre später Europameister. Es waren aber auch seine Lehrjahre. Unter Marcello Lippi, dem erfolgreichen Baumeister der großen Turiner Mannschaft, lernte der heute 35 Jahre alte Deschamps auch sein Handwerk als Trainer. In seiner erst dritten Saison als verantwortlicher Coach führte er nun den AS Monaco bis ins Halbfinale der Champions League. (…) Auch in der Nationalmannschaft, für die er 103mal spielte, übernahm Deschamps Verantwortung. Henri Emile, im Beraterstab des WM-Teams tätig, fiel der enorme Elan auf, mit dem Deschamps zu Werke ging. „Aime Jacquet konnte sich nicht um alles kümmern, da nahm ihm Didier einiges ab, sprach mit Spielern, zerstreute Bedenken oder machte anderen Mut.“ Deschamps glaubte aber nicht, seine Erfolge als Spieler würden ihm automatisch zu hohen Trainerehren verhelfen. Auf Platz 15 beendete er die erste Saison mit AS Monaco, begleitet von vielen Mißtönen. Probleme mit arrivierten Spielern wie Bierhoff, Simone oder Panucci wurden publik. Vom Trainerstab hörte man: „Er vertraut uns ein bißchen – und dann wieder gar nicht.“ Alles wolle Deschamps kontrollieren, beeinflussen, wissen. Das ging nicht. Also änderte der jüngste in der Ligue 1 tätige Trainer sein Verhalten. Ein bißchen mehr Laisser-faire, ein bißchen mehr Verantwortung für bestimmte Spieler – in der zweiten Saison wurde Monaco Zweiter. Heute konzentriert sich der Perfektionist Deschamps auf das, was den AS Monaco auch in der Champions League so erfolgreich macht: attraktives, offensives und effizientes Fußballspiel. Die Aussichten sind sehr gut – und haben plötzlich auch die „alte Dame“ auf den Plan gerufen. Marcello Lippi wird in Turin Technischer Direktor, er möchte Deschamps als Trainer zu Juventus holen, zur Wiederholung der großen Erfolge.“
Für einen Abend verwandelt sich der Luxusfelsen wieder in eine Fußball-Stadt
AS Monaco ist ein Verein für klein und groß, urteilt Marc Widmann (SZ 20.4.): „An diesem Abend war alles anders. Die Begeisterung war in die Straßen Monacos geschwappt wie eine Flutwelle aus dem nahen Hafen. Zu Hunderten standen die Menschen am Straßenrand, schwenkten rot-weiße Schals oder trommelten mit aufblasbaren Plastikstäben auf vorbeifahrende Autodächer. Ein Porsche-Fahrer versuchte sich dem Trubel zu entziehen, in dem er in der Mitte der Straße fuhr. Als sich der Mannschaftsbus des AS Monaco näherte, wuchs der Krach zu Lärm. Und keine drei Stunden später, als Real Madrid besiegt und die Sensation vollbracht war, waren die Fans wieder auf den Straßen. Sie fuhren hupend durch die Stadt, eine muntere Kolonne der Kleinwagen. Nur die teuren Cabrios fehlten plötzlich. Fußball ist in Monaco nicht eine weitere Ablenkungsmöglichkeit für Steuerflüchtlinge, neben Yachthafen und Golfklub. Es sind die einfachen Monegassen, Menschen, die hier geboren wurden und in Hotels, Apotheken oder Bäckereien arbeiten, die wohl auch heute wieder am Straßenrand stehen werden. Dann verwandelt sich der Luxusfelsen im Süden Frankreichs wieder in eine Fußball-Stadt – für einen Abend. Den schönsten Blick auf das Stadion Louis II. hat man vom höchsten Punkt des Fürstentums, dem Palast des Fürsten Rainier II. Hier wohnt auch einer der größten Fans des Fußballklubs: Kronprinz Albert. Die Monegassen lästern, er solle sich endlich eine Frau suchen, ehe das Fürstentum wegen Kinderlosigkeit zurück an Frankreich fällt. Doch Albert schwärmt vor allem für Sport, wurde durch seine Liebe zum Bobfahren bekannt. Manche sagen, wenn er vor einem Jahr nicht eingegriffen hätte, gäbe es den ASM heute gar nicht mehr. Im Sommer 2003 war der AS Monaco pleite. 53 Millionen Euro Schulden drückten den kleinen Verein, der Verband drohte sogar damit, ihn in die zweite Liga zurückzustufen. Doch das passte überhaupt nicht in den Plan des Prinzen. Der Sport hat nämlich eine besondere Aufgabe in Monaco: Er soll das Fürstentum mit Imageproblemen für etwas anderes bekannt machen als nur für den Yachthafen und das Casino. Der Grand Prix erfüllt diese Aufgabe – einmal im Jahr. Der fürstliche Fußballverein soll regelmäßig Touristen von außen anlocken. Und er soll im Inneren das stiften, was ein drei Kilometer breites Stück Land mit 30 000 Einwohnern braucht: eine gemeinsame Identität. Wenn die Menschen hier schon einmal auf die Straßen ziehen, dann um den eigenen Verein zu feiern.“
Mischung aus hochfeiner Technik, berauschenden Einfällen und kluger Selbstbescheidung
Wolfram Eilenberger (Tsp 20.4.) ist ein Fan von Deco, Spielmacher des FC Porto: „Er ist eine delikate Existenz. Und vertraut man Experten, dürfte es einen Spieler wie Deco eigentlich gar nicht mehr geben. Denn Deco erfüllt eine Position, die seit gut 20 Jahren als ausgestorben gilt. Deco ist ein klassischer Spielmacher. Ernsthafter Defensivarbeit entledigt, schwänzelt er hinter den Spitzen und sorgt mit wachem Auge und blitzendem Fuß für entscheidende Öffnungen. Mehr als einen dieser verzückenden Typen kann keine Mannschaft ertragen, weshalb Spieler wie Deco notwendig zwischen den Extremen wandeln. Sie werden groß, oder sie werden gar nichts. Deco steht mit 26 Jahren vor dem Sommer seines Lebens. Läuft es nach Wunsch, wird er binnen zwei Monaten nicht nur der Schlüsselspieler des Champions-League-Siegers FC Porto, sondern auch des neuen Europameisters Portugal sein. Quirlig und voller Bewegungsreichtum entdeckt Deco neue Freiräume und besticht durch gezielte Überraschungen, wenn er als harter Präzisionsschütze nicht selbst den Abschluss sucht. Doch bei aller technischen Überbegabung ist der Portugiese kein Effekthascher. Sein Spiel vermittelt vielmehr Spaß an der Effizienz. Deco steht nicht unter dem falschen Anspruch, mit jeder Aktion das Spiel entscheiden zu wollen. Mit dieser Mischung aus hochfeiner Technik, berauschenden Einfällen und kluger Selbstbescheidung prägt er den Stil seines gesamten Teams.“