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| Mittwoch, 21. April 2004Argentinien und die Fußball-Welt bangen um Maradona – wer hat die besten Karten im Aufstiegsrennen der Zweiten Liga? Nürnberg, Bielefeld, auch Cottbus? u. a.
Danke, Doña Tota, Du hast Gott geboren
Josef Oehrlein (FAZ 21.4.) bangt mit Argentinien und der Fußball-Welt um den besten – nein, den einzigen: „“Gott, reiche ihm die andere Hand!“ schrieb eine unbekannte Hand auf einen jener vielen Zettel mit Gesundungswünschen für den im Schweizerisch-Argentinischen Krankenhaus in Buenos Aires liegenden Diego Maradona. Gottes Hand wird von den argentinischen Fußballfans, den „hinchas“, wieder einmal arg beansprucht. Den Eingang zu der Klinik haben sie mit ähnlichen Sprüchen und Wünschen zugekleistert. Seit Maradona in das Spital gebracht worden ist, hält eine je nach Tageszeit bis auf mehrere hundert anschwellende Zahl von Anhängern vor dem Gebäude Krankenwache. Die Avenida Pueyrredón ist an der Einmündung zur Geschäftsstraße Santa Fe schon zu normalen Zeiten für Autofahrer ein Nadelöhr. In diesen Tagen droht der Verkehr an jener Engführung, an der das Krankenhaus liegt, immer wieder zu kollabieren, vor allem wenn die „hinchas“ im Chor Hymnen auf ihr Idol zu singen beginnen und in ihrer Begeisterung auf die Fahrbahn drängen. Hin und wieder muß die Pueyrredón an der neuralgischen Stelle, an der auch die Übertragungswagen zahlreicher in- und ausländischer Fernsehsender die Fahrbahn einengen, ganz gesperrt werden. Als die Diego-Fans zu Trommeln greifen, um ihr Idol mit dröhnenden Durchhalterhythmen aufzumuntern, wird es einigen Patienten zu viel, vor allem mancher werdenden Mutter in der Klinik, deren Spezialität Geburtshilfe ist. Angehörige gehen auf die Straße und bitten um Rücksicht. Das Trommeln verstummt. (…) Während vor dem Schweizerisch-Argentinischen Krankenhaus der Medientroß auf ein aktuelles Kommuniqué der Ärzte wartet, beten Frauen in vorgerücktem Alter einen Rosenkranz für die Gesundung des Idols. Sie haben dazu eigens eine Marienfigur mitgebracht. Auch der „Gauchito Gil“, die angeblich wundertätige Figur argentinischer Volksfrömmigkeit, wird angerufen, um Diego beizustehen. Unter den Familienangehörigen, die zur Intensivstation vorgelassen werden, gehört auch die Mutter Maradonas, „Doña Tota“. Einer der vielen Zettel, die an der Klinikwand kleben, gilt ihr. Darauf steht: „Danke, Doña Tota, Du hast Gott geboren.“
Nina Klöckner (FTD 21.4.) fügt hinzu: „Roberto sieht müde aus, aber das ist auch kein Wunder. Der junge Mann hat schließlich eine weite Anreise hinter sich, und geschlafen hat er in den vergangenen beiden Tagen auch nicht viel. Roberto kommt aus Ecuador. Jetzt steht er in Buenos Aires vor der Klinik Suizo Argentina, mit einem großen weißen Tuch, auf das er seine Botschaft gemalt hat: „Geliebter Diego, Ecuador ist mit dir“. Das wird auch so bleiben. „Bis er das Krankenhaus verlässt, werde ich nicht zurückkehren“, sagt der Zahntechniker. Dass ihn die Aktion den Job kosten kann, ist egal. „Nicht wichtig“, sagt er. Wichtig ist nur, dass es seinem Idol bald wieder besser geht. Er ist nicht der Einzige, der sich das wünscht. Seit der ehemalige Fußballer Diego Armando Maradona am Sonntagabend mit lebensbedrohlichen Lungen- und Herzproblemen ins Krankenhaus eingeliefert wurde, herrscht in Argentinien so etwas wie Ausnahmezustand. In Cafés, Büros, Zeitungen und Fernsehkanälen gibt es nur noch ein Thema. Ob der Zusammenbruch durch eine Überdosis Kokain ausgelöst wurde, wie einige vermuten, oder durch Überanstrengung nach einer Golfpartie, wie sein persönlicher Arzt Alfredo Cahe behauptet, ist dabei nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass Diego lebt. Denn ohne Diego ist das Leben nichts. „Für uns Argentinier kommt Maradona gleich nach Gott“, sagt der aktuelle Nationalspieler Pablo Aimar. Für viele kommt er davor. Vor der Klinik stehen ältere Frauen, die für die Heilung des 43-Jährigen jede Stunde einen Rosenkranz beten. Und Männer, die noch so jung sind, dass sie Maradona nie live spielen sehen haben. Das Portal der noblen Genesungsanstalt gleicht inzwischen einem Wallfahrtsort. Immer wieder versuchen Fans, in das Gebäude vorzudringen, um noch einen letzten Blick auf den Göttlichen zu werfen. Vom Präsidenten Nestor Kirchner bis zu seinem unehelichen Sohn Diego Armando junior in Italien musste schon jeder ein Statement abgeben. „Argentinien ist Maradona“, schreibt der Journalist Horacio Pagani in der Tageszeitung „Clarin“. Keiner kann sich ihm entziehen. (…) Wer Argentiniens Umgang mit Idolen betrachtet, kann sich ausmalen, was passieren würde, wenn Maradona die Klinik nicht mehr lebend verlässt. Es gibt wohl kaum ein Land, das so von und mit Mythen lebt wie dieses. Täglich suchen noch heute zahlreiche Leute das Grab von Evita Perón auf, um mit der Ehefrau des ehemaligen Präsidenten Juan Perón, die mit 33 Jahren an Krebs gestorben ist, in Kontakt zu treten. Sie wird verehrt wie eine Heilige. Um Maradona ranken sich schon zu Lebzeiten zahlreiche Mythen. So habe der Kicker dem „Clarin“-Reporter Gustavo Sierra das Leben gerettet. Als der vergangenes Jahr im Irak-Krieg von bewaffneten Aufständischen bedroht wurde, fragten jene, „wo wir herkämen. Ich antwortete: Argentinien. Und dann sagten sie die magischen Worte: Argentinien? Maradona! Ihre Stimmung schlug um, und sie ließen uns gehen.““
Paternoster Arminia Bielefeld
Bernd Müllender (taz 21.4.) sieht Arminia Bielefeld für den Aufstieg gewappnet: „“Ostwestfalens Glanz und Gloria“ (Fanforum-Headline) steht für das stetigste Auf und Ab des deutschen Fußballs. Der Aufstieg wäre der siebte: deutscher Rekord. Statt branchentypisch von einer Fahrstuhlmannschaft sollte man treffender vom Bielefelder Paternoster sprechen: Ganz automatisch geht es rauf und runter, unaufhaltsam, immer gleich. Nur die Alm ist offiziell abgeschafft. Das Stadion gleich neben dem Kleingärtnerverein Melanchton e.V. heißt jetzt SchücoArena, zum Frommen eines Türherstellers. Bielefeld, „so oft verhöhnt und verspottet“ (Clubhymne), liebt das Dolce Vita – am Spieltag berichtete die Lokalzeitung groß von der „Puddingausstellung der Dr.-Oetker-Versuchsküche“. Ansonsten ist Ostwestfalen ein Landstrich von großer Strenge. Hier heißen Stadion-Ordner mit grellgelben Umhängen „Bereichsleiter DSC Arminia“ und verweigern der Trainergattin samt Entourage den Eintritt: „Auf den Namen hab ich keine Karte hinterlegt.“ Später klappte es doch. (…) Die Ex-Alm für 26.600 Menschen ist durchaus bundesligatauglich, nur sollten statt der breiten Elfmeterstriche besser doch Punkte aufgemalt werden, sonst reagiert der strenge DFB mit Strichabzügen. Die bekannt nörgeligen Zuschauer, die auch die wundersame Siegesserie mit mäßiger Präsenz (17.000) und eher stoischer Hingabe („D-S-Zeheee“) feiern, sind es kaum. Immerhin ist die Stadionwurst durchaus erstligalecker. Und den schönsten Namen haben sie auch: Jesus Sinisterra, einen Kolumbianer. Die Elf hat defensiv große Qualitäten (beste Abwehr der Liga) mit dem Zerstörungsdreieck Petr Gabriel, Dammeier und vor allem dem kaum halbhohen Giftzwerg Rüdiger Kauf, der am Montag auch noch zwei Treffer brillant vorbereitete. Abwehrstärke war für Aufsteiger schon immer hilfreicher als ein guter Zweitligasturm. Der grotesk ungelenke Küntzel, der viel belacht noch schwächer spielte als die meisten Aachener und selbst bei einem Umarmungsversuch desorientiert am Torschützen Bokaye vorbeisprang, wird ersetzt werden können. Dennoch: Der Titel Rekordabsteiger ist schnell dazugewonnen. Paternoster ruhen nie.“
Richard Leipold (FAZ 21.4.) ergänzt: “Fünf Runden vor Ultimo steht Bielefeld auf dem zweiten Tabellenplatz, mit fünf Punkten Vorsprung auf Rang vier. Als Rapolder nach mehr als einem Jahr Pause die Arbeit wiederaufnahm, hatten die Bielefelder den Aufstieg schon fast aus den Augen verloren. Doch der 45 Jahre alte Fußball-Lehrer ging die Aufgabe so innovativ an, daß alsbald ein Aufschwung einsetzte, dessen Dynamik selbst Optimisten überrascht hat. Rapolder flößte den nur als abwehrstark bekannten Arminen Mut ein und stellte das Spiel unter das taktische Primat des Pressing. Wenn sie dieses Mittel so konsequent und konstant einsetzen wie zuletzt, ist selbst ein Team wie Aachen buchstäblich ohne Chance. Es dauerte fast eine Stunde, bis die Rheinländer zum ersten Mal im Strafraum auftauchten; wäre es nicht die einzige Aktion dieser Art gewesen, hätte vermutlich niemand von Pflipsens harmlosem Kopfball Notiz genommen. Damit schlugen die Ostwestfalen zum dritten Mal innerhalb kurzer Zeit einen unmittelbaren Konkurrenten um den Aufstieg aus dem Feld. Zuvor hatten schon Mainz und Cottbus erfolglos versucht, Bielefeld Einhalt zu gebieten; beiden Klubs hatten Fußball-Analysten lange eine günstigere Kursentwicklung zugetraut als der Arminia. (…) Das Restprogramm mag noch Hürden enthalten wie Aue oder Nürnberg, doch an Höhenunterschiede gewöhnt wie kein anderes Publikum im deutschen Profifußball, frohlocken die Bielefelder Fans schon. „Eins kann uns keiner nehmen … und das ist der Aufstieg Nummer sieben.““
Jens Kirschneck (SZ 21.4.) schreibt dazu: „Dass ein Trainerwechsel eine solch direkte Wirkung zeigt, ist selten. Sogar der nun in Fürth tätige Vorgänger Benno Möhlmann räumt ein, Rapolder habe offenbar einen Zugang zur Mannschaft gefunden, der ihm nach dreieinhalbjähriger Arbeit nicht mehr möglich gewesen sei. Bemerkenswert ist, wie rasch und erfolgreich der Viererketten-Anhänger Rapolder seine Spielphilosophie vermittelt hat. Was in der Theorie (¸¸Da muss der Pass vertikal in die Schnittstelle der Defensive gehen“) etwas akademisch-verschroben daherkommt, äußert sich auf dem Platz in erbarmungslosem Pressing, bei dem den Aachenern Hören und Sehen verging. Fast erinnerte das, was am Montagabend zu sehen war, an das Trainingsspiel Fünf gegen Zwei, und mit den drei Gegentoren von Sinisterra und zweimal Boakye war Aachen noch gut bedient.“
Die Vereinsführung ist stark genug, sich gegen Nieten in Nadelstreifen durchzusetzen
Frank Hellmann (FR 21.4.) lobt die Gelassenheit bei Energie Cottbus: „So richtig rund läuft es bei Laurentiu-Aurelian Reghecampf derzeit nicht. Die Pässe kommen nicht an, der Ball springt vom Fuß. Der Mittelfeldmann von Energie Cottbus steckt im Formtief. Der effektivste Energie-Spieler ist im Schlussspurt der Saison aus dem Tritt geraten. Wie das gesamte Team: Aus dem zeitweise souveränen Spitzenreiter ist ein Wackelkandidat geworden, vier Spiele ohne Sieg, die Stürmer seit 558 Minuten ohne Torerfolg. Und plötzlich kommen Versäumnisse auf, wie der Lapsus im Reghecampf-Kontrakt: Weil im bis 2006 laufenden Vertrag vergessen wurde, das Erstliga-Gehalt einzutragen, ist der 28-Jährige ablösefrei, wenn Cottbus der Wiederaufstieg gelingen sollte. „Das belastet mich nicht“, versichert Reghecampf, „ich will gerne in Cottbus bleiben.“ Schließlich ist er der Prototyp Profi, mit dem Energie Cottbus in der Saison 2000/2001 erstmals die Bundesliga erstürmte: Im Osten Europas ausgebildet, für billiges Geld in die Randregion gelockt, unter dem unnachgiebigen Geyer für die Anforderungen im Oberhaus geschult und geformt. Noch heute spürt Reghecampf so etwas wie Dankbarkeit gegenüber dem in Oberschlesien geborenen und im zehnten Jahr tätigen Cheftrainer und -kritiker Geyer. Der 57-Jährige, letzter Auswahltrainer der DDR, ist das Gesicht eines Vereins, der unter Manager Klaus Stabach und Präsident Dieter Krein auf klarem Kurs gehalten wird. Kreins Credo: „Wenn man nach dem Abstieg nicht sofort verrückt spielt und den Trainer oder die ganze Mannschaft rauswirft, ist der Wiederaufstieg eigentlich normal. Denn das Niveau ist einfach höher.“ Dazu haben sich die Club-Oberen – anders als in Dresden, Leipzig oder Magdeburg – den äußeren (westlichen) Einflüssen erfolgreich widersetzt. Es gibt keine unlauteren Geldgeber, keine Panik-Entscheidungen, kein Finanz-Chaos. Krein: „Die Vereinsführung ist stark genug, sich gegen Nieten in Nadelstreifen durchzusetzen.““
Jan Christian Müller (FR 21.4.) blickt hinter die Kulissen des 1. FC Nürnberg: „Martin Bader ist ein freundlicher Mann. Aber das ist nicht der Grund, weshalb er Wolfgang Wolf voll Inbrunst lobt. „Ein absoluter Glücksgriff“, sei dieser Wolf, sagt Bader und schlürft zufrieden am Kaffee. Wolfgang Wolf: 46, Baumeister des Nürnberger Fußball-Wunders. Der Mann war im Frühjahr 2003 nicht mehr schillernd genug für den aufstrebenden VfL Wolfsburg, kam vier Spieltage vor Schluss für Klaus Augenthaler nach Nürnberg, Abstieg, Tausende Fans verprellt, „alles lag am Boden, ganz schlimme Stimmung“. Wolfgang Wolf: Pfälzer Dickschädel, der das Herz am rechten Fleck trägt, krempelte die Ärmel hoch, zunächst als Trainer-Manager, hockte bis tief in die Nacht am Schreibtisch, holte gemeinsam mit Bruder Arno, dem Scout, dem Vertrauten, anderthalb Dutzend Spieler, bis ihm die Arbeit „über die Ohren wuchs“. Suchte dann das Gespräch mit Vereinsboss Michael A. Roth: „Das kann ich nicht mehr allein schaffen.“ Roth hatte ein Einsehen. Martin Bader: Seit 1. Januar als Sportdirektor in Nürnberg, elf Jahre jünger als Wolf, gebürtiger Schwabe, kann mit Geld umgehen, Diplom-Sportökonom, vorher acht Jahre lang bei Hertha BSC Berlin, dort als Leiter der Abteilung Fußball rechte Hand von Dieter Hoeneß und von diesem hoch geachtet. Bader sagt: „Man konnte nicht davon ausgehen, dass eine Mannschaft, die sang- und klanglos absteigt, es jetzt wieder schaffen kann. Dann wird Sasa Ciric (36), trotz nach wie vor funktionierenden Torriechers und neun Saisontreffern, nicht mehr für den Club gegen den Ball treten dürfen. Trainer Wolf kennt keine Gnade für den alten Wolf, auch wenn die Boulevardpresse Stimmung für den Stürmer macht. Wolf sagt: „Wenn wir den Aufstieg schaffen sollten, hätte Sasa großen Anteil daran. Aber er kommt in die Jahre. Wir müssten in der Bundesliga mehr auf Konter spielen. Er ist bei Auswärtsspielen schon jetzt nicht mehr im Stamm.“ Stefan Kießling aus der eigenen Jugend, 16 Jahre jünger als Ciric , soll nicht blockiert werden in seiner Entwicklung. Ciric kann Fanbeauftragter werden, er hat noch bei Ex-Manager Edgar Geenen einen Anschlussvertrag unterschrieben, aber er will weiterspielen. Wolf bleibt hart: „Ich bin kein Wendehals. Ich lasse mich von niemandem unter Druck setzen, außer von Ergebnissen.“ Die stimmten im tristen Herbst 2003 hinten und vorne nicht. Gegen den VfB Lübeck, gerade war in David Jarolim der Kopf der Mannschaft nach Hamburg transferiert worden, gab es im Oktober die einzige Heimniederlage. Doch der Präsident, der eigentlich nie ruhig bleibt, blieb – kaum zu glauben: ruhig. „Er stand auch hinter mir, als wir 15. waren “, sagt Wolf über Roth, „es macht riesig Spaß mit ihm.“ Das haben vor Wolf schon viele andere gesagt und dabei Roths Unberechenbarkeit unterschätzt. Derzeit läuft der kleine Teppich-Großhändler, der letzte Gutsherr im deutschen Fußball, laut ständigen Beobachtern „herum wie ein rosa Glückselefant“. „