Ballschrank
Länderspiel-Mittwoch
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| Dienstag, 27. April 2004SZ-Interview mit Michael Ballack („in Wirklichkeit bin ich ein ganz pflegeleichter Typ ohne Allüren“) – Rumänien gegen Deutschland, eine „Randnotiz der deutschen Fußball-Geschichte“ (FAZ) – „Fußball erlebt in Lettland derzeit einen starken Aufschwung“ (FAZ) – Roberto Baggio wird heute sein – vermutlich, vermutlich nicht – letztes Spiel im italienischen Nationaltrikot antreten – und sein erstes nach fünf Jahren u.v.m.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Grimme-Preisträger so etwas gesagt hat
SZ-Interview mit Michael Ballack
SZ: Dies ist Ihr erstes umfangreicheres Interview nach langer Zeit. Sie haben sich zuletzt sehr rar gemacht. Weshalb?
MB: Das ist bedingt durch die letzten Wochen, speziell nach unserem Ausscheiden gegen Real Madrid in der Champions League, als die Kritik losging. Ich habe, wie andere auch, im Hinspiel ein sehr gutes Spiel gemacht und im Rückspiel eben nicht . . .
SZ: . . . da waren Sie durch eine fiebrige Erkrankung geschwächt.
MB: Ja. Es wurde ein Sündenbock gesucht, und der war ich. Ich musste unheimlich viel Polemisches und Unsachliches schlucken. Was mich ärgerte, war, dass ich vom FC Bayern öffentlich keine Unterstützung erhielt, nur vom Trainer. Außerdem haben sich wie immer Leute zu Wort gemeldet, die ihr Fähnchen sowieso nur in den Wind halten.
SZ: Meinen Sie mit unsachlicher Kritik, dass Ihnen trotz wichtiger Tore vorgeworfen wurde, Sie seien in schweren Spielen nicht zu sehen.
MB: Ich habe meine Wichtigkeit für den Verein und die Nationalmannschaft oft genug unter Beweis gestellt.
SZ: Sind sie überempfindlich gegen Kritik?
MB: Ich stelle mich berechtigter Kritik, aber ich kann differenzieren.
SZ: Tatsächlich wurden sie von Boulevardzeitungen und speziell vom Fachblatt Sportbild bei jeder Gelegenheit hart angegangen. Gibt es dafür einen persönlichen Hintergrund?
MB: Ja, das ist auffällig. Das war schon zu meiner Leverkusener Zeit so, aber ich kenne den Hintergrund nicht.
SZ: Beim FC Bayern heißt es, Sie seien ein schwieriger Spieler. Was könnte damit gemeint sein?
MB: Das kann nur ein Kompliment sein, sie wollen ja immer schwierige Typen. Ich habe mich halt manchmal gegen öffentliche Aussagen gewehrt, das zeigt doch, dass ich Charakter habe. Wenn sich bestimmte Leute zu Wort melden, deren Meinung mir wichtig ist, wie Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß, Ottmar Hitzfeld oder Franz Beckenbauer, sage ich eben manchmal was dazu. Vielleicht gilt das als schwierig. Aber in Wirklichkeit bin ich ein ganz pflegeleichter Typ ohne Allüren.
SZ: Gerade auch von den Verantwortlichen des FC Bayern sind Sie oft kritisiert worden. Liegt das daran, dass die in ihren Erwartungen enttäuscht sind?
MB: Glaub“ ich nicht, die haben ja einen torgefährlichen Mittelfeldspieler gesucht. Diese Erwartung habe ich in der vergangenen und in der laufenden Saison erfüllt. Aber sie verlangen halt noch mehr von mir, das ist auch in Ordnung. Natürlich waren die Erwartungen an die Mannschaft in dieser Saison größer. Wir wollten in der Champions League weiter kommen nach der Enttäuschung des vergangenen Jahres. Aber gegen Real Madrid auszuscheiden ist keine Schande.
SZ: Dennoch, an Ihnen wird besonders herumgemäkelt. ARD-Kritiker Günter Netzer hat Ihnen sinngemäß einmal die Befähigung zu einer Führungsrolle abgesprochen, weil Sie dem Erziehungssystem des DDR-Sports entsprungen sind.
MB: Das hat mich nicht getroffen. Ich hab“ damals gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Grimme-Preisträger so etwas gesagt hat. Dabei bleibe ich auch.
SZ: Sehr diplomatisch . . . Bayern-Chef Rummenigge hat zur Winterpause erklärt, nun, da Sie verletzungsfrei seien, werde man den besten Ballack seiner Karriere erleben. Sie spielen eine durchwachsene Rückrunde, mit guten, aber auch mit mäßigen Spielen.
MB: Er hat gleichzeitig gesagt, wir müssen ihn mal in Ruhe lassen und dürfen nicht jede Woche an ihm herumnörgeln. Daraufhin habe ich gesagt: Das ist aber ein guter Vorsatz vom FC Bayern, mal gucken, wie lange der vorhält. Vier Wochen später war es das alte Lied.
Randnotiz der deutschen Fußball-Geschichte
Michael Horeni (FAZ 28.4.) attestiert dem heutigen Spiel in Rumänien Bedeutungslosigkeit: „Der Countdown zur Europameisterschaft läuft, die letzten Plätze im Kader von Rudi Völler sind zu vergeben, der stärkste Gegner vor dem deutschen Auftaktspiel in Portugal gegen die Niederlande wartet: Mit einem gewissen marktschreierischen Geschick könnte der Auftritt der deutschen Nationalmannschaft gegen Rumänien durchaus zu einer peppigen Angelegenheit hochgeredet werden. April, April. Tatsächlich dürfte der rund vierunddreißigstündige Kurzaufenthalt von Völlers Team in Bukarest nicht mehr als eine Randnotiz der deutschen Fußball-Geschichte abgeben. Eingezwängt zwischen zwei Bundesligaspieltagen in der Schlußphase der Saison und trotzdem noch immer meilenweit vom Sommerturnier in Portugal entfernt, macht zumindest Kapitän Oliver Kahn keine falschen Worte mehr um eine Begegnung von eng begrenztem Wert. „Der schwierigste Termin ist dieser April“, sagt der Münchner Torwart – und gibt selbst offen zu, in Gedanken voll und ganz damit beschäftigt zu sein, „noch die deutsche Meisterschaft zu gewinnen“. Bayern zuerst, Deutschland kann noch ein bißchen warten. So wie Kahn geht es derzeit zahlreichen deutschen und europäischen Profis, denen der Sinn vor allem nach ihren Arbeitgebern steht. Daher findet es der Kapitän auch ganz vernünftig, daß andere Nationen den Länderspieltermin im April einfach sausenlassen – was die Deutschen im kommenden Jahr aus guten Gründen nachmachen.“
Letten legen nach Niederlagen der Deutschen Blumen vor der Botschaft ab
„Fußball erlebt in Lettland derzeit einen starken Aufschwung“, teilt Robert von Lucius (FAZ 28.4.) mit: „Gewiß, am 1. Mai wird Lettland Mitglied der Europäischen Union. Aber das wichtigste Ereignis des Jahres werde für viele Letten die Teilnahme an der Fußball-Europameisterschaft einige Wochen danach sein, behauptet die für Europapolitik zuständige Beamtin im lettischen Außenministerium. Und sie hebt leicht resignierend, aber auch verständnisheischend die Schultern. Mit dem EU- sowie dem Nato-Beitritt reiht sich der mittlere der drei baltischen Staaten in eine Werte- und Sicherheitsgemeinschaft ein; mit dem anderen stärkt es sein Selbstbewußtsein und seine nationale Identität ein Dutzend Jahre nach der Befreiung von Moskau – und hat außerdem Spaß. Dabei war zumindest bis vor kurzem Fußball in Lettland weniger beliebt als Eishockey und Basketball. (…) Das bevorstehende Abenteuer in Portugal ist längst Kneipengespräch in Riga. Männermagazine wie „Klubs“ drucken umfassende Gespräche mit dem Nationaltrainer Aleksandrs Starkovs als Aufmacher. Maris Verpakovskis gar – der Stürmer schoß stets die Siegtore, sechs insgesamt auf dem Weg nach Porto – wurde zum „europäischen Letten des Jahres“ gewählt: eine Ehre, die im Jahr davor die Präsidentin erhalten hatte. Letten haben nicht viele Möglichkeiten, neue Nationalhelden zu finden, Politiker zumindest geben sie ihnen selten. Verbindungen zum deutschen Gegner gibt es allenthalben in dem Land, das über Jahrhunderte der Hanse von deutscher Kultur geprägt wurde. Zeitungen berichten nicht nur über die lettischen Vorbereitungen, sondern auch darüber, daß der DFB, der Rivale also, logistische Hilfe leistet. Letten sind freundliche Menschen und revanchieren sich, indem sie nach Niederlagen der Deutschen Blumen vor der Botschaft ablegen. Und fast jeder Lette weiß, daß die Großeltern von Oliver Kahn in Liepaja (Libau), der größten Stadt des einstigen Kurland, geboren wurden, einem der Orte mit einer erfolgreichen Mannschaft in der ersten Liga. Daß der Torhüter das Land der Vorfahren bisher nicht besuchte, fällt da nicht ins Gewicht. Viele Fans dürften nicht nach Portugal fahren; meist werden sie es sich nicht leisten können, da Lettland das ärmste der zehn Beitrittsländer der EU ist. Vor allem zwei Gruppen werden sich um die 6000 Karten bemühen, die für Letten reserviert sind: wohlhabende Unternehmer und deren Söhne sowie die Gruppe der „Westletten“. Jene Letten also, die in den Jahren sowjetischer Herrschaft in das westliche Exil gingen und etwa in Großbritannien zu Anhängern von Chelsea oder Arsenal (das an Verpakovskis interessiert sein soll) wurden.“
Italien hat niemals von ihm lassen können
Roberto Baggio wir heute, nach fünf Jahren Absenz, sein Abschiedsspiel im italienischen Trikot geben; wird es wirklich sein Abschiedsspiel? Christof Kneer (BLZ 28.4.) zweifelt daran und erklärt, warum: “Bis heute hat sich die Welt nicht einigen können, was für ein Wetter damals war. In manchen Überlieferungen ist in heiligem Ernst von einem bewölkten Himmel die Rede, andere Chronisten schwören, es habe eine unerbittliche Sonne gebrannt im Himmel von Pasadena. Es ist meistens kein gutes Zeichen, wenn einem der Fußball meteorologisch kommt. Es ist dann meistens etwas passiert, und offenbar muss man dann, um die historische Dimension zu begreifen, in den Himmel starren. An diesem 17. Juli 1994 aber hing der Himmel nicht nur als Rahmenhandlung herum, er spielte mit. Der Himmel wusste gar nicht, wie ihm geschah, als ein Mann mit Zopf plötzlich einen Lederball so steil nach oben sandte, als sei da oben noch ein zweites Tor. Roberto Baggio ist diesen Elfmeter nie wieder los geworden. Es ist seine Weltmeisterschaft gewesen, damals in den USA, und vielleicht war es nur folgerichtig, dass er sie auch beendete. Neun Minuten und elf Sekunden hatte das Elfmeterschießen schon gedauert im langsamsten WM-Finale (0:0) aller Zeiten, als Baggios Fehlschuss Brasilien zum Weltmeister machte. Im Geschichtsbuch wird jetzt für immer stehen, dass Brasilien 3:2 siegte – und man muss schon tiefer blättern, um jene Heldentaten Baggios zu finden, die das Finale erst möglich machten. Man muss es immer noch mal sagen: Baggio schoss im Achtelfinale beide Tore beim 2:1 gegen Nigeria. Baggio schoss im Viertelfinale den Siegtreffer zum 2:1 gegen Spanien. Baggio schoss im Halbfinale beide Tore beim 2:1 gegen Bulgarien. Aber vielleicht steckte so viel Baggio in diesem Turnier, dass nicht mehr viel übrig war für danach. Man konnte noch nicht wissen damals, dass mit Baggios steilstem Schuss der steilste Punkt seiner Laufbahn schon erreicht war. Als der Ball herunter fiel aus dem möglicherweise bewölkten Himmel, fiel mit ihm auch die Karrierekurve des wohl begabtesten Profis, den Italien je gesehen hat. Aber Italien hat niemals lassen können von Roby, dem bezopften Genius, der mit seiner schrillen Kunstfertigkeit immer wie ein Anarchist wirkte im Lande des ergebnisgeprägten Dressurfußballs.“
Er ist das Unmögliche, das möglich wird
Birgit Schönau (SZ 28.4.) fügt hinzu: „Für das Freundschaftsspiel gegen Spanien an diesem Mittwoch in Genua hat Giovanni Trapattoni Baggio ins Nationalteam berufen, „als Hommage an seine Karriere“. Auf Druck der öffentlichen Meinung könnte man es auch bürokratisch ausdrücken, denn seit fünf Jahren fordern die Fans Baggios Rückkehr in die Nationalelf. Nach 55 Spielen, drei Weltmeisterschaften und 27 Toren war Roberto Baggio seit 1999 einfach nie mehr berufen worden. Offiziell aus technischen Gründen. In Wirklichkeit ist Baggio, der den Fußball im kleinen Zeh hat wie außer ihm in Italien vielleicht nur noch der Römer Francesco Totti, einer, über den sie sagen, man könne ihn auf jede Position stellen und sei es ins Tor – in Wirklichkeit also ist Baggio einfach nur ein rotes Tuch für fast jeden Trainer gewesen. Zu aufsässig, zu selbstbewusst, zu individualistisch. Mit Marcello Lippi hat er sich zerstritten, weil er auf der Chilischote im Salat bestand, die nicht zum Diätplan bei Juventus Turin gehörte. Arrigo Sacchi hat er bei einer Auswechslung den Vogel gezeigt und beim Elfmeterschießen im WM-Finale gegen Brasilien den entscheidenden Schuss weit über die Torlatte gedonnert. Es war der 17. Juli 1994, der schwärzeste Tag in Baggios Karriere. Dabei hat ihn dieser verschossene Elfmeter, der Italien den Titel kostete, noch populärer gemacht. Italiener lieben die Brüche in ihren Helden, die Fehler durch Menschlichkeit, sie verehren Roberto Baggio wegen seiner Genialität, mehr aber noch wegen seiner Fähigkeit zum Wiederaufstehen. Baggio ist für sie der Odysseus des Fußballs. „Wenn wir Baggio sehen, werden wir alle Kinder“, hat der Sänger Lucio Dalla geschrieben. „Er ist das Unmögliche, das möglich wird.““