indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

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Sonstiges

Oliver Fritsch | Freitag, 30. April 2004 Kommentare deaktiviert für Sonstiges

was ist das schönste Fußball-Wort? (FAZ) – ist die Zweite Liga stark oder schwach? (SZ) – Hermann Rieger, der letzte Star verlässt den Hamburger SV – auf der Suche nach dem Geist von Spiez (FAS) u.v.m.

Christian Eichler (FAZ 30.4.) belegt seine Eignung für eine Mitarbeit beim indirekten freistoß und sucht „das schönste Fußballwort: Es heißt natürlich „Tor“. Fast immer mit Ausrufezeichen zu versehen und, je nach emotionalem Gehalt, durch Vokalvermehrung beliebig auszudehnen, wobei vor allem in der brasilianischen Version („gol“) allein Lungenkapazitäten die Wortlänge begrenzen. Das „Tor“ ist erst durch die verdienstvolle Tätigkeit des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins unter die Deutschen gekommen. Als sich der Fußball immer mehr auf dem Kontinent breitmachte und damit auch sein englisches Vokabular, veröffentlichte der Sprachverein als verbalen Abwehrriegel 1902 „Deutsche Ausdrücke für das Fußballspiel“. Das Traktat enthielt neudeutsche Begriffe wie „Freistoß“ oder „Abseits“ (während Vorschläge wie „treiben“ für dribbeln oder „ungehörig“ für Foul erfolglos blieben). Der größte Treffer des amtlichen Vorgangs wurde bekanntermaßen das Tor. Es setzte sich als Übersetzung von „goal“ gegen die Alternativlösung durch: das „Mal“ (so wie „Torhüter“ gegen „Malwächter“). Man stelle sich vor, wie das andernfalls geklungen hätte, als Herbert Zimmermann vor fünfzig Jahren in Bern ins Mikrofon brüllte – wie ein durchgedrehter Kunstlehrer: „Mal! Maaal! Maaal für Deutschland!“ Das Tor gehört also auf die Auswahlliste, ebenso hübsche Unterformen wie das Traumtor. Außerdem: Schlenzer und Abstauber, Bananenflanke, Bilderbuchkonter, Sonntagsschuß und Flatterball. Ein ähnlich klangvoller Fußballbegriff ist das „Abstiegsgespenst“, das vor einem Jahr Reiner Calmund, Manager von Bayer Leverkusen, nach eigener Darstellung jeden Abend in seinem Bett vorfand. Von dort wechselte es in dieser Saison in das des Berliner Kollegen Dieter Hoeneß. Wer es einmal so hautnah kennenlernte, der würde dieses schöne Wort liebend gern tilgen und gegen eines der häßlichsten und holprigsten Wörter der Fußballsprache eintauschen: den „Nichtabstiegsplatz“. Denn der Blick auf die Sprache der Bundesliga, auf all die „Fahrstuhlmannschaften“ im „Tabellenkeller“, bei denen schon in der Hinrunde das „Trainerstuhlwackeln“ einsetzt und die „Endspiele“ beginnen, ehe dann „Schicksalsspiele“ daraus werden, wobei nach fast jedem Zwischenerfolg „Euphoriebremsen“ getreten werden – dieser Blick auf das Sprachbild der Bundesliga zeigt, daß ihr Denken immer mehr von der Furcht ums Geschäft als vom Spaß am Spiel geprägt scheint – von Ängsten statt Freuden.“

Ist die Zweite Liga stark oder schwach? Die Statistik hilft Ulrich Hartmann (SZ 3.5.) bei der Antwort nicht weiter: „Vorsicht: Abstiegskampf gefährdet die Gesundheit. Bei Paul Linz ist das so, weil er viel mehr raucht als früher. Seit einigen Wochen greift der 48-jährige häufiger zur Zigarette, und wenn er jedes Mal über die bedrohlichen Warnhinweise auf den Schachteln nachdenken würde, bliebe ihm nicht mehr genug Zeit fürs Berufliche. Der Fußballtrainer braucht dringend Nikotin, weil sein Team Eintracht Trier dringend Punkte braucht. Und weil Linz mit diesem Problem nicht alleine ist in diesen Wochen, wäre der spannende Abstiegskampf in der Zweiten Bundesliga eigentlich ein Fall für die Gesundheitsvorsorge. Als vergangenen Freitag im idyllisch frühlingshaften Moselstadion das Kellerduell zwischen Trier und Ahlen zu Ende gegangen war, nebelten Linz und sein Ahlener Trainerkollege Ingo Peter den kleinen Pressecontainer neben dem Stadion mit nikotinhaltigem Qualm ein, als wollten sie die Journalisten narkotisieren. Diese Form der Anästhesie hat allerdings eher eigentherapeutische Gründe. Denn der Überlebenskampf in der Zweiten Liga ist so spannend – und damit auch schmerzhaft – wie seit langem nicht mehr. Kurz nachdem Eintracht Trier das Duell zweier stark gefährdeter Klubs unerwartet deutlich mit 3:0 gewonnen hatte, seufzte Linz: „Dieser Abstiegskampf ist sehr belastend.“ Drei Spieltage vor Schluss haben die Trierer 41 Zähler auf dem Konto, doch während diese Ausbeute in den vergangenen sieben Spielzeiten stets frühzeitig zum Klassenerhalt gereicht hätte, ist damit in dieser Saison noch nichts gesichert. „Total frustrierend“, findet auch Ahlens Trainer Peter die Vorgänge in der unteren Tabellenhälfte. Elf Punkte aus fünf Spielen und 20 Zähler in der Rückrunde hatte Peter mit seinem Team vor der Niederlage in Trier geholt, aber die Abstiegsränge haben sie trotzdem nicht verlassen. Noch nie seit Einführung der Dreipunkteregel hat eine Zweitliga-Elf vier Spieltage vor dem Saisonende mit 37 Punkten auf einem Abstiegsplatz gestanden. Bei Ahlen ist es so. Eine derart aufwühlende Zweitliga-Runde gab es zuletzt in der Saison 1995/96. Während RW Oberhausen vor einem Jahr mit mageren 37 Punkten den Klassenerhalt geschafft hat, stieg der Chemnitzer FC vor acht Jahren mit 42 Zählern ab. Diesmal dürften zur Rettung „sogar 43 Punkte nötig sein“, hat Peter errechnet. Die kühne Schlussfolgerung, die viele Protagonisten aus der grassierenden Existenzangst ziehen, ist ein Plädoyer für die fußballerische Stärke der Zweiten Liga. Die häufig als unattraktiv verspottete Klasse sei besser als ihr Ruf, behauptet Peter, das zeige zum einen die große Leistungsdichte innerhalb der Liga und zum anderen die Tatsache, dass die Zweitligisten Lübeck und Aachen im DFB-Pokal bis ins Halbfinale gezogen seien. Zur Frage, ob die Zweite Liga eher durchgängig schwach oder auf breiter Front stark besetzt sei, haben Peter und Linz eine klare Meinung: „Die Liga wird unterschätzt“, sagt Linz.“

Andreas Kröner (SpOn) verabschiedet Hermann Rieger, Masseur des Hamburger SV: „Seine Popularität hat viel mit der Entfremdung der Bundesligakicker von ihren Fans zu tun. In Zeiten, in denen 60 Prozent der Profis aus dem Ausland kommen und viele den Club schon wieder verlassen haben, noch ehe sie sich mit den Autogrammjägern halbwegs auf Deutsch unterhalten können, dient der burschikose Fitmacher als letzte Konstante des HSV. Weil unter den Spielern der Archetyp Uwe Seeler ausgestorben ist, feiern die Zuschauer „uns Hermann“. Wenn Rieger mit schlabberiger Trainingshose, ausgewaschenem Muskelshirt und Badelatschen durchs Trainingszentrum am Ochsenzoll marschiert, sind für ihn alle gleich – geduzt wird jeder. Mit einem „Servus Burschi“ begrüßt er nicht nur Fans und Spieler, sondern auch Ärzte und Vorstandsvorsitzende. Dass ein ergrauter Bajuware mit leichtem Bauchansatz „einer der wichtigsten Imageträger des HSV“ ist, wie Vereinschef Bernd Hoffmann betont, muss bei dem ambitionierten Diplom-Kaufmann gemischte Gefühle auslösen. Wenn Rieger „so beliebt ist“, weil er, wie Hoffmann glaubt, „ganz authentisch die Begeisterung und die Leidenschaft für Fußball lebt“, dann sagt das eine Menge über den Unterhaltungsbetrieb Bundesliga aus. Der scheidende Masseur, weiß der Vorstandsboss, erfülle „den Wunsch der Fans nach Nähe und Herzlichkeit – Dinge, die möglicherweise im modernen Fußball etwas verloren gegangen sind“. (…) Wie Nähe und Popularität wirklich entstehen, ist an einer Pinnwand in Riegers Massageraum zu erkennen. Ein Foto zeigt das HSV-Unikum Arm in Arm mit der Großfamilie des Mittelstürmers Bernardo Romeo im sonnigen La Plata, einem Vorort von Buenos Aires. Nach einer Bandscheiben-Operation musste der Hamburger Profi im Dezember 2002 umfangreiche Reha-Maßnahmen durchführen, wollte Heiligabend aber unbedingt zu Hause verbringen. Also flog Rieger kurzerhand mit nach Buenos Aires, pflegte den Spieler rund fünf Stunden täglich – und brachte am Silvesterabend Romeos Verwandtschaft die Vorzüge bayerischen Schnupftabaks näher.“

Für einen Text im Reise-Buch der FAS (25.4.) hat Daniel Meuren einige Tage an historischer Stätte verbracht: „Hier wohnt der Geist von Spiez. An diesem Ort in den Schweizer Alpen wurde der moralische Grundstein gelegt für das Wunder von Bern. Manche behaupten, daß hier das neue Selbstbewußtsein einer zerstörten deutschen Nation erwacht sei, am beschaulichen Thuner See, mitten in den Bergen des Berner Oberlandes. Auf dem saftig grünen Rasen im Garten des Hotels „Belvedere“ hat Helmut Rahn während der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 täglich seine Muskeln gedehnt. Vom Balkon des Zimmers 303 im dritten Stock hat sein Zimmerkamerad Fritz Walter jeden Morgen auf den See geschaut und in den Garten, in dem Palmen das ganze Jahr über blühen. Auf der anderen Seite des Sees hob der Anblick der Bergkette um die Zweitausender Sigriswiler Rothorn und Niederhorn das Gemüt des sensiblen Kapitäns der Weltmeister-Elf. „Ich glaube nicht, daß irgendeine Nationalmannschaft ein landschaftlich schöner gelegenes Quartier hat“, schrieb Fritz Walter nach der Weltmeisterschaft in seinem Buch „3:2″. Darin erzählt er, wie im „Belvedere“ jene besondere Kameradschaft entstanden sei, die den Sieg im Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 gegen den Favoriten Ungarn ermöglicht habe, und daß Deutschland deshalb seinen legendärsten sportlichen Triumph zu einem Teil dem Hotel zu verdanken habe. (…) Der Bundestrainer maß der Hotelwahl vor der WM große Bedeutung bei. Lange bevor die Qualifikation für die Weltmeisterschaft gesichert war, beauftragte er seinen ehemaligen Spieler Albert Sing mit der Suche nach einer Unterkunft. Nach dem Turnier schrieb der „Chef“ in seinen Memoiren, daß „der ruhige Flecken Spiezer Erde womöglich den entscheidenden Vorteil gegenüber den Ungarn brachte“. Die Gegner vom 4. Juli 1954 wohnten in der Tat ganz anders. Mondän, mitten in der lebhaften Barockstadt Solothurn gelegen, lockt das mehr als sechshundert Jahre alte „Hotel Krone“ mit großer Vergangenheit und Klasse. Casanova verführte im zweitältesten Schweizer Hotel monatelang Gespielinnen, Napoleon trank hier auf der Durchreise ein Glas Wasser, Könige und Zaren gaben sich die Klinke in die Hand, wie das Hotelbesitzerehepaar Dörfler referiert. Als die Monarchien untergegangen waren, kam „Major“ Ferenc Puskas, Mitte der 50er Jahre der beste Fußballer der Welt. (…) Die Legende will nämlich, daß ihre ungarischen Helden den Weltmeistertitel wegen allzu starken Bierkonsums verschenkt haben. Angeregt vom Treiben rund ums Hotel, sollen die Magyaren schon vor dem Endspiel zur verfrühten Feier des Turniersieges angesetzt haben. „Es kann schon sein, daß sie am Vorabend des Endspiels ein oder zwei Bier zuviel getrunken haben. Sie waren sich ihrer Sache schon ganz schön sicher, nach über vier Jahren ohne Niederlage. Aber richtig gefeiert haben die nicht, das ging hier in Solothurn mangels eines richtigen Nachtlebens gar nicht“, erzählt Rolf Christ, damals 17 und Fußballer beim FC Solothurn. Vielleicht fehlte den Ungarn auch nur Schlaf. In Solothurns Stadtmitte weckt nämlich jeden Morgen in aller Frühe das Glockenspiel der gegenüber der „Krone“ gelegenen St.-Ursen-Kathedrale die Bewohner. Puskas, Hidegkuti und die anderen hatten in jedem Fall mit wesentlich mehr Störfaktoren zu kämpfen als die deutschen Gegner. Spiez präsentierte sich für die Helden von Bern als beschaulicher Luftkurort, dem der „Baedeker“ aus jener Zeit bescheinigt, an der „schönsten Bucht Europas“ zu liegen. Das abseits jedes Trubels gelegene „Belvedere“ war mit seinen sechzig Betten zu Beginn der 50er Jahre eine Top-Adresse. Helmut Rahn mußte auf seiner angeblichen Sauftour in die noch heute existierende „Niesen-Bar“ oberhalb des Spiezer Bahnhofs eine Viertelstunde zu Fuß laufen. Vor allem aber war das Haus begehrt, weil im Erdgeschoß die Fleischereischule des schweizerischen Metzgereiverbandes untergebracht war. Folglich gab es Fleisch in Hülle und Fülle, das den Deutschen die Kraft zur fußballerischen Wundertat verlieh. „Wir hatten in unseren Räumen aber auch immer ein Bier für die Kameraden, ohne daß der Herberger das erfahren hat“, sagt Willy Kohler, damals Fachlehrer an der Fleischereischule. Der heute 76 Jahre alte Kohler weiß noch zu erzählen, „daß die Deutschen nach Herbergers Willen zu Trainingszwecken Ping Pong spielen sollten. Der Turek hat mal gegen mich gespielt. Er war Welten besser.“ Doch nicht nur die Tischtennisplatte nutzte Herberger zur körperlichen Ertüchtigung seiner Spieler. Die Lage am See bot sich dazu an, entlang des wunderschönen, noch heute erhaltenen Strandweges nach Faulensee zu laufen oder auf Spaziergängen sensibleren Kadetten Mut zuzusprechen. Eine Quelle dürfte der geeignete Ort zur kurzen Besinnung auf deutsche Tugenden gewesen sein. Der Schweizer Nationalheld General Guisan überlegte sich an dieser Stelle anderthalb Jahrzehnte zuvor die Strategie zur Verteidigung der Schweiz im 2. Weltkrieg. Herberger entwickelte hier seine Taktik fürs Endspiel.“

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