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Gespräch mit Oliver Kahn und: Wer wird WM-Ausrichter 2010?
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| Dienstag, 11. Mai 2004SZ-Werkstatt- und Strafraumgespräch mit Oliver Kahn über seine Autobiografie – „der FC Bayern kommt finanziell auch ohne Titel aus“ (FAZ) – Felix Magath hat viel Kredit in Stuttgart verspielt (SZ) – wer darf die WM 2010 ausrichten? sehr wahrscheinlich Südafrika, vielleicht Marokko, Ägypten eher nicht; oder doch? – Blutspenden für Union – Thailands Premierminister Thaksin Shinawatra kauf Teile des FC Liverpool – Theater auf Schalke u.v.m.
Warten in einem abgesteckten Feld
SZ-Werkstatt- und Strafraumgespräch mit Oliver Kahn, Schriftsteller und Torwart
SZ: Herr Kahn, der Dichter Gotthold Ephraim Lessing lehrte: „Schreibe wie du redest, so schreibst Du schön.“ Welchem Prozess sind Sie gefolgt, als Sie „Nummer eins“ geschrieben haben?
OK: Also, dieses Buch ist zu 100 Prozent authentisch, es gibt keinen Ghostwriter, und der Prozess war relativ einfach: Ich habe zu vielen Themen meine Gedanken auf Band gesprochen, diese Bänder wurden eins zu eins aufgeschrieben, und das habe ich als riesiges Manuskript bekommen. All diese Din-A-4-Seiten habe ich dann am Ende mit einer Lektorin des Verlags so lange überarbeitet und gegliedert, bis ich eine Form hatte, die für mich authentisch war.
SZ: Schriftsteller empfinden das Bücherschreiben oft als schmerzhaft.
OK: Das ist schon eine Wahnsinnsarbeit. Da gibt es Passagen, über denen sitzt man stundenlang und fragt sich: Wie formulierst du das aus, wie bringst du das in Form, wie machst du dich richtig verständlich? Du kommst einfach nicht drauf und wirst bald verrückt.
SZ: In dem Buch steht der Satz: „Das Warten in einem abgesteckten Feld, also im Strafraum, ist für einen ungeduldigen Menschen wie mich etwas Furchtbares.“ Dem Dichter geht es ja nicht besser, wenn er in seiner Kemenate über das nächste Kapitel sinniert.
OK: Das war nicht das Problem. Aber wenn man da sitzt, vielleicht mit einem Glas Wein, und schreibt einfach ein paar Gedanken auf – es ist ja keine Autobiografie, es sind Reflexionen –, dann kommt man auf einmal ins Grübeln. Und beim Überarbeiten der Manuskripte ist mir aufgefallen: Hoppla, da gehst du zu weit, und da bist du arg abgedriftet, und da wird“s schon sehr philosophisch.
(…)
SZ: In Ihrer Schilderung vom verlorenen Champions-League-Finale 99 schreiben Sie von der „großen Leere“, die Sie danach befallen hat, und dass dies eine Schlüsselsituation fürs ganze Leben war.
OK: Auf einmal war da ein ganz großer Traum, eine totale Fixierung zerschlagen, und daraus habe ich viel gelernt. Damals empfand ich es so, dass das allein glücklich und selig machende dieser Pokal ist, in meiner Besessenheit habe ich gar nichts anderes mehr gesehen. Da war für mich Endstation, psychisch und physisch.
SZ: Ihre Situation, schreiben Sie, war die eines „Workaholic und Süchtigen“.
OK: Da können mich viele sicher gut verstehen, Chefs in vielen Berufen, in Banken, Agenturen etcetera. Die arbeiten auch bis zum Geht-nicht-mehr. Aber sie haben Mechanismen, um runterzufahren – und die hatte ich damals nicht mehr. Aber kommen Sie mir jetzt bloß nicht mit dem Wort Burn-Out-Syndrom! Das ist ein Modebegriff, der keine Differenzierung zulässt.
SZ: Nach 1999 machen Sie sich aber neue Gedanken über Ihren Beruf. Sie erwähnen den Zynismus der Vereinsphilosophie des FC Bayern und kommen zu dem Schluss: Totales Erfolgsdenken führt zu Verrohung und Abstumpfung.
OK: Es geht nicht darum, dass es falsch ist, die Nummer eins sein zu wollen. Sondern darum, dass es eine fatale Einstellung ist, wenn man glaubt: Wenn ich oben bin, ist alles, was ich gemacht habe, richtig. Ich habe ja auch gemerkt, wie die Menschen um mich herum unter mir gelitten haben, weil das Hetzen zum Erfolg einfach zu extrem wurde. Du nimmst ja nichts mehr wahr, weil du so auf dich fixiert bist.
SZ: Und wenn Ihnen solche Fehler unterlaufen wie am Samstag gegen Bremen oder im Europacup gegen Real Madrid, dann leiden Sie heute weniger als früher?
OK: Dann bin ich natürlich schon schwer niedergeschlagen und mach“ mir Gedanken, es tut weh. Aber ich kann mich ja nicht verkriechen, wie ich“s früher gemacht hab“. Früher hätte ich mich nach solchen Fehlern eingeschlossen. Heute gehe ich in so einer Situation überall dorthin, wo Menschen sind. Dann hörst du, was die Leute reden, es ist entwaffnend und du zergrübelst dich nicht.
SZ: Obwohl Sie es jetzt, nach dem Erlebnis im Bremen-Spiel, vorgezogen haben, die Öffentlichkeit zu meiden. Auf den Samstag passt, was Sie über einen anderen Fehler geschrieben haben, beim 1:1 gegen Real Madrid: „Keine Pfiffe, keine Jubelschreie, gespenstische Stille, noch nie in meinem Leben habe ich die Fassungslosigkeit so gespürt.“
OK: Da stand für die Zuschauer in München wieder die Frage im Raum: Was haben wir hier gesehen? Ist das eine optische Täuschung?
SZ: In dem Buch gibt es eine Kanzlerparallele. Sie handelt von Ihrem Wutausbruch, während die Deutschen das WM-Finale 1982 verloren. „Ich schwor mir in diesem Augenblick, dass ich das alles einmal selbst erleben wollte“, schreiben Sie. Das erinnert uns an Gerhard Schröder, wie er in Bonn am Gitter vom Kanzleramt rüttelt und ruft: „Ich will hier rein.“
OK: Ich kann mich noch sowas von erinnern. Es war die WM 1982, das Endspiel zwischen Deutschland und Italien, und ich war im Urlaub in Italien, in Rimini auch noch. Wir haben das Spiel in einem Lokal geschaut, und dann siehst du vor dir die Italiener aufspringen bei jedem Tor, es steht 0:3, bis der Breitner noch ein Tor schießt. Ich bin dann schnell heimgerannt, ich konnte den Jubel der Italiener nicht ertragen und dann habe ich eben diesen Blumenkübel genommen und auf den Asphalt geschmissen – aber mit Schröder will ich mich jetzt nicht vergleichen. Für mich entstand da der Antrieb zu sagen: So möchte ich die Leute auch mal bewegen.
Die schlecht gelaunten Bayern haben, ausgerechnet, ihren Hofberichterstatter Waldemar Hartmann versetzt; Hartmann schimpft, teilen Frank Hellmann & Oliver Trust (FR 12.5.) mit: „Der Ur-Bayer fühlte sich von seinen Gesinnungsgenossen im Stich gelassen. Und damit war Waldemar Hartmann, der seit einem Vierteljahrhundert für den Bayrischen Rundfunk tätige und seit ewig die Protagonisten des FC Bayern duzende Moderator, in seiner Ehre gekränkt. Nacheinander hatten am Montagnachmittag Ottmar Hitzfeld, Oliver Kahn und Karl-Heinz Rummenigge in der Redaktion angerufen und eine Absage für die montägliche Kultsendung „Blickpunkt Sport“ erteilt. Da war für den bekennende Bayern-Freund Schluss mit lustig. In einem einzigartigen Spontan-Kommentar lederte der Weißbier-Liebhaber gegen die Bayern los, wobei die leidenschaftliche Anklage („Zehn Millionen Sympathisanten warten auf Antworten – ich mache die Sendung nicht fürs Poesie-Album“) mit dem bemerkenswerten Satz endete: „Sie haben, wie am Samstag, heute die große Chance verpasst, ihre Mannschaft würdig zu vertreten.“ Applaus im Studio. Wenn schon „Waldi“ wütet, sind Anspruch und Wirklichkeit des FC Ruhmreich unwirklich weit auseinander gerückt. Und bedenklich stimmt, wenn sich der Club beste Freunde zu Feinden macht.“
Jan Christian Müller (FR 12.5.) kommentiert die Gerüchte um Magath und Hitzfeld: “Magath, so hat es den Anschein, hat angesichts des Interesses aus München beim VfB bereits innerlich gekündigt. Rummenigge wiederum hat, der zarten Gegenwehr des – nach dem lächerlichen Getöne der vergangenen Woche derzeit tief auf Tauchstation befindlichen – Vorstandskollegen Uli Hoeneß zum Trotz, mit Hitzfeld schon abgeschlossen. Nicht, weil er keinen Respekt vor dem Ehrenmann hätte, sondern weil er nüchtern analysiert hat, dass es dringend Zeit ist, sich zu trennen. Es macht also keinen Sinn, dass Magath noch in Stuttgart bleibt und Hitzfeld bei den Bayern. Dort weiß man indes, dass allein ein Trainerwechsel kaum ausreichen wird, wenigstens national zur gewohnten Überlegenheit zurückzukehren. Dabei gehören Klasse und Mentalität der Mannschaft ebenso streng überprüft wie die Arbeit der Macher. „Werden jeden Stein umdrehen“ (Hoeneß im Herbst), „the trend is your friend (Hoeneß im Winter), „Werder wegfegen“ (Hoeneß im Frühling) – es ist nicht nur Ballack und Kahn zuletzt zu viel daneben gegangen. Viel zu viel.“
Emotionen der schwäbischen Fans lassen sich nur schwer kontrollieren
Martin Hägele (SZ 12.5.) stellt fest, dass Magath in Stuttgart viel Kredit verspielt habe: „Der Fußball-Lehrer, der in drei Jahren aus einem abstiegsbedrohten und hochverschuldeten Chaosklub die halbe Nationalelf und einen Verein mit internationaler Perspektive schuf, muss Angst haben, dass sie ihn am Samstag, nach dem Duell mit dem FC Bayern, aus der Stadt jagen. Die Emotionen der schwäbischen Fans lassen sich nur schwer kontrollieren, wenn ausgerechnet der wichtigste Mann des VfB den Arbeitsplatz und dann auch noch nach München wechselt. Am Sonntag testete das SWR-Fernsehen die Stimmung an der Basis: „Soll Magath nächste Saison den VfB noch trainieren?“ Innerhalb von 20 Minuten riefen rund 2000 Zuschauer an, 65 Prozent sagten Nein. Moderator Johannes Seemüller wäre fast von der Couch gekippt. Er hatte etwas mehr Dank erwartet. Doch die Geschichte hat sich verselbstständigt. Beschleunigt noch durch die Demontage des FC Bayern beim 1:3 gegen Werder Bremen. Auch Manager Uli Hoeneß, der einzige Bayern-Vorstand, der dafür plädiert hat, den Vertrag mit Trainer Ottmar Hitzfeld bis zum Juni 2005 zu erfüllen, schweigt seither. Ein Schweigen, das sich unschwer interpretieren lässt. Da sondiert einer die Lage neu. Von ähnlichen Gedanken, die um den Abschied kreisen, werden 225 Kilometer entfernt die Profis des VfB begleitet. Einige Spieler haben mit dem Kapitel Felix Magath bereits abgeschlossen. Manche der jüngeren Profis, die extrem auf ihren Entdecker und Mentor fixiert waren, nutzen die nahende Trennung offenbar als Alibi für den Krisenbefall in den Partien gegen Bochum und beim Hamburger SV. „Jetzt muss mal einer auf den Tisch schlagen und eine klare Linie vorgeben“, sagt ein Spieler, der ungenannt bleiben möchte. Viele seien sauer darüber, dass sich ihr Teamchef ausgerechnet jetzt, da man mit Bayern um den Einzug in die Champions League kämpfe, offenbar vom Hofe mache.“
Gefüllte Kriegskasse
„Der FC Bayern kommt finanziell auch ohne Titel aus“, schreibt Angela Maier (FAZ 11.5.) im Wirtschaftsbuch: „Mißerfolge beeinträchtigen die Geschäftszahlen des FC Bayern weniger stark als der Zusammenbruch der Kirch-Gruppe und die Krise auf dem Fernsehwerbemarkt. Der Umsatz, der in der Vorsaison um 8 Prozent auf 162,7 Millionen Euro gesunken war, dürfte in der zu Ende gehenden Saison auf diesem Niveau verharren. Auch beim Gewinn, in der vergangenen Saison von 9,8 auf 0,4 Millionen Euro eingebrochen, sieht der Vorstandschef keine Besserung. „Die Zeit der guten Gewinne ist vorbei.“ Aus dem vor einem Jahr veröffentlichten Geheimvertrag mit der Kirch-Gruppe wären dem FCB jährlich 15 Millionen und in diesem Jahr sogar 25 Millionen Euro zugeflossen, wäre Kirch nicht vor zwei Jahren in die Insolvenz gegangen. Und auch in der Champions League ist der Erlös laut Rummenigge wegen des Rückgangs der Fernseh- und Ticketeinnahmen nur noch halb so hoch wie im bayerischen Rekordjahr 2001, als Bayern neben dem deutschen auch den europäischen Meistertitel und den Weltpokal gewann. Zumindest hat der FC Bayern nach den Worten seines Vorstandschefs so viel Geld in der Kasse wie kaum jemals zuvor. Ob einen zwei- oder schon dreistelligen Millionenbetrag, sagt Rummenigge nicht. Mit der gefüllten Kriegskasse werden sich Rummenigge und seine Kollegen demnächst auf den europäischen Transfermarkt begeben. Zwei bis drei neue Spitzenspieler will der FCB verpflichten. Dafür wird weiterhin ordentlich investiert. Während mittlerweile eine „Schwemme“ von Mittelklasse-Spielern ohne Ablösezahlungen und zu deutlich niedrigeren Gehältern zu haben sei, gelte für die Elite immer noch: „Qualität kostet“. Im Vergleich zu Makaay seien die Spieler, an denen der FCB Interesse habe, aber „nicht ganz so teuer“. Die Maxime des FC Bayern bleibt „Erfolg, aber bezahlbar“.
Stefan Hermanns (Tsp 11.5.) empfiehlt das Lexikon des DDR-Fußballs: „Mit dem DDR-Fußball ist es wie mit den Briefmarken aus der Deutschen Demokratischen Republik: Es handelt sich um ein abgeschlossenes Sammlergebiet. Für die Autoren des „Großen Lexikons des DDR-Fußballs“ ist das ein entscheidender Vorteil. Denn von einigen unwichtigen Nachwehen abgesehen, ändert sich an den Zahlen und Fakten nichts mehr. Das Buch hat dadurch etwas Endgültiges. Das Lexikon ist nicht das einzige neue Buch, das sich mit dem Fußball in der DDR beschäftigt. Wahrscheinlich ist das kein Zufall. In diesem Frühjahr und Sommer jähren sich die beiden größten Erfolge des DDR-Fußballs zum 30. Mal: der Europapokal-Gewinn des 1. FC Magdeburg und die einzige WM-Teilnahme der DDR-Auswahl. Das Lexikon von Michael Horn und Gottfried Weise ist das, was ein Lexikon sein muss: allumfassend.“
Javier Cáceres (SZ 12.5.) freut sich über die Kreativität Union Berlins: „Union würde zurzeit eine prima Steigerung des Adjektivs pleite abgeben. Womit wir bei Unions Erfindungsreichtum wären. Vor einigen Jahren noch hatte sich die Kreativität buchhalterisch geäußert; weil es auffiel, durfte Union nicht aufsteigen. Zwecks Fund-Raising müssen also neue Lösungen her – und sie wurden, wie die Nachrichtenagenturen melden, auch gefunden: In sehr offensichtlicher Anlehnung an das „Saufen für Sankt Pauli“, das im vergangenen Jahr dem Hamburger Kiezclub einen Lizenz sichernden Millionenbetrag verschaffte, soll nun Plasma die Eisernen aus Köpenick flüssig machen: „Union hat die Fans zu Blutspende-Aktionen aufgerufen, deren Erlös dem Verein zu Gute kommt“, berichtet dpa. „Wenn wir alle Kräfte mobilisieren, können wir es schaffen“, sagt Marketing-Leiter Ralf Büttner. Das ist insofern optimistisch, als der sid erfuhr, dass jeder Aderlass mit einer Aufwandsentschädigung von zehn Euro vergolten wird. Nicht wenig, aber auch nicht richtig viel: Ausweislich der Homepage eines in Berlin ansässigen Instituts zahlen Samenbanken ungefähr das Zehnfache. Unversteuert. Im Gegensatz zu der natürlich verdammenswerten, weil eindeutig Leber strapazierenden und Gesundheit gefährdenden Aktion aus Hamburg kann der Katastrophenhilfe für Union zumindest Eines zugute gehalten werden: Sie kann positive Nebenwirkungen zeitigen. Regelmäßiges Blutspenden, heißt es beim Roten Kreuz, verlangsamt einerseits die Gefäßverkalkung – und lindert so das Risiko eines Schlaganfalls. Andererseits beschwört es für Union-Fans einen unauflösbaren ideologischen Konflikt herauf. Denn es verringert auch: den Eisengehalt in den Venen.“
Welche Chancen hat Ägypten auf die Ausrichtung de WM 2010? Bessere als viele behaupten, meint Raphael Honigstein (Tsp 12.5.): „Nach der knappen Niederlage gegen Deutschland vor vier Jahren ist Südafrika der große Favorit. Libyen hat keine Chance, die Tunesier haben ihre Kandidatur am Wochenende von sich aus zurückgezogen. Bleiben noch Marokko und Ägypten: Beide sind nur Außenseiter, doch es könnte eine Überraschung geben, falls Südafrika im ersten Anlauf nicht die erforderlichen 13 Stimmen bekommen sollte. In Ägypten geht man davon aus, dass das zweitplatzierte Land in diesem Fall auf die Unterstützung seines nordafrikanischen Nachbars zählen kann. Weil die Fifa Ägypten in ihrem Inspektionsbericht als zweitbesten Kandidaten hinter Südafrika eingeschätzt hat – beide erhielten das Prädikat „exzellentes Potenzial“ –, sind in Kairo Hoffnung und Enthusiasmus nun sehr groß. „Ich glaube, dass wir die beste Mannschaft haben. Unsere Bewerbung ist sehr ernsthaft und sehr realistisch“, sagt Mohamed El-Siagy. In einem dunklen Zimmerchen in der Nähe des Cairo International Stadium, das gerade für den Afrika-Cup 2006 renoviert wird, preist der Vorsitzende des Organisationskomitees in holprigem Englisch die Vorzüge seines Landes an. Die Bevölkerung, 70 Millionen, sei komplett fußballverrückt. Ägypten läge in der Mitte der Welt, für jeden bequem erreichbar, es sei sicher. Und man habe keine weit verbreiteten Krankheiten – „wir sind ein gesundes Land“. Immer wieder bekommt man diesen Satz von den Offiziellen zu hören, es ist der wenig subtile Hinweis auf das Aids-Problem in Südafrika. Auch wenn El-Siagy davon spricht, dass man sich überall in Kairo frei bewegen könne und keine Angst vor Vergewaltigung haben muss, soll der westliche Zuhörer an die Ghettos in Johannesburg denken. In diesen bewegten Zeiten komme es in erster Linie auf die Sicherheit an, lautet das Kalkül, und diese Trumpfkarte gedenkt man voll auszuspielen. El-Siagy:„Man kann nicht jedem der drei Millionen Besucher einen Polizisten an die Seite stellen.“ Sportminister Dr. Ali El Din Halal stößt ins gleiche Horn: „Stadien kann man auf dem Reißbrett kreieren, Sicherheit nicht.“ Die sei keine Sache der Behörden, sondern in erster Linie „eine Funktion der sozialen Verhältnisse“. Und in dieser Beziehung würde Ägypten mit seiner geringen Verbrechensquote und großen Stabilität sehr gut dastehen. „Die Slums von Kairo sind sehr viel sicherer als die Slums von New York“, behauptet der ergraute Politiker, den die Massen „Dr. 2010“ nennen. Rein subjektiv fühlt man sich in der Stadt mit den vielen Polizisten und Militärs auf der Straße auch spät nachts tatsächlich sehr sicher.“
Die FR (12.5.) ergänzt: „Der ehemalige Apartheids-Staat hat zehn Jahre nach den ersten freien Wahlen die meiste Erfahrung mit großen internationalen Sportveranstaltungen, verfügt über Afrikas stärkste Wirtschaft und kam im technischen Bericht der Fifa-Inspektoren, die unter anderem Stadien, Infrastruktur und Stimmung im Land bewerteten, am besten weg. „Das ist sehr wichtig für uns. Bei der Vergabe der WM 2006 spiegelte die Wahl den Bericht exakt wider“, sagt Bewerbungschef Danny Jordaan. Doch Franz Beckenbauer, der damals um Stimmen für die deutsche Bewerbung warb, warnt: „Sportpolitik ist eine total irrationale Angelegenheit.“ Während sich Bundeskanzler Gerhard Schröder und Beckenbauer für Südafrika aussprechen, haben sich Spanien und Frankreich vor den Wagen der marokkanischen Bewerbung gespannt. Michel Platini, einer der Stimmberechtigten, sagte neulich: „Die Fifa muss sich fragen, wo die Fans die WM gucken wollen.“ Nordafrika sei wegen der kurzen Anreise für europäische Fans attraktiver. Nicht nur für die. Französischen und spanischen Firmen winken in Marokko Milliardendeals: Straßen, Landebahnen, Hotels und Stadien müssen gebaut werden. Doch die Nordwestafrikaner erhielten von den Fifa-Inspektoren noch hinter Ägypten nur die drittbeste Note. Saad Kettani, Marokkos Bewerbungschef, sagt, die Studie enthalte „Ungereimtheiten“ und wähnt sein Land „in allen Aspekten als Vorreiter“. Kettani glaubt, der Bericht solle „Konfusion unter unseren Unterstützern säen“. Erstmals wurden die Ergebnisse der Inspektoren vorab im Internet veröffentlicht – noch bevor die Bewerber sie in Händen hielten.“
Vorsicht, Feuilleton! Andreas Rossmann (FAZ 11.5.) meldet sich aus dem Rang: „War Yves Klein Schalke-Fan? Sind die berühmten blauen „Schwämme“, monochrome Reliefs, die das Foyer des Theaters in Gelsenkirchen zusammenhalten, eine Anspielung auf den Fußballclub? Jedenfalls kommt ihre Farbe dem Königsblau der „Knappen“ verdächtig nahe, und die waren 1958, als das von Werner Ruhnau entworfene Haus im Bau war, gerade zum letzten Mal deutscher Meister geworden. So könnte es sein, daß Yves Klein sich von der Farbe, in die die Stadt damals getaucht wurde, inspirieren ließ. Doch mußten fünfundvierzig Jahre vergehen und Schalke 04 seinen hundertsten Geburtstag feiern, bevor uns das auffallen und dieses kleine Rätsel der Kunstgeschichte – die Rezeptur gilt als geheim – gelöst werden konnte. „Die ham mich für bekloppt erklärt“, sagt Rudi Assauer über die Mitglieder des Vorstands, als er vorschlug, zum Jubiläum ein Musical in Auftrag zu geben. Das war vor elf Monaten, und so mußte alles sehr schnell gehen. Inhaltliche Auflagen machte der „bekennende Kulturbanause“ keine und damit, wie sich herausstellen sollte, alles richtig. Denn mag Schalke 04 die Qualifikation für den Uefa-Cup am Samstag mit der Niederlage in Mönchengladbach verspielt haben, den Fußballmusical-Cup hält es bereits in Händen. Keine dramatisierte Vereinschronik mit besungenen Jahreszahlen, sondern eine selbstironische, liebevoll-kritische Hommage an den „geilsten Club der Welt“ wurde in Szene gesetzt. Die Uraufführung versetzte nicht nur Assauer, der sie, während Rudi Völler ganz links saß, in der ersten Reihe Mitte genoß, ins Schwärmen. Und alles ward gut. Der Titel „Nullvier – Keiner kommt an Gott vorbei“ spielt auf ein Plakat an, das die Zeugen Jehovas 1973 in Gelsenkirchen aushingen – und das ein Schalke-Fan mit dem Zusatz versah: „außer Libuda“. Doch das bleibt Assoziation. Held ist nicht der legendäre Flankengott Reinhard „Stan“ Libuda“, sondern ein siebzehnjähriges Talent namens Jojo Schrader, an das sich alle Hoffnungen knüpfen. Noch aber führt Stephan Krause die Mannschaft, deren Stern im Sinken ist. Der Zocker ist hoch verschuldet und deshalb bereit, einen Elfmeter zu versemmeln. Schalke 04 in der frühen Achtzigern: Der Bestechungsskandal hallt noch nach, und das Abstiegsgespenst geht um. Stoff für ein Musical, das mit Love-Story und Intrigen, Generationenkonflikten und Fanfrustrationen, Kumpeltreue und Wettkampfkonkurrenz die Ingredienzien eines großen Dramas hat. Gott tritt auch auf. Mit Rauschebart und blau-weißem Nachthemd öffnet er in der ersten Szene die Fensterläden und will den „Alten“ holen. Der, ein bärbeißiger Schalke-Fan mit aktiver Vergangenheit, hockt vor dem Lautsprecher, gegen den HSV sind es noch achtzehn Minuten. Ob die Mannschaft absteigt, will er aber noch wissen, und so handelt er eine Frist aus. Doch es bleibt beim Nullnull, die Entscheidung ist verschoben. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft (…) Was Rudi Assauer mit seiner bekloppten Idee ins Werk gesetzt hat, mußte jedem Premierenbesucher, ob Schalke-Fan oder nicht, klarwerden. Hier ist das Theater wieder moralische Anstalt: Diese Aufführung soll der Mannschaft, die fast vollzählig erschienen war, Vorbild sein. Denn wenn Schalke 04 in der neuen Saison, nur annähernd so offensiv, dribbelstark, trickreich, begeistert und begeisternd auftritt wie das Musiktheater im Revier, ist sehr viel mehr drin als dieser schmähliche siebte Platz – hinter zwei Vereinen, deren Namen auch nur zu nennen sich verbietet.“
Berlusconi Asiens
Willi Germund (FTD 12.5.) meldet: „Er zauderte und prüfte. Monatelang wollte Thailands Premierminister Thaksin Shinawatra nicht mit der Wahrheit herausrücken. Doch seit gestern ist es soweit: Der Regierungschef ordnete die Übernahme von 30 Prozent des englischen Fußballklubs FC Liverpool an. Das Geld will Thaksin, mit einem Besitz von knapp 1 Mrd. $ der reichste Mann im „Land des Lächelns“, freilich nicht aus eigener Tasche berappen. Der Steuerzahler soll löhnen. Thaksin hat rund 100 Mio. Euro für den Liverpool-Anteil geboten. Regierungssprecher Jakrapob Penkair bestätigte gestern unumwunden: „Wir werden im Namen von Thailand kaufen. Thailands Regierung hat den Handel perfekt gemacht und der größte Teil des Geldes wird aus öffentlichen Mitteln stammen.“ Es dürfte das erste Mal sein, dass eine Regierung sich bei einem international renommierten Fußballverein einkauft. Die Aktien sollen aus dem Paket des Liverpool-Vorsitzenden David Moore kommen, dem bislang 51 Prozent des Vereins gehören. Die fußballversessene thailändische Öffentlichkeit ging bislang davon aus, dass Thaksin sein eigenes Geld für den Kauf der englischen Traditionsmannschaft aufwenden würde. Er selbst hatte die Frage noch am Montag offen gelassen: „Wir müssen noch einmal diskutieren, ob es staatliches Geld oder solches von privaten Investoren sein wird“, hatte er, nach Verhandlungen mit Verantwortlichen des FC Liverpool, da noch gesagt. Lange hat er nicht diskutiert. Offensichtlich hofft der Regierungschef, dem seit Anfang des Jahres von der Vogelgrippe bis zu islamischen Unruhen im Süden Thailands eine politische Widrigkeit nach der anderen ins Gesicht bläst, dass die fußballbegeisterten Thais bereit sind, ihre Steuergroschen für einen Anteil an der Mannschaft von David Owen, Dietmar Hamann und Emile Heskey hinzublättern. Kritik an seinem ungewöhnlichen Vorgehen hat Ministerpräsident Thaksin kaum zu befürchten. In Thailand sind Fernsehen und Rundfunk weitgehend gleichgeschaltet. Von den Zeitungen wagt nur noch die kleine, englischsprachige „The Nation“ ab und an, den allmächtigen Regierungschef kritisch anzugehen. Deshalb flog Thaksin auch ein wenig schmeichelhafter Spitzname zu. Man nennt ihn den „Berlusconi Asiens“.“
Michael Kirchberger (FAS 9.5.) fährt auf historischen Spuren: „Der Vierzylinder in dem alten Opel ist gut bei Stimme. Sein Motor summt ein ruhiges Lied aus der Vergangenheit. Der Rekord ist auf der schweizerischen Autobahn unterwegs, und die ersten Steigungen hinter Basel bereiten ihm keine Mühe. Vor fünfzig Jahren gab es diese Autobahn noch nicht. Und die deutsche Fußball-Nationalmannschaft war im Jahr 1954 im Omnibus unterwegs. Gesungen wurde trotzdem. Bundestrainer Josef (Sepp) Herberger war ein Freund der Motivation durch Gesang. „Hoch auf dem gelben Wagen“ war besonders beliebt. Den Rekord B 1900 S hat sich Herberger am 8. April 1966 in Weinheim-Lützelsachsen gekauft. Zwei Jahre nach seinem Rücktritt als Bundestrainer. Der Opel-Wagen ist nicht gelb, sondern tundragrün. Auf dem Rasen eines Fußballfeldes würde er kaum auffallen. Mit ihm war Herberger auch nach seiner aktiven Zeit ständig unterwegs gewesen. Auf Talentsuche für die Nationalmannschaft oder für die Vereine der oberen Liga. An Bord ist ein Becker-Autoradio „Mexiko“. Wenn nicht am Fernseher, dann wohl über den Rundfunk wird der unvergessene Übungsleiter das dramatische Endspiel der deutschen Fußballer gegen England verfolgt haben. „Der Sepp Herberger war ein feiner Kerl, der immer geradeaus gedacht hat“, sagt Karl Sporer, Senior-Chef des Opel-Händlers in Weinheim-Lützelsachsen, der dem pensionierten Fußball-Star den Rekord verkauft hat. Die Angebote anderer Hersteller, einen Wagen gratis zu übernehmen, habe er abgelehnt. Den Opel hat er bar aus der eigenen Tasche bezahlt. Herberger hatte Wert auf Ausstattung gelegt, sie war für damalige Verhältnisse üppig. 8225 Mark hat der Rekord gekostet, der stärkere 1900er-Motor (66 kW/90 PS) machte 395 Mark Aufpreis aus; für das manuelle Getriebe mit vier statt mit drei Gängen waren 95 Mark extra fällig. Stahlschiebedach (395 Mark), Weißwandreifen (91,50 Mark) und Nebelscheinwerfer (95 Mark) waren weitere Sonderausstattungen. Für den Heckscheibentrockner waren 85 Mark Aufpreis fällig. Den Kaufvertrag unterschrieb der ehemalige Bundestrainer mit seinem Rufnamen: Seppl Herberger aus der Sepp-Herberger-Str. 8, steht auf dem Papier. (…) 380 Kilometer sind es von der Sepp-Herberger-Straße bis nach Spiez zum Hotel Belvedere, dem Mannschaftshotel der deutschen Fußballer im Jahr 1954. Der Opel Rekord hat die Distanz ohne das geringste Zeichen von Schwäche bewältigt. Jetzt knistert er leise in der milden Frühlingsluft am Thuner See. So, als wäre er mit sich selbst ziemlich zufrieden. Als Belohnung erhält er etwas Bleizusatz in den Treibstoff. Die werdenden Helden von Bern erhielten nach ihrer Ankunft in Spiez Wiener Schnitzel mit Kartoffeln und Gemüse. Nach dem Sieg über Ungarn im Endspiel wurden sie mit Consomme Double, Forelle blau und Entrecote belohnt. Wir bekommen im Lachenstadion in Thun, dem Trainingslager von 1954, eine Flasche Mineralwasser vom Trainer des FC Thun spendiert. Der hat als Bub den „Herrn Herberger“ kennengelernt, als dieser nach der Weltmeisterschaft in Bern zu Besuch war. „Ein feiner Mensch war das“, sagt er und schaut sich den Rekord an. In seinen Augen ist der Funke des Wiedererkennens zu entdecken.“