Ballschrank
Niemand hat die Absicht, einen Trainer zu entlassen
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| Mittwoch, 19. Mai 2004„der spektakulärste Trainer-Transfer in der Bundesliga-Geschichte“ (NZZ), Uli Hoeneß feuert Ottmar Hitzfeld; „Hitzfeld ist hauptverantwortlich für die uninspirierten Leistungen“ (FR) – Vorberichte des Uefa-Cup-Finales, Roberto Ayala, „das Gesicht des FC Valencia“ (BLZ); Olympique Marseille, „der schillerndste Verein Frankreichs“ (Tsp) – Dozent Rehhagel u.v.m.
Hitzfeld ist hauptverantwortlich für die uninspirierten Leistungen
Jan Christian Müller (FR 19.5.) kann den Rausschmiss Ottmar Hitzfelds verstehen: “Einer breiten Öffentlichkeit ist die Dringlichkeit der Angelegenheit jedoch nur schwierig zu vermitteln. Denn Hitzfeld hat sich in den sechs Jahren im Fegefeuer stets als untadeliger Sportsmann darzustellen gewusst, als Gentleman auf der Trainerbank. So einer hat vom Hardcore-Kuttenträger in der Kurve bis zur Schwiegermama auf dem Fernsehsessel eine breite Fangemeinde auf seiner Seite. Da er sich Medienvertretern gegenüber zwar regelmäßig eher nichts sagend, jedoch ebenso freundlich und fair verhalten hat, hinken die Verantwortlichen der Bayern auch in Sachen Öffentlichkeitsarbeit ihrer sportlichen Führungskraft um Längen hinterher. Reichlich sonderbar, dass die Presseagenturen gestern um 15.23 Uhr aus einem vorab veröffentlichten Hoeneß-Interview einer Münchner Zeitung zitieren mussten, in dem der Manager endgültig öffentlich Vollzug vermeldete: „Ich habe Ottmar die Erklärung gegeben, und die hat er auch akzeptiert.“ Das Bild des professionell geführten Branchenführers leidet nicht nur wegen unzureichender Leistungen auf dem Platz. Aber die Probleme kommen genau von dort, und Hitzfeld ist hauptverantwortlich für die im Saisonverlauf zunehmend uninspirierten Leistungen, ebenso wie er hauptverantwortlich für Champions-League- und Weltpokalsieg war. Das Geschäft bietet keinen Raum für Sentimentalitäten. Der unnachgiebige Rummenigge hat das seinem Kollegen Hoeneß mit kaiserlicher Hilfe inzwischen erfolgreich eingebimst. Hitzfelds Zeit ist abgelaufen. Der Lörracher ist Profi genug, das einzusehen und zu verkraften. Ob Magath sodann ein ähnliches Missverständnis werden wird wie seinerzeit Otto Rehhagel, ist eine ganz andere Frage. Womöglich wird man sie eines Tages mit „ja“ beantworten müssen.“
of: Ich denke, die Bayern machen den gleichen großen Fehler wie Borussia Dortmund vor sieben Jahren. Statt Hitzfeld hätten Sie besser Teile der Mannschaft auswechseln sollen. Felix Magath kann in München nur schwer auf Dauer glücklich werden; zur Zusammenarbeit mit Beckenbauer und Rummenigge fehlt ihm die dicke Haut.
Joachim Mölter (taz 19.5.) hält der Bayern-Führung schlechten Stil vor: „Neben der Höhe der Abfindung für Ottmar Hitzfeld, dessen Vertrag bis zum 30. Juni 2005 galt, spielt wohl vor allem die Höhe der Ablöse für Felix Magath eine Rolle, der beim VfB Stuttgart genauso lang gebunden ist. Angeblich stehen Hitzfeld 4,5 Millionen Euro zu bis zum Ende seiner Vertragslaufzeit, für Magath fordert der VfB dem Vernehmen nach 4 Millionen – in der Summe wird das der teuerste Trainerwechsel der Bundesliga-Geschichte. Da wird wohl noch etwas gefeilscht. Am Dienstag flog Ottmar Hitzfeld erst einmal mit der Mannschaft nach Gyor, wo ein Bayern-Sponsor ein Spiel gegen den dortigen ungarischen Erstligisten anberaumt hat; und am Samstag beim abschließenden Bundesliga-Heimspiel gegen den SC Freiburg wird Hitzfeld vermutlich auch noch auf der Trainerbank sitzen. Er muss ja aus rechtlichen Gründen seine Arbeitskraft anbieten, und das wird er so lange tun, bis alle Modalitäten zu seiner Zufriedenheit geklärt sind. Hitzfeld ist in keiner schlechten Position, in dem ganzen Theater spielt er eindeutig die beste Rolle. „Man muss bewundern, wie er mit der Situation umgeht, das ist unglaublich“, sagte Mittelfeldspieler Michael Ballack. Auf ganz andere Weise unglaublich geht das Triumvirat an der Spitze des Klubs mit der Situation um: Seit Wochen mobbten Beckenbauer und Rummenigge gegen Hitzfeld, nur Uli Hoeneß schien den Trainer weiterhin beschäftigen zu wollen. Jetzt ist der Manager derjenige, der am meisten Glaubwürdigkeit verloren hat. Anfang Mai hatte er bekräftigt, dass Ottmar Hitzfeld seinen Vertrag beim FC Bayern bis zum 30. Juni 2005 erfüllen werde; alles andere sei „Blödsinn, totaler Unfug, Grimms Märchen“, sagte er damals. Angesichts der sofort einsetzenden Debatte, ob ein Trainer mit ablaufendem Haltbarkeitsdatum genügend Autorität innerhalb der Mannschaft behalte, sagte er: „Ich glaube, dass wir stark genug sind, dieses Thema ein Jahr lang durchzuziehen.“ Aber schon jetzt, zwei Wochen und zwei Niederlagen später, machen die mächtigen Männer beim FC Bayern einen ganz schwachen Eindruck.“
Wetterfeste Verteidigung
Paul Ingendaay (FAZ 19.5.) befasst sich mit dem FC Valencia, Uefa-Cup-Finalist: „Die spanischen Sportzeitungen dieser Tage quellen über von Einzelheiten der Krise Real Madrids. Fußballhistoriker haben nach der 1:2-Niederlage beim Absteiger Murcia sogar einen neuen Negativrekord entdeckt: Noch nie im mehr als hundertjährigen Bestehen des Vereins mußten die Madrilenen in der spanischen Liga vier Niederlagen nacheinander einstecken. Erst auf Seite 10 des Sportblatts „Marca“, der auflagenstärksten spanischen Zeitung überhaupt, ist vom bevorstehenden UEFA-Pokalfinale des FC Valencia gegen Olympique Marseille in Göteborg die Rede. Viel gibt es dazu offenbar nicht zu sagen. Wen immer die Journalisten vors Mikrophon holen, ob Trainer, Assistenten oder Spieler, alle reden von Arbeit, Disziplin und mannschaftlicher Geschlossenheit. Selbst die Stürmer heben als erstes die defensive Grundhaltung hervor und ergehen sich in Lobeshymnen auf die wetterfeste Verteidigung (…) Wer von den leicht favorisierten Valencianern im Göteborger Finale großen ästhetischen Glanz erwartet, könnte enttäuscht werden. Nach zwei verlorenen Champions-League-Endspielen in den Jahren 2000 und 2001 versuchen die Spieler, das Gespenst des europäischen Lampenfiebers zu vertreiben und kaltblütig den UEFA-Cup zu holen. Manchen im Verein dürfte es nachdenklich stimmen, daß die Mannschaft ohne ihren häufig verletzten Spielmacher Pablo Aimar erfolgreicher abschneidet als mit ihm. Das „Modell Valencia“ pflegt nicht Individualisten, sondern den Mannschaftsblock, der in hervorragender körperlicher Verfassung das Ende der Saison erreicht hat. „Unsere Mitspieler“, sagt Mittelstürmer Mista, „lassen nicht zu, daß wir einen Zentimeter Boden preisgeben. Irgendwann sieht der Gegner, daß wir einfach nicht nachlassen. Das ist unsere Waffe.““
Das Gesicht der Mannschaft
Ronald Reng (BLZ 19.5.) porträtiert Roberto Ayala, Abwehrstar des FC Valencia: “Roberto Fabin Ayala wurde schon als Junge erwachsen. Früh lernte er die wichtigen Dinge im Leben: Frauen zu lieben und Stürmer fertig zu machen. Mit 16 wurde er Vater, mit 15 spielte er in einem Männerteam. Nach Vorbildern brauchte er nicht weit zu schauen, sein eigener, damals 35-jähriger Vater war sein Partner in der Innenverteidigung des argentinischen Amateurteams San José. Einmal, erinnert sich Ayala, traf sein Vater „auf einen dieser verfluchten Angreifer, denen auch der Krieg gefällt. Sie gingen vor dem Spiel gemeinsam zum Schiedsrichter und sagten: ,Was immer auch passiert, gib‘ bitte keinem von uns eine Gelbe Karte, wir regeln das unter uns.‘ Nach dem Spiel wurden beide, der Stürmer und mein Vater, mit vier Stichen am Kopf genäht.“ Heute ist Ayala 31, der beste Innenverteidiger der spanischen Primera Division, einer der begehrtesten Profis der Welt, um den sich unter anderem Real Madrid und der FC Chelsea bemühen; er ist einer dieser modernen Abwehrspieler, die ihre Arbeit mit unheimlicher Antizipation, fantastischem taktischen Verständnis und beachtlicher Balltechnik regeln. Er ist nur 1,77 Meter groß und trotzdem einer der Stärksten beim Kopfball. Doch in seinem modernen Spiel leben die altmodischen Bräuche von Verteidigern aus einer längst vergangenen Zeit fort. „Wenn mich einer beleidigt, beleidige ich ihn, wenn mich einer schlägt, schlage ich ihn.“ (…) Selbst als Valencia die spanische Liga gewann, konnte es die Sportzeitung Marca nicht lassen, ihr Spiel als „spekulativen, perversen, skrupellosen Fußball“ zu geißeln. In Wahrheit ist es ein Team, das auf alle Arten spielen kann – und weiß, wann es der Defensive Vorrang gewähren muss. Gleichzeitig hat es in Vicente und Pablo Aimar Spieler, die Poesie in den Angriff bringen. Doch ihr Gesicht ist Ayala. Der, der so grimmig schaut. Als er einmal für ein Foul an Ronaldo mit einem Elfmeter bestraft wurde, sagte Ayala zu dem Stürmer: „Beim nächsten Mal schlage ich dir die Zähne ein.“ Ein paar Minuten später sah der sanfte Ronaldo die einzige Rote Karte seiner Karriere. Er hatte Ayala einen Ellenbogencheck verpasst; vor lauter Panik, Ayala würde ihm etwas antun. „Es war das einzige Mal im Fußball, dass ich Angst hatte“, gestand Ronaldo.“
Der schillerndste Fußballverein Frankreichs
Der Tagesspiegel (19.5.) stellt den Gegner vor – Olympique Marseille: „Die französische Sportzeitung L’Équipe hat in diesem Jahr gute Geschäfte mit Olympique Marseille gemacht. Jedesmal, wenn die Mannschaft im Uefa-Cup einen neuen Erfolg gefeiert hat, ist die Auflage der Zeitung um 30 Prozent gestiegen. L’OM ist nicht nur der beliebteste, sondern auch der schillerndste Fußballverein des Landes. Es gibt viele verrückte Geschichten, zum Beispiel die eines Präsidenten, der den Trainer entlassen hat und am nächsten Tag selbst in kurzen Hosen das Training leitete. Die Ära von Bernard Tapie war eine einzige verrückte Geschichte. Sie wurde mit dem Gewinn des Europapokals der Landesmeister (1993 gegen den AC Mailand) gekrönt, endete dann aber mit dem Absturz in die Zweite Liga, weil Tapie im selben Jahr ein Spiel gegen Valenciennes hatte kaufen lassen. Christophe Bouchet hat damals für die Nachrichtenagentur AFP über den Fall berichtet. Inzwischen ist er Präsident des Vereins, 2002 hat ihn Robert Louis-Dreyfus dazu ernannt. Der frühere Adidas-Chef und Besitzer des TV-Rechtevermarkters Infront hat als Hauptaktionär in den vergangenen zehn Jahren 170 Millionen Euro in l’OM investiert, im selben Zeitraum kamen und gingen 208 Spieler, arbeiteten 13 Trainer an der Seitenlinie. Wirtschaftlich ist der Verein inzwischen konsolidiert. Dass es auch sportlich aufwärts geht, ist das Verdienst von José Anigo, der die Mannschaft seit Januar trainiert. Der 43-Jährige ist das Symbol einer glorreichen Epoche des Vereins. Einer Epoche, die von ungewohnter Bescheidenheit geprägt war.“
Lass gut sein, Beate
Sehr schön! Holger Gertz (SZ 19.5.) ist Gasthörer bei Otto Rehhagel: „Im Hörsaal I der Deutschen Sporthochschule in Köln werden dieses Semester Vorlesungen gehalten zu Themen wie „Sport in frühen Hochkulturen“ sowie „Soziologie der Kommunikation und Gruppenführung“. So gesehen bietet der Hörsaal I den geeigneten Rahmen für einen Vortrag des Fußballtrainers Otto Rehhagel, der früher bei Werder und dem 1. FCK die Gruppen dergestalt zusammengeführt hat, dass sie Deutscher Meister wurden. In München war die ihm gegenüberstehende Gruppe zu mächtig, vielleicht kann auch Franz Beckenbauer allein eine unbeherrschbare Gruppe sein, aber das ist ein anderes Thema. Jetzt bringt Rehhagel als Nationaltrainer die fußballerisch angestaubte Hochkultur Griechenland auf Trab zu bringen. Die Griechen haben sich für die EM qualifiziert, obwohl Rehhagel nicht viel mehr als drei Worte Griechisch spricht. Aber der Fußball – wer wüsste es nicht – kennt keine Sprachbarrieren. Der Moderator im Hörsaal I nennt ihn „Herr Regelhagel“, aus Versehen, und da sagt Otto Rehhagel, er soll es machen wie die Griechen: „Sagen Sie einfach Otto zu mir.“ Von da an läuft alles rund. Otto Rehhagel ist an diesem Tag Gastprofessor an der Sport-Uni, im Rahmen eines Projekts namens „Fit am Ball“, das jungen Leuten die Bedeutung sportlicher Betätigung für ihr Leben erklären soll. Der Hörsaal ist voll, bestimmt 200 Studenten, und Rehhagel erzählt seine Geschichten. Es ist eine spontane Plauderei, sozusagen der vom Fernsehstudio in die Hochschule verlagerte DSF-Fußballstammtisch. Der Moderator wirft ein Stichwort in den Raum, und Rehhagel hält das Mikrofon nicht verkrampft in der Faust, sondern locker zwischen den Fingern, wie Dieter-Thomas Heck in der Hitparade. Er ist ein begnadeter Conférencier, er weiß auch, dass man nicht stocksteif am Pult stehen bleibt als Redner, sondern die Bühne zum Herumwandern und Armwedeln nutzen darf. Was er so sagt, ist nicht wirklich aktuell, und für diese durchtrainierten Studenten, deren Ohrläppchen zerpiekst sind von Laktat-Tests, muss es klingen wie Weisheiten aus einer anderen Zeit. Aber: Sie hören ihm zu. Rehhagel erzählt, zu seiner Zeit, „da gab es keine Muskeln, die zumachten. Zu meiner Zeit zählten nur glatte Brüche, nicht wahr“. So was gibt immer Applaus. Auch die Geschichte, wie Ehefrau Beate endlich mit ihm streiten will nach 40 Jahren, und er sagt: Lass gut sein, Beate, „das Wichtigste ist, der Ball muss ins Tor, nicht wahr“.“