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Fußball am Samstag
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| Samstag, 22. Mai 2004wie wird es dem VfB Stuttgart ohne Felix Magath ergehen? – der heilige Bökelberg, „eine Kultstätte verschwindet“ (FAZ) – sehr lesenswert! SZ-Interview mit Hermann Rieger, Masseur des Hamburger SV, vor seinem letzten Spiel – der Betzenberg, „Ort der letzten Hoffnung“ (FAZ) – Zuversicht in Frankfurt – FC Millwall, FA-Cup-Finalist und „die vielleicht unbeliebteste Mannschaft der Welt“ (taz) u.v.m.
Rücksichtslosigkeit, Egoismus, herablassend
Philipp Selldorf (SZ 22.5.) sorgt sich um den VfB Stuttgart: „Mitgefühl hat in diesem konfusen Spiel nur einer verdient: der VfB Stuttgart. Der Klub verliert den Manager, der in alle Details der Spielerverträge eingeweiht ist, weil er sie selbst verhandelt hat. Und den Trainer, der mit wenig Geld eine gute Mannschaft aufgebaut und sie mit viel Geld im Winter eigenwillig verändert hat. Schlimmer noch: Felix Magaths Entschwinden bringt den VfB schlagartig um den sportlichen Sachverstand. Der Verein wird zwar von noblen, aber leider auch ziemlich branchenfremden Leuten geführt. Hinzu kommt, dass diese umwälzenden Umstände gerade dann Unruhe über den Klub bringen, da sein Team in Leverkusen ein Millionenspiel um die Zulassung zur Champions League bestehen muss. Verständlich, dass sich VfB-Präsident Staudt über die Münchner ärgert. Nun gibt es allerlei Spekulationen, wie der FC Bayern, nachdem er Felix Magath abgeworben hat – und ihn dazu nicht überreden musste –, den VfB für all den Schlamassel zu entschädigen gedenkt. Von Geld, viel Geld, war anfangs die Rede, doch darüber haben die Beteiligten nie ernsthaft diskutiert. Über ein Spielergeschäft wurde gemutmaßt, auch dafür ließen sich die Bayern nicht gewinnen. Statt dessen hat Vorstandschef Rummenigge versprochen, der VfB habe „im Geiste einen gut“. Diese Art von Großzügigkeit klingt herablassend – was exakt dem Geist entspricht, der dahinter steckt. Die Trennung von Trainer Hitzfeld ist eine sportlich gut begründbare Entscheidung. Doch wie die Bayern-Chefs mit den Optionen hantiert und über Beteiligte hinweg entschieden haben, um in allen Belangen die Kontrolle über das Verfahren zu behalten, das zeugt von Egoismus und einiger Rücksichtslosigkeit.“
Michael Kölmel (BLZ 22.5.) fügt hinzu: „Präsident Erwin Staudt poltert ein wenig, weil die Bayern den Deal vor dem entscheidenden Spiel ausplauderten und damit Unruhe fabrizierten; doch dass der Abgang ein Problem sei, wollen sie in Stuttgart partout nicht hören und sehen. Eher beschleicht einen das Gefühl, dass sie in Stuttgart ebenso schnelll Nationalspieler wie Diplomaten und Philosophen ausbilden. „Der Trainer“, sagt beispielsweise Kevin Kuranyi, der „hat es verdient, bei einem großen Verein zu arbeiten. Er braucht diese Herausforderung“. Das klingt weise. Und Torhüter Timo Hildebrand analysiert, das alles sei „eine Zäsur für den VfB und uns Spieler“, doch Andreas Hinkel beschwichtigt. Man müsse sich keine Sorgen machen, denn die Arbeit mit Magath „war ein Geben und Nehmen. Er hat uns groß gemacht, wir ihn aber auch“. Schöne Worte sagen sie, die Jungprofis von heute. Mit Weitblick und unheimlich abgebrüht, auch wenn Kuranyi „traurig“ und Hildebrand ein wenig „enttäuscht“ ist. Man gibt sich fest überzeugt, auch in Zukunft unter den ersten Drei in Deutschland zu spielen. Nur im Rest der Republik glaubt das niemand. Wahrscheinlicher ist – und das zeigen sowohl die Suche nach einem Magath-Nachfolger als auch die Verhandlungen mit Bayern um eine Kompensation des vorzeitigen Wechsels – dass der VfB noch nicht so recht realisiert hat, was ihm an Magath abhanden gekommen ist. Ein großer Kenner der Szene beispielsweise. So erkundigt sich Präsident Staudt rührig in seinem Freundeskreis nach guten Trainern, damit ja keiner im Raster vergessen wird. „Wir haben ein Netz draußen, und da sind einige Fische drin“, sagt der ehemalige Chef von IBM Deutschland ebenso eloquent wie seine Kicker. Doch die Absagen, die der VfB binnen weniger Tage von drei völlig unterschiedlich gearteten Fußball-Lehrern erhielt (Klaus Augenthaler, Wolfgang Wolf und Walter Schachner), verdeutlicht, dass man sich beim VfB unschlüssig ist, was für einen Typ Trainer man beschäftigen soll. Und dass das Erbe von Magath offensichtlich nicht gern angetreten wird. Der VfB sei „ein besonderer Verein“ und brauche „auch einen besonderen Trainer“, meint Staudt. Das klingt gut, ist aber eine schwammige Arbeitsbeschreibung. Auch in der Frage, ob der neue Mann nur Trainer oder auch Manager sein soll, ist man unschlüssig. In spätestens 14 Tagen will Staudt den Neuen präsentieren, bis dahin darf munter spekuliert werden.“
Eine Kultstätte verschwindet
Michael Horeni (FAZ 22.5.) wird den heiligen Bökelberg vermissen: „Wo der Wunderglaube zu Hause ist, wissen wir: in der Kirche und im Fußballstadion. Einige kluge Geisteswissenschaftler haben nicht nur deshalb längst eine Theorie aufgestellt, wonach der Fußball wie Religionsersatz funktioniert. Da werden dann über Liturgie oder Gesang einige funktionale Gleichungen aufgemacht, was alles recht plausibel klingt, und wenn man sich mal auf diese religiös-fußballerische Parallelität einläßt, dann wird man auch sagen dürfen, daß Fußballstadien in diesem formalen Sinn heilige Orte sind. Wer am Wochenende einmal mit diesem Blick in die Kathedralen des Fußballs schaut, wird sehen, wie Abstiegsangst und Aufstiegsträume dort Liebe, Glaube, Hoffnung entstehen lassen. Aber es geht natürlich auch profaner, was die Beziehung zwischen Fußball und Religion betrifft. In Frankfurt etwa gibt es seit einigen Jahren den Plan, eine Kirche abzureißen und das wertvolle Grundstück zu verkaufen, auf dem sich ein Hochhaus errichten ließe. Die Kirche, ganz nebenbei, heißt Matthäuskirche, aber viel wichtiger ist, daß dem Evangelischen Regionalverband das Geld fehlt, um seine Gotteshäuser zu unterhalten. Auf einmal aber protestieren immer mehr Menschen, auch solche, die die Kirche vor allem von außen kennen, gegen den Abriß. Sie gaben damit einem weitverbreiteten Gefühl Ausdruck, heilige Orte, die seit Generationen zum Leben einer Stadt gehören, dürften sich nicht den Gesetzmäßigkeiten des Marktes überantworten. Die Gemeinde kämpft nun sogar juristisch um den Erhalt, aber für die Leitung führt weiter kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Der Kirche fehlt das Geld, die Kirche muß weg. Am Samstag wird im Fußball etwas Ähnliches geschehen, und wieder sind es wirtschaftliche Zwänge, die eine Kultstätte verschwinden lassen. Nach 85 Jahren gibt es für das aus einer Kiesgrube entstandene Stadion am Bökelberg keine Verwendung mehr. Die Herzen der Menschen hängen zwar daran und an den Namen, die sich mit ihm verbinden, und auch dazu gehört ein Matthäus neben Weisweiler, Netzer, Vogts oder Heynckes. Doch es läßt sich eben nicht mehr genug Geld mit dem alten Bökelberg verdienen, und die schonende Variante des Heimatverlusts, nur den Namen des Stadions zu verkaufen, und sich statt Volksparkstadion AOL-Arena zu nennen oder aus der Bielefelder Alm eine Schüco-Arena zu machen, das reicht nicht, und daher muß Borussia Mönchengladbach umziehen in einen dieser hochmodernen Sportparks, wie sie in dieser Zeit in Deutschland im Dutzend entstehen.“
Die Summe aller Emotionen wird die Erinnerung an den Bökelberg bestimmen
Ulrich Hartmann (SZ 22.5.) auch: „Natürlich wird es Tränen geben. Wie vor 200 Jahren. Die Stadt ist ja schon einmal einer Institution beraubt worden. Als Kaiser Franz II. das linke Rheinufer 1801 an Frankreich abgetreten hatte, wurde die Abtei Gladbach geschlossen. Sie hatte ein Jahrtausend lang Religion, Kultur und Wirtschaft geprägt. Am 31. Oktober 1802 sollen die letzten 31 Mönche das Kloster unter Tränen verlassen haben. Der 22. Mai 2004 wird als ähnlich tragisches Datum in die Stadthistorie eingehen. Ein Stadion erlebt sein letztes Bundesligaspiel. 85 Jahre lang hat es die Fußballkultur geprägt. In einer Kiesgrube auf einer Anhöhe namens Bökelberg war im September 1919 ein Spielfeld eingeweiht worden, um das sich im Laufe der Jahre immer mehr Tribünen und Geschichten rankten. Der „Sportplatz an der verlängerten Hohenzollernstraße“ hieß später auch: Westdeutsches Stadion, Bökelbergstadion, Stadion Bökelstraße und Borussenstadion. Viele Namen für einen Mythos: den Bökelberg. Das 632. Bundesliga-Heimspiel am Samstag gegen 1860 München ist das letzte in diesem Stadion. Im August zieht der Verein in eine 87-Millionen-Euro-Arena für 54 000 Zuschauer. Wenn dereinst auf dem Boden des abgerissenen Stadions eine „qualitativ gehobene Wohnbebauung“ entstanden ist, werden große Namen wie Netzer, Vogts und Heynckes sowie die Summe aller Emotionen die Erinnerung an den Bökelberg bestimmen; und ein paar außergewöhnliche Vorkommnisse werden die Ereignisdichte in besonderem Maße repräsentieren. (…) Am 30. April 1970 feierte Gladbach den ersten von fünf Meistertiteln. Die weiteren folgten „71, „75, „76 und „77. Doch das erste Mal war das aufregendste. Beinahe hätte man gegen den Hamburger SV eine 4:0-Führung verspielt. „4:1, 4:2, 4:3 – die Zuschauer waren kaum noch zu halten“, erzählt Horst Köppel. Um 21.46 Uhr ertönte der Schlusspfiff. Bereits 36 Minuten zuvor war ein Telegramm am Bökelberg eingegangen: „Der Deutsche Meister 1969 gratuliert dem Deutschen Meister 1970. FC Bayern München, Neudecker, Präsident.“ Am 3. April 1971 fiel das berühmteste Tor der Vereinsgeschichte. Das Spiel gegen Bremen wurde am 27. Spieltag beim Stande von 1:1 in der 88. Minute abgebrochen. Gladbachs Stürmer Laumen war ins Netz des Werder-Tors geflogen und hatte das morsche Holz im rechten Pfosten zerbrochen. Das Tor fiel. Bremen wurde später zum Sieger erklärt – und Gladbach trotzdem Meister. Das Urteil zum Punktabzug: „Ein Bundesligaklub ist kein Dorfverein. Er hat dafür zu sorgen, dass in kürzester Zeit ein neues Tor aufgestellt werden kann.“ Am 20. Oktober 1971 gewann Gladbach das Achtelfinal-Hinspiel im europäischen Landesmeister-Pokal 7:1 gegen Inter Mailand. Nach 28 Minuten ging allerdings Mailands Roberto Boninsegna zu Boden und wurde in der Inter-Kabine so gut weggesperrt, dass nicht zu verifizieren war, ob er tatsächlich von einer leeren Cola-Dose am Kopf getroffen worden war. Ein der Tat verdächtiger Lagerarbeiter aus Bracht wurde abgeführt, später aber entlastet. Den wahren Büchsenwerfer (vermuteter Tatort: Vortribüne, Block B, Reihe 2, Platz 34) hat man nie gefasst. Das Spiel wurde annulliert. Gladbach verlor in Mailand 2:4 und kam im Rückspiel in Berlin über ein 0:0 nicht hinaus. Solch Geschichten eignen sich freilich am besten zur Mythologisierung. Die Legende vom Bökelberg wird nach 85 Jahren fortan von der Summe aller Emotionen definiert.“
Musst du weiter laufen. Ich sage dir, was ist dein Kampfgewicht
Sehr lesenswert! SZ-Interview mit Hermann Rieger, Masseur des Hamburger SV, vor seinem letzten Spiel
SZ: Sie sind der einzige Masseur mit eigenen Autogrammkarten, eigenem Fanklub, es wird ein Buch über Sie erscheinen, das Vereinsmaskottchen ist nach Ihnen benannt, und am 31. August gibt“s sogar ein offizielles Abschiedsspiel, zu dem auch Kevin Keegan und Franz Beckenbauer kommen wollen.
HR: Unglaublich. Ich habe nie ein Tor geschossen für den HSV und auch keins verhindert. Einmalig.
SZ: Vielleicht lieben die Fans Sie so, weil Sie das Menschliche verkörpern in einem Business, das immer kälter wird?
HR: Möglich. Menschlichkeit gibt“s ja nicht mehr viel. Es geht nur noch darum, was man verdient. Ich habe mich nicht anstecken lassen von dieser Hektik. Ich habe mich immer gefreut auf den nächsten Tag.
SZ: Bis zuletzt?
HR: Ja, bis zuletzt. Auch wenn mir nicht alles gefällt an der heutigen Spielergeneration. Beim Geben und Nehmen stimmt das Verhältnis nicht mehr.
SZ: Und im Mannschaftsbus werden kaum noch Karten gedroschen.
HR: Seit es Handys und Laptops gibt, ist das ein schönes Geklingel im Bus, jeder hat sein eigenes Kino dabei. Geredet wird kaum. Die hören ja nichts, weil jeder seinen Kopfhörer auf hat.
SZ: Wer war der beste Trainer?
HR: Ernst Happel. Aber auch Branko Zebec verehre ich. Jeder wusste von Brankos Alkoholproblemen, aber er war betrunken besser als die meisten nüchternen Trainer.
SZ: Woran erkennt man denn einen großen Trainer?
HR: Er behandelt den Star genauso wie den kleinen Spieler. Als Horst Hrubesch einmal beim Trainingslager in Marseille völlig fertig von der Hitze war und stöhnte: „Trainer, ich habe jetzt mein Kampfgewicht“, sagte Zebec nur: „Musst du weiter laufen. Ich sage dir, was ist dein Kampfgewicht.“
SZ: Was war Happels Stärke?
HR: Er konnte ein Spiel lesen. Schon nach fünf Minuten hat er zu mir oft gesagt: „He Gschnitzter, was ist denn mit dem los, was hams dem denn geb“n?“ Wenn einer schlecht drauf war oder er ein Loch im Spiel entdeckte, hat er gepfiffen.
Der Betzenberg steht noch
Michael Ashelm (FAZ 22.5.) schildert die inneren Konflikte in Kaiserslautern: „Noch mehr als sonst erscheint der Betzenberg in diesen Tagen als Ort der letzten Hoffnung. Gäbe es diese abergläubische Bindung nicht zur Kultstätte des pfälzischen Fußballs, der 1. FC Kaiserslautern hätte sich wahrscheinlich schon längst aufgegeben und in gegenseitigen Vorwürfen zerfleischt. Aber so kann das Unheil noch auf den letzten Drücker abgewendet werden, denken nicht nur die Verantwortlichen. Viele ziehen ihren festen Glauben aus der Tatsache, daß die wichtigste Mission des Fußballjahres – der Nichtabstieg – beim großen Showdown im Fritz-Walter-Stadion einfach nur glücken kann. „Meine Mannschaft hat gezeigt, daß sie hier fast jeden Gegner schlagen kann“, sagt Kurt Jara, der Trainer des FCK. Äußerlich zählt größtes Selbstbewußtsein, warum auch sollten die zuständigen Männer in dieser unsicheren Gemengelage öffentlich ein anderes Bild abgeben? Hinter der Hoffnung verbreitenden Fassade der Lauterer wird seit Wochen hart gerungen, tauchen immer mehr und immer neue Zerwürfnisse auf. Zwischen einzelnen Spielern, zwischen Spielern und dem Management sowie seit neuestem zwischen dem erst im Februar verpflichteten Trainer und Vorstandschef René C. Jäggi. Vor der entscheidenden Partie gegen Dortmund ist man bemüht, die Dissonanzen herunterzuspielen, soweit das überhaupt noch möglich ist. „Es geht um sehr viel in diesem Verein“, sagt Jäggi, „in der Diskussion ist nur noch Platz für das Thema Klassenerhalt.“ In dieser Woche waren Spekulationen laut geworden, der Vorstandsvorsitzende und die Führungsgremien des sportlich und wirtschaftlich angeschlagenen Klubs hätten sich darauf verständigt, den bis zum Ende der nächsten Saison laufenden Vertrag von Trainer Jara in jedem Fall jetzt schon wieder zu kündigen – egal, wie der Kampf um den Klassenverbleib auch ausgehen sollte. Auslöser für das Mißtrauensvotum sei gewesen, daß der Österreicher nach der deftigen 1:4-Niederlage bei Schalke 04 die Verantwortung für die Misere vor den rebellierenden Fans beim Vorstand und dessen Personalpolitik suchte. (…) Der Betzenberg steht noch und hat für die Anhänger des FCK noch immer seine besondere Bedeutung. Doch ob er auch im nächsten Jahr erstklassige Fußballware zu sehen bekommt, steht in den Sternen.“
Ralf Weitbrecht (FAZ 22.5.) erlebt Zuversicht in Frankfurt: „In Frankfurt glauben sie wieder an Wunder. Vor allem, wenn es um die Eintracht geht. Erstaunlich, was sich binnen Wochenfrist beim Abstiegskandidaten Eintracht so alles ereignet hat. Ein einziges Spiel nur, jenes 3:2 gegen Bochum, und schon drehte die Stimmung, wurde aus jähem Entsetzen pure Vorfreude. Der Präsident, der nach dem 0:3 von Hannover noch Tränen in den Augen hatte, lief strahlend durch die Gegend und verbreitete wie das Gros der mit dem Frankfurter Fußball fiebernden Fans neue Zuversicht. Die Eintracht, der Last-Minute-Aufsteiger des Vorjahres, kann es tatsächlich wieder schaffen. Kann wirklich wieder im letzten Moment die Tore erzielen, die zum Klassenverbleib benötigt werden. Zweimal ist das schon aufsehenerregend gelungen: 1999 beim 5:1 gegen den 1. FC Kaiserslautern und 2003 beim 6:3 gegen den SSV Reutlingen. Und beide Male ist Alexander Schur, der mit Herzblut kämpfende Kapitän der Frankfurter Eintracht, im Trikot mit dem Adler auf der Brust dabeigewesen. Er sagt: „Die letzte Chance gegen den Hamburger SV haben wir uns verdient. Wir haben wieder ein Finale vor Augen, doch für ein neuerliches Wunder muß auch die Konstellation stimmen.“ Keine Frage: Die Eintracht kann das „Wunder schaffen“, wie der hessische Ministerpräsident Roland Koch glaubt.“
Bei 1860 München könnten einige mit Abstieg gut leben, meint Joachim Mölter (FR 22.5.): „Wenn man sich in diesen Tagen beim TSV 1860 München umhört, beschleicht einen das Gefühl, sie können es kaum erwarten, in die Zweite Bundesliga abzusteigen. Seit Präsident Karl Auer nämlich für den Fall des Falles eine Landung im Städtischen Stadion an der Grünwalder Straße ins Gespräch gebracht hat, träumen die Anhänger des Clubs wieder von großen Zeiten. 1860 hat in besagtem Stadion ja seine einzige deutsche Meisterschaft gefeiert, 1966, weshalb es in München noch heute als „Sechz‘ger Stadion“ gilt und als Mythos verklärt wird: Fans und ehemalige Spieler schwärmen von der Stimmung, die da einst herrschte und die bald wieder herrschen soll, um die „Löwen“ zum sofortigen Wiederaufstieg zu beflügeln. Aber die goldenen 60-er sind Geschichte, und die Arena bröckelt seit zehn Jahren vor sich hin. Damals war der Club in die Bundesliga zurückgekehrt und ins Olympiastadion umgezogen. Während der Präsidentschaft von Karl-Heinz Wildmoser war eine Rückkehr nach Giesing tabu, aber angesichts der einsetzenden Begeisterung hat selbst Oberbürgermeister Christian Ude seinen Widerstand aufgegeben – sofern der Verein die fällige Renovierung zahlt; die Stadt als Eigentümerin hat kein Geld dafür übrig. Am Freitag inspizierte eine Delegation der Deutschen Fußball-Liga das marode Stadion, um zu klären, unter welchen Bedingungen der TSV 1860 eine Ausnahmegenehmigung für den Spielbetrieb bekommen könnte. Die Renovierungskosten belaufen sich nach ersten Schätzungen auf eine Million Euro.“
Millwallism
Malte Treffenfeldt (taz 22.5.) porträtiert den Gegner Manchester Uniteds im FA-Cup-Final: „Wenn heute im Millenium Stadium in Cardiff das englische FA-Cup-Final angepfiffen wird, steht nicht nur die Startruppe von Manchester United, sondern mit dem Zweitligisten FC Millwall auch die vielleicht unbeliebteste Fußballmannschaft der Welt auf dem Platz. Es ist in London einfacher, einen Schlafanzug mit der Raute des deutschen Meisters Werder Bremen zu bekommen, als einen Fanschal von Millwall. Dafür muss man sich dann schon nach Südost-London begeben, nach South Bermondsey, der Heimat des Arbeiterclubs. Hier gibt es noch Straßenzüge, die stark an das düstere England aus den Zeiten eines Charles Dickens erinnern. Der Verein wurde 1885 von Arbeitern einer Marmeladenfabrik als Millwall Rovers auf der Isle of Dogs gegründet, also eigentlich nördlich der Themse, dort wo heute das Londoner Prestigeobjekt schlechthin, die Docklands, stehen. Nach mehreren Umzügen fand man am gegenüberliegenden Themseufer in New Cross an der Cold Blow Lane ein Zuhause und taufte das Stadion „The Den“ – die Höhle. Inzwischen residiert man ein paar hundert Meter weiter, im modernen “ New Den“, allerdings in einer Gegend, die an frühere Bilder aus Beirut erinnert. Die einzig nennenswerten sportlichen Höhepunkte in der Vereinsgeschichte waren bis dato ein zweijähriges Intermezzo in der Premier League in den Achtzigern sowie das Erreichen des Halbfinales im F. A. Cup, vergleichbar mit dem deutschen DFB-Pokal, in England jedoch renommierter ist als die Meisterschaft. Das war 1937. Und nun das Finale gegen Manchester United und somit automatisch die Teilnahme am Uefa-Cup. Aber mit dem Namen Millwall FC verbindet man in England nur in zweiter Linie Siege oder Niederlagen der Mannschaft, sondern eher die Inkarnation des Hooliganismus. Nur wenige „Firmen“, wie sich die gewaltbereiten Anhänger der Vereine selbst nennen, haben einen vergleichbar üblen Ruf, vielleicht noch die Schlägertruppen von Premier-League-Absteiger Leeds United. Ursprünglich rekrutierte sich Millwalls Anhängerschaft aus dem Reservoir junger weißer Arbeiter und Arbeitsloser aus dem von der Stadtpolitik vernachlässigten Bezirk Southwark mit den südöstlichen Stadtteilen Deptford, Peckham, Bermondsey und Rotherhithe. Passend dazu spielte der Club einen schnörkellosen „kampfbetonten und wenig attraktiven, geschweige denn sonderlich erfolgreichen Kick-and-Rush-Fußball. Und hier entstand in den Siebzigern und Achtzigern der berüchtigtste Mob unter den britischen Hooligans. Der Autor Garry Robson kreierte in seinem im Jahre 2000 erschienenem Buch „The Myth and Reality of Millwall Fandom“ den Begriff „Millwallism“ als die ultimative Steigerung von „Hooliganism“.“