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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

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Oliver Fritsch | Montag, 24. Mai 2004 Kommentare deaktiviert für Themen

Themen: der Imageverlust dreier “Ligamacher” (FR) – Bestandsaufnahmen kursierender Abstiegsangst (SZ, FAZ) – verfehlte Stuttgarter Vereinspolitik (SZ) – das Erfolgsrezept von Willi Reimann (SZ)

Sehr lesenswert! Wolfgang Hettfleisch (FR 24.5.) porträtiert drei „Macher“ der Liga und diagnostiziert Imageverlust. „Die drei Granden des deutschen Fußballs, so unterschiedlich sie persönlich sein mögen, haben derzeit eines gemeinsam: Sie gelten als Paten des Misserfolgs. In Cottbus, Bielefeld und Nürnberg verlieren die Fußball spielenden Angestellten, in Leverkusen, Berlin und Gelsenkirchen die Strippenzieher. Das mag daran liegen, dass dem Trio etwas Dinosaurierhaftes eigen ist. Assauer, Calmund und Hoeneß verkörpern, jeder auf seine Weise, den Typus des Alleinherrschers, des Firmenpatriarchen alten Zuschnitts, der irgendwie nicht mehr so recht in die Zeit passen will. Was insofern nicht der Ironie entbehrt, als sie alle drei als Vorbilder dafür gelten dürfen, wie man einen Club auf Zukunftsfähigkeit trimmt. Schalke, Hertha und Bayer 04 waren so was wie die Hoffnungswerte am Neuen Fußballmarkt, Assauer, Hoeneß und Calmund deren mehr oder weniger laut die Pauke bedienende Promoter. Assauer (58), auf Schalke vielleicht sogar noch verschwenderischer mit Macht ausgestattet als Calmund bei Bayer 04, hat die Königsblauen in den vergangenen zehn Jahren aus Lethargie und Selbstmitleid geführt, sie zum Thronanwärter im Wartestand gemacht und einen schimmernden Tempel errichten lassen, wo dem Götzen Fußball gehuldigt wird – sofern dazu Anlass besteht. Gern ließ sich der gelernte Schlosser und Bankkaufmann mit dem Hinweis zitieren, man werde die Lücke zu den Branchenführern FC Bayern und Borussia Dortmund sukzessive schließen. Aber Assauer, wie Calmund gewöhnt, aus dem Bauch heraus zu entscheiden, hat sich vor dieser Saison verzockt. Hat auf der Suche nach einem Nachfolger für seinen nach Berlin abgewanderten Männerfreund Huub Stevens den unerfahrenen Frank Neubarth aus dem Hut gezaubert. Einen, wie die Presse prompt stichelte, der ungeachtet seiner Körperlänge keinen Schatten zu werfen drohte, in dem Rudi der Große hätte verschwinden können. Die Bestellung von Neubarth-Gegner Marc Wilmots zu dessen Nachfolger auf Zeit, ein unverhohlen populistischer Akt, und der schleichende Disziplinverlust im Kader, gegen den sich Assauer mit martialischen Worten vergeblich stemmte, passen zum Bild von der verpfuschten Saison der einsamen Entscheidungen des allgewaltigen Rudi A. Wo Viel- und Bauchredner Calmund nach dem Prinzip Was juckt mich mein Geschwätz von gestern verfährt, um die jeweils anrollende Welle der veröffentlichten Meinung zu reiten, erweckt Assauer gern den Anschein abgeklärter Gelassenheit. Seht her, was wir in den vergangenen Jahren erreicht haben. Das ist ebenso legitim wie selbstgerecht. Vor allem aber polstert Assauer damit sein zuletzt angekratztes Macherimage auf und macht sich, was die lauter werdenden Fragen journalistischer Bilderstürmer zu seinem Unfehlbarkeitsmythos angeht, schwer angreifbar. Dieter Hoeneß, mit 50 der jüngste der drei Fußballfürsten im Club der fast geplatzten Träume, mag auf den ersten Blick nicht zu recht zu den notorischen Selbstdarstellern aus den Westprovinzen passen. Er formulierte den Anspruch der Berliner, sich dauerhaft im nationalen Fußballadel zu etablieren, in den vergangenen Jahren nicht weniger nachhaltig als die Kollegen, bevorzugte dabei aber den Kammerton. Das hat ihn nicht davor bewahrt, als Fahnenträger der vom früheren Geldgeber Ufa eingeleiteten Hertha-Renaissance identifiziert und unausweichlich mit entsprechenden Ansprüchen konfrontiert zu werden. Gelegentlich krittelt Hoeneß, die Erwartungshaltung in der Hauptstadt sei einfach zu hoch. Er unterschlägt, dass er selbige bei mehr als einer Gelegenheit nach Kräften geschürt hat.“

Der Club war mal schön wie ein Perser-Teppich, jetzt ist er ein Flokati

Ralf Wiegand (SZ 24.5.) widmet sich der kursierenden Abstiegsangst. „Der Spott ist das Schlimmste. Der Hohn von denen, die nicht wissen, wie furchtbar das ist, am letzten Spieltag auf dem Platz zu stehen, hinter sich 34 Spieltage, vor sich ein großes, schwarzes Loch, das Zweite Bundesliga heißt. Neulich war ein Österreicher in Ostwestfalen, der Kanzler Wolfgang Schüssel. Ein Österreicher und Fußball, was soll das schon werden. Was Bielefeld und Österreich gemeinsam hätten, wurde Schüssel gefragt. „Wir sind beide schlecht im Fußball“, antwortete er (…) Michael A. Roth, in vielerlei Hinsicht der kleinste Präsident der Bundesliga, hat schon viel getan, um den Ruf dieses wundervollen Vereins, dessen Geschichte auch er verpflichtet sein müsste, auf seine Augenhöhe zu bringen. Er hält nicht viel von Demokratie, die er in seinem Teppich-Imperium nicht dulden muss; da ist er Alleinentscheider. Im Verein reden alle mit, aber hören will er nur auf sich selbst. Vielleicht versteht er das: Der Club war mal schön wie ein Perser-Teppich, jetzt ist er ein Flokati, auf dem jeder herumtrampeln darf, sogar Bielefelder. Dank Roth, der sagte, dass Leverkusen noch einen gut habe, weil sie dem Club einst den Stürmer Paolo Rink vermachten (wobei man vereinbarte, dass Rink gegen Leverkusen nicht spielen würde); dass Leverkusen in der Zweiten Liga ein starker Konkurrent um den Aufstieg wäre. Nun vermuten die Bielefelder, Nürnberg würde das Spiel gegen Leverkusen gerne verlieren. Nicht, dass Michael A. Roth so etwas grundsätzlich empörte. Seine Begründung, weshalb Schiebung nicht funktioniere, ist: So etwas würde ja sofort einer aus der Kabine ausplaudern. Verdammtes Medienzeitalter!“

Ein zu behebender Betriebsunfall

Michael Horeni (FAZ 24.5.) spricht das Wort zum Samstag. „Es ist nicht zu leugnen: Der mögliche Abstieg entfesselt die größten Leidenschaften. Der Makel der objektiv festgestellten Zweitklassigkeit ist ein Zustand, der für ehemalige Anführer kaum zu ertragen ist. Der eindeutig markierte Abstieg beschädigt das Selbstwertgefühl – und weckt trotzdem neue Kräfte. Der schleichende Niedergang indes wirkt anders, meistens zumindest. Erst Verdrängung, dann Aktionismus, so heißen die Hauptmechanismen in diesem depressiven Repertoire. Man stelle sich vor: Deutschland würde in diesem Sommer, was die wirtschaftlichen Fakten hergeben, vor dem Abstieg in Europas zweite Liga stehen – und die nächsten Quartalszahlen aus dem Finanzministerium in Berlin und der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg würden darüber entscheiden. Es änderte nichts an den Fakten, wohl aber an der psychologischen Wirkung. Auch der Unterschied zwischen Fußball erster und zweiter Klasse ist bei weitem nicht so groß, wie er sich durch den objektiven Abstieg anfühlt. Sportlich betrachtet haben Hannover 96 und der VfL Bochum als Aufsteiger die Bundesliga bereichert, Bundesliga-Absteiger St. Pauli konnte sich nicht einmal in der zweiten Liga halten. Aber eine unmittelbare Rückkehr in die First class, das zeigt sich jedes Jahr, ist viel häufiger möglich, manchmal fällt sie sogar glanzvoll aus. Der 1. FC Kaiserslautern hat vor wenigen Jahren das Kunststück vollbracht, als Aufsteiger den Titel zu gewinnen. Objektiv betrachtet wissen auch die Leverkusener, daß ein Abstieg nur ein zu behebender Betriebsunfall wäre. Dennoch, sagt Reiner Calmund, der dem Niedergang ein Gesicht gegeben hat, wäre ihm der Klassenverbleib wichtiger als vier deutsche Meisterschaften. Als Trost für den Fall der Fälle: Der Abstieg ist auch eine Chance.“

Ralf Wiegand (SZ 23.5.) versucht, die Gemüter zu beruhigen. „Woher hat der Fußball eigentlich seinen verdammt guten Ruf, in jeder noch so heiklen Situation allein den Regeln des sportlichen Wettkampfs zu folgen, sogar bis zum bitteren Ende? Die Bundesliga hat diesen Ruf deshalb, weil sie am letzten Spieltag bisweilen die Ergebnisse eines ganzen Jahres umgeschmissen hat, einfach so, und dabei hat nicht immer nur das Establishment profitiert. Freiburg 1994, ein sympathisches Nichts damals, holte in den letzten drei Runden drei Siege Rückstand auf den 1.FC Nürnberg auf; Nürnberg, ein Stück Fußballgeschichte, stieg ab. Die Bundesliga ließ sich ihren Zuschauerschnitt ruinieren durch Unterhaching, Wattenscheid und Uerdingen. Ein Deutscher Meister stieg ab, ein Aufsteiger wurde Meister. Die Bundesliga ist eine offene Gesellschaft; offen für den Zufall, für späte Tore, für großes Unglück und für unfassbares Glück, das meistens die Bayern hatten. Davon lebt sie. Ausgerechnet jetzt soll das vorbei sein?“

Michael Horeni (FAZ 24.5.) beschreibt anschaulich seine bei der Pressekonferenz gewonnenen Eindrücke über Ausstrahlung und Wirkung Augenthalers. “Ruhig und routiniert bringt Augenthaler das Pflichtprogramm hinter sich. Von Aufregung keine Spur. Nur mit Blickkontakt und Körpersprache versichert sich der Trainer dann nach ein paar Minuten des Einverständnisses, ob alle Fragen beantwortet sind. Alles klar? Alles klar, keine Fragen mehr. Der Leverkusener Medienchef, der ein paar Meter entfernt steht, sieht sich die Szene zufrieden an und sagt: Bei uns herrscht jetzt Ruhe, absolute Ruhe. Auch Reiner Calmund, der ein paar Meter neben dem Trainer seine Gefühlslage beschreiben soll, da ja sein Lebenswerk auf dem Spiel stehe, wirkt kurz vor Saisonschluß nicht mehr so getrieben wie während der vergangenen Wochen und Monate. Das zeigt sich schon an Äußerlichkeiten. Calmund hat auf einen Anzug verzichtet, den er als erster Repräsentant des Bayer-Fußballs sonst fast immer trägt. Dafür hat jetzt Augenthaler einen Anzug an. Calmund präsentiert sich im Pullover, fast wie ein Privatmann. Wenn es schiefgehe, sei er zwar verantwortlich, sagt er ruhig, aber nicht schuldig. Und das Wort Lebenswerk sei ein bißchen hochgegriffen, auch wenn der Fußball nun mal sein Lebensmittelpunkt sei. Das Pathos, mit dem Calmund den dramatischen Niedergang des Werksklubs in dieser Spiel- und Leidenszeit begleitete, ist verschwunden. Und auch das Abstiegsgespenst, das er zuletzt in fast schon masochistischer Leidenschaft zu seinem Lebenspartner erklärte, bekommt 48 Stunden vor dem Saisonfinale keine tragende Rolle mehr. Ob es ihm besser gehe als in der vergangenen Woche, wird Calmund gefragt? Ja, sagt er. Es ist offensichtlich: Der Trainerfuchs hat im Leverkusener Hühnerhaufen seine Wirkung hinterlassen. Augenthaler hat zehn Tage und einen 3:0-Sieg gegen den TSV München 1860 gebraucht, um Bayer 04 Leverkusen vor dem 34. Spieltag das sein zu lassen, was es in dieser Saison nie war: ein normaler Verein im Abstiegskampf.“

Industrie- und Handelskammer des Fußballs

Martin Hägele (SZ 24.5.) skizziert die Fehler der Stuttgarter Vereinspolitik. „Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass Magath Ende kommender Woche als neuer Chefcoach des FC Schalke vorgestellt werden könnte. Es dürfte dort viel Beifall geben für diesen Coup des Managers Rudi Assauer, der in Stuttgart noch heftig dementiert wird. Besitzt Magath doch Sympathien wie kaum ein Fußball-Lehrer vor ihm im roten Vereinshaus, zumal er sich seinen Ruf in wirtschaftlich schwierigen Zeiten erarbeitet hat. Warum aber baut er nicht weiter an jener Mannschaft, die sich bei einem Sieg über Wolfsburg zumindest für die Ausscheidungsrunde der Champions League qualifiziert hätte? Warum wird Magath von der Klubführung gebremst? Warum darf er nicht mit neuen Spielern verhandeln, nach Lösungen suchen, um die Leitfigur Balakov zu ersetzen, oder die Verträge der Talente Andreas Hinkel, Kevin Kuranyi und Ioannis Amanatidis leistungsgerecht nachbessern? Das Konzept dafür hatte der nach dem Rauswurf von Sportdirektor Rolf Rüssmann zum Teammanager bestellte Magath dem Vorstandsvorsitzenden Manfred Haas bereits im Dezember vorgelegt. Mittlerweile aber ist der Spielermarkt abgegrast. Alle Kandidaten von Magaths Liste haben anderswo unterschrieben, wie etwa Torjäger Fredi Bobic, der sich nicht über Monate hinweg von seinem Lieblingsklub hinhalten lassen wollte. Je mehr Magath seinen Frust über das Zeitspiel seiner Vorgesetzten zeigte, die sich allein vom sportlichen Erreichen der Champions League eine gewisse Planungssicherheit versprechen, desto mehr drückten diese auf die Bremse. Als der Teammanager vor einer Woche aus der Zeitung erfuhr, dass Vorstandschef Haas Ende Juni von IBM-Manager Erwin Staudt abgelöst werde und die Weichen für die sportliche Zukunft erst am 29.Mai und gewissermaßen beim Cocktail für Balakovs Abschiedsparty gestellt werden sollten, hatte er genug. Für Magath war damit das Vertrauensverhältnis zu Haas, aber auch zum mächtigen Aufsichtsratsvorsitzenden Dieter Hundt entscheidend gestört. Offen sprach er über das bevorstehende Ende des Stuttgarter Modells: „Dann war das mal ein Highlight im 21. Jahrhundert, das erlischt wie eine Sternschnuppe.“ Kritik, die den VfB-Chefs bitter aufstößt. Wirtschaftskapitäne wie Arbeitgeberpräsident Hundt oder der Sparkassenversicherungs-Vorstand Haas lesen ihre Namen nicht gerne im Zusammenhang mit verfehlter Politik. Sie bewerten ihr Ehrenamt nach wirtschaftlichen Kriterien, zumal unter ihrer Ägide in Stuttgart eine Art Industrie- und Handelskammer des Fußballs entstanden ist. Besetzt mit Sportsfreunden, die wie Haas Freizeit und Urlaub für den VfB opfern, oder mit Hundt, welchen die Basis des Klubs nur aus den Fernseh-Nachrichten kennt. Gemeinsam mit seinen Gefolgsleuten, allesamt Abgeordnete schwäbischer Musterunternehmen, befiehlt Hundt einen eher virtuellen Aufsichtsrat. Schwer vorstellbar, dass aus dieser Ecke in letzter Sekunde Lösungen kommen, wie sich das VfB-Modell noch reparieren lässt.“

Diszipliniert, schnörkellos, zweckorientiert

Ingo Durstewitz (SZ 23.5.) über das Erfolgsrezept des Trainers von Eintracht Frankfurt. “Willi Reimann hat das geschafft, was in der kleinen Metropole am Main nur die Größenwahnsinnigen erwartet hatten: Der 53-Jährige hat die Eintracht vor dem letzten Spiel am Sonntag gegen den SSV Reutlingen auf den dritten Platz in Liga zwei geführt, an die Schwelle zur Eliteklasse, in die die Frankfurter ihrem Selbstverständnis nach sowieso gehören. Reimann hat das, wenn man so will, auf Willis Art geschafft: ruhig, bedächtig, mundfaul, emotionsarm, unaufgeregt, bisweilen auch kauzig und stoffelig. Allesamt Attribute, mit denen sich die Eintracht, ein zu Extravaganz und Überheblichkeit neigender Klub, erst arrangieren musste. Reimann spricht nicht viel, aber seine Worte haben Gewicht, er wählt sie mit Bedacht (…) Der Fußball von Eintracht Frankfurt sorgt nicht unbedingt für ekstatisches Jauchzen unter Gourmets. Die Mannschaft spielt seit 33 Spielen so, als sei sie symbiotisch mit dem Übervater Reimann verwachsen; sie spielt so, wie es der Trainer vorlebt, wie es seinem Naturell entspricht: diszipliniert, schnörkellos, zweckorientiert – ohne viel Firlefanz. Wenn der Ball beim Stoppen drei Meter wegspringt – Schwamm drüber, wird er halt mit einer humorlosen Grätsche zurückerobert. „Kampf, Kampf, Kampf“, sagt Alex Schur trocken. Das ist nicht unbedingt schön, aber verdammt erfolgreich.“

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