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Leise Kritik und Bestätigung für Völler
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| Dienstag, 25. Mai 2004Bestätigung für Rudi Völlers Auswahl und leise Kritik – der Kölner Stadt-Anzeiger bedauert Carsten Ramelows Rücktritt u.v.m.
Generationswechsel
Michael Horeni (FAZ 25.5.) findet die Auswahl Völlers ausgewogen: „Dem Teamchef wird man nicht vorwerfen können, bei seiner „22+1″-Nominierung dem deutschen Fußball eine seiner Stärken vorenthalten zu haben. Völler nimmt das Beste mit nach Portugal, was in der Bundesliga und der Premier League an deutschen Kräften zur Verfügung steht. Für Sebastian Deisler und Christoph Metzelder allerdings, die beiden einzigen Spieler, die mit ihrer Qualität das deutsche Niveau heben könnten, kommt die Europameisterschaft nach einem leidvollen Jahr zu früh. Der Teamchef hat nach dem blamablen 1:5 in Rumänien im Vormonat der Versuchung widerstanden, die Europameisterschaft zu Jugendspielen mit Blick auf die WM 2006 zu erklären. Er sprach von einer gewissen „Hysterie“ bei der Forderung nach jungen Spielern, die er in den Medien zu erkennen glaubte. In Portugal werden trotzdem schon elf deutsche Profis unter 25 Jahren im Kader stehen. Das Durchschnittsalter beträgt rund 25 Jahre, und beide Kennziffern belegen den Generationswechsel, den Völler in knapp vier Jahren vollzogen hat.“
Jan Christian Müller (FR 25.5.) nennt Rudi Völler „strukturkonservativ“: “Völler bleibt sich also treu. Er ist nicht der Typ Trainer, der in Portugal ein Versuchslabor eröffnen würde, und er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die EM 2004 nicht als Durchgangsstation für die WM 2006 ansieht. Lieber hält er an Bewährtem fest und stärkt den Gemeinschaftssinn. Diese Maxime hat sich bei der WM bewährt. Die deutsche Öffentlichkeit erwartet auch bei einer EM Top-Leistungen ihrer Mannschaft und reagiert entsprechend beleidigt, wenn sie – wie vor vier Jahren – nicht kommen. Wenn Jeremies ins Leere grätscht, Nowotny hinterherläuft und Bobic in Porto kein Land sieht, wird der öffentliche Druck grausam werden. Völler weiß das, aber er beugt sich nicht. Ehe er Prinzipien aufgibt, tritt einer wie er lieber vom Amt zurück.“
Der geht mir schon lange auf den Sack
Rudi Völler nominiert Thomas Brdaric; Ludger Schulze (SZ 25.5.) ist skeptisch: „„Es hat den Richtigen getroffen“, kommentierte der Schalker Torwart Frank Rost, meinte aber nicht die erstaunliche Nominierung des Thomas Brdaric für die EM, sondern vor Wochen einen Platzverweis für den Hannoveraner Stürmer, weil: „Der geht mir schon lange auf den Sack.“ Das sagt man zwar nicht, dürfte aber bei der Mehrheit der Bundesliga-Abwehrspieler lebhafte Zustimmung finden. Brdaric, dessen Schauspielkünste in Strafraumnähe für eine ausgeprägte Gestaltungsfähigkeit sprechen, ist die einzige Überraschung in einem Kader, der gleichwohl Gesprächsstoff für die Stammtische liefern wird. Doch anders als etwa 1998, als der Bundestrainer Berti Vogts den wunderbaren Fußball-Spieler Mehmet Scholl auf dem Altar der eingesprungenen Blutgrätsche für Steffen Freund opferte, kommt man nach Prüfung jeder einzelnen Personalie zu dem Schluss, dass Rudi Völler nur wenig anderes hätte machen können. Vielleicht hätte er es mit Frank Fahrenhorst versuchen können, das Gesicht der EM-Auswahl hätte das nicht entscheidend korrigiert. Es gibt kaum Alternativen in der Liga, und gerade deshalb bleibt ein grummelndes Unbehagen. Mit an Gewissheit grenzender Ahnung darf man diesem Team bei der Euro ein eng befristetes Verfallsdatum vorhersagen.“
Dahingegen hält Christof Kneer (BLZ 25.5.) es für das richtige Signal: “Man kann nicht davon ausgehen, dass Thomas Brdaric bei der Euro die Fußballwelt verändern wird; aber wenigstens darf er als beispielhaft gelten für das Aufgebot, das Teamchef Völler an den Start bringt. Für gewöhnlich gilt Völlers Deutschland als geschlossene Gesellschaft, aber als der Teamchef den Kader seines Vertrauens unter die Leute brachte, stand ein Überraschungsgast auf der Gästeliste: Brdaric eben, jener Mann, den Oliver Kahn einst so formschön am Hals würgte, dass Brdaric erschrocken eine CD aufnahm („Die wilde 13″), auf der er die Keeper Kahn, Lehmann und Rost spöttelnd besang. Für den Sänger muss Oliver Neuville zu Hause bleiben. „Olli war ein Härtefall“, sagt Völler. „Aber Brdaric hatte zuletzt Aktionen, wo er den Gegenspielern von der Mittellinie davongelaufen ist. Solche Tore habe ich nur von Ailton, aber von keinem deutschen Stürmer gesehen.“ Rudi Völlers Aufgebot ist der letzte Beweis dafür, dass der Teamchef auch nach vier Jahren Amtszeit noch ein Lernender ist. Er ist in seiner Personalpolitik noch immer auf der Suche nach einem eigenen Stil. Erst variierte er im Laufe der EM-Qualifikation sein bis dahin in Ehren gehaltenes Bonuspunkte-System, indem er treuen Kräften wie Jancker, Rehmer und Ziege das Vertrauen entzog und sie durch Jungmänner wie Kuranyi, Hinkel oder Rahn ersetzte. Nun hat er, offenbar unter dem Eindruck des 1:5 gegen Rumänien, einen weiteren heiligen Grundsatz geopfert – jenen, dass seine Mannschaft zwingend ein Wohlfühlklima braucht, um sich in Stimmung zu denken. Bislang galt Völler als Meister des Binnenklimas, weil er es verstand, seinem exklusiven Zirkel im Ernstfall so hohe Dosen Wärme zu verabreichen, dass seine Sportler vor lauter Begeisterung über so viel Vertrauen bis ins WM-Finale durchrannten. Jetzt setzt Völler plötzlich seinen Neuville an die Luft und den Kader unter Spannung. „Das ist nicht das endgültige Aufgebot“, sagte er ungewohnt provokant.“
Eine gute Nachricht ist das nicht
Karlheinz Wagner (Kölner Stadt-Anzeiger 21.5.) bedauert den Rücktritt Carsten Ramelows: „Sein fußballerisches Meisterstück hat Ramelow am 30. Juni 2002 abgelegt: Teamchef Völler und Bundestrainer Skibbe hatten sich für das WM-Finale gegen Brasilien einen gefühlt halbwegs offensiven Spielplan zurechtgelegt, der darauf basierte, dass die Verteidiger Ramelow und Linke die Überfall-Angriffe der gegnerischen Stürmer – Rivaldo, Ronaldo und Ronaldinho immerhin – auch ohne weitere Hilfe stoppen würden. „Duellen, die jeweils auf einer Rasierklinge stattzufinden schienen,“ schrieb diese Zeitung damals, „und die von den Deutschen auf wundersame Weise beinahe ausnahmslos gewonnen wurden.“ Ramelow hat toll gespielt damals. Das wird zurzeit gerne vergessen, als auf den blassblonden Defensivmann mit einer Wucht eingehackt wurde, die etwas erstaunt: Ja, Ramelow war schlecht beim 1:5 der Nationalmannschaft in Rumänien. So wie alle anderen auch. Ramelow hat auf einer Position gespielt, die er auf höchstem Niveau nicht spielen kann: Für einen Manndecker in einer Defensivkette ist er nicht schnell genug, technisch nicht versiert genug und vor allem – nicht ausgebildet. Seine Vorzüge sind sein Stellungsspiel, mit dem er seine Temposchwächen kompensiert und seine Fähigkeit zur unbedingten Disziplin. Ramelow spielt nicht seine stärkste Saison. Und die Ablehnung, die ihm medial entgegen wütet, dürfte seine Unlust verstärkt haben, sich dem Stahlbad eines weiteren großen Turniers zu stellen. Man kann das akzeptieren, ohne in Tränen auszubrechen. Aber nein, eine gute Nachricht ist das nicht.“