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Kohler, der Li-La-Laune-Bär

Oliver Fritsch | Mittwoch, 26. Mai 2004 Kommentare deaktiviert für Kohler, der Li-La-Laune-Bär

Jürgen Kohler verzockt sich (FR) – ein Buch über Herbert Zimmermann, „Bohemien, Tierfreund, Karrierist, Exzentriker und rheinisches Cleverle“ (taz) – RW Essen steigt in die Zweite Liga auf u.v.m.

Frühstücksdirektor

Wolfgang Hettfleisch (FR 26.5.) kommentiert die gescheiterten Verhandlungen zwischen Jürgen Kohler und dem VfB Stuttgart: „Da hat sich einer ordentlich verzockt. Mag ja sein, dass es Jürgen Kohler in Stuttgart vor allem um die persönliche Herausforderung ging. Der einstige Grätscher der Nation soll in seinem Bürojob in Leverkusen zuletzt nicht sonderlich glücklich gewesen sein. Bei Bayer 04 haben andere das Sagen. Die Außendarstellung ist Sache des Unterhaltungskünstlers Reiner Calmund. Für Finanzen und Marketing trägt der branchenweit respektierte Fachmann Wolfgang Holzhäuser Verantwortung – der in naher Zukunft zur DFL wechseln wird. An den Details der Spielerverträge schraubte der nun nach Hannover abgewanderte Zauberlehrling Ilja Kaenzig. Für Sportdirektor Kohler blieb die Rolle als Li-La-Laune-Bär, als einer, der als Bindeglied zwischen Spielern und Management fungieren und gelegentlich mal den Promi-Kopf ins Scheinwerferlicht halten soll. Ein Job in der Etappe. Die Kiebitze bei Bayer lästern längst über den Frühstücksdirektor, der noch immer ab und an beim Training den Aktiven in die Parade fährt. Man kann sehr komfortabel unglücklich sein in der Chefetage von Bayer 04. Kohlers Salär bei den Rheinländern soll über jenem liegen, das ihm der VfB für den Trainerposten in Stuttgart in Aussicht gestellt hatte.“

Kohlers Grund für die Entscheidung wirft ein schlechtes Zeichen auf seine Fähigkeiten als Sportdirektor

Peter Heß (FAZ 26.5.) ergänzt: “Bayer Leverkusen verliert seinen wichtigsten Abwehrspieler und behält vorerst einen Sportdirektor, für den es keine rechte Verwendung mehr hat. Es bedarf keines großen Mutes zu der Behauptung, daß es dem Klub umgekehrt lieber gewesen wäre. Aber es ist nun einmal so, daß es den brasilianischen Nationalverteidiger Lucio zu Bayern München zieht und der frühere deutsche Nationalverteidiger Jürgen Kohler dem VfB Stuttgart abgesagt hat, die Nachfolge von Felix Magath anzutreten. Kohlers Grund für die Entscheidung wirft ein schlechtes Zeichen auf seine Fähigkeiten als Sportdirektor. Der 39 Jahre alte Profi im Fußballgeschäft wertete nämlich den Vertragspassus, der den finanziellen Ausgleich bei einer vorzeitigen Entlassung regelt, als Mißtrauensvotum und das Festschreiben einer verkappten Probezeit. Dabei ist es mittlerweile in der Bundesliga Usus, die Höhe der Abfindung auf sechs Monate Grundgehalt festzuschreiben. Schließlich sind die Gagen in den vergangenen Jahren so enorm gestiegen, daß keine sozialen Zwänge für großzügigere Lösungen mehr herrschen. Manager Reiner Calmund von Bayer Leverkusen stellt die Verhältnisse klar: „Seit Stepanovic haben unsere Trainer diesen Passus klaglos mitunterschrieben: Daum zum Beispiel, Toppmöller auch bei der Vertragsverlängerung.“ Calmund sieht Kohler von dessen Anwalt schlecht beraten. Aber als Sportdirektor eines Bundesligaklubs sollte auch der ehemalige Kicker darüber informiert sein, was branchenüblich ist und was ein Mißtrauensvotum ist.“

Eine Notiz über Inszenierungswandel im SZ-Feuilleton (24.5.): „Unter den nie gesehenen Ausschnitten vom WM-Finale 1954, die das ZDF kürzlich zeigte, gab es eine merkwürdige Szene. Als Fritz Walter nach dem Spiel den WM-Pokal in Empfang nahm, rechnete man unwillkürlich damit, dass er ihn, wie aus zahllosen Siegerehrungen bekannt, mit emporgereckten Armen dem Publikum präsentieren würde. Doch dieser feierliche Augenblick, seit jeher der Höhepunkt und gewissermaßen auch die Legitimation großer Turniersiege, fiel vor fünfzig Jahren überraschend beiläufig aus; Fritz Walter nahm die Trophäe entgegen, trug sie zur Mannschaft und reihte sich wieder in die Kette der versammelten Spieler ein. Ein für den heutigen Zuschauer irritierender Vorgang: Kein Anschwellen des Jubels war im Stadion zu vernehmen; es schien, als würde der entscheidende Moment, die eine Geste, in der sich das historische Ereignis konzentriert, einfach übergangen. Man müsste sich einmal an den Augenblick herantasten, an dem das rituelle Präsentieren des Pokals nach einem Fußball- oder Tennisfinale zur Selbstverständlichkeit wurde. Becker reckte 1985 die Trophäe unter minutenlangem Jubel und Blitzlichtgewitter in die Höhe, Beckenbauer 1974 in München auch; seit mindestens drei Jahrzehnten verdichtet sich jede sportliche Großtat in einem tausendfach reproduzierten Bild. Irgendwo in den sechziger Jahren scheint die Schwelle zu liegen zwischen der diskreten und der zelebrierten Form der Siegerehrung, und wenn man sich nach den Gründen für diesen Übergang fragt, muss man bedenken, dass sich im Jahr 1954 noch keine hundertköpfige Schar von Kameramännern vor dem Spielführer postierte. Vermutlich hat sich die triumphale Entgegennahme des Pokals als Zugeständnis an die nur wenige Meter entfernten Medienvertreter herausgeprägt, die ein amtliches Dokument des Sieges benötigten. Für den Großteil der Stadionbesucher ohnehin nicht erkennbar, hätte diese Geste in einer von visuellen Medien kaum geprägten Epoche des Fußballs keinen Sinn gemacht.“

Bohemien, Tierfreund, Karrierist, Exzentriker und rheinisches Cleverle

Bernd Müllender (taz 25.5.) empfiehlt ein Buch über Herbert Zimmermann, „die Stimme von Bern“: „Der Sportjournalist und Biograf Erik Eggers hat mit seltener Akribie in Zimmermanns Lebenslauf gewühlt, viele Stunden lang in Tonarchiven gelauscht, Zeitzeugen zu Dutzenden befragt und offenbar halbe Bibliotheken durchforstet. Der Mythenmann, 1917 in Alsdorf bei Aachen in gutbürgerlichem Hause geboren, erscheint als schillernde, auch zwiespältige Gestalt. Bohemien war er, Tierfreund und Karrierist, Exzentriker und rheinisches Cleverle, Reservistenkamerad und deutscher Sonnyboy, der mit einem gescheiterten Flirtversuch mit Zarah Leander genauso prahlt („Edelwild, doch nicht Weidmanns Glück“) wie mit seinem erfolgreicheren Schürzenjäger-Auftritt bei einer ostpreußischen Gräfin zu seinen Wehrmachtzeiten. Beim NWDR in Hamburg verliest er 1945 zunächst Wasserstände. Seine Karriere wird gepuscht von seiner älteren Freundin Auguste, die gute Kontakte ins Funkhaus hat. 1948, nach ersten Olympia-Einsätzen, gilt Zimmermann schon als Star am Mikrophon. Hörzu nennt ihn „einen saftigen Jungen“. 1950 berichtet er vom ersten Nachkriegs-Länderspiel. Auffallend ist: Schon damals gab es für Fußballreporter, neben aller Begeisterung, auch ätzende und höhnische Kritik. 1952 initiierte Zimmermann als NDR-Hörfunkchef die erste Fußballkonferenzschaltung. Eggers ordnet das riesige Personenpuzzle vorsichtig ein. Zum Beispiel wie selbstverständlich und nahtlos viele Reporterkarrieren aus Reichszeiten weiterliefen, bei Leuten, die für Zimmermann „meine Lehrmeister“ und von denen er protegiert wurde. Der hysterische wie virtuose Reporter war Kriegsfreiwilliger gewesen, später Panzerkommandant und bald Ritterkreuzträger, weil er neun Jahre vor Bern nahe Berlin allein ein halbes Dutzend russische Panzer aus-aus-aus-ausgeschaltet hat. Diese seine blutrünstigen Heldentaten hat er nach 1945 nachreportiert und auf Schallplatte aufgenommen.“

Besprochenes Buch:
Erik Eggers: „Die Stimme von Bern. Das Leben von Herbert Zimmermann“. Wißner-Verlag 2004, 284 Seiten, 8,90 €.

Im Wirtschaftsbuch der FAZ (24.5.) lesen wir: „Daß sich ein Debakel wie das 1:5 der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Rumänien bei der Europameisterschaft in Portugal nicht wiederholt, hoffen neben Teamchef Rudi Völler auch die deutschen Mobilfunkgesellschaften. T-Mobile und E-Plus haben viel Geld in das Fußball-Sponsoring investiert, um an der Begeisterung rund um den Fußball teilzuhaben: T-Mobile gehört zu den Hauptsponsoren des Turniers, und E-Plus ist offizieller Partner des Deutschen Fußball-Bundes und seiner Nationalmannschaft. Die Handygesellschaften sind auf der Suche nach attraktiven Inhalten für ihre mobilen Datennetze beim Fußball fündig geworden: Beispielsweise machen Dienste zum Thema Fußball bei T-Mobile knapp 40 Prozent des Umsatzes im Bereich der mobilen Datenkommunikation aus. 25 Prozent aller SMS-News und 45 Prozent der MMS-News sind Informationen zu den Spielen der Fußball-Bundesliga. Zum Standardangebot aller Netzbetreiber gehören Multimedianachrichten (MMS) und Kurznachrichten (SMS) zu allen wichtigen Spielszenen und Ergebnissen. Meist bieten die Unternehmen Komplettpakete an, die beispielsweise alle Spiele einer Mannschaft zu einem Festpreis umfassen. E-Plus berechnet seine SMS und MMS nach Ereignissen ab: Für jedes Tor oder jede wichtige Szene werden 20 Cent je SMS oder 59 Cent je MMS fällig. Abhängig vom Turnierverlauf können Spiele nach der Vorrunde einzeln gebucht werden. Sollte sich das deutsche Ensemble wie bei der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren als Turniermannschaft präsentieren und bis ins Endspiel vorstoßen, klingeln also auch die Kassen der Mobilfunker. Allerdings finden die Spiele abends statt, wenn die echten Fußballfans wohl vor dem Fernseher sitzen. Mit dem technischen Fortschritt im Mobilfunk steigen auch die Vermarktungschancen.“

50 Jahre nach den Berner Großtaten des Esseners Helmut Rahn

Daniel Theweleit (SZ 24.5.) gratuliert RW Essen zum Aufstieg in die Zweite Liga: „Eine Woche des Glücks liegt hinter Essen. Am vergangenen Mittwoch kürte man die Stadt zu Nordrhein-Westfalens Kandidaten für die Wahl zu Europas Kulturhauptstadt 2010; im Wettbewerb gegen die Fußball-Abstiegskämpfer Köln und Münster. Und am Samstag gelang dem örtlichen Fußballklub Rot-Weiß der Sprung in die Zweite Bundesliga. Mit einem 7:0 gegen Schalkes Amateure fand eine siebenjährige Phase der Abstinenz vom Profifußball ihr Ende, und man hätte eine Menge Pathos verbreiten können 51 Jahre nach dem letzten Pokalsieg, 50 Jahre nach den Berner Großtaten des Esseners Helmut Rahn und 49 Jahre nach der letzten Meisterschaft des Klubs. Aber es war ein stilles Glück, das die Essener Verantwortlichen an diesem Nachmittag genossen. „Ich freue mich ganz ruhig und innerlich“, sagte Trainer Jürgen Gelsdorf. Hinter ihm stürmten die Fans das Spielfeld, irgendwo wurden Sektfontänen herumgewedelt und eine schwarze Kiste mit Aufstiegs-T-Shirts stand auch bereit. Aber der Trainer suchte die Ruhe. Wie sein Kapitän. Bjarne Goldbaek, 35, stand vor der Kabine und wirkte ein wenig entrückt, als sein dänisches Mundwerk sagte: „Ja, die Heimspiele waren schon witzig und lustig, aber auswärts vor 2000 Zuschauern, das war oft nicht so lustig. Das hier ist ein krönender Abschluss für zwölf Monate harter Arbeit“. Dann drehte er sich um. Hinter ihm spritzten ein paar jüngere Kollegen Bier durch die Umkleide, und Goldbaek ergänzte: „Besonders für die jungen Spieler.“ Dieses Auswärtsspiel konnte Goldbaek indes nicht gemeint haben, als er an triste Regionalliga-Nachmittage erinnerte. Von den 11 000 Zuschauern waren gewiss 9000 Fans der Essener und sorgten für beeindruckende Momente im Wattenscheider Lohrheidestadion, wo die abstiegsbedrohte Schalker U 23 ihre Heimspiele austrägt. Und wo die Essener ein Trauma besiegten. Denn in den vergangenen beiden Jahren scheiterte man jeweils im Saisonfinale unter bisweilen dramatischen Umständen, und zementierte den Ruf des ewigen Verlierers. Dabei spielte RWE bis 1977 in der Bundesliga.“

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