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Neue Lust an der Flucht

Oliver Fritsch | Dienstag, 1. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für Neue Lust an der Flucht

Matthias Sammer verlässt Dortmund, kehrt nach Stuttgart zurück, und alle sind zufrieden, und alle sind Sieger, „Scheidung ohne Scherben“ (FAZ), „Win-win-Situation“ (FR) – wird Oliver Kahn Bayern München verlassen? „neue Lust an der Flucht in München“ (Welt) u.v.m.

Wechsel ohne Verlierer

Matthias Sammer wechselt nach Stuttgart; Roland Zorn (FAZ 1.6.) sieht nur zufriedene Gesichter: „Die einen haben die Form gewahrt, die anderen einen erstklassigen Trainer bekommen: Bei Matthias Sammers Wechsel von Borussia Dortmund zum Rivalen VfB Stuttgart hat es auf den ersten Blick keinen Verlierer gegeben. Die Westfalen und ihr sächsischer Trainer haben sich tatsächlich einvernehmlich getrennt und dabei kein böses Wort übereinander verloren; die Schwaben sehen einen Mann als Fußball-Lehrer wieder, der mit ihnen als Fußballspieler 1992 seine erste gesamtdeutsche Meisterschaft feierte. Ein Transfer unter Freunden, bei dem sich alle Beteiligten gute Stilnoten verdienten. Das ist in diesen Tagen, da die nicht in allen Facetten saubere Scheidungsgeschichte zwischen dem FC Bayern München und Trainer Ottmar Hitzfeld noch in frischer Erinnerung haftet, keine Selbstverständlichkeit. Daß nach Hitzfeld mit Sammer ein zweiter Meistercoach seinen langjährigen Arbeitgeber wechselt, liegt in der Logik der vergangenen Saison begründet, die nicht zum Jahr des Establishments im deutschen Fußball zu rechnen ist. Die Münchner wurden, für sie eine große Niederlage, nur Zweite; die Dortmunder verfehlten ihre Saisonziele jeweils in sogenannten Endspielen, die samt und sonders zur Pleite wurden. So gesehen, wäre eine Weiterbeschäftigung Sammers hochriskant gewesen.“

Win-win-Situation

Thomas Kilchenstein (FR 1.6.) ergänzt: „Die Ära Sammer ist bei Borussia Dortmund zu Ende gegangen; nach vier Jahren haben beide Parteien die Trennung genau zum richtigen Zeitpunkt beschlossen. Denn natürlich haben sich die Verantwortlichen der Borussia Dortmund Kommanditgesellschaft auf Aktien sportlich ein bisschen mehr versprochen als das, was in den letzten 24 Monaten abgeliefert wurde. Zweimal ist der Trainer Matthias Sammer mit einer fast 60 Millionen Euro teuren und hochkarätigst besetzten Mannschaft an der Champions League vorbeigedribbelt, irrsinnige Summen sind in Stars und Sternchen investiert worden, die dieses Geld nicht wert waren. Zudem haben andere (Kehl, Ricken, Rosicky) fußballerisch stagniert. Insofern kann die Aussage von Manager Meier – „Wir haben zwei Jahre keinen interessanten Fußball mehr gespielt“ – als Kritik am Coach verstanden werden. Das war lange Zeit undenkbar: Ein Matthias Sammer galt schlicht als sakrosankt, Kritik am „Feuerkopf“ war verpönt, lieber raunzte der gebürtige Dresdner die Fragesteller an. Sammers Persönlichkeit, sein Charisma und seine natürliche Autorität übertünchten vieles. Mit harter Hand und eisernem Willen hat der gelernte Maschinen- und Anlagemonteur die Schwarz-Gelben als jüngster Trainer zur Meisterschaft geführt, er hasste Oberflächlichkeit: Laissez-faire und Nonchalance gingen ihm ab. Viele sagen, ohne ihn wäre das Team in dieser Runde komplett auseinander gefallen. (…) In Stuttgart, der Heimat seiner Frau, suchen sie gerade einen neuen Trainer. Man könnte auch von einer „Win-win-Situation“ sprechen.“

Tobias Schächter (taz 1.6.) ist skeptischer: „Sammer kommt in einer Phase des Umbruchs. Die Messlatte liegt hoch durch die Erfolge der letzten Jahre. Ist Sammer in der Lage, das Machtvakuum, welches Alleinherrscher Magath hinterließ, zu füllen? Streben die unter Magath unterdrückten konservativen Kräfte des Vereins, wie Schatzmeister Ruf, wieder nach oben? Wie wird sich der als dickköpfig bekannte Sammer gegen diese behaupten können? Kommt Sammer bei der auf Magath fixierten Mannschaft an? Sammer hat eine schlechtere Ausgangsposition als sein Vorgänger, der VfB liegt sportlich nicht am Boden. Zwar wird der neue Trainer warm empfangen werden, die Fans stehen ihm positiv gegenüber, aber Fallen gibt es in der für Sammer neuen Welt, die mit der alten des Gerhard Mayer-Vorfelder nichts mehr zu tun hat, genug.“

Neue Lust an der Flucht

Torsten Rumpf (Welt 1.6.) kommentiert den Wechselwillen einiger Bayern-Spieler: „Die Spieler müssten jeden Tag eine Kerze anzünden, sagte Manager Uli Hoeneß kürzlich wieder – weil sie das Glück hätten, beim FC Bayern München spielen zu dürfen. Offenbar sehen einige Profis das anders, sonst würden sie nicht trotz laufender Verträge an Abschied denken. Oliver Kahn liebäugelt mit einem Wechsel nach England, Michael Ballack zieht es womöglich zum FC Barcelona, Willy Sagnol will den Rekordmeister ebenfalls im Sommer verlassen. Warum ist das so? Am Geld liegt es nicht, in München werden nach wie vor Millionen gezahlt – und die auch noch pünktlich. Die neue Lust an der Flucht hat andere Gründe. Zum Beispiel die permanente öffentliche Kritik der Vereinsführung. Anstatt den Spielern den Rücken zu stärken, werden sie von Hoeneß, Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und Präsident Franz Beckenbauer schwach geredet. Dadurch geht das Vertrauen zur Führung verloren. Zudem sind einige Spieler enttäuscht, wie der Vorstand den bei den Profis beliebten Trainer Ottmar Hitzfeld entsorgt hat. Und die Angst vor den harten Methoden des neuen Trainers Felix Magath mag auch eine Rolle spielen.“

Hybris

Wird Oliver Kahn Bayern München verlassen? Ludger Schulze (SZ 1.6.) stellt eine Distanz fest: „Unübersehbar ist, dass die enge Beziehung zwischen dem dreimaligen Welt-Torhüter und seinem Klub in jüngster Vergangenheit Elemente der Zerrüttung offenbart hat, auch wenn Kahn dies prophylaktisch negiert. „Es gibt keine Probleme, vor denen ich flüchten müsste. Ein Wechsel hätte damit rein gar nichts zu tun. Es wäre für mich noch einmal eine neue Herausforderung. Nur darum geht es. Mit allen anderen Dingen muss ich in meiner Position umgehen können“, sagte er dem sid. Ein Problem, das es laut Kahn nicht gibt, ist sein Verhältnis zu den Mannschaftskollegen, von denen wiederum einige sagen, dass es dieses Verhältnis gar nicht gebe. Kahn war immer ein Einzelgänger, zuletzt nahm die Distanzierung zwischen Team und Kapitän schroffe Formen an. Im Winter entgegnete Kahn auf die Frage eines Fernsehreporters, was der Mannschaft fehle, mit einem Wort: „Eier.“ Das mag eine Lappalie sein, gilt in der Männerwelt des Fußballs aber als herbe Verletzung der „Ehre“. Was das Volk vor den Fernsehapparaten als lustiges Aperçu betrachtete, kostete Kahn intern viele Sympathien, wie zuletzt nach seinem krassen Fehler im Spitzenspiel gegen Werder Bremen zu beobachten war. Die Mitspieler zeigten Kahn in dieser misslichen Situation die kalte Schulter, statt wie üblich ein paar aufmunternde Trostworte an ihn zu richten. Auch Kahns Fehlgriff gegen Real Madrid trug wenig zur Verbesserung der mannschaftlichen Harmonie bei. Nachdem er den leichten Schuss von Roberto Carlos unter dem Körper hatte durchrutschen lassen, nahm er für die zweite Begegnung in Madrid eine wahrhaft titanische Aufgabe auf sich: „Dann muss ich das Spiel eben alleine gewinnen.“ Diese Haltung wurde ihm als krasse Selbstüberschätzung ausgelegt, als Ausdruck beginnender Hybris. Oliver Kahns vor kurzem erschienenes Buch „Nummer eins“ schließlich fand so viele begeisterte Leser, dass es sich in der Bestsellerliste des Spiegel platzieren konnte. Nur im Lizenzspielerkader des FCB hatte die Begeisterung ihre Grenzen, dort stieß das Werk auf Ablehnung, weil es sich ausschließlich mit einer Person beschäftigt: mit Oliver Kahn. Von den Mitstreitern beim FC Bayern kommt auf den rund 160 Seiten keiner vor, lediglich der emeritierte Bremer Profi und ehemalige Nationalmannschaftskollege Marco Bode taucht namentlich auf. Auch dies mag ein Hinweis auf die von Oliver Kahn gewählte Isolation sein. Wie ernst es Kahn mit seiner Ankündigung wirklich ist, vermag derzeit niemand abzuschätzen. Möglicherweise handelt es sich auch nur um einen versteckten Appell an die Verantwortlichen des FC Bayern, sich der Bedeutung und der Verdienste des Schlussmannes wieder deutlicher bewusst zu werden. Wahrscheinlicher ist, dass Oliver Kahn ein konkretes, reizvolles Angebot vorliegen hat.“

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