Ballschrank
Neu erworbenes Bayerntum
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| Dienstag, 1. Juni 2004Wehmut beim Sieger Werder Bremen, Katerstimmung beim Finalisten Alemannia Aachen – Bremen feiert nüchtern, „neu erworbenes Bayerntum“ (BLZ) – Tim Borowski, phlegmatischer Siegertyp – Aachen entlässt Berger – Turbine Potsdam leitet „Machtwechsel“ (SZ) ein u.v.m.
Sie ahnen jetzt, wie man sich als FC Bayern fühlt
Christof Kneer (BLZ 1.6.) erlebt nüchternen Bremer Jubel: “So richtig hat der SV Werder Bremen nicht gewusst, was er von sich halten sollte. Doch, doch, sie hatten das Finale gewonnen, und sie hatten sich geradewegs ins Geschichtsbuch gespielt damit, weil sie die erste Werder-Elf in 105 Jahren Vereinsgeschichte waren, die sich das Double gutschreiben lassen konnte. Überhaupt waren sie vermutlich die beste Werder-Elf, die es je gab, und man hat sich schon gewundert, wie amtlich die Helden ihre historische Dimension zur Kenntnis nahmen. Sie haben ihre Ehrenrunde abgeschritten, und vor der Siegerehrung im Mittelkreis ein Rudel gebildet, das aussah, als folge gleich noch ein Elfmeterschießen. Natürlich haben sich später gute Gründe finden lassen für jene fröhliche Pflichtschuldigkeit, mit der Werder diesen Titel abheftete. Zu wenig Emotion steckte in dieser souverän heruntergespielten Partie, und wer vor drei Wochen das Meisterschaft stiftende 3:1 in München miterlebt hatte, für den verkleinerte sich dieser Pokalabend auf die Größe eines handelsüblichen Bundesligasieges. Werder ist längst leergejubelt, es hat keine Tränen mehr. Die Wahrheit ist aber auch, dass dieser Abend nur ein weiterer Schritt gewesen ist auf dem Weg zur Bajuwarisierung des SV Werder. Früher sind die Bremer trotzige Pokalspezialisten gewesen, sie haben diesem Wettbewerb immer die Treue gehalten, und wenn die Liga sie einmal nicht lieb gehabt hat, haben sie sich auf den Pokal stets verlassen können. Nun nahmen sie ihn mit, wie der FC Bayern ihn meist mitgenommen hat, nicht unerfreut, als Zugabe. Sie sind jetzt kein gallisches Dorf mehr, sie sind jetzt Römer. „Bayern-like“ sei der Jubel ausgefallen, gestand Manager Allofs später, halb geschmeichelt, halb gequält. Wer kein Romantiker ist, muss nichts Schlechtes finden an Bremens neuer Siegesmentalität. Das Problem ist aber, dass die Mannschaft selbst nicht weiß, wie weit ihr neu erworbenes Bayerntum trägt. Es war ein eigenartiges Dilemma, das die Bremer an diesem Abend gefangen hielt. Sie wollten ihre Freude in eine Zukunft vertagen, von der sie nicht wissen, ob es sie gibt. Sie ahnen jetzt, wie man sich als FC Bayern fühlt, aber sie zweifeln, ob sie diesen Weg weitergehen können.“
Friedhard Teuffel (Tsp 1.6.) beschreibt Aachener Katerstimmung: „Ein bisschen heiterer wäre der Pokalsieg wohl ausgefallen, wenn die Bremer einen besseren Partner gehabt hätten. Doch die Aachener konnten das Finale weder mit ästhetischem Fußball, noch mit großen Gefühlen anreichern. Kaum war das Spiel beendet, redeten sie über das drohende Auseinanderfallen der Mannschaft. Am Montag löste der Verein den Vertrag mit Trainer Jörg Berger auf. Er hatte schon beim Bankett am Samstag eine kleine Ansprache mit dem Satz beendet: „Es war eine schöne Zeit.“ Die Einzigartigkeit dieser Saison war ihm wohl genauso bewusst wie den Bremern.“
Schnellebig, wechselhaft, unbeständig – so ist der Fußball
Roland Zorn (FAZ 1.6.) schildert Bremer Wehmut: „Jürgen Born, der Vorsitzende der Geschäftsführung von Werder Bremen, ist immer für einen guten Spruch zu haben. Als ihm Bundesinnenminister Otto Schily leicht verspätet als letztem Bremer auch noch eine Medaille umhängte, bedankte sich Born hanseatisch trocken: „Keiner hat mich mitspielen sehen, aber ich habe die Auszeichnung verdient.“ Ein paar Stunden später, als der Klubchef nicht als Schnacker, sondern als Lobredner gefragt war, setzte er in seiner Eloge jedoch ein paar Jubeltöne zu hoch an: „Nach der deutschen Meisterschaft hatten wir grün-weiße Helden, jetzt haben wir grün-weiße Götter. Die Bremer Stadtmusikanten und der Roland sind bis auf weiteres nur noch Wahrzeichen der zweiten Klasse. Die wahren Denkmäler sind hier im Saal.“ Weil sich die Bremer aber auch bei ihren rauschendsten Sausen eine Spur Nüchternheit bewahren und sich dazu eine Spur Erschöpfung in den Gesichtern selbst der partyfestesten Werderaner abzeichnete, brauste kein überschäumender Jubel durch den Festsaal (…) 71 700 Zuschauer sahen ein allerdings mäßiges Endspiel, das von den Toren und einer hinlänglichen Spannung nach der Pause lebte, als Aachen doch noch ins Spiel fand und die Bremer zu ärgern verstand. Der Meister aber überstand die Attacken des Herausforderers und formierte sich dann zu den letzten Gruppenbildern einer Spielzeit, die von Werder geprägt wurde wie nicht einmal zu Otto Rehhagels besten Zeiten. Weil den Bremern bewußt war, daß ein solches Jahr wohl so schnell nicht wiederkommt, durchzog ein Hauch von Wehmut die Saisonabschiedsfete. Lebte das Team in München, wo Werder am 8. Mai die Meisterschaft bei Vorgänger Bayern eroberte, die Emotionalität des Saisonhöhepunkts unbeschwert und losgelassen aus, blieb für Berlin nur noch ein Restreservoir Freude übrig. Wie die Mannschaft gegenüber ihren 20 000 Fans in der Arena die Welle einleitete, wie sich Spieler, Trainer und Sportdirektor Klaus Allofs um den Hals fielen, darin steckte nicht mehr die anarchisch-ungezügelte Kraft der meisterhaften Bremer Gipfelstürmer. Bei der Berliner Pokalzugabe ging es mehr um die rituell tadellose Gestaltung des sowieso fest eingeplanten Happy-Ends. Und so weinte nicht einmal der für seine Gefühlsausbrüche bekannte Ailton seinen Wohlfühljahren an der Weser eine Träne nach. Der in seiner zweiten „Heimatstadt“ allseits geliebte Brasilianer schaute lieber nach vorn und erklärte in seinem Telegrammdeutsch: „Egal, in Vertrag steht UI-Cup, UEFA-Cup, Champions League oder Bundesliga – ich muß Tore schießen.“ Heute noch für, morgen schon gegen Bremen. Schnellebig, wechselhaft, unbeständig – so ist der Fußball, ob vor dem Pokalfinale oder danach.“
Eine Mannschaft ist ein Gebilde, das nie fertig ist
Jörg Marwedel (SZ 1.6.) fügt hinzu: „Bei den meisten Spielern drückte sich die Freude über eine „Riesensaison“ (Kapitän Frank Baumann) so verhalten aus, dass Sportdirektor Klaus Allofs sich an die Routine des diesmal abgehängten Rivalen aus München erinnert fühlte. „Ein bisschen Bayern-like“, fand Allofs die gedämpfte Atmosphäre. Und dafür gab es Gründe, die sich keineswegs in Ermüdungserscheinungen nach den seit zwei Wochen andauernden Meisterfeten erschöpften. Zu spüren war noch immer die Verstimmung der Profis, denen die Klubführung Anfang vergangener Woche in einer hartnäckigen Feilscherei die angeblich zugesagte Meisterprämie gekürzt hatte. „Die Feierstimmung“, sagte Torwart Andreas Reinke, „war weg. Wir hatten ja zwischendurch auch Ärger.“ Mehr noch hatte sich Wehmut auf die Seelen der Profis gelegt, als sei nicht der Aufbruch in eine große Ära zu bejubeln, sondern deren Ende zu beklagen. Abwehrspieler Paul Stalteri hat diese Gemütslage in Worte gefasst: „Ich bin ein bisschen traurig, denn wir spielen nie wieder mit dieser Mannschaft zusammen. Erst in zwei Jahren, wenn wir mal nichts gewinnen, werden wir wissen, was für eine gute Mannschaft wir hatten.“ Das Gefühl verstärkte sich noch, als gleich sieben Spieler des Meisterkaders beim Bankett offiziell verabschiedet wurden. (…) Sorgen, das Team werde nun auseinanderbrechen, mag der Sportdirektor nicht teilen. „Eine Mannschaft ist ein Gebilde, das nie fertig ist“, hat er gesagt und dabei so gelassen geschaut, als brauche er nur mal in den Supermarkt zu gehen, um gleichwertigen Ersatz zu besorgen. Dabei wird nichts mehr so sein wie es war in Bremen.“
Drei frühe Ballverluste können ihm ein ganzes Spiel verleiden
Frank Heike (FAZ 1.6.) porträtiert Tim Borowski, zwei Tore: „Vor acht Jahren wurde der ehemalige Bremer Manager Willi Lemke auf ihn aufmerksam und holte ihn nach Verhandlungen mit seinen Eltern ins Bremer Jugendinternat. In der Hansestadt war Thomas Schaaf sein Trainer, erst in der A-Jugend, dann bei den Amateuren. Es ist ein Glück für Borowski, daß Schaaf ihn kennt und nun auch bei den Profis nach schwachen Spielen zumindest auf der Bank beließ. Denn Borowski hat den Hang zum Phlegma. Drei frühe Ballverluste können ihm ein ganzes Spiel verleiden. „An Tim scheiden sich die Geister“, hat Schaaf einmal gesagt. Weil er zu oft sein großes Können nur angedeutet hat. Die Tore von Berlin, und wie Borowski sie erzielte (einmal mit Wucht, einmal mit Übersicht), lassen hoffen, daß der lauf- und zweikampfstarke Spieler in der kommenden Serie den Durchbruch bei Werder schafft. Borowski selbst schien der Trubel gar nicht recht. In der Mannschaft als Freund langer Nächte und lauter Gesänge bekannt, ist er im Gespräch eher still und hintergründig. Aber trotzdem selbstbewußt. „Ich konnte meinen Teil dazu beitragen, daß wir hier gewonnen haben“, sagte er, „ich habe schon viele gute Spiel gemacht. Das war eines der besten.“ Einmalig sei das Gefühl, beide Trophäen der Saison gewonnen zu haben. „Wir haben Geschichte geschrieben.“ Sein Kapitän Frank Baumann wähnte ihn schon auf dem Weg in die Nationalmannschaft: „Wenn er so weiterspielt, wird Rudi bald anrufen.“ So weiterzuspielen ist die Kunst: Für Tim Borowski wie für die ganze Bremer Mannschaft gilt, daß die Wiederholung der großen Leistung dieser Serie viel schwieriger ist, als einmal Spieler des Tages oder Überraschung des Jahres zu sein.“
Echt jut habta det jemacht, schönet Spiel
Kathrin Steinbichler (SZ 1.6.) gratuliert Turbine Potsdam zum Pokalsieg: „Als die Spielerinnen des 1. FFC Turbine Potsdam mit dem silbernen Pokal im Bauch des Olympiastadions auftauchten, konnten auch die grünen Ordnungshüter nicht mehr anders. Beifall hallte durch die Katakomben, aus einem Bereitschaftsbus dröhnte ein „echt jut habta det jemacht, schönet Spiel“. 3:0 gewann Potsdam sein erstes Pokalfinale und ließ dabei dem 1. FFC Frankfurt, amtierender Deutscher Meister und Pokalsieger der vergangenen fünf Jahre, kaum eine Chance. Während nun der hessische Marktführer des Frauenfußballs mit der ungewohnten Rolle des Verlierers umgehen muss, gilt der erste Titel der Vereinsgeschichte bei Potsdam als Zeichen für einen Machtwechsel. „Es war einfach an der Zeit, dass mal ein anderer den Pott holt“, sagte Turbine-Spielführerin und Weltmeisterin Ariane Hingst. Potsdams Trainer Bernd Schröder sah den Verein endlich für seine langjährige Aufbauarbeit belohnt: „Das heute bedeutet mir alles, das ist Emotion pur. Wir haben so lange an diesem ersten Titel gearbeitet.“ Die zuletzt 30 000 Zuschauer im Berliner Olympiastadion erlebten zuvor 90 Minuten lang einen Offensivwirbel der Turbinen, dem die ausgelaugt wirkenden Frankfurterinnen nur wenig entgegenzusetzen wussten. Beim Gipfeltreffen der beiden Bundesligabesten standen sich jeweils vier Weltmeisterinnen und etliche Nationalspielerinnen gegenüber. Doch das verletzungsgeschwächte Frankfurt verstand es nicht, den Angriffsfußball der im Schnitt 22 Jahre jungen Potsdamerinnen durch überlegene Routine und taktische Erfahrung zu stoppen.“