Ballschrank
Ronaldo ist eine Herde
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| Freitag, 4. Juni 2004Zeit-Gespräch mit Klaus Theweleit und Volker Finke – Bleibt Ballack doch in München? (SZ) u.v.m.
Jörg Hanau (FR 4.6.) beobachtet die Frankfurter Trainersuche: „Fast vier Stunden lang hat Eintracht Frankfurts Vorstandschef Heribert Bruchhagen am Mittwoch am Frankfurter Flughafen mit Trainer Ralf Rangnick über ein Engagement beim Erstligaabsteiger gesprochen. „Wir hatten ein sehr offenes und gutes Gespräch“, sagte Rangnick gestern. Der 45-Jährige gilt bei der Eintracht als Wunschkandidat für die Nachfolge von Willi Reimann. Zwar sind noch weitere Kandidaten in der engeren Wahl, wobei es sich um Friedhelm Funkel handeln dürfte, während Michael Henke nach FR-Informationen wohl aus dem Rennen ist, doch könnte schon am Wochenende die Einscheidung für Rangnick fallen. „Wir werden spätestens am Sonntag noch einmal telefonieren. Beide Seiten haben Interesse, dass schnell Klarheit herrscht“, sagte Rangnick, der derzeit auf Mallorca Urlaub macht. Rangnick geht davon aus, dass die Eintracht „im Lauf der nächsten Woche“ ihren Trainer präsentiert, weil der Spielermarkt langsam in Gang komme und dann jeder Tag für die Planung wichtig sei. Ob er bei der Eintracht unterschreibt, hängt auch davon ab, ob der Club seine finanziellen und strukturellen Forderungen erfüllen kann.“
Zehn Millionen Euro bieten die Katalanen – zu wenig für Ballack
Bleibt Ballack in München? Philipp Selldorf (SZ 4.6.): „Hätte Michael Ballack am Mittwoch ferngesehen statt Fußball gespielt, hätte er sich vermutlich gewaltig gewundert. Jener Franz Beckenbauer, der vor einigen Tagen noch als Kronzeuge der Anklage gegen ihn auftrat, sprach lauter versöhnliche Kommentare, lobte Ballack als „einen unserer besten Spieler“ und erklärte ihn mehr oder weniger für unentbehrlich. Da sprach Beckenbauer nicht in seiner Rolle als ZDF-Kritiker der Nationalelf, sondern als Präsident des FC Bayern. Und diesmal scheint der Mann, der ansonsten als Redner die Soli liebt, die abgestimmte Meinung des FC Bayern wiederzugeben. Offenkundig nimmt die Münchner Führung wieder Abstand von der Erwägung, Ballack an den FC Barcelona zu verkaufen. Zehn Millionen Euro bieten die Katalanen – zu wenig, um über ein Geschäft nachzudenken, wie Beckenbauer klar zum Ausdruck brachte. Wenigstens das Doppelte müssten die Spanier bieten, um die Münchner in Versuchung zu führen. Den nächsten Schritt unternahm Ballack selbst, indem er dem Klub mit einem Bekenntnis entgegenkam. „Ich habe ja nicht umsonst für vier Jahre unterschrieben. Ich spiele gerne in München und will auch noch gerne zwei Jahre hier spielen“, sagte Ballack nach dem Länderspiel und kündigte gelassen an, sich demnächst „mal unterhalten“ zu wollen mit Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, die er kürzlich noch dafür kritisiert hatte, dass sie ihn „im Regen stehen ließen“.“
Wir werden einen anderen Fußball spielen
Jörg Marwedel (SZ 4.6.) erkennt einen Stilwandel beim HSV: „Tatsächlich markieren das künftige Trainingszentrum und der stürmende Jungstar den Aufbruch in eine neue Ära beim siebenmaligen Deutschen Meister, dessen letzter Titelgewinn 21 Jahre zurückliegt. Zumindest aber wird allmählich sichtbar, welch“ gewaltiger Umbruch sich derzeit beim HSV vollzieht. Nach Emile Mpenza kommt mit Lauth ein weiterer schneller, gewandter Stürmer, der für einen radikalen Stilwechsel steht. Klappt auch noch die Verpflichtung des belgischen Nationalspielers Daniel van Buyten, Olympique Marseille, der Kapitän Nico Hoogma als Abwehrchef beerben soll, hätte der HSV allein an Ablösesummen mehr als elf Millionen Euro ins neue Team investiert, dessen Ziel laut Sportchef Dietmar Beiersdorfer nur der internationale Wettbewerb sein darf. Trainer Klaus Toppmöller, in den ersten sieben Monaten seiner HSV-Zeit oft frustriert und sogar mit erneuten Wechselgedanken befasst, sieht nun plötzlich Perspektiven. „Ich freue mich riesig“, sagte er und kündigte an: „Wir werden einen anderen Fußball spielen.“ Bisher sei man vorn zu schwach gewesen, um an der Spitze mitzuspielen, jetzt liege der Kader „in Sachen Qualität und Schnelligkeit weit vorn“. Abgegeben werden soll dafür Torjäger Bernardo Romeo, dessen Stärken allein im Strafraum liegen. Für den Argentinier gibt es Anfragen von Klubs aus Spanien.“
Ronaldo ist kein Mensch, sondern eine Herde
Javier Caceres (SZ 4.6.) staunt über die Selecao: „Auch die finale Attacke der Argentinier gegen Ronaldo war nicht ganz fair; und sie beendete den Arbeitstag des brasilianischen Nationalstürmers im Stadion Meineirão, Belo Horizonte, früher als gedacht. So sehr Ronaldo in Sachen Gewicht Hohn gewöhnt ist – dass sich im Anschluss an das WM-Qualifikationsspiel gegen Argentinien ein mit Diätbuch und Voodoo-Puppe bewaffneter argentinischer Journalist näherte und ihn zu fragen wagte, ob er Riten der Macumba-Religion anwende, um Körperfette zu schmelzen, war zu viel der Blasphemie, meldet Rádio Globo: Ronaldo boykottierte die Pressekonferenz. Das galt als misslich, weil Ronaldos Meinung maßgeblich war: Zu Brasiliens 3:1-Sieg hatte er am Mittwoch drei Treffer beigesteuert. Das allein wäre Anekdote genug, indes erzielte Ronaldo alle Tore per Elfmeter – die er überdies allesamt persönlich erzwungen hatte. Und zwar auf jene Art, die den scheidenden Sportdirektor von Real Madrid, Jorge Valdano, einst zu der Charakterisierung veranlasste: „Ronaldo ist kein Mensch, sondern eine Herde.““
Was an Tröstlichem bleibt, ist der Fußball
Welche Hoffnung verbindet Gastgeber Portugal mit der EM? Axel Veiel (FR 3.6.): „Rumpelstilzchen ist nichts dagegen. Wie ein Irrwisch tanzt diese Portugiesin. Hätte sie die Küchenschürze nicht fest verknotet, das gute Stück wäre längst davongeflattert. Wo der Wicht der Gebrüder Grimm nur zu feixen versteht, kann die 32-jährige Lurdes obendrein noch singen. Ein Lied schmettert sie mit einer Stimmgewalt, die sie als Fado-Sängerin ausweisen würde, wäre die Melodie nicht so lustig und der Text so banal. Er erschöpft sich in einem „Es lebe Porto, es lebe der FC Porto“. Dutzendfach bricht sich die Botschaft an den Hauswänden der steilen Gasse, schwillt an, halb Kanon, halb Chorgesang. Dass jemand in Lissabon ein Loblied auf Porto anstimmt und dessen Fußballclub, also auf die urbane wie sportliche Konkurrenz, mutet seltsam an. Zumal in diesen Tagen, da der Club aus dem Norden die Champions-League gewonnen hat und Lissabons große Vereine Sporting und Benfica weniger erfolgreich waren. Auch dieser Veitstanz verwundert. Wie das Türchen einer Kuckucksuhr sprang das grün gestrichene Tor neben den meterdicken Mauern des Aquädukts auf. Plötzlich stand die Portugiesin im Freien. Und genauso unvermittelt macht sie wieder kehrt. Der Spuk ist vorbei, „die Straße der Mutter des Wassers“, wie die zum Aquädukt führende Sackgasse heißt, liegt wieder verlassen da. Der nächste Spuk wird nicht lange auf sich warten lassen. Portugal nimmt es vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft mit der Wirklichkeit nicht so genau. Vieles, was gestern noch galt, soll heute nicht mehr gelten, wird verdrängt von dem nach Ansicht des Schriftstellers Manuel Alegre „fast schon heiligen Sport“ und seinen Lichtgestalten: Luis Figo, Nuno Gomes, Deco. Denn was gestern noch galt, war ja kaum auszuhalten. Es musste einfach verbannt werden aus dem Gedächtnis, sollte die Nation nicht in Schwermut versinken. Das Land, als erstes der EU in die Rezession geraten, schaffte es auch im vergangenen Vierteljahr nicht, auch nur ein bescheidenes Wachstum zu erzielen. Der als Nobelpreisanwärter gehandelte US-Ökonom Paul Krugman prophezeit ungerührt, dass sich daran auf Jahre nichts ändern dürfte. Durch die Erweiterung der EU nach Osten bleiben für Lissabon weniger Mittel aus Brüssel. Viele Portugiesen sehen sich in der Gemeinschaft noch mehr an den Rand gedrängt, zumal das einst als Billiglohnland geschätzte Portugal im Vergleich zu den Beitrittsstaaten keines mehr ist. Geblieben sind die Wettbewerbsnachteile: die weit unter dem europäischen Durchschnitt liegende Produktivität, das niedrige Ausbildungsniveau. Die Hälfte der Portugiesen verlässt die Schule vor der Abschlussprüfung. (…) Was an Tröstlichem bleibt, ist der Fußball. Die Europameisterschaft erlöst das Land drei Wochen lang von Rand- und Schieflage, macht es zum Mittelpunkt Europas, wenn nicht der Welt. Wie Ufos sind zehn funkelnagelneue Stadien mit weit geschwungenen Dächern auf Portugal hernieder gegangen, bunt schillernde Boten des Fortschritts, die Besserung verheißen.“
Zeit-Gespräch mit Klaus Theweleit und Volker Finke
Zeit: Herr Theweleit, in Ihrem Buch Tor zur Welt stellen Sie eine neue Fußball-Regel auf: „Wer mitbekommt, was sich im Fußball wann und wie verschiebt, ist über andere Gesellschaftsbereiche osmotisch informiert.“ Was lernen wir aus der Verfassung der deutschen Nationalmannschaft vor der EM über die deutsche Gesellschaft?
Klaus Theweleit: Bloß nicht so direkt! Völler ruiniert den Fußball sicher nicht so wie Schröder die Reste der deutschen Sozialdemokratie, im Gegenteil. Dass Vogts und Kohl sich gedeckt haben sollen, ist ein Spielgedanke. Bei Ernst wird’s blöd.
Volker Finke: Keine Arbeitsplätze, kein Wachstum, das ganze allgemeine Gejammer – diese negative Grundstimmung gibt es auch im Stadion, nicht unbedingt bei den Spielern, aber beim Publikum. Die Bereitschaft, relativ schnell ungnädig zu werden und zu mäkeln. Bei uns sind schon Leute auf der Tribüne aufgesprungen und haben gebrüllt: Die sollen endlich auch Schulden machen und bessere Spieler kaufen!! Sie haben Frust genug, da wollen sie Fans einer erfolgreichen Mannschaft sein.
Zeit: Können wir nicht besser spielen, weil die Stimmung so mies ist?
Finke: Es ist wie bei Schauspielern im Theater: Feedback ist unglaublich wichtig. Resonanz. Energiefluss. Spannungsbogen. Das sind keine abgezockten Legionäre, die da nach Portugal fahren.
Theweleit: Selbst Kahns Fehlgriffe kommen aus dieser Sorte Druck, die Überfigur sein zu müssen.
Finke: Beim Reagieren auf den Gegner haben wir ein gutes Potenzial. Es fällt uns aber schwer, einen Gegner konzeptionell unter Druck zu setzen.
Zeit: Wir haben auch für eine bessere, andere Gesellschaft keine Konzepte, wie sollen wir sie da für das Spiel auf dem Platz haben?
Finke: Entscheidend wird sein, wie der Boulevard reagiert. Wenn das erste Spiel schlecht läuft, besteht die Gefahr, dass über die Berichterstattung ein Teil der Fans aggressiv auf die eigene Mannschaft reagiert. Ist ja interessant, was im Moment medienmäßig passiert: Es wird den Menschen zu oft das Gefühl gegeben, dass das Preis-Leistungsverhältnis nicht mehr stimmt. Und schon ist die Neiddiskussion da, eines der Lieblingsthemen des Boulevards. Über den Bauch werden die Leute aggressiv gemacht: Scheiß Millionäre! Da haben Sie die ganze Gesellschaft polarisiert, die treibt auseinander.
Theweleit: Aus Neid kommt Hass.
Zeit: Ist das eine typisch deutsche Eigenart? In anderen Ländern gönnt man den Superstars ihre Wahnsinnsgehälter.
Theweleit: Jedenfalls wird es ihnen nicht so missgönnt wie hier. Ein simpler Gedanke steht natürlich nicht in den Zeitungen: Wenn der so genannte Millionario zehn Millionen weniger bekommt, hat der, der nichts hat, keinen Pfennig mehr. Du hast aber was davon, wenn er schön spielt. Deutschland ist das einzige Land, in dem der Begriff Schönspieler negativ besetzt ist. Dabei standen in den guten deutschen Mannschaften acht, neun Schönspieler.
Finke: Wir beschwören immer wieder die berühmten Tugenden: Seid stolz auf Kampfkraft, Disziplin, dann seid ihr als Turniermannschaft effektiv! Fangt nicht an zu zaubern, bitte, bitte, das könnt ihr nicht mit eurem deutschen Bewegungsapparat!
Theweleit: Die so genannten Sekundärtugenden sind ja eigentlich keine. Das waren einmal die Primärtugenden. Fußball in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts war ein Teil der Militarisierung der ganzen Gesellschaft. Die gesamte Sprache der Sportreporter kam daher, das Reden von Moral und Truppe. Stark ideologisierte Zeitungen wie Bild behalten das bis heute bei, obwohl auch sie auf mehreren Hochzeiten tanzen. Manchmal ist die Rede opportunistisch vom Fußball-„Ballett“, dann wieder soll es „Krieg“ sein.
Zeit: Ist Sportberichterstattung immer noch eine verkappte Form der Mobilmachung?
Theweleit: Sport ist in der Bild-Zeitung das Hauptsteuerungsmedium für aktuelle Stimmungen. Was früher einmal mehr in der Politik lag, wird heute über den Fußball ausgetragen. Irgendjemand muss es abkriegen, das ist der Drogenanteil, den Bild jeden Tag seinen Lesern hinschiebt. Jenseits des Boulevards hat sich die Berichterstattung in den letzten 15 Jahren aber deutlich gebessert. Diese Martialität ist bei den meisten raus.
Finke: Bei den meisten Berichterstattern und Moderatoren reichen die Sprache und das Fachwissen nicht aus, um ein Spiel lesen zu können. 70 Prozent der Stadion-Besucher holen ihre Informationen ausschließlich aus der Bild-Zeitung. Wenn dort gezielt drei, vier Wochen lang Begriffe fallen wie „leidenschaftslos“, „kampflos“, „nicht effektiv“, dann hat das nichts mehr mit bloßer Unzufriedenheit zu tun. Es geht um ein Angstszenario, bei dem immerzu „der Abgrund“ droht oder „der freie Fall“.
Zeit: Ohne Körpereinsatz scheint es im Fußball nicht zu gehen. Bis zu welchem Grad ist Fußball Zähmung von Gewaltpotenzialen durch Technik?
Theweleit: Nehmen Sie Beckenbauer, der war technisch so gut, der kam fast ohne Kampf aus. Zidane, Cruyff – warum werden die so verehrt und bewundert? Weil es ihnen gelungen ist, aus dem Kampfspiel die Gewalt weitgehend rauszunehmen und es in eine Art energetischen Tanz zu verwandeln. Die Zuschauer wollen natürlich, wenn es nötig ist, einen Zweikampf sehen. Aber wenn man das lösen kann ohne diese Tackling-Geschichten und das Reingrätschen…
Finke: Es ist ein Irrglaube, dass zwischen schönem Fußball und der Kampfsportart Fußball eine große Differenz besteht. Logischerweise muss man sich mit der Aggressivität, mit der körperlichen Fitness behaupten im Zweikampf, und das Ziel des Zweikampfs ist es immer, eine günstige Situation zu schaffen für die Mannschaft, die letztlich der Spielidee dient, drüben ein Tor zu machen. Dafür muss ich alles einsetzen.
Zeit: Dann wird der Macho doch nie ganz aus den Stadien verschwinden.
Finke: Wer auf dem Platz eine Spur zu nett ist, ist nicht unbedingt der Gewinner. Die traditionelle psychologische Disposition eines Machos kann den Typen hervorbringen, der vor 80000 Zuschauern, wenn ganz vielen bereits das Herz in die Hose gerutscht ist, das entscheidende Ding macht. Dafür bietet Fußball ja auch eine Bühne. Das große Können der Spitzenmannschaften besteht heute aber darin, den Durchbruch so vorzubereiten, dass sie über die Ballsicherheit auf allen Positionen verfügen und erst dann zuschlagen, wenn es eine hohe Chance gibt, dass die Aktion gelingt.
Theweleit: Ich neige dazu, das Billardfußball zu nennen – weil immer gleich direkt abgespielt wird. Wenn der Ball kommt, ist schon der nächste Mitspieler im Blick. Volker Finke hat den Wahrnehmungsverlust bei manchen Spielern beklagt, was ihre eigene Geschichte anbelangt. Im Spiel hat er aber auch eine Wahrnehmungserhöhung beschrieben. Das trifft zu, angefangen bei den Holländern mit ihrer Erfindung der Viererabwehrkette, wo der Verteidiger anfangen musste, mindestens genauso wie den Angreifer die eigenen Leute im Blick zu haben. Solche Umorientierungen haben zu einer Erhöhung der Spielintelligenz geführt.
Finke: Leider tut die deutsche Berichterstattung noch immer so, als ginge es bloß darum, so schnell wie möglich zum gegnerischen 16-Meter-Raum zu kommen und von dort zum Abschluss. Diese berühmten Torschuss-Statistiken sind der Wahnsinn schlechthin. Es gibt Mannschaften, die haben 16- oder 24-mal aufs Tor geschossen, das wird als Superwert genommen. Vielleicht waren von 24 Torschüssen aber 18 die schlechteste Lösung. Dass andere Leute frei waren, dass man weiter hätte kombinieren müssen. Es hilft nichts: Jeder Torschuss ist in Deutschland positiv besetzt.
Zeit: Der Torschuss ist der Orgasmus der Tribüne.
Theweleit: In der Champions League hat Chelsea in Stuttgart zweimal aufs Tor geschossen und 1:0 gewonnen – durch ein Stuttgarter Eigentor. Im Übrigen haben sie hinten so geschickt verschoben, dass bei jeder guten Stuttgarter Flanke ein Chelsea-Bein dazwischen war.
Zeit: Kann es sein, dass das Spiel für den normalen Zuschauer zu kompliziert geworden ist? Sie, Herr Finke, als Fachmann und Sie, Herr Theweleit, als Kulturtheoretiker genießen offenbar eine andere Art Schönheit als der gemeine Fan in der Kurve, der sagt: Ich will den Ball ganz einfach reingehen sehen.
Theweleit: Sollte das Spiel zu gut werden, dann wäre es die Aufgabe der Berichterstattung, den so genannten Laien in einen Spezialisten zu verwandeln. Der sehen kann, dass es trotzdem ein gutes Spiel ist – auch wenn kein Tor fällt.
Finke: Eduardo Galeano hat einmal sehr schön eine Spielsituation beschrieben, diesen eleganten Kombinationsfluss und dass er manchmal monatelang wartet auf dieses Erlebnis. Aber das ist es dann für ihn auch, an dem Tag geht’s warm runter. Wir haben mal gegen Borussia Dortmund ein Tor über 14 Stationen herauskombiniert. Ein Traumtor. Es war eben nicht die „Ballverliebtheit der Schönheit“ am Werk, von der die Presse so gern abschätzig spricht. Fußball hat sich wirklich auf ein viel höheres Niveau entwickelt.