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Kauz aus Ketsch

Oliver Fritsch | Freitag, 4. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für Kauz aus Ketsch

Das Aus bei der U 21-EM bedeutet das Ende des olympischen Traums (SZ) – Stielike unter Beschuss u.v.m.

Michael Ashelm (FAZ 4.6.): „Weshalb das schnelle Ende so kommen mußte, stellt in erster Linie die Strategie des Trainers in Frage. Stielike fehlte die klare Linie. Er schaffte es nicht, dem Team – in zugegeben kurzer Zeit – ein Gesicht zu verpassen. Vielmehr schwankte der ehemalige Nationalspieler hin und her, bestritt drei Partien mit gründlich veränderter Aufstellung und verunsicherte womöglich seine Schützlinge damit so sehr, daß sie den Rhythmus zum Erfolg gar nicht finden konnten. Bestätigen wollte das niemand öffentlich, doch aus der Sicht des Verbandes dürfte noch Erklärungsbedarf bestehen. Auch wenn das frühzeitige EM-Aus zu weiteren internen Diskussionen führen wird, braucht deshalb der allgemeine Aufwärtstrend nicht in Frage gestellt zu werden. Noch nie in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren haben auf einen Schlag so viele deutsche Fußballtalente ihren Weg ins Profigeschäft gefunden. Das ist perspektivisch gesehen erfreulich, mag auch die Ursache hierfür mit den schwierigen finanziellen Bedingungen der Branche zu tun haben. Die meisten der DFB-Junioren können jedenfalls einen Stammplatz in einem erst- oder zweitklassigen Profiklub vorweisen – selbst in England oder Italien. Und so gilt die Faustregel: Jede Spielminute auf dem Platz ist mehr wert als das tollste Nachwuchskonzept auf dem Papier.“

Christian Tiffert und Andreas Görlitz trugen weiße Schuhe, aber spielten den Ball schon auf 20, 30 Meter fehlerhaft quer

Frank Hellmann (FR 4.6.) nimmt die U21 auseinander: „Es sah recht eindrucksvoll aus, als sich die jungen Hoffnungsträger beim Erklingen der Nationalhymne der Reihe nach in den Arm nahmen. Deutsche Fußball-Einigkeit, demonstriert von einer Mannschaft, der Förderer Uli Stielike stets Hingabe und Herz bescheinigt hat. Doch kaum war das Unternehmen Olympia-Qualifikation mit dem 1:2 gegen Portugal schief gegangen und die hehren Absichten der EM im eigenen Land konterkariert, war es mit dem Schulterschluss auch schon dabei. Und vor allem Stielike, der um sachdienliche Hinweise für den anhaltenden Mangelzustand des deutschen Nachwuchs nie verlegene U 21-Nationaltrainer, bekam die ganze Breitseite der Kritik ab. DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder ist erzürnt und kündigt Konsequenzen an: „Er wird Gelegenheit haben, mir das zu erklären. Wir haben die große Chance hergegeben ohne Grund.“ Stielike selbst deutete schon seinen Rückzug an. „Wenn man mich zurückstufen will, bricht mir kein Zacken aus der Krone.“ U 17 oder U 18 seien auch ein netter Tätigkeitsbereich. So wird es kommen, das scheint aus DFB-Kreisen gewiss, auch wenn der Präsident gestern „keinen Schuss aus der Hüfte“ ankündigte. (…) Die EM-Spiele produzierten schließlich ein paar Verlierer mehr: Lukas Podolski war kein stürmischer Heilsbringer, sondern wirkte limitiert talentiert. Hanno Balitsch mag klasse den Kapitän mimen, ein Spiel führen konnte er nicht. Christian Tiffert und Andreas Görlitz trugen weiße Schuhe, aber spielten den Ball schon auf 20, 30 Meter fehlerhaft quer. Und Abwehrhünen wie Alexander Madlung praktizierten ein Stellungs- und Aufbauspiel, das Risiken und Nebenwirkungen barg. Sicherlich gereicht das Talent des Bastian Schweinsteiger (Stielike: „Der einzige über Schnitt“) zu höheren Aufgaben. Doch das Gros der Jungspunde, die für Stielike „nach vier unfallfreien Spielen hochgejubelt werden“, hielten weder Druck noch Tempo international üblichen Hochgeschwindigkeitsfußballs stand.“

Die U21 EM ist keine Sportförderveranstaltung für Jungrekruten im Kasernenhinterhof

Jan Christian Müller (FR 4.6.) hält die U21-EM für eine Imageveranstaltung: „Der DFB hat keine Kosten und Mühen gescheut, um den vor Turnierbeginn noch hoch gelobten Talenten perfekte Bedingungen zu schaffen: Ein Turnier im eigenen Land, ein euphorisches Publikum in Mainz und Mannheim, kurze Anfahrtswege, eine schöne Herberge im Weinanbaugebiet, Liveberichterstattung zur besten Vorabendzeit in Sat 1. Das Ansinnen war klar: Der Dachverband wollte das lädierte Bild der deutschen Nachwuchsarbeit kraftvoll aufpäppeln. Seit 1988 sollte sich Deutschland erstmals für Olympische Spiele qualifizieren. Offenbar aber hat Trainer Uli Stielike nicht richtig mitgekriegt, dass diese Juniorenveranstaltung keine Sportförderveranstaltung für Jungrekruten im Kasernenhinterhof war, sondern Teil einer von den Medien viel beachteten Imagekampagne, die seinem Vorgesetzten, DFB-Boss Gerhard Mayer-Vorfelder, besonders am Herzen liegt. „MV“ will sich als großer Förderer der Jugend ein Denkmal setzen. Stielikes wunderliches Wechselspiel mag sportphysiologisch nachvollziehbar gewesen sein. Doch der DFB-Trainer hat keinen Grund, beleidigt zu reagieren, wenn ihm nun Fragen gestellt werden. Er hat ohne Not die mühsam aufgebaute Mannschaftsstruktur zerrüttet.“

Der Kauz aus Ketsch

Tobias Schächter (taz 4.6.) kritisiert Stielike: ““I wish that for just one time you could stand inside my shoes and just for that one moment I could be you“, krächzt Bob Dylan in Positively 4th Street. Für einen ganzen langen Tag Ulrich Stielike sein, das wäre dann doch des Guten zu viel. Aber für ein paar Minuten die Gedanken des knorrigen DFB-Trainers zu kennen, darauf könnte man sich einlassen. Am besten in den Minuten, nach denen er zuvor mit seinem Assistenten Horst Hrubesch noch einmal alles hat Paroli laufen lassen und dann doch alles ganz anders macht. Seine Eigenwilligkeit und die oft kaum nachvollziehbaren Personalentscheidungen brachten dem ehemaligen Nationalspieler den wenig schmeichelhaften Beinamen „Kauz aus Ketsch“. Dieser Tage lieferte Stielike ein Lehrstück seiner Kunst, die sehr eigene Sicht der Dinge zu pflegen. Diesmal ging alles grandios in die Hose. Der Traum ist aus! Ausgeträumt der Traum vom Titel und der Teilnahme an den Olympischen Spielen in Athen. Der Blues war tiefschwarz im deutschen Lager. Dabei hatte alles so gut begonnen letzten Freitag am selben Ort mit einer paukenden Polka und einem 2:1 über die Schweiz. Aber Stielikes Taktik des „Bolzplatz-Sozialismus“ (SZ) mündete in ein 1:2 gegen Schweden. Auf neun Positionen veränderte Stielike da seine siegreiche Elf. Die Überlegung, Kräfte zu schonen, stand dahinter. Aber gleich neun Wechsel auf einen Streich? „Ich bin ein Talentförderer und kein Talentbremser“, echauffierte sich Stielike nach kritischen Fragen. Und: „Hätten wir mit derselben Mannschaft wie gegen die Schweiz gespielt, hätten wir 4:0 verloren.“ Auf Kritik reagierte der Weisweiler-Schüler schon immer dünnhäutig. Aber das? Die zweite Antwort war rein spekulativ, und auch bei der ersten irrte Stielike. Spielpraxis besitzen alle Akteure reichlich in dieser hoffnungsvollsten U 21-Auswahl seit Jahren. Bei dieser EM ging es nicht darum, Talenten Spielpraxis zu geben, sondern den maximalen Erfolg zu haben. (…) „Ich klebe nicht an meinem Stuhl“, schloss er einen Rücktritt nicht aus, und eine große Portion Resignation drang durch, als er hinzufügte: „Ich fühle mich wohl im Jugendbereich, die U 21 dagegen ist sehr professionell.“ Dem Prediger der absoluten Professionalität zu professionell? Aus dieser Aussage liest man den Frust des gescheiterten Trainers. Stielike weiß, dass er als Klubtrainer nicht mehr vermittelbar ist. Dies hat er mit seiner verfehlten Taktik und amateurhaften Krisenpolitik noch einmal unterstrichen. Schon vor der EM meinte der 49-Jährige sinngemäß in einem Interview: Ein Klubpräsident, der ihm gefiele, den müsse er sich selbst backen. The Times They Are A-Changing – Uli Stielike ändert sich nicht mehr. Dieser Tage aber hat er ein paar Mal zu oft ausgewechselt.“

Zu schlecht und zu schwach für Olympia

Ulrich Hartmann (SZ 4.6.) über die zerfallende U21: „Noch in der Nacht des Unglücks sind die Spieler geflüchtet. Sie räumten ihre Hotelzimmer am Mittwochabend und brausten eilig davon aus dem idyllischen Schlosshotel in Alzey, nur wenige Stunden nach der 1:2-Niederlage gegen Portugal, die das Aus bei der U 21-EM und das Ende des olympischen Traums bedeutet hatte. „Dass sie so überstürzt abreisen würden, hatte ich nicht erwartet“, sagte der Trainer Ulli Stielike verdutzt und enttäuscht. Nach dem gemeinsamen Abendessen hatte Stielike seinen Spielern eine Gardinenpredigt gehalten und mitgeteilt, dass sie „zu schlecht und zu schwach“ gewesen seien für das Ziel Olympia. Die vor einer Woche mit großen Hoffnungen begonnene EM in der Heimat endete als Debakel: mit einem prominent besetzten Nachwuchs-Team, das sein Potenzial nicht zeigen konnte, mit einer als „eingeschworen“ apostrophierten Gemeinschaft, die nach dem bösen Ende nichts mehr beieinander hielt, und mit einem Trainer, der nach dem Misserfolg äußerte, seine Position als Übungsleiter des zweitwichtigsten Nationalteams bedeute ihm nicht mehr viel. Dieser demonstrative Fatalismus des 49-Jährigen dürfte mit seiner jüngeren Vergangenheit beim DFB zusammenhängen. Stielike hatte sich im September 1998 bereits als Nachfolger von Berti Vogts im Bundestraineramt des A-Nationalteams gewähnt und musste dann erfahren, dass er nur Erich Ribbecks Assistent sein durfte. 34 Tage vor der EM 2000 wurde er von Ribbeck gar gefeuert und verdingte sich seither beim DFB als Trainer der U 18, der U 20, des „Teams 2006″ und seit April 2003 als U 21-Coach. Stielike ist der Mann für alle Fälle in Sachen Nachwuchsarbeit, aber er vermittelt eher nicht den Eindruck, als sei er glücklich geworden mit seinen Aufgaben, und als sei die vermeintliche Schlüsselqualifikation überhaupt gerechtfertigt. „Eigentlich will ich als Trainer, dass meine Handschrift bei einer Mannschaft zu erkennen ist – aber das geht nicht bei einem Nationalteam, bei dem so viele mit hineinreden“, sagt Stielike.“

Ulrich Hartmann (SZ 4.6.) ergänzt: „Stielike waren die von Rudi Völler berufenen Kuranyi, Lahm und Hinkel zu unentbehrlich, die verletzten Lauth und Broich zu unabkömmlich, die verbliebenen Spieler zu müde, zu ängstlich und zu schwach und die Gruppengegner zu sehr im Vorteil; die Arbeit als Juniorencoach ist zu undankbar, die Kritik zu grob, der Einfluss der Klubtrainer zu enorm und überhaupt alles ein bisschen zu professionell für ein Nachwuchsteam. Stielike ist mit dem besten deutschen U 21-Jahrgang seit langem gescheitert. Die Bedingungen waren einfach zu optimal.“

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