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Fußball-Hauptstadt Europas, für ein paar Wochen

Oliver Fritsch | Freitag, 11. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für Fußball-Hauptstadt Europas, für ein paar Wochen

Porto, „Fußball-Hauptstadt Europas“ für ein paar Wochen (FAZ) – das Stadion in Braga, „Bruch mit dem üblichen architektonischen Schema“ (SZ) u.v.m.

Thomas Klemm (FAZ 11.6.) notiert (zu) viel portugiesische Selbstkritik: „Die Stimmung in Portugal brodelt, seit der hiesige Fußballverband eine Broschüre veröffentlicht hat, in der die Autoren kaum ein gutes Haar an Luiz Felipe Scolari und seinen Nationalspielern lassen. Beispiele gefällig? Scolari pflege als Trainer einen „harten und autoritären Stil, war aber niemals ein begabter Spieler“; Weltstar Luis Figo „hat 2002 eine schlechte WM gespielt“, zudem „belastet ihn die Saison mit Real Madrid“. Nicht einmal die Champions-League-Sieger vom FC Porto träten mit breiter Brust bei der EM an, meinen die Autoren des Infoheftchens. Solche Kommentare erschienen selbst den überaus selbstkritischen Portugiesen als reine Nestbeschmutzung. Wie konnte es bloß dazu kommen? Es handele sich hierbei nicht um Miesmacherei, sondern um kritische Würdigungen gestandener Journalisten, hieß es vom Verband. Es ist wahr: Die Einschätzungen sind einerseits richtig, stehen aber auf der falschen Seite.“

Portugal setzt auf Figo, schreibt Axel Kintzinger (FTD 11.6.): „Diese EM ist für einige portugiesische Stars die letzte Chance, mit ihrem Land einen großen Titel zu gewinnen. Rui Costa gehört dazu und natürlich Luis Figo von Real Madrid, schon jetzt ein Nationalheld vom Range Eusebios und Hauptwerbeträger für alle möglichen Markenartikler. „Wir werden es möglich machen“ ist einer der Slogans, mit denen Figo da wirbt. Er selbst hat es möglich gemacht, auf den staubigen Plätzen des Lissabonner Armenviertels Almada aufzufallen, wo er sich für den Klub Os Pastilhas (die Tabletten) die Knie aufschrammte. Später sollte er den Tejo, der Almada von der Hauptstadt trennt, überqueren, um für Sporting Lissabon zu spielen. Die weiteren Stationen sind bekannt: FC Barcelona und, bis heute, Real. Dort galt er spätestens nach der Verpflichtung David Beckhams aus Auslaufmodell. Vor allem auf Figo ruhen die Hoffnungen, etwas Großartiges zum gebührenden Abschluss zu bringen. Das nämlich fehlt diesem Land, das vor 30 Jahren mit der so genannten Nelkenrevolution vormachte, wie man eine Diktatur aus den Angeln heben und eine formidable parlamentarische Demokratie etablieren kann. Daran, dass Portugal ein Armenhaus Europas geblieben ist, konnte das aber nichts ändern. Und auch ein Wirtschaftsboom Mitte der 90er Jahre ist längst wieder verebbt. In letzter Konsequenz enttäuscht hat bislang auch die „Goldene Generation“, die 1991 U20-Weltmeister wurde und im Jahr 2000 EM-Dritter – jeweils mit Figo und Rui Costa als zentralen Spielern. Für den letzten Schritt aber hat es nie gereicht.“

Fußball-Hauptstadt Europas für ein paar Wochen

Peter Heß (FAZ 11.6.) schildert die Bedeutung des Fußballs für die Portista: “Wie ein mächtiger weißer Tempel erhebt sich das neue Estadio Dragão über Porto. Der Prunkbau signalisiert Besuchern von weitem: Sie sind angekommen in der Fußball-Hauptstadt Europas. Zumindest noch ein paar Tage lang kann die zweitgrößte portugiesische Stadt den Ehrentitel mit Recht führen. Vor ein paar Wochen gewann der FC Porto die Krone des europäischen Vereinsfußballs, die Champions League. Und an diesem Samstag richten sich die Augen aller Fußballfreunde auf das Drachen-Stadion, das der EM 2004 die Bühne für das Eröffnungsspiel bietet. Wenn am 4. Juli in Lissabon das Finale der Euro ausgetragen wird, mag Porto schon wieder aus dem Bewußtsein der europäischen Fußballfans gerückt sein. Wenigstens für ein paar Tage der ungeliebten Hauptstadt Lissabon den Rang abgelaufen zu haben macht die Menschen im Norden schon stolz und froh. „Fußball hat für uns eine fast religiöse Bedeutung“, sagt Pedro, Manager eines Hotels. „Die Leute haben das Vertrauen in die Wirtschaft und in die Politik verloren, der Fußball gibt ihnen etwas, woran sie glauben können.“ Pedro meint mit dieser Aussage „seinen“ FC Porto. Der Abonnementsmeister der vergangenen Jahre – mit wenigen Ausnahmen – vereint die meisten Fans der Stadt hinter sich.“

Bruch mit dem üblichen Schema

Wolfgang Jean Stock (SZ/Feuilleton 11.6.) bestaunt die Architektur des Stadions in Braga: „Portugal ist Rekordhalter: Mit solchem Aufwand hat sich noch kein Land für eine EM gerüstet. Nicht weniger als zehn Stadien sind zwischen Faro in der Algarve und Braga im hohen Norden neu errichtet oder grundlegend umgebaut worden. Erstmals wird ein Endturnier in so vielen verschiedenen Arenen ausgetragen. Was aber die Architektur der Sportstätten angeht, bricht nur eine mit dem heute üblichen Schema der völlig umbauten Schüssel: das grandiose, aus Stahlbeton errichtete Stadion in Braga, das sich auf zwei Seiten zur Landschaft öffnet. Als ein Bollwerk des reaktionären Katholizismus hat die Stadt Braga eine politisch belastete Geschichte: Hier wurde der Militärputsch vorbereitet, der 1932 den portugiesischen Diktator Salazar an die Macht brachte. Heute ist das einstige „Rom Portugals“ außerhalb seines historischen Zentrums eine hässliche Industriestadt. Der von satten EU-Subventionen genährte Bauboom hat vor allem die Peripherie massiv geschädigt. Dabei ist die Umgebung attraktiv – von Osten her gehen die dicht bewaldeten Bergrücken allmählich in sanfte Hügel über. Die noch vorhandene Landschaft bei Bauprojekten zu schützen, gehört deshalb seit einigen Jahren zu den Zielen der Stadtplanung. Dass dies kein Lippenbekenntnis ist, zeigt das neue Stadion, mit dessen Entwurf Eduardo Souto de Moura beauftragt wurde, der nach Álvaro Siza prominenteste portugiesische Architekt der Gegenwart. Als Bauplatz wurde am wüst zersiedelten Nordrand der Stadt ein Gelände ausgewählt, das künftig noch weitere Sportanlagen aufnehmen soll. Um einen schmalen Fluss, der sich durch die Talöffnung schlängelt, nicht durch einen Damm abzuriegeln, hat Souto de Moura den Stadionbau nach Westen hin in eine Felswand eingebettet. Dafür wurde in den Granitberg eine große Schneise gesprengt, in der jetzt die Westtribüne aufsteigt. Weil der Naturstein ohnehin ein wichtiges Thema von Souto de Moura ist, sind die gesprengten Felsbrocken am Ort für Stützmauern und Terrassen in den renaturierten Hängen verwendet worden. Das Stadion selber ist eine so einfache wie überzeugende Anlage: Das von Norden nach Süden gerichtete Spielfeld wird von den beiden überdachten Tribünenbauten mit jeweils zwei steilen Rängen begleitet, die insgesamt 30 000 Plätze bieten. Im Gegensatz zu dem gewöhnlich geforderten „Hexenkessel“ hat Souto de Moura sein Stadion auf den Schmalseiten geöffnet. Durch die lineare Anordnung der Tribünen können somit alle Zuschauer das Spiel in Laufrichtung verfolgen – und zugleich die Ausblicke in die Umgebung genießen. Andererseits steigert diese Konzeption für die ankommenden Besucher das Erleben der Architektur: Der 45 Meter hohe Bau mit seinem charakteristischen Hängedach steht wie ein riesiges Zeichen im Gelände.“

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