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Italienisches Türenknallen

Oliver Fritsch | Freitag, 11. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für Italienisches Türenknallen

„ein bisschen meckern, ein wenig Türenknallen“ (SZ): die Italiener sind in Form – David Beckham, zweifelnder Weltstar (SZ) – Frankreich, der Favorit, „wo sind die französischen Schwächen?“ (FAZ) u.v.m.

Ein bisschen meckern, ein wenig Türenknallen

Streit, Eitelkeit und auch sonst nicht viel Neues bei den Italienern, meldet Birgit Schönau (SZ 11.6.): „Milan hat zu Hause mit 4-3-1-2 die Meisterschaft gewonnen, wobei die Idee mit den zwei Stürmern vom allerersten Coach des Landes stammt – von Silvio Berlusconi höchstpersönlich. Trapattoni pfeift einfach darauf und will nur einen einzigen Stürmer schicken, den bulligen Christian Vieri von Inter Mailand. Man kann sich ausmalen, wie das wieder aussehen wird. Vieri vorne, mutterseelenallein, und Trap mit den Reservisten auf der Bank, hektisch wie immer sein Weihwasserfläschchen schwenkend. „Die Temperatur ist harmonisch“, wiegelt der commissario tecnico ab, was immer das heißen mag. Vermutlich hat Trapattoni nicht bloß normales Quecksilber in seinem Thermometer, und ganz bestimmt ist sein Gradmesser erdbebensicher. In der Mannschaft geht es nämlich richtig rund. Der Milanista Gennaro Gattuso pocht grimmig auf seinen Stammplatz, Massimo Oddo und Stefano Fiore von Lazio Rom drängen mächtig auf die rechte Seite und Alessandro Del Piero, laut Umfragen der beliebteste Nationalspieler im Land, gibt Interviews wie eine verschnupfte Ehefrau: „Trapattoni hat bestimmt nicht für mich gestimmt. Der wählt Totti. Über Geschmack kann man nicht streiten.“ Nie in seiner Karriere, schimpft Del Piero, der Kapitän von Juventus Turin, habe man ihn als zweite Wahl behandelt: „Noch nicht einmal, als Zidane noch bei Juventus spielte.“ Und jetzt? „Die Mannschaft dreht sich um Totti“, hat Trapattoni gestanden, mehr noch, „sie ist Totti-abhängig.“ Francesco Totti, der Treibauf des AS Rom, ist Trapattonis neue Lichtgestalt, hinter der sich die Del Pieros dieser Welt gefälligst verstecken sollen. Im übrigen „schön, dass meine Jungs so motiviert sind“, besser ein bisschen Gerangel in der Kabine als gar nichts los. Für Trapattoni sind sie sowieso „alle meine Kinder, manche sogar Enkelkinder“. Ein normaler Generationskonflikt all’italiana also, ein bisschen meckern, ein wenig Türenknallen, aber nachher trotzdem alle zusammen mit Papa auf die Wiese.“

Ronald Reng (SZ 11.6.) beschreibt David Beckhams Zweifel: “Als Beckham, 29, im vergangenen Juli zu seinem ersten Training bei Real Madrid eine Stunde zu früh kam, lachten noch alle darüber. Er hat es ja auch so lustig erzählt: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich so viel Lust hatte zu trainieren oder ob ich bloß die Uhrzeit falsch verstanden hatte.“ Als er Monate später noch immer deutlich vor Trainingsbeginn auf dem Platz war und sich die Zeit mit Kunstschüssen vertrieb, konnte man Zweifel kriegen, ob ihn der Eifer antrieb oder nicht doch die Langeweile in seiner Villa in El Plantío. Seine Frau Victoria war meist in England; um ihrer Karriere als Popsängerin nachzugehen, hieß es. Seine Mutter sei dafür manchmal bei ihm. Es schien jedoch nicht mehr als eine Anekdote zu sein. Denn im Stadion begeisterte er. Er schlug aus dem Stand Diagonalpässe über 40 Meter direkt in den Lauf von Ronaldo. Und wer auf dem Rasen glücklich ist, ist ein glücklicher Mensch. Beckham hatte das immer geglaubt. Die Zweifel kamen zum ersten Mal, als er sich nach einem Heimspiel im Spätherbst mit seinem weinenden und brüllenden Sohn Brooklyn im Auto durch die Menge Fans kämpfte, die vor Begeisterung gegen die Scheiben trommelte. Vielleicht weinte Brooklyn gar nicht aus Angst vor der Menge, sondern vor Müdigkeit oder sonst einem Grund, der Fünfjährigen in den Sinn kommt. Aber das Bild blieb ein Symbol: Anders als in England, wo man Stars in der Regel vielleicht einen Satz zuwirft, aber sie dann in Ruhe lässt, wo Beckham mit Paparazzi aushandeln konnte, „macht euere zwei Fotos und dann geht“, wird er in Spanien ununterbrochen bedrängt. „Ich kann noch nicht mal mit den Kindern in den Park gehen“, klagte er. Im Winter gab er auf: Die beiden Söhne zogen mit der Mutter nach London um. Er blieb allein zurück. Er hielt sich an die beiden Brasilianer im Team, Ronaldo und Roberto Carlos, wie sie sich verständigen, ist ihr Geheimnis, sie können kein Englisch, Beckham – auch in seiner Beziehung zu Fremdsprachen ganz Engländer – hat aufgegeben, Spanisch zu lernen. Sie gingen zusammen aus. Beckham hat sich, entgegen seinem Image, nie viel aus dem Nachtleben gemacht. Aber er hatte in Madrid nichts, was er sonst tun konnte. Ronaldo und Roberto Carlos sind Singles, das Ergebnis ihrer Nachtzüge ist bekannt: Hunderte Schlagzeilen über eine angebliche Affäre Beckhams. Plötzlich kam er mit der neuen Position im zentralen Mittelfeld, die er sich immer gewünscht hatte, nicht zurecht. Vielleicht, weil ihm der Instinkt, blitzschnell zu entscheiden, fehlt, den es auf dieser Position braucht, vielleicht weil sie einfach ungewohnt für ihn war. Vielleicht weil sich auf dem Fußballplatz doch nicht alles vergessen lässt, was außerhalb passiert.“

Wo sind die französischen Schwächen?

Frankreich ist Favorit – für den Fachmann, für den Laien und für Christian Eichler (FAZ 11.6.): „Frankreichs Fußball hat wieder Freude an sich selber. Vor zwei Jahren war das anders, weil neben Zinedine Zidane auch dessen Partner Pires verletzt war und ohne das Duo im offensiven Mittelfeld der Esprit auf der Strecke blieb. Heute ist das WM-Debakel von 2002 als Betriebsunfall abgehakt. „Ein paar Spinnweben abgefegt“, so Trainer Jacques Santini, schon gewann Frankreich wieder. Und ist nun fest davon überzeugt, als erstes Team einen Europameistertitel verteidigen zu können. Teilziele gibt es nicht: „Wir sind hier, um zu gewinnen“, sagt Pires. Man muß wirklich lange suchen, um etwas zu finden, das nicht für die Franzosen spricht. Sie haben „Zizou“ und „Titi“, wobei es sich nicht um zwei Comic-Figuren handelt, sondern um die beiden vielleicht weltbesten Spieler, Zidane und Henry. Sie sind glänzend eingespielt mit ihren kongenialen Partnern Pires und Trezeguet. Dahinter, im defensiven Mittelfeld, bilden Vieira und Makelele die gründlichste Aufräumkolonne Europas. Auch der Verlauf der Klubsaison spielte den Franzosen in die Hände. Für die meisten Spieler war schon Mitte April der Streß ausgestanden, weil ihre Teams in der Champions League früh ausschieden und in der Meisterschaft vorzeitig als Meister (Arsenal London) oder Verlierer (Juventus Turin, Real Madrid) feststanden. So blieben die späten Verletzungen aus, wie sie oft in den letzten zwei, drei Saisonspielen passieren. Dasselbe gilt allerdings auch für Auftaktgegner England, bei dem einige sich überzeugt äußern, die Franzosen ein zweites Mal zu treffen: drei Wochen später im Finale. Wo sind die französischen Schwächen? Bliebe nur die Abwehr. Für den gerade in Liverpool entlassenen französischen Trainer Gérard Houllier ist sie „vielleicht diesmal die Achillesferse“. Tatsächlich stemmt sich den gegnerischen Angreifern ein wahrer Methusalem-Komplex entgegen – mit Lizarazu, Thuram, Desailly und Torwart Barthez sind vier der fünf Positionen noch mit Weltmeistern von 1998 besetzt.“

Kennt jemand einen Dänen? Wolfram Eilenberger (Tsp 11.6.): „Sie kommen aus Europas besten Ligen, feine Adressen schmücken die Namen, doch keinem Einzigen der Erwählten möchte man in seinem Stammverein die Rolle eines Entscheiders zusprechen. In guten Fällen wie Torwart Sörensen, Zentralkraft Gravesen oder dem Dortmunder Niclas Jensen handelt es sich um grundsolide Stammkräfte, die Mehrheit allerdings führt ein Schwellendasein zwischen Tribüne, Bank und Feld. Selbst der einzig auszumachende Star des Teams, Jon Dahl Tomasson, ist in seinem Heimatverein AC Mailand keine gesetzte Größe. Vergangene Saison konnte er von Verletzungen seines direkten Kontrahenten Filippo Inzaghi profitieren und kam in Milans imposanter Meistertruppe auf immerhin zwölf Saisontreffer. Der 27-jährige Mittelstürmer gewann in seiner Karriere bereits Uefa-Cup und Champions League. Als Einziger in seinem Team weiß er damit, wie es sich anfühlt, große Titel zu erringen. Technisch sauber, mit Stärken im Kopfballspiel, knackigen Kurzdrehungen und der Fähigkeit, sich über die Flügel durchzusetzen, lässt Tomasson kaum Trainerwünsche offen. Bei all diesen Qualitäten will es ihm dennoch nicht gelingen, wahrhaft verzückte Blicke auf sich zu ziehen. Tomasson trifft, aber er beglückt nicht. Treffsicherer als im Verein tritt Tomasson im Nationalteam auf, was sich besonders aus Dänemarks Qualitäten im Flügelspiel erklärt.“

NZZ-Interview mit Köbi Kuhn, Trainer der Schweiz

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