Strafstoss
Strafstoß #1 – Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß – die Regie in Portugal
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| Samstag, 12. Juni 2004von Mathias Mertens
Fox Mulder, Robert A. Wilson und ich haben es ja schon immer vermutet, Reinhold Beckmann hat es nun in seiner Kommentierung des Eröffnungsspiels durchblicken lassen: Das mit dem freien Willen und dem pursuit of happiness ist nur eine schöne Lüge. Die Matrix hat uns. O-Ton Beckmann: „Die Weltregie spielt ein bisschen zu viel Zeitlupe ein für meinen Geschmack. Aber darauf haben wir ja keinen Einfluss.“ Eine Weltregie also hat die Fäden in der Hand, und wir können nichts dagegen tun.
Gott mag tot sein, sein Regiestuhl bleibt weiterhin besetzt. Aber er oder sie oder was immer dort jetzt sitzt ist Fußballfan, das ist doch einigermaßen beruhigend. Schade nur, dass er/sie/es keine Ahnung vom Fußball hat. Wie sonst lässt sich Christian Ziege erklären? Oder das Brummen im Oberarm des Schiedsrichters, wenn der Linienrichter auf einen Knopf seiner Fahne drückt? Das Pyjama-Oberteil, mit dem Oliver Kahn im Nationaltor stehen muss? Die Riegelabwehr Griechenlands, die doch von den Schweizern in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts erfunden wurde und die nach keinem Regelbuch für „modernen“ Fußball mehr gespielt werden darf?
Wichtig war auch Beckmanns Hinweis auf die Zeitlupe, die die Weltregie zu oft einspiele. Ein schönes Fernsehspielzeug, aber wirklich sinnvoll nur für äußerst strittige Szenen und für stundenlange Nachberichte und Jubiläumsdokumentationen – unterlegt mit Pink Floyd oder Air. Im laufenden Spielgeschehen dagegen eher störend, weil das laufende Spielgeschehen nicht zu sehen ist. Und wenn das nicht schon nervig genug wäre, baut sich jetzt immer noch das EM-Logo bestehend aus Herz, Ball und sieben kleinen Klecksen auf, die für die sieben Weltmeere stehen. Ganz nett, aber nicht im Minutentakt und Endlos-Loop.
Man munkelt, daß Jean Luc Godard, seines Zeichens Daueravantgardist des europäischen Kunstautorenfilms, während der WM in Deutschland für ein Spiel die Bildregie gestalten darf. In Portugal erleben wir wohl schon seine Fingerübungen. Was, wenn man der Beckmannschen Indiskretion Glauben schenkt, bedeutet, dass Jean Luc Godard die Weltregie übernommen hat. Ich weiß nicht, ob mir dieser Gedanke wirklich behagt.
Als Lehrfilm für unsinnigen Kameraeinsatz im Sportfernsehen sei allen Weltregisseuren der aktuelle Werbespot von T-Mobile empfohlen. Ein Fußballspiel ist dort zu sehen beziehungsweise nicht. Denn das Geschehen ist aus der Perspektive des Balls gefilmt – woran in den Premiere-Labors wohl schon seit Jahren gearbeitet wird. Jedenfalls kann man erleben, wozu exzessiver Einsatz von absurder Technik führen kann: Nicht nur, dass man das laufende Spielgeschehen nicht mehr sieht, es gibt überhaupt kein Spiel mehr. Denn der Blick vom Ball auf das Spiel zerstört jeglichen Zusammenhang des spielerischen Raums und lässt uns ratlos mit schönen Bilder zurück.