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Ballschrank

Strafstoß #2 – 13. Juni 2004

Oliver Fritsch | Sonntag, 13. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für Strafstoß #2 – 13. Juni 2004

Gefangen im Zeitlooping – Portugalität und andere Visionen

von Christoph Bieber

Das Eröffnungsspiel war noch keine zehn Minuten alt, als Georgios Karagounis die Zeit anhielt. Sein Schuss aus etwa 20 Metern stürzte die Gastgeber in ein Tal der Tränen, aus dem die Figos, Decos und Ronaldos nicht mehr heraus finden sollten. Die Zuschauer an Fernsehschirm, Großbildleinwand oder Videowall hingegen versetzte Karagounis in eine Zeitschleife, denn die von Reinhold Beckmann beschworene „Weltregie“ hatte ihren Spaß am exzessiven Einsatz der Zeitlupe. Anders als die im UEFA-Jargon „Extra Time“ genannte Verlängerung nach Spielschluss setzt die Zeitlupe das medial übermittelte Spielgeschehen bereits während des Spiels außer Kraft und straft damit nicht nur Sepp Herberger Lügen – das Spiel dauert eben nicht mehr neunzig Minuten.

Um dem Publikum die Unterscheidung des sportlichen vom mediensportlichen Ereignis zu erleichtern, nutzen die Berichterstatter schon seit langem allerlei visuelle Vignetten: das gute alte „R“, ungelenk blinkend im rechten oder linken Bildschirmeck, ist der längst in Rente geschickte Urahn der mittlerweile technisch hochgezüchteten Schnittstellen zwischen Live-Übertragung und zeitversetzter technischer Vervielfachung. Längst hat sich auch die Nutzung dieses aus modernen Sportübertragungen nicht mehr weg zu denkenden Features verändert – die verlangsamte Wiederholung (von Reportern alten Schlages gerne auch liebevoll als „Slo-Mo“ oder gar „Super-Slo-Mo“ gehätschelt) eröffnet neue Perspektiven auf das Spielfeld, bringt den Blick von der ominösen „Gegenseite“ (engl. „reverse angle“) ins Spiel oder liefert kommentierenden Kommissaren Material für individuelle Bewegungs-, Ball- und Fallstudien.

Nicht erst bei der Euro 2004 übernimmt das offizielle Logo auch die Aufgabe des Paravent zwischen „auff´m Platz“ und „auff´m Bildschirm“. Jede Wiederholung wird mit einem überfallartigen Einblenden der komplexen Komposition aus Ball, Herz und sieben unscheinbaren Punkten begonnen und beendet. Dabei schiebt sich der Ball aus der Tiefe des Raumes in einer PowerPoint-artigen Spiralbewegung in den Vordergrund, verweilt für Sekundenbruchteile zentral im Blickfeld und gibt schließlich die Sicht frei auf die Spielszene. Nur den wenigsten dürfte sich dabei Anspielungsreichtum und Symbolik der Grafik erschließen: die Ballsegmente greifen traditionelle Formen aus Emaille- oder Schmiedekunst auf, bei der Umrandung handelt es sich um das charakteristisch verformte „Portugiesische Herz“ (http://www.mainstreetwineracks.com/flanpan.jpg), dem grüne Farbklekse als Platzhalter für die sieben Weltmeere beigefügt sind. Auch die Farbgebung unterliegt strengen Regeln, so strahlen die warmen Gelb- und Goldtöne am stärksten in der Herzmitte, ergänzen Rot- und Orangetöne Leidenschaft und Emotion, während die grünen Punkte die Anmutung der „Portugalität“ unterstreichen, denn damit ist die Farbpalette der portugiesischen Flagge komplett.

Wer aber denkt sich so etwas aus? Es sind die Strategen der Agentur „Euro RSCG“, die die wesentlichen Entwicklungsschritte auch gleich in eine handliche Darreichung (http://www.uefa.com/newsfiles/48150.pdf) haben einmünden lassen. Dass hier ganze Arbeit geleistet wurde, zeigt sich mit Blick auf die übrige Insert-Landschaft, die sich während der EURO 2004 auf dem Bildschirm entfaltet. Das aktuelle Spielergebnis wird optisch fixiert durch eine goldene Borte, deren Form architektonischen Zierrat nachahmt, Eckball-Statistiken oder Nachspielzeiten werden vor einem stilisierten Pergamentbogen eingeblendet und auch hier möchte der warme Goldton an die ruhmreiche Zeit der Seefahrernation erinnern.

Bleibt zu hoffen, dass dem Publikum zusätzlich zum oft genug spielbehindernden Kommentar aus dem Off nicht noch mehr grafische Stolpersteine in den Weg gelegt werden. Man will ja schließlich auch noch „was vom Spiel“ sehen…

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