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Strafstoß #3 – Bläh vom Leder – Geschichtsunterricht für Fußballkommentatoren

Oliver Fritsch | Montag, 14. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für Strafstoß #3 – Bläh vom Leder – Geschichtsunterricht für Fußballkommentatoren

von Mathias Mertens

„Fußballkommentatoren reden Müll.“ Gähn! Wo will man denn mit solchen Sottisen noch das Haus rocken? Um einen echten Distinktionsgewinn in diversen Peer-Groups zu erzielen, sei hier eine neue Behauptung empfohlen: „Fußballkommentatoren gehören entnazifiziert!“ „Hui“, ruft es jetzt aus einer Ecke, „Pfui“ schallt es aus der anderen. Zugegeben, zum jetzigen Zeitpunkt mag diese Forderung noch etwas überzogen daherkommen. Aber man muss ja nicht immer draufhauen, wenn der Skandal schon da ist, man kann ja auch mal prophylaktisch den Finger erheben im Interesse aller beteiligten Parteien, damit Fehlentwicklungen nicht durch irgendwelche Reformkommissionen nachträglich als solche zementiert werden müssen.

Deshalb seien an dieser Stelle die Anzeichen für eine solche Fehlentwicklung angezeigt. Es handelt sich um zwei Metaphern von ARD-Reportern. Die erste ließ Reinhold Beckmann im Eröffnungsspiel fallen, als er „zäh wie Leder“ adjektivisch verwendete. Wir erinnern uns: „Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl und flink wie Windhunde“ wollte Hitler seine männliche Jugend habe, was auch größtenteils in die Vereidigungsformel für Pimpfe im Deutschen Jungvolk aufgenommen wurde – „Pimpfe sind hart, schweigsam und treu, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl, Pimpfe sind Kameraden!“ Auch wenn es wie die unverfänglichen „deutschen Tugenden“ klingen mag, diese Bildungen sind doch historisch kontaminiert. Warum nicht „zäh wie eine durchschnittliche deutsche Germanistik-Vorlesung“? Oder „zäh wie ein Steak vom Biobauern“? Oder „zäh wie eine Mischung aus Zucker, Glukosesirup, Stärke, Gelatine und Süßholzextrakt“? Das wäre nicht nur kreativer, sondern auch historisch unverfänglich, und der Skandal wäre im Keim erstickt.

Ähnliches gilt für Steffen Simons Bemerkung während des Spiels Italien gegen Dänemark, wo die Italiener während ihrer Hymne mannschaftliche Geschlossenheit demonstrierten. Simons Kommentar: „Die Reihen fest geschlossen. Mal sehen, ob das im Spiel auch so ist.“ Auch hier sei auf den Geschichtsunterricht verwiesen. „Die Reihen fest geschlossen“ ist die zweite Zeile des „Horst-Wessel-Lied“, der Hymne der SA und inoffiziellen zweiten Nationalhymne des nationalsozialistischen Deutschland. Mit der „Fahne hoch“ marschiert in diesem Text die SA in dieser Geschlossenheit und „mit ruhig festem Schritt“. Auch hier mögen durchaus Parallelen zu Sehnsüchten nach deutschen Abwehrformationen und ihrem Defensivverhalten bestehen, aber das führt eben zu kultischer Verehrung toter Kameraden, „die Rotfront und Reaktion erschossen“ haben. Also Obacht. Einfach mal sagen: „Schöne Geste, dass die Italiener sich hier umarmen.“ Oder auch: „Die italienischen Spieler zeigen, dass sie sich sehr nah sind.“ Vielleicht auch: „Solche Weicheiereien nimmt diesen profitgeilen Individualisten doch keine Sau ab!“ Das wäre dann zwar auch nicht politisch korrekt, aber zumindest ein rein gegenwärtiger Reaktionismus und nicht skandaltauglich.

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