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Slapstick bester Güte
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| Freitag, 18. Juni 2004Die Schweden sind die neuen Popstars des Fußballs (FAZ) – Francesco Tottis Karriere ist nicht beendet, aber es wird viele Tore, Dribblings brauchen, um den Fleck zu tilgen (SZ) – Otto Rehhagel hat für die Griechen das Passende gefunden (FAZ) – Die Russen lieferten jede Menge Slapstick bester Güte (taz) u. v. m.
Rehhagel geht es immer um die Sache, um den Fußball
Peter Heß (FAZ 18.6.) findet Otto Rehhhagel kleingärtnerisch: „In der Heimat herrscht Ausnahmezustand. Und dann erzählt Rehhagel im ruhigem Tonfall eines 65 Jahre alten Esseners von der Unterlegenheit seiner Mannschaft, von ihrer alle Schwächen kompensierenden Leidenschaft und davon, daß es im Fußball keine gerechten und ungerechten Ergebnisse gebe, sondern nur Resultate. Es schien alles gesagt. Rehhagel saß bei den wie üblich fehlerhaften Übersetzungen der UEFA mit einer Miene auf dem Podium, als hörte er die Lottozahlen, ohne einen Tippschein ausgefüllt zu haben. Plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper, und dann verkündete der Trainer mit lauter, aufgeregter Stimme: „Eines muß ich noch loswerden. Diese schwarzen Tornetze sind unmöglich, wer sich so etwas ausgedacht hat, muß ein Funktionär sein und kein Fußballer. Da hat wieder keiner an die Zuschauer gedacht. Die wollen doch sehen, wie der Ball ins Netz rauscht. Weiße Netze wie in Wembley braucht man, keine schwarzen. Fußball ist doch kein Trauerspiel.“ In diesem Moment gab Otto Rehhagel preis, warum er einer der erfolgreichsten deutschen Fußballtrainer geworden ist. Einerlei wie unbedeutend der Gegenstand seiner Betrachtungen ist – unabhängig von Namen, Images oder Philosophien –, Rehhagel geht es immer um die Sache, um den Fußball. Was gut ist, muß gut bleiben, was schlecht ist, muß angeprangert werden. Natürlich setzt sich Rehhagel mit seinem Gerechtigkeitstick, der vor Kleinkariertem nicht haltmacht, bei weltläufigen Zeitgenossen der Gefahr der Lächerlichkeit aus. Aber Fußballprofis sind oft schlichtere Gemüter, die es genießen, in der täglichen Arbeit einem Chef gegenüberzustehen, auf dessen Wertesystem Verlaß ist. Nicht jeder kommt mit Rehhagel zurecht. Aber daß die überwiegende Mehrheit seiner ehemaligen Spieler noch nach Jahren von ihm schwärmt, kann kein Zufall sein. Rehhagel kam als Fußballer zur Welt. Ein Spötter meinte einmal, schon mit Stollenschuhen an den Füßen. In kleinen Verhältnissen aufgewachsen, eine Handwerkerlehre abgeschlossen, erweiterte er zwar seinen Bildungs- und Interessenhorizont, aber seine Wurzeln bestimmten immer sein Tun. Und Fußball blieb immer seine Bestimmung. Wie ein Kleingärtner beharkte und beharkt er seine Mannschaften, achtet auf den geraden Wuchs jedes Halms, jätet aufmerksam das Unkraut. Auf daß alles gedeihe. Als er vor 25 Jahren bei Arminia Bielefeld entlassen worden war, sagte er ohne einen Anflug von Ironie: „Wenigstens gibt es wegen mir jetzt eine Toilette am Trainingsgelände.“ Noch Jahre später erkundigte er sich bei jedem Besuch auf der Bielefelder Alm, ob das Otto-Rehhagel-Gedächtnis-Klo noch existiere. Daß das Prinzip Rehhagel eins zu eins vom Deutschen ins Griechische übertragen werden konnte, ist das Verdienst von Ioannis Topalidis. Der in Deutschland aufgewachsene Grieche, Absolvent der Kölner Sporthochschule, wirkt als Kotrainer und vor allem als kongenialer Übersetzer. Sogar die Körpersprache seines Chefs hat er angenommen. Ihr Verhältnis bildet die Grundlage zu allen Erfolgen der griechischen Nationalelf. (…) Topalidis läßt den Vorwurf, altmodisch zu spielen, nicht gelten. „Es gibt keinen modernen Fußball. Warum sind die französischen Frauen immer gut angezogen? Nicht, weil sie stets die modernsten Kreationen kaufen, sondern weil sie nur tragen, was ihnen steht.“ Rehhagel hat für die Griechen also das Passende gefunden.“
Die Schweden sind die neuen Popstars des Fußballs!
Christian Eichler (FAZ 18.6.): „Das Auge spielt mit. Heute gewinnen große Fußballturniere beim weiblichen Publikum auch durch optische Werte und manch erotische Schwingung, die männlichen Fans eher verborgen bleibt. Sexy Fußball? Vor der EM hätte man damit wohl die Italo-Kicker um den edelhäuptigen Francesco Totti verbunden. Doch der entblößt sich mehr und mehr als intellektuelle Witzfigur und als Epigone des spuckenden Frank Rijkaard. Nein, der Hingucker der Woche heißt anders, er steht den Italienern gegenüber, er heißt Schweden – allen voran der so gut spielende wie aussehende Angriff mit Zlatan Ibrahimovic, Henrik Larsson und dahinter dem großen Frauenschwarm der Premier League, Freddie Ljungberg. Schweden? Hat man da irgendwas verpaßt? Schweden, das schien im Fußball eher gesichtslos, das waren Truppen von knorrigen Landsknechten wie aus einer Wallenstein-Verfilmung, groß, blond, bärtig und völlig humorlos am Mann. Namenlose Svenssons, Johanssons, Olssons, sperrige Gegner ohne Esprit. Welch ein Wandel hin zum großen Spaßfaktor dieser EM. „Knackiger Schwedenhappen“, formulierte ein Schweizer Boulevardblatt schon vorher über Ljungberg. Vor sechs Jahren kam der damals 21 Jahre alte Schwede von Halmstads BK zum englischen Meister Arsenal und machte sich den Fans auf Anhieb unvergeßlich: trug einen knallroten Irokesenkamm auf dem Kopf, schoß nach fünf Minuten im Arsenal-Trikot ein Tor gegen Manchester United. Seit Jahren ist der Turbo im Mittelfeld dank Einsatzfreude, Schauwert und positiver Ausstrahlung einer der Publikumslieblinge in Highbury, wo die Fans für ihn den Evergreen „Can’t Take My Eyes Off You“ anstimmen. Der Junge hat was. „Er ist ein Siegertyp“, sagt Arsenal-Trainer Arsène Wenger. Aber es ist mehr als das. Ljungberg ist der Typ, mit dem Männer gerne Pferde stehlen und von dem sie zugleich rätseln, warum die Frauen ihm so die Türen einrennen. Vielleicht deshalb: Er kann alles tragen. Auf dem Kopf war er blondiert, glattgeölt, feuerrot, trug Mecki, Irokese, Nackenmob, Glatze. Die Garderobe schwankt zwischen gewagt und gekonnt. Ljungberg liebt Modeszene und Nachtklub-Chic und wurde 2002 zum bestgekleideten Schweden gewählt. Doch den richtigen Kick gab seinem Image als „größter Pin-up-Boy des Fußballs“ („GQ“) erst der Job als Model für die Unterhosen von Calvin Klein. Da löste der Junggeselle Familienvater David Beckham bei Frau (und Mann) an der Erotik-Tabellenspitze des Fußballs ab.“
Lama, schmachvoller geht es kaum für den Kapitän des AS Rom
„Tottis Karriere ist nicht beendet, aber es wird viele Tore, Dribblings brauchen, um den Fleck zu tilgen“, prophezeit Birgit Schönau (SZ 18.6.): „Addio. Statt EM-Superstar zu werden, Europas Fußballer des Jahres, statt endlich auf einen Schlag alle seine Träume zu erfüllen, hat er nur einen neuen Spitznamen. Ein Name, gleich lautend auf deutsch wie auf italienisch, vor dem man sich verstecken möchte, fliehen, sich verkriechen. Lama, schmachvoller geht es kaum für den Kapitän des AS Rom, jener Mannschaft, deren früherer populärer Stürmer Rudi Völler vor 14 Jahren von Frank Rijkaard angespuckt wurde. Danach nannten sie Rijkaard Jahre lang nur „das Lama“, auch in Rom. Und jetzt ist Francesco Totti auch so einer. Totti, Mamma Romas liebstes Kind, Totti der capitano, Totti der Tribun, bei dessen Einzug ins Stadion sie Musik aus „Der Gladiator“ spielen. „Ein Symbol wie das Kolosseum“, hat der Bürgermeister jüngst gesagt, und wenn das Kolosseum fällt, so prophezeihten die Alten, liegt bald ganz Rom in Trümmern. Man hat ja so einiges gesehen in den letzten 2700 Jahren, Hannibal, Ost- und Westgoten, Vandalen, mal ganz abgesehen von manchen Päpsten. Chi se ne frega, wen juckt“s. Aber ein Totti, der spuckt! Rom ist entsetzt, schockiert, gedemütigt, als hätte es die ganze Stadt getroffen und nicht Christian Poulsen, den blonden Dänen, der Totti beim 0:0 am Montag so eisern bewachte, dass dem Römer die Nerven durchgingen. Und die Spucke. „Wie ein Proll aus der Peripherie“, regt sich ein Signore im dunklen Anzug vor dem Zeitungskiosk auf. (…) Na, und diese Illary, seine Freundin. Die blonde Fernseh-Wetterfee, die in Portugal auftritt wie eine Victoria Beckham im Provinzformat. Rosa Handtäschchen, rosa Brille, steigt aus dem schwarzen Mercedes, als wäre sie in Hollywood und posiert auf der Tribüne neben Tottis Mamma Fiorella mit einem Gesichtsausdruck als stünde hier Poppaea Sabina neben Agrippina, um den göttlichen Nero buhlend. Aber geschenkt. Alles geschenkt. Wenn nur die Spucke nicht gewesen wäre. Totti mit diesem Strahl, der ihm aus dem Mund schießt, und gegenüber der Däne Poulsen. Das war am Donnerstag, zum Glück etwas unscharf, auf den Titelblättern aller Zeitungen. Am Abend zuvor hatte Tottis Spucke das Fernsehen überschwemmt, soviel Flüssigkeit hat man hier seit dem letzten Po-Hochwasser nicht in der Glotze gesehen. Rom schämt sich. Da hat man ein Idol, und der benimmt sich in den Provinzen des Imperiums wie Accatone, der berühmte Straßenjunge aus einem Film von Pasolini: „Ahâ, von dem, was ich dir ins Gesicht spucke, kannst du noch drei Tage essen.“ Totti hatte das immer, auf der einen Seite genialischen Ballinstinkt und ein typisch römisches Temperament mit der unnachahmlichen Mischung aus Phlegma und Leidenschaft, andererseits die vulgäre Wurstigkeit der Vorstädte. Ein Typ wie aus dem Bilderbuch des Circus Maximus, großkotzig und sensibel, hochfahrend und rührend. Die Welt steht ihm offen, und doch pilgert er einmal in der Woche aus der Luxusvilla am südlichen Stadtrand in die alte, verlassene Wohnung an der Porta Metronia. Totti hat seine Wurzeln nicht vergessen, jetzt könnte ihm die Straßenjungen-Attitüde zum Verhängnis werden.“
Das ist nicht der echte Francesco, das war ein anderer
Peter Heß (FAZ 18.6.) notiert die Ausreden der Totti-Verehrer: „Francesco Totti spaltet die italienische Fußballnation wie es Günter Netzer während der siebziger Jahren in Deutschland tat. Für die einen ist er ein genialer Spielmacher und Torschütze, für die anderen ein ineffektiver Schönspieler. Netzer lieferte seinen Anhängern immerhin das Argument, dem Land wenigstens einmal einen Titel beschert zu haben – 1972 die Europameisterschaft. Totti hat solch einen Triumph noch vor sich. (…) Nach der Veröffentlichung der Bilder in Italien ist die Zahl der Verehrer Tottis gesunken. Nur in seiner Heimatstadt Rom halten sie ihn weiter für einen Fußball-Gott, und die ihm gewogenen weiblichen Fans sehen in ihm immer noch den Adonis. In einer großen Diskussion im italienischen Fernsehen entschuldigten aber nur wenige Experten, das Verhalten des Stars des AS Rom. Er soll von Poulsen provoziert worden sein. Im Ausland wurde die Ungezogenheit weit schärfer kommentiert: „Spucken ist das Schlimmste“, sagte Volker Roth, Leiter der Schiedsrichter-Kommission der UEFA. Der dänische Nationaltrainer Morten Olsen meinte: „Totti hat all meinen Respekt verloren.“ Der Spieler selbst, in Lissabon von der italienischen Staranwältin Giulia Bongiorno verteidigt, entschuldigte sich vor der UEFA-Rechtsinstanz. „Ich bin tief betroffen und bitte um Verzeihung“, sagte er während der fast dreistündigen Verhandlung. „Ich erkenne mich auf den Bildern nicht wieder, das ist nicht der echte Francesco, das war ein anderer.“ In Rom sehen sie Tottis Sperre als Tragödie für die Nationalmannschaft an, im Rest des Landes gibt es viele Stimmen, die sein Fehlen für einen Vorteil halten.“
Die Russen lieferten jede Menge Slapstick bester Güte
Miese Stimmung bei den Russen. Matti Lieske (taz 18.6.): „Einmal mehr präsentierten sich die Russen als versierte Experten der Selbstzerstörung. Ein Spieler wegen Dopings gar nicht dabei, ein Spieler wegen schlechten Benehmens nach Hause geschickt, zwei Platzverweise in zwei Partien, kein Tor, kein Punkt, vorzeitig ausgeschieden, eine überaus ernüchternde Bilanz für ein junges Team, das eine ganze Reihe hervorragender Fußballer aufzuweisen hat. Dafür lieferten sie jede Menge Slapstick bester Güte. Mit der Monty-Python-Truppe wurde die russische Delegation von der portugiesischen Zeitung Público verglichen, auch nach dem 0:2 gegen Portugal arbeiteten sie kräftig an diesem Ruf. Zum Beispiel, als der wegen angeblichen absichtlichen Handspiels des Feldes verwiesene Torhüter Owtschinnikow gemütlich als Letzter aus der Kabine geschlendert kam, sich zu den Journalisten gesellte, um immer wieder fröhlich lächelnd zu beteuern, er habe den Ball bloß mit der Brust berührt, und im selben Moment der Mannschaftsbus mit dem Rest des Teams davon rauschte. Wollten sie ihn zur Strafe für seine Rote Karte ins Hotel laufen lassen? Hatten sie ihn gleich aus dem Kader befördert, so wie ihren Altstar Alexander Mostowoi, nach dem dieser den Trainer Alexander Jartsew scharf und öffentlich kritisiert hatte für den Auftritt beim 0:1 gegen Spanien? Das immerhin konnte der Keeper, der lange in Portugal gespielt hat, aufklären. Er habe für diesen Abend freibekommen, verriet Owtschinnikow, bevor er sich gegenüber den portugiesischen Journalisten über die russischen mokierte. „Ihr seid immer nett und lacht viel“, sagte er, die Russen aber wären total verbissen, was er mit einer parodistischen Grimasse unterstrich, die so grimmig war, wie es ein extrem freundlicher Mensch eben hinkriegt. Vielleicht liegt es an dieser Verbissenheit, dass die russischen Offiziellen so gern Journalisten hinters Licht führen. Vor ihrem ersten Spiel gegen Spanien hatten sie sich abgeschottet wie zu alten Zeiten das UdSSR-Team des seligen Waleri Lobanowski. Der hatte seine Spieler kaserniert wie Kadetten von West Point und ihnen tiefes Schweigen Presseleuten gegenüber verordnet. Selber ließ er sich nicht mal bei offiziellen Pressekonferenzen blicken, und wenn doch, sagte er nicht mehr als „njet, njet, njet“. Aleksander Jartsew, der aktuelle Coach, redet indessen gern und viel. Nur hält sein Übersetzer, ein anderes Mitglied der Delegation, offenbar so wenig von den Ausführungen, dass er sie weitgehend verschweigt oder in diplomatischer Weise umformuliert. Vor dem Portugal-Match sorgte er für große Heiterkeit bei den Journalisten, als er eine minutenlange, temperamentvolle, von wilden und ziemlich aggressiven Gesten begleitete Tirade Jartsews zum Fall Mostowoi im Wesentlichen mit den Worten übersetzte: „Zu Mostowoi sage ich nichts mehr.“ Auch nach dem Portugal-Spiel in Lissabon legte Jartsew sofort wieder los, als Mostowoi zur Sprache kam. Viel ging es um „Prawda“, die Wahrheit, und deutlich war auch das Wort „Idiot“ aus dem Russischen herauszuhören. In der Übersetzung hieß es dann, wer nicht an das Team glaube, gehöre nicht ins Team, und Mostowois Abgang habe ihm geholfen, die Mannschaft noch besser zu machen.“