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Strafstoß 7 – Land der Dichter und Kränker – vom Bilderreichtum der deutschen Journalistensprache

Oliver Fritsch | Samstag, 19. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für Strafstoß 7 – Land der Dichter und Kränker – vom Bilderreichtum der deutschen Journalistensprache

von Hendrik Schaupp

Samstag, 19. Juni 2004. Ein wichtiger Tag für den deutschen Fußball. Ich wache auf. Erster Gedanke: Heute geht es gegen Lettland (mal wieder) um alles. Zweiter Gedanke: Du musst eine Bild-Zeitung kaufen. Heute Aufmacher: „EM-Knaller von Plus und Bild. Riesen-Völlerei. Sechs Flaschen Bier nur 79 Cent. Sechs Grill-Würste nur 79 Cent.“ Bedenklich. Diskussionswürdig. Dann der Sport-Teil: „Heute Letten plätten“. Die Diskussionswürdigkeit potenziert sich zur diskursanalytischen Kettenreaktion. Dem armen Reporter wollen wir mal keine Schuld in die Schuhe schieben, der hat da brav seinen Text abgeliefert, aber dann baut sich sofort die Vorstellung vom Sportchef auf, der die Bleiwüste mit Fotos, Grafiken, Statistiken, Kommentarboxen, Product Placement und vor allem Überschriften bewässern und urbar machen muß. Man kann ihn förmlich riechen, wie er brütend vor dem Monitor sitzt.

Ein Knaller muss her. „Fußballaballa“ oder so. Da geht was. Die Letten sind’s doch, die Letten, die Netten, nee, das geht nicht. Wetten gegen die Letten. Zu schwach. Letten retten, warum das denn. Die sind doch unsere Gegner, wenn auch nur Zwerge, die eigentlich gar nicht gegen uns antreten müssten. Die fetten Letten hätten (in den) Betten (bleiben sollen). Zu ziseliert. Die Letten glätten, hm, glätten…. Plätten! Das isses! Letten plätten! Das ist die Losung. Das können sie heute abend beim Stand von einem Euro neunzehn Cent (4 Würstchen + 5 Bier) skandieren. Das ist „Hau die Saudis“ und „Yugo-Zange“ ebenbürtig.

Das Muster ist aber zu suggestiv. Meine Synapsen glühen. Nach dem Spiel ist ja vor dem Spiel. Und dann geht es den Tschechen an die Rechen. Oder so. Die stechen nämlich, die Tschechen, dann müssen sie blechen, oder es wird sich rächen, dass sie zechen die ganze Nacht. Pech, Tschech! kann man da nur sagen. Also Jungs: Tschechen brechen! Annex the czechs! Oops, nee, das geht dann doch wieder zuweit (zurück). Lieber auf die anderen Plätze schauen, wo die Dänen gähnen, die Franzosen kosen, die Schweden beden, die Kroaten braten und die Russen stussen.

Schöne Kreativleistung das, vom Sportchef. Ob es allerdings dann noch nötig ist, 17 deutsche Worte aufzuzählen ,in denen „lette“ (Kotelette, Scheiblette ) vorkommt, möge dahingestellt bleiben. Jedenfalls bin ich jetzt logistisch und linguistisch für den Abend gerüstet. Die Seite und der Artikel bieten alles, was der deutsche Fußball-Fan wenige Stunden vor dem Spiel benötigt. Da fehlen bloß noch die Aufstellung, die letzten Mannschafts-Informationen und die Prognose, dass am Ende Rudis Elf siegen wird.

Nachdem ich nun weiß, wie sehr Lettland in der deutschen Sprache verankert ist, Kahn zum lettischen Ehrenbürger werden könnte, was natürlich nicht passiert, weil die Deutschen das Spiel schon gewonnen haben, und wie ich heute abend MCen kann, fahre ich besser schnell mal zum Plus…

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