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Deutsche Elf

VIP-Training und ein Viertel-Lette Kahn

Oliver Fritsch | Samstag, 19. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für VIP-Training und ein Viertel-Lette Kahn

„ob nun ein ganzer, halber oder auch nur ein viertel Lette in Kahn steckt: Oma Erika tippt unbeirrt auf 3:0 für Deutschland“ (FAZ) – SZ-Interview mit Bastian Schweinsteiger – „Alle Welt fragt sich seit Jahrzehnten vergeblich: Wie wird man eine Turniermannschaft?“ (FAZ) – „in der Nationalmannschaft, unter der sanften Obhut von Rudi Völler, befindet sich Fredi Bobic auf seiner letzten großen Abenteuertour“ (FR) – „vielleicht mag Oliver Kahn seinen Opa gar nicht leidend dann kann er das Spiel notfalls auch alleine gewinnen“ (FTD) u. v. m.

Kam gegen Brasilien, Real Madrid oder Werder Bremen vielleicht der Lette im Bayern-Torwart durch?

Michael Horeni (FAZ 19.6.) nimmt die Ahnenforschung auf die Schippe: „Deutschland gegen Lettland, ein Spiel, das keine Großmutter hinter dem Ofen hervorlockt? Erika Kahn, 1922 in Lettland unter ihrem Mädchennamen Alksnis geboren, ist 82 Jahre später bei der Fußball-Europameisterschaft jedenfalls eine gefragte Gesprächspartnerin. Ihr Enkel heißt Oliver Kahn, und damit ist der deutscheste aller deutschen Torhüter zwar noch kein durch und durch „lettischer Bursche“, wie ihn die Zeitungen des baltischen Landes schon freundlich eingemeinden. Aber ob nun ein ganzer, halber oder auch nur ein viertel Lette in Kahn steckt: Oma Erika tippt unbeirrt auf 3:0 für Deutschland. Abgesehen davon, daß Omas ihren Enkeln immer lieber die Daumen drücken als mit staatsbürgerlichem Ernst auf ihre Herkunft pochen, bleibt natürlich die Frage, warum der deutsche Sportjournalismus die Kahnsche Ahnenforschung nicht schon früher betrieben hat. Bewegende Fragen erscheinen nun in einem ganz anderen baltischen Licht: Kahns Fehler gegen Brasilien, Real Madrid oder Werder Bremen: Kam da vielleicht schon der Lette im Bayern-Torwart durch? (…) Wo ist die Nationalelf eines Landes, das mit Mühe ein Einwanderungsgesetz zustande bekommt, eigentlich noch so richtig deutsch? Bei Kuranyi vielleicht, dem in Rio de Janeiro geborenen Stürmer? Bei Angriffskollege Klose, der in Polen zur Welt kam? Oder beim dritten Stürmer Bobic, geboren in Maribor in Slowenien? Wer will angesichts dieser Vergangenheit noch ernsthaft von einer deutschen Stürmerkrise sprechen? Und wenn bei der EM trotzdem alles gutgeht, wo feiern die Deutschen dann den Titel: Natürlich auf dem Römer!“

VIP-Training

Jan Christian Müller (FR 19.6.) sieht in Fredi Bobic ein Stürmer-Auslaufmodell: „Es spricht viel dafür, dass der sprunghafte Schwabe mit dem übersichtlichen Aktionsradius zusammen mit dem viel weiträumiger und flexibler agierenden Kevin Kuranyi das deutsche Sturmduo bilden wird. So, wie es die beiden erfolgreich auch schon in den beiden entscheidenden Qualifikationsspielen gegen Schottland und Island getan haben. „Gegen Lettland“, sagt Bobic, „wird viel im Strafraum passieren. Da fühle ich mich wohl. Das ist mein Spiel.“ Eine Art von Spiel also, wie sie der 36-fache Nationalspieler (zehn Treffer), der bei der EM 1996 zu drei Einsätzen kam, 1998, 2000 und 2002 jedoch nicht zum Kader gehörte, in der abgelaufenen Bundesligasaison mit Hertha BSC kaum einmal erleben durfte. Als Mann mit Torinstinkt und Siegermentalität geholt, enttäuschte Bobic in Berlin in der einen wie der anderen Hinsicht. (…) Und wie bei Hannover 96, wo Bobic, abgeschoben von Borussia Dortmund, zurück ins Rampenlicht fand. Sie brauchten ihn in Hannover, aber sie liebten ihn nicht. Zu sehr gerierte sich der Exzentriker vor Fernsehkameras als erfolgsbesessener Führungsspieler, derweil er das Training häufig wegen diverser Wehwehchen und regelmäßiger Familienheimfahrten ins Schwabenland erst in der zweiten Wochenhälfte aufnahm. „VIP-Training“ nannten die Kollegen an der Leine das Sparprogramm ihres Mittelstürmers in einer Mischung aus Neid und Ironie. Aber Fredi Bobic, von schweren Schulterverletzungen in seiner Karriere zweimal weit zurückgeworfen, wusste, was er tat. Sein Körper lässt ständige Höchstbelastung nicht zu. Nur kannten die Zuchtmeister Stevens und Meyer nach dem Wechsel zur Hertha, anders als zuvor in Hannover Ralf Rangnick, keine Gnade. Bobic hat „die Schnauze gehalten“ und erst ganz am Ende der Saison wieder regelmäßig spielen dürfen. „Ich habe mich durchgebissen. Das hat man in Berlin absolut anerkannt“, formuliert er inzwischen kühn. Die Zukunft aber gehört anderen, die jünger, schneller, kräftiger sind. Typen, die nach vorn Hochgeschwindigkeitsfußball spielen, nach hinten im Akkord arbeiten und Schiedsrichterentscheidungen klaglos akzeptieren. Fredi Bobic ist ein Relikt aus der Zeit, als ein Stürmer nur an Toren gemessen wurde, nicht am Gruppenverhalten im Rückwärtsgang. In der Nationalmannschaft, unter der sanften Obhut von Rudi Völler, befindet sich der älteste Feldspieler im Kader auf seiner letzten großen Abenteuertour.“

Das ist ein Gegner, der uns nicht so liegt

Ludger Schulze (SZ 19.6.) hat Respekt vor den angriffslustigen, lettischen Igeln: „Kurt Langenbein, August Lenz und Herbert Panse. Ist ein Weilchen her, dass die drei Fußballer vom VfR Mannheim, Borussia Dortmund und dem Eimsbütteler TV ihre Tore zum 3:0 gegen Lettland schossen, am 13. Oktober 1935, aber: gutes Vorbild. Achtundsechzigeinhalb Jahre danach wäre das ein glanzvolles Resultat für ihre Nachfolger im schwarz-weißen Trikot der Nationalmannschaft, das denen eine kommode Position für das letzte Spiel der Europameisterschafts-Vorrundengruppe D gegen Tschechien einrichten würde. Jedes Ergebnis mit mehr als einem Tor Differenz hätte zur Konsequenz, dass gegen die Nedveds, Kollers und Rosicky bereits ein Unentschieden ausreicht, um das Ufer des Viertelfinals zu erreichen. Derlei Spekulationen und Rechenkunststückchen jedoch sind vom DFB-Teamchef Rudi Völler vor der heutigen Partie gegen die Letten in Porto unter Strafe gestellt worden. Aber den Tenor, den sein Kollege Michael Skibbe angestimmt hat, teilt Völler natürlich: „Wir werden das Spiel auf jeden Fall gewinnen.“ Dieses Selbstbewusstsein führt jedoch nicht dazu, das Aufeinandertreffen als intensivierte Trainingseinheit zu betrachten. „Das ist ein Gegner, der uns nicht so liegt“, sagt Skibbe, und die Erfahrung lehrt, dass er damit Recht behält. Lettland rekrutiert seine Besten aus lediglich 8000 Fußballern unter 2,3 Millionen Einwohnern, was im Vergleich zu den 6,3 Millionen Mitgliedern des Deutschen Fußball-Bundes eine verschwindende Größe darstellt. Diese Minderzahl hat eine trotzig-sperrige Verteidigungshaltung hervorgerufen, die ihre Entsprechung im Tierreich beim Igel findet. Aber auch der kann, sobald er die Möglichkeit wittert, blitzschnell seine Beute packen. „Die Letten haben hervorragende Konterspieler“, wirft Völler in die Debatte, „die Nummer 9, Verpakovskis, hat sie im Alleingang zur EM geschossen.“ Unter anderem in der Relegation gegen die Türkei (1:0/2:2), als der Mann von Dynamo Kiew die entscheidenden Tore erzielte. Diesen Torjäger zu blockieren, anderseits die eigenen Angriffsbemühungen im Vergleich zum Holland-Spiel (1:1) zu verstärken, ist das Ziel der Deutschen: kontrollierte Offensive.“

Tagesspiegel-Interview (19.6.) mit Christian Wörns

Tsp: Herr Wörns, wie fühlt sich denn Ihr holländischer Kollege Ruud van Nistelrooy an?
CW: Hmm, ich erinnere mich an kein besonders schönes Gefühl. Ich habe bei dieser Szene, auf die Sie anspielen, förmlich an ihm geklebt, er hat den Ball trotzdem zum 1:1 ins Tor bekommen. Alles ging wahnsinnig schnell. Nach dem Spiel hat er mich umarmt. Das passiert selten. Ich glaube, wir haben uns schätzen gelernt.
Tsp: Gehen Sie schon mal in Interaktion mit Ihrem Gegenspieler, um herauszufinden, wie er drauf ist oder was er in bestimmten Momenten vorhat?
CW: Bei Klassestürmern wie van Nistelrooy ist das zwecklos. Die sind permanent gefährlich, die können in jeder Situation ein Tor schießen.
Tsp: Wie lautet Ihre persönliche Rangliste der Topstürmer, beginnend mit dem besten?
CW: Der Franzose Henry ist der beste, weil er der schnellste ist. Wenn er mit dem Ball auf dich zuläuft und dribbelt, hast du im Prinzip keine Chance. Danach kommen Ronaldo, weil er eiskalt vor dem Tor ist, und van Nistelrooy. Und mit etwas Abstand der Spanier Raul. Gegen die habe ich alle schon gespielt.
Tsp: Aber noch nicht gegen Maris Verpakovskis – ein lettischer Stürmer mit kompliziertem Namen und schnellem Antritt.
CW: Ich habe von ihm einige Szenen gesehen, zum Beispiel wie er das Siegtor in den Play-offs gegen die Türken geschossen hat. Ja, er ist schnell. Aber heute werden die Stürmer ja danach ausgesucht. Wenn sie dann noch ein bisschen Technik haben, werden sie was. Ein Abwehrspieler hat es schwerer.
Tsp: Warum?
CW: Du kannst nicht agieren, immer nur reagieren. Ein Mittelfeldspieler kann während der 90 Minuten auch mal ein Päuschen machen, er hat mehr Platz, und wenn der Ball verloren geht, stehen hinten ja noch welche. Und ein Stürmer verlässt sich auf sein Potenzial und wartet auf die eine Gelegenheit, um sein Tor zu machen oder wenigstens die Vorlage zu geben. Als Abwehrspieler aber musst du immer zu 100 Prozent konzentriert sein.

Was gibt es Neues von Michael Ballack, Michael Jahn? (BLZ 19.6.): „Der FC Barcelona, das ist seit Wochen bekannt, buhlt heftig und „sehr ernsthaft und seriös“ (Ballack-Berater Michael Becker) um den eleganten Mittelfeldmann. Die Katalanen sollen erst zehn Millionen, später 15 Millionen Euro geboten haben. Dass Beckenbauer nun Fantasiesummen aufruft, ist aber mehr als nur eine täglich wechselnde Meinungsäußerung. Man kann davon ausgehen, dass sich dahinter eine Strategie verbirgt: eine Strategie der Abschreckung. Stopp, Barça, soll das heißen, du hast keine Chance, wir wollen unseren Ballack gar nicht verkaufen. Allerdings haben sich die Begehrlichkeiten des populären Klubs aus Katalonien nach dem ersten Auftritt von Ballack während dieser Euro nicht etwa verändert. Im Gegenteil, sie sind nur noch größer geworden. Nach dem 1:1 gegen Holland wurde Ballack zum „Player of the Match“ gekürt; nicht zu Unrecht, da er hinter der einzigen Spitze Kevin Kuranyi so etwas wie einen zusätzlichen halben Angreifer gab und nebenher mit Wucht und Dynamik das deutsche Spiel anschob. (…) Es wird wahrscheinlich ein Michael-Ballack-Spiel gegen Lettland. Er wird zeigen müssen, dass er nicht nur den Widerstand organisieren kann wie gegen die Oranjes. Er wird das Spiel machen müssen, und das auch noch in der portugiesischen Spätnachmittagshitze. Wer Ballack in Portugal erlebt, traut ihm das zu. Die zahllosen negativen Schlagzeilen, die den Schlaks mit dem Charisma eines gereiften Sonnyboys fast die gesamte Bundesligasaison über begleitet haben, wirken hier weit weg. In Deutschland musste er immer wieder gegen das Klischee antreten, zwar ein gelegentlich genialer, oft aber schludriger Nationalspieler zu sein, der zudem im Verein viel zu selten sein Potenzial abrufen könne. Zudem belastete ihn die bizarre Diskussion, ob er nun eine Nummer 10 oder eine Nummer 6 sei. Bayern-Manager Uli Hoeneß höchstselbst hatte diese Debatte öffentlich geführt und sicher auch dazu beigetragen, dass Ballacks Affinität zu seinem Verein, bei dem er noch bis zum Jahr 2006 unter Vertrag steht, durchaus gelitten hat.“

Gregor Derichs (FAZ 19.6.) ist gespannt, wie viele Stürmer Rudi Völler gegen Lettland bringt: „Das Wörtchen „topfit“ ist in diesen Tagen eine der Lieblingsvokabeln von Rudi Völler, dem Teamchef des DFBs. „Topfit“ seien die 23 Nationalspieler, hebt Völler immer wieder hervor, und das sei die wichtigste Voraussetzung, auch die zweite Prüfung bei der Europameisterschaft an diesem späten Samstagnachmittag in Porto gegen Lettland zu bestehen. Doch vor der Abreise aus dem Teamquartier in Almancil an der Algarve machte Völler doch eine kleine Einschränkung. Abwehrspieler Jens Nowotny habe am Vortag wegen einer Knieprellung, die er sich durch den Tritt eines Gegenspielers beim 1:1 gegen die Niederlande zugezogen hatte, nicht trainiert. Er könne erst nach der Ankunft in Porto entscheiden, ob der Leverkusener bedenkenlos eingesetzt werden könne. (…) Neu ins Team rückt – für Nowotny oder Baumann – ein zweiter Stürmer. Fredi Bobic rechnet fest mit seiner Nominierung als zweite Spitze neben Kevin Kuranyi. „Meine Chance, daß ich von Anfang dabei bin, ist sehr groß“, sagte der Angreifer von Hertha BSC. „Nachdem ich schon ein paar Minuten gegen die Niederlande gespielt habe, ist mein EM-Feeling da“, versicherte der Berliner. Völler wollte indes nicht eindeutig bestätigen, daß Bobic in der Anfangsformation sein werde „Alle vier Stürmer sind in einer sehr guten Verfassung“, sagte er. Neben Bobic sind also auch Miroslav Klose, Thomas Brdaric und Lukas Podolski topfit.“

Ein Bottich mit 40 Litern eines Spezialdrinks aus Wasser, zugefügten Spurenelementen, Kohlehydraten und Mineralien

Wasser marsch, Gregor Derichs! (FAZ 19.6.): „Beim Training in der prallen Sonne bei Temperaturen von 36 Grad im Schatten stand eine ungewöhnliche Schulung an. „Bei der Hitze muß man regelmäßig trinken, das haben wir im Training geübt“, berichtete Rudi Völler, der Teamchef des Deutschen Fußball-Bundes. Kritischer Beobachter beim Drill, die am Spielfeldrand präparierten Flaschen zügig zu leeren, war Tim Meyer. Der Internist und Sportwissenschaftler der Universität Saarbrücken hat den Nationalspielern und dem Trainerstab die Erfolgsdevise für das zweite Europameisterschaftsspiel gegen Lettland eindringlich zu verstehen gegeben: „Trinken, trinken, trinken.“ Nur wer trinkt, kann in der Partie, die an diesem Samstagnachmittag um 17 Uhr Ortszeit im Bessa-Stadion in Porto angepfiffen wird, siegen. (…) Das erste EM-Spiel in Porto fand in den Abendstunden statt. Zudem spendete das Dach des Dragao-Stadions ausreichend Schatten. In der Partie gegen die Letten wird die Sonne ungehindert ins Stadion scheinen. Teamarzt Meyer hat sich generalstabsmäßig vorbereitet, um den Flüssigkeitshaushalt der Spieler in Ordnung zu halten. Für das Spiel mischt er einen Bottich mit 40 Litern eines Spezialdrinks aus Wasser und zugefügten Spurenelementen, Kohlehydraten und Mineralien an. Sehr wichtig sei es, daß die Spieler sofort nach dem Abpfiff wieder ausreichend ihre „Akkus“ mit Flüssigkeit und Kohlehydraten auffüllten, sagte Meyer. An den „Tropf“ für intravenöse Behandlungen kämen die Spieler nur, wenn ein Hitzekollaps oder Kreislaufprobleme festgestellt würden.“

SZ-Interview (19.6.) mit Bastian Schweinsteiger

SZ: Sie haben Bernd Schneider ersetzt. Was hat Rudi Völler von Ihnen verlangt?
BS: Er meinte, ich soll die Standardsituationen übernehmen und sonst wie immer spielen. Ein bisschen den Ball halten und vorn drauf gehen.
SZ: Dann haben Sie ein paar schöne Dribblings gewagt – und ein paar Mal in der Abwehrhälfte den Ball verloren. Rudi Völler meinte, Sie sollten Ihre Unbekümmertheit demnächst lieber in der gegnerischen Hälfte ausleben.
BS: Ich sag“ mal so: Wenn man reinkommt und was bewegen will, dann riskiert man ab und zu was, irgendeine Aktion, ein bisschen mehr halt als sonst. Und dann machst du halt mal einen Fehler, der eigentlich nicht passieren darf. Einmal bin ich weggerutscht, mitten in unserer Hälfte – normalerweise passiert mir so was nicht, aber in diesem Spiel natürlich schon. Da ärgert man sich umso mehr – aber wenn ich den Ball reingemacht hätte bei meiner Chance, dann hätte darüber keiner mehr geredet.
SZ: Verunsichert Sie so ein Fehler?
BS: Wieso? Fehler gehören dazu, und aus Fehlern muss man lernen. So schnell wie möglich. Und wenn man dann den nächsten Ball wieder mit breiter Brust annimmt und einen guten Pass spielt, dann vergisst man auch, was man gerade falsch gemacht hat. Aber ich steh“ auch zu den Fehlern – und es waren ja nicht tausend, sondern zwei oder drei.
SZ: Sie sind 19 Jahre alt, aber man hat den Eindruck, dass Sie eigentlich nie richtig nervös werden.
BS: Nervös wäre ich, wenn ich Skispringer sein müsste. Oder wenn ich beim Skifahren an diesem Hang in Garmisch-Partenkirchen neben der Sprungschanze stehe. Wenn du da von oben runter schaust, das ist so steil – und ich flieg“ nicht gern auf den Brettern. In meinem privaten Leben kann ich auch nervös werden, aber auf dem Fußballplatz eigentlich nicht mehr. Einmal war ich’s, bei meinem ersten Spiel mit Bayern München, gegen Lens in der Champions League (vor eineinhalb Jahren, die Red.). Ich versuch“ hier, gut Fußball zu spielen, wie bei den Bayern – da ist kein großer Unterschied.
SZ: Hat Ihnen bei Ihrer Karriere in die Nationalmannschaft geholfen, dass Sie mit den Bayern so ein gutes Spiel bei Real Madrid geschafft haben?
BS: Danach kamen zwar viele Leute zu mir und haben gesagt: super, gut gemacht. Aber wir haben verloren. Vielleicht habe ich „ne ordentliche Partie geliefert, aber man kann doch nie zufrieden sein, wenn man Unentschieden spielt oder verliert. Da verzichte ich lieber auf ’ne gute Partie und gewinne dafür. Das ist jedenfalls meine Einstellung.

Die Holländer sprechen schon anerkennend von „der Mannschaft“

Wie entsteht eigentlich eine Turnier-Mannschaft, Michael Horeni? (FAZ 19.6.): „Die deutsche Fußballsprache hat der Welt nicht viele Begriffe geschenkt, denen auch eine internationale Karriere vergönnt war. So wie etwa der italienische „Catenaccio“, der vor rund vierzig Jahren das Licht der Welt erblickte. Die zur Perfektion getriebene Abwehrarbeit, die ein Spiel ohne Gegentor heiligte, fand zwar lange viele Nachahmer, aber die Ära des Catenaccio ist vorbei. Die Engländer schenkten der Fußballwelt das „kick and rush“, aber auch diese über Generationen hinweg auf der Insel gepflegte Reduzierung des Spiels auf seine schlichten Angriffselemente hat die Globalisierung nicht überlebt. Die Deutschen allerdings sind bei der Europameisterschaft dabei, ihren ureigenen Turnierstil auf gut deutsch noch weiter zu popularisieren. Die Holländer sprechen in den Sportteilen schon anerkennend von „die Mannschaft“, die Franzosen leicht verfremdet von „la Mannschaft“. Was mit diesen Ausdrücken vor dem zweiten deutschen Gruppenspiel an diesem Samstag gegen Lettland gemeint ist, versteht sich von selbst: der traditionell erfolgreiche deutsche Fußball-Sonderweg bei Welt- und Europameisterschaften. „Aus diesem Holz ist eine Turniermannschaft geschnitzt“, sagte Teamchef Rudi Völler nach dem 1:1 zum Auftakt gegen die Niederländer über eine gute alte deutsche Tradition – die sich bisher weder überlebt hat noch erfolgreich kopiert wurde. Alle Welt fragt sich seit Jahrzehnten vergeblich: Wie wird man eine Turniermannschaft? (…) Michael Skibbe hält aus Trainersicht für entscheidend, „daß sich die Gruppe nach der Vorbereitung ein gemeinsames Ziel setzt, an das alle glauben können“. Es gehe bei der Arbeit auf dem Platz nicht einfach nur darum, „das Spielermaterial zu verwalten, sondern Identifikation zu schaffen“. Auch Bode ist überzeugt, daß sich der Aspekt des funktionierenden Teams stark beeinflussen läßt. „Da haben die Trainer die Fäden in der Hand – aber auch nur bis zu einem gewissen Grad.“ Es fange schon bei der Zusammenstellung des Kaders an, ob man etwa einen problematischen Spieler mitnehme, der ohnehin keinen Stammplatz habe und bei einem Turnier keine große Rolle spiele, oder einen nahezu gleichwertigen, für die Gruppe aber unkomplizierteren Ersatz. „Das ist ein grundsätzlich ganz wichtiger Punkt“, sagt Bode, „aber das gilt auch für Vereinsmannschaften. Da hockt man zwar nicht so konzentriert zusammen, aber über mehrere Jahre.“ So gesehen, kommt der vielfach kritisierten Entscheidung Völlers, Christian Ziege statt Jörg Böhme nachnominiert zu haben, eine wichtige gruppenpsychologische Bedeutung zu.“

Vielleicht mag Oliver Kahn seinen Opa gar nicht leiden. Dann kann er das Spiel notfalls auch alleine gewinnen

Marc Schürrmann (FTD 19.6.) ist skeptisch: „Schade: Für die deutsche Mannschaft ist die Europameisterschaft praktisch schon vorbei. Am Ende wird sie wieder einen Punkt haben und ein Tor, genau wie bei der EM 2000, das Volk weint, Völler mault, und der deutsche Fußball wird ein für allemal abgeschafft. (…) Unser einziger Ausweg ist die Einbürgerung ausländischer Fußballprofis. Green Foot oder so. So viele Leute sind das ja nicht, Steuern bringen sie auch ins Land, und wir hätten auf ewig den EM-Titel sicher. Und den WM-Titel ebenso. Immer. Weil nur noch Deutschland gegen Deutschland spielt. Andererseits würden dann auch Holländer für Deutschland auflaufen. Und Engländer. Dazu Italiener. Deutsche Spieler würden fortan spucken, deutsche Fans randalieren und „Hup Duitsland hup“ singen. Lassen wir das also doch lieber bleiben und hoffen auf ein Wunder. Immerhin war zu lesen, Oliver Kahn sei noch nie in Lettland gewesen. Vielleicht mag er seinen Opa gar nicht leiden. Dann kann er das Spiel notfalls auch alleine gewinnen.“

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