Internationaler Fußball
Der Fußballer und die Bratwurst
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| Montag, 21. Juni 2004Otto Rehhagel, „ein Ass mit gefärbten Haaren“ (Guardian) – dreht sich in Frankreich zu viel um Zinedine Zidane? (Le Monde) – englische Fans haben auch ihre guten Seiten (Guardian) u.v.m.
Der Fußballer und die Bratwurst
Jonathan Northcroft (Sunday Times 20.6.) schaut nach dem enttäuschenden Unentschieden bis ins Jahr 1998 zurück: „Als die Deutschen 1998 im WM-Viertelfinale durch Kroatien schwer geschockt wurden, druckte eine der großen Boulevardzeitungen am nächsten Tage einen Abschiedsbrief über eine komplette Zeitungsseite, mit der flehenden Bitte an Bundestrainer Berti Vogts, diesen doch zu unterschreiben. Zwei Jahre später, als Deutschland bei der EM die Gruppe als Letzter beendete, stellte ‚Bild’ ein Photo von Zinedine Zidane neben das einer Bratwurst und druckte folgende Bildunterschriften: ‚Das ist ein Fußballer’ und ‚Das ist ein deutscher Fußballer’. (…) Die kleinen Letten, deren Mannschaft meist aus Spielern von Skonto Riga, ehemaligen Ersatzspielern und Akteuren aus der russischen Liga besteht, habe es geschafft, sich gegen das mächtige Deutschland aufzubäumen. (…) Der lettische Trainer Aleksandrs Starkovs hatte insgesamt fünf Verteidiger gegen Deutschland aufgeboten, wobei Valentins Lobanovs die Aufgabe hatte, sich vor der Viererkette um Michael Ballack zu kümmern. Aber bereits nach nur 35 Sekunden sah es düster für Lettland aus, denn nach einem Foul an Ballack sah Lobanovs die gelbe Karte. (…) Völlers Auffassung vom Trainerjob hatte in der Vergangenheit öfter für Kritik gesorgt, aber besonders bei großen Turnieren agierte er dann meistens schlauer, als es so manche erwartet hatten. Aber im Spiel gegen Lettland sah man eine völlig andere Elf als im starken Erstrundenmatch gegen Holland.“
Am Ende hatten die Deutschen Glück
Duncan Wright (Daily Mirror 20.6.) blickt auf die Nullnummer gegen den kleinsten Fisch der EM: „Rudi Völler beharrte nach dem Unentschieden gegen Lettland, dem kleinsten Fisch der EM, darauf, dass es sich hierbei nicht um eine nationale Katastrophe handle. (…) Aber Fakt ist, dass es nun, nachdem es den Deutschen nicht gelungen ist, den lettischen Abwehrriegel zu knacken, sehr schwer werden wird, noch einen der insgesamt zwei Qualifikationsplätze zu ergattern. (…) Und am Ende hatten die Deutschen sogar noch großes Glück, dass der englische Schiedsrichter Mike Riley nicht auf den Elfmeterpunkt zeigte, nachdem Maris Verpakovskis zweimal gefoult wurde. (…) Nach der Partie sagte Völler: „Natürlich hatten wir uns mehr erhofft, es ist aber keine Katastrophe. Wir müssen das letzte Spiel gegen Tschechien einfach gewinnen und dann schauen wir weiter.“
Deutschland bleibt stimmlos
Le Soir/Belgien (19.6.) fügt hinzu: „Der Vize-Weltmeister läuft Gefahr auszuscheiden. Die Deutschen beherrschten dank einer besseren Technik das Spiel, aber die gefährlichen lettischen Konter stellten die Mannschaft vor Probleme. (…) Nach dem Seitenwechsel erhöhten die Deutschen den Druck, ohne sich jedoch wirklich klare Torchancen zu erspielen. (…) Mit diesem Ergebnis befindet sich die deutschen Nationalmannschaft in einer schwierigen Ausgangssituation, während die Letten bewiesen, dass ihre Teilnahme bei der Euro berechtig ist.“
Anfield-Duo versenkt Holland
Brian McNally (Daily Mirror 20.6.) über das Spiel der Tschechen gegen Holland: „Der Grundstein, der es den Tschechen im Spiel gegen die Niederlande ermöglichte, als erste Nation bei der Euro 2004 ins Viertelfinale einzuziehen, wurde in Liverpool gelegt. Das Duo von der Anfield Road, Milan Baros und Vladimir Smicer, versenkten durch ihre beiden Tore das holländische Boot, dass sich nach den frühen Toren von Wilfred Bouma und Ruud van Nistelrooy bereits auf gutem Kurs befand.“
Und das ganze Bier…
Ian Ridley (The Guardian 20.6.) erzählt von den guten Seiten englischer Fans: „Es könnten auch ein paar looney tunes an der Algarve gezeigt werden, aber der Zeichentrick-Charakter eines englischen Fans trifft nicht immer zu. Egal, zu welchem Spiel in Portugal man hingeht, welche Nationen auch immer beteiligt sind, englische Fußballanhänger und St.-Georges-Standards sind immer vertreten. (…) Es bestätigt das Gefühl, dass England, während es einige der schlimmsten Fans hat, eben auch einige der Besten hat. (…) Eigentlich sind englische Fans auf Turnieren nicht erwünscht. Trotzdem, wird ihr Geld gerne genommen. Wenn England riesige Summen ausgibt – für Tickets, Reisen, Komfort und das ganze Bier – dann sind sie auch willkommen.“
Ein Ass mit gefärbten Haaren
Tim Collings (The Guardian 20.6.) porträtiert Otto Rehhagel: “Er hat das Rentenalter schon erreicht, und wie vielen Deutsche ist ihm seine Erscheinung wichtig, er ist ein Ass mit gefärbten Haaren. Mit 65 sollte er eigentlich von ruhigen Tagen im Garten träumen – statt eine Nationalmannschaft zu betreuen. Aber, wie er in den letzten Wochen gezeigt hat ist er alles andere als eine verbrauchte Kraft. (…) Es sieht so aus, als würde sich der in Deutschland geborene auf Lebzeiten einen Platz in den Herzen der Griechen – und wahrscheinlich ein sehr schönes Ferienhaus auf den Inseln – verdienen (…) Er ist jetzt ein ehrenvoller Grieche. Nach der Qualifikation wurde er zu einem Fernsehinterview eingeladen in dem er adoptiert wurde und die Nationalhymne sang. Angetan von der Wärme der Gastfreundschaft seiner neuen Nation versprach er ihnen ein starkes Auftreten in Portugal.“
Einmann-Band und deus ex machina in einem
Dreht sich in Frankreich zu viel um Zinédine Zidane, Gérard Davet & Frédéric Potet (Le Monde 19.6.)? „Frankreichs Nationalmannschaft ist von Zidane abhängig. Entscheidend in den letzten Spielminuten beim Sieg gegen England, wesentlich am Unentschieden gegen Kroatien beteiligt, ist der Spieler von Real Madrid Einmann-Band und deus ex machina in einem. Ist Frankreich möglicherweise zu abhängig vom Talent des Spielmachers? Konkret geäußert hat sich Jacques Santini zu dieser Frage nicht. Robert Pires hat sich hier mehr gewagt: „Ja, die Nationalmannschaft ist ein wenig zu abhängig von Zizou. Sicher bleibt er der absolute Spielgestalter, er ist der Kopf der Mannschaft. Aber, hin und wieder, suchen wir ihn zu sehr. Wir wissen, dass er im Spiel enorm wichtig für uns ist, aber gelegentlich könnte wir auch was anderes versuchen.“
Die Schweiz hofft, dass Alexander Frei erwacht
Alain Constant (Le Monde 19.6.) warnt vor Alexander Frei: „Frei bleibt ein Rätsel. Mit Rennes hat er in der ersten französischen Liga eine bemerkenswerte Saison gespielt und war mit 20 Treffern nach Djibril Cissé zweitbester Torschütze der französischen Meisterschaft. Im Trikot der „Nati“ hat der sympathische Schweizer ebenfalls eine außergewöhnliche Bilanz: 15 Tore in 27 Spielen. Jedoch hat er schon seit sechs Pflichtspielen nicht mehr den Weg ins Tor gefunden.“