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Helfender Engel mit wallendem Haupthaar
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| Montag, 21. Juni 2004Otto Baric, „kleine Statur, großes Mundwerk“ (FAZ) – Pavel Nedved, „helfender Engel mit wallendem Haupthaar“ (NZZ) – was macht eigentlich Giovanni Trapattoni falsch? – Sven-Göran Eriksson treibt den Engländern ihre Tugenden aus (taz) – Dick Advocaat__ kämpft mit den Tränen – „ohne ein Spiel verloren zu haben, ist die französische Mannschaft unter Druck geraten“ (NZZ) u.v.m.
Überall Gruppendiskussionen über Systemfragen und in Frage gestellte Autoritäten
Fußball-Europa debattiert, registriert Christian Eichler (FAZ 21.6.): „Die „Euro 04″ gefällt sich als Spielwiese für Spätachtundsechziger: überall Gruppendiskussionen über Systemfragen und in Frage gestellte Autoritäten. Erst die Holländer, die vom 4-4-2 über 4-3-3 beim unterhaltsamen 3-4-3-System gegen die Tschechen landeten. Weil außer Lob nichts dabei herauskam, wird die Debatte über Trainer Advocaat weitergehen. Dann die Engländer, bei denen Trainer Eriksson nach dem Spiel gegen Frankreich die Mittelfeldleute zum Gespräch bat, die dabei der gewohnten Viererlinie den Vorzug vor Erikssons Viererraute gaben – die heimische Presse machte daraus prompt eine „Spielerrevolte“. Und nun die Franzosen: auch der Titelverteidiger ein Fall für Diskussionen in der Männerselbsthilfegruppe. Beim 1:2-Rückstand gegen Kroatien versammelte Zinedine Zidane seine wichtigsten Mitspieler zu einer „Notfall-Besprechung“, wie es Stürmer Thierry Henry nannte. In der Eile vor dem Wiederanstoß konnten natürlich keine langfristigen Systemfragen geklärt werden, nur die kurzfristige Einstellung, was wenigstens noch zum 2:2-Ausgleich reichte. Tags darauf aber, am Freitag abend, saß das Team in Kleingruppen zusammen. Was sich dabei als Mehrheitsmeinung bildete, trugen Kapitän Marcel Desailly und Anführer Zidane eine Stunde lang Trainer Jacques Santini vor. Mit Folgen für die Begegnung gegen die Schweiz, in der Frankreich an diesem Montag ein Remis braucht, um die Vorrunde zu überstehen. Der Pariser Sportzeitung „L‘Équipe“ zufolge ist die „Équipe tricolore“ mit dem 4-4-2-System nicht mehr glücklich, mit dem sie unter Santini in den letzten zwei Jahren die WM-Pleite mit Vorgänger Roger Lemerres 4-2-3-1 vergessen machten.“
Kleine Statur, großes Mundwerk
Thomas Klemm (FAZ 21.6.) befasst sich mit dem Wirken Otto Baric’, Trainer der Kroaten: „Den Mann ficht nichts mehr an, weil er weiß: Wie er in den Blätterwald hineingrantelt, so schallt es heraus. Mit starken Sprüchen und pausenlosen Plaudereien begleitet Baric seine Arbeit, seit er einst in der Landesliga beim FC Wiesbaden seine Wanderjahre als Trainer im deutschen, kroatischen und vor allem österreichischen Teil der Fußballwelt begann. Daß Klappern nicht das einzige Handwerk ist, das er versteht, beweisen zwölf Meistertitel, sechs Pokalsiege und zwei Teilnahmen an Europapokal-Endspielen: 1985 mit Rapid Wien, 1994 mit Austria Salzburg; nur beim VfB Stuttgart konnte er in der Spielzeit 1985/86 nicht viel mehr bewegen als seine Zunge. (…) Baric, von kleiner Statur, aber großem Mundwerk, ist im österreichischen Klagenfurt geboren und der älteste Trainer bei dieser Fußball-Europameisterschaft, das ist sicher. Ob er am vergangenen Samstag aber 71 Jahre alt wurde, wie er selbst behauptet, oder 72, wie es das Stadtarchiv nahelegt, ist unerheblich. Baric bleibt Baric in jedem Alter. Eben einer, der von seinen Spielern immer wieder mal „eine Million Prozent“ Einsatz verlangt und deshalb den Spitznamen „Otto Maximal“ seit Jahren genauso mit sich herumträgt wie die streng nach rechts gescheitelten Haare. Es ist immer die gleiche Geschichte, die heißt: der alte Mann und das Mehr. Maximale Anforderung geht bei Baric einher mit einem Höchstmaß an Vertrauen für jene Spieler, die seinen Vorstellungen vom Fußball folgen. Nachdem der unglückliche Igor Tudor gegen Frankreich beide Gegentreffer verschuldet hatte, weil er den Ball erst ins Tor abfälschte und sich anschließend einen fatalen Rückpaß leistete, wiegelte der Nationaltrainer ab: „Solche Fehler passieren den besten Spielern, das wird nicht wieder vorkommen.“ Das Gros der Mannschaft zahlt es Baric zurück, nicht nur auf dem Feld, wo sie den Titelverteidiger an den Rand einer Niederlage gebracht hatte, sondern auch abseits, wenn ihr Trainer in die Kritik gerät. Nachdem Blazevic auf dem Bildschirm behauptet hatte, „Baric ist ein Blinder“, antwortete Nico Kovac prompt im gleichen Stil: „Blazevic ist ein Zigeuner.““
Helfender Engel mit wallendem Haupthaar
Martin Hägele (NZZ 21.6.) beschreibt anschaulich das Spiel Pavel Nedveds: „In der Nachspielzeit luchste Nedved im eigenen Fünfmeterraum Ruud van Nistelrooy den Ball ab. Dieser Zweikampf zwischen den beiden Superstars sagte alles über den Stil und den Charakter der beiden Teams und ihrer Prototypen aus. In der niederländischen Equipe versuchen wie bei Manchester United auch neun Spieler, ihren Goalgetter van Nistelrooy in Schussposition zu bringen. Im Trikot von Juventus Turin oder in dem des tschechischen Ensembles aber rennt immer einer mehr als alle anderen. Man sieht diese blonden Locken, die zu den Beat-Bands der siebziger Jahre oder in einem Prinz-Eisenherz-Film gehören, überall auf dem platz. Pavel Nedved hat diesen Job, für den es bisher noch keine Bezeichnung gibt, für sich selbst kreier: denn ausser Torhüter spielt der Marathon-Mann alles: rettet hinten, ordnet im Mittelfeld, sucht sich Raum auf den Flügeln, spielt den öffnenden Pass, grätscht, dribbelt, rennt, schiesst. Und weil jeder seiner Mitspieler inzwischen weiss, dass, sobald er in Not gerät, ein helfender Engel mit wallendem Haupthaar neben ihm auftaucht, glaubt sich das Nedved-Team stets in Überzahl.“
Ein kalkulierendes Monster
Ronald Reng (taz 21.6.) vermisst englische Tugenden: „Englische Zeitungen wissen immer mehr. Das Massenblatt The Sun berichtete einmal weltexklusiv von einem Mann in Derbyshire, der Hämorrhoidencreme mit Superkleber verwechselt und sich auf seiner Kloschüssel festgeklebt hatte. Dieser Tage nun schrieben die Londoner Boulevardblätter geschlossen von einem Aufstand der englischen Mittelfeldspieler gegen Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson, was die Fantasie der Leser nicht ganz so anregte wie der Mann auf der Kloschüssel. Denn es muss die leiseste Revolution der Welt gewesen sein. Selbst die Spieler, die sie angeblich veranstalteten, hatten davon nichts mitbekommen. Das englische Mittelfeld, David Beckham, Paul Scholes, Frank Lampard und Steven Gerrard, war von Eriksson zu einer Besprechung gebeten worden. Es war ein freundlicher Gedankenaustausch über Probleme und Formation der Mittelreihe. Dies aber ist eine EM, ein Monat voller Hysterie und Überdrehtheit, da muss nur etwas von einem Treffen nach außen dringen und die halbe Welt schreit: „Krisenmeeting!“ Als Beckham nach dem Sieg über die Schweiz erzählte, „wir haben dem Trainer gesagt, dass wir uns im Mittelfeld mit vier Spielern auf einer Linie komfortabler fühlen als in einer Anordnung in Diamantenform“, erklang in der Presse der Ruf: „Revolution!“ (…) Selbstverständlich ist in all dieser lächerlichen Aufgeregtheit das Entscheidende völlig aus den Augen geraten: Es ist egal, ob England wie über weite Strecken der EM-Qualifikation mit dem Mittelfeld einen Diamanten zeichnet oder wie bis dato in Portugal eine gerade Schnur bildet – Englands Spiel ist für den Zuschauer nur schwer zu ertragen. Gerade jetzt, wo andere Favoriten dieses Turniers wie Tschechien, Spanien, die Niederlande mit geschwindem, attraktivem Fußball gefallen, sticht die Monotonie des englischen Spiels hervor. Der Schwede Eriksson habe aus England in den drei Jahren seiner Arbeit als erster ausländischer Nationaltrainer ein taktisch hervorragendes Team gemacht, heißt es gerne. Aber hat er es nicht auch in eine der langweiligsten Spitzenmannschaften seit der Erfindung des italienischen Defensivfußballs verwandelt? Tempo, traditionell die Basis des englischen Spiel, ist ein seltenes Gut geworden. Erikssons England ist besessen davon, die Ordnung nicht zu verlieren, die Kontrolle zu besitzen, ein kalkulierendes Monster, das dem Querpass huldigt.“
Wir sind Italien. Wir haben eine Geschichte
Sehr lesenswert! Birgit Schönau (SZ 21.6.) schildert Aufregung in Italien: „Gennaro Gattuso will 50 Fernsehkameras für Dänemark – Schweden. „Damit wir genau kontrollieren können, was zwischen denen passiert. Dauernd wollen sie uns belehren, wie man korrekt Fußball spielt. Sollen sich an die eigene Nase packen. Ich bin es leid. Wir sind Italien. Wir haben eine Geschichte.“ Und die anderen? Wikinger. Barbaren mit Kuhhörnern auf dem wilden Blondschopf, vereint durch die „Remis-Brücke“ (Corriere della Sera) über den Öresund, über die ihre Tifosi marschieren, um sich am Flughafen von Kopenhagen freundschaftlich zu umarmen. Mamma, die Wikinger! Ein skandinavisches 2:2, und die Azzurri gehen nach Hause. „Wir müssen ihnen vertrauen“, wie die Gazzetta dello Sport in Riesenlettern auf der Titelseite klagt. Und obwohl Italiens meistgelesene Tageszeitung in einem Leitartikel darauf hinweist, wie sportlich sich Schwedinnen und Däninnen an den Stränden des Bel Paese verhalten („Wenn eine Verlängerung möglich ist, merkst du es sofort: nix mit ewig den Hof machen und am Ende der Ferien stehst du immer noch bei 0:0. Die Mädchen sind immer korrekt, das kann jeder Bademeister bezeugen.“) – auf dem Platz stehen ja deren Männer. Normannen, die sich längst geeinigt haben auf ihr 2:2. Skol! Jetzt werden wir“s den Bademeistern mal zeigen. Ihren Ober-Papagallo haben wir ja schon ausgeknockt – Francesco Totti nach der Spuckattacke auf den Dänen Poulsen. Da hilft nur: Statistik. In 97 Spielen zwischen Dänemark und Schweden gab es nur 16 Mal Unentschieden. Andererseits: Die Wettbüros tippen auf 2:2. Eine Unverschämtheit von den Italienern, regelwidrige Absprachen zwischen den Spielern zu vermuten, hat sich der schwedische Uefa-Präsident Lennart Johansson aufgeregt: „In der nordischen Kultur gibt es so etwas nicht. Wir spielen, um uns zu vergnügen, und um zu siegen.“ Für „getürktes Spiel“, sagt Zlatan Ibrahimovic, gebe es im Schwedischen noch nicht einmal einen Begriff: „Wir sagen to fix, wie die Engländer.“ Machiavelli sei kein schwedischer Autor, sticheln die Schweden, und der Däne Thomas Helveg versichert: „Wir spielen ein Derby. Und das wollen wir gewinnen.“ Weil im Berlusconi-Italien aber der Lenin-Satz gilt, dass Vertrauen gut, Kontrolle jedoch besser ist, besteht die staatliche Radiotelevisione Italiana auf sieben eigenen Kameras für das Match der Nordmänner. Wegen der Lippenprobe. Kenner skandinavischer Sprachen könnten sich eine goldene Nase verdienen, falls sie es schaffen, den Spielern unlautere Sprüche vom Mund abzulesen. In die Debatte hat sich auch Oriana Fallaci eingeschaltet, die Grand Old Lady des italienischen Journalismus. Naja, Lady. In einem offenen Brief an die Gazzetta schreibt Fallaci, deren Anti-Araber-Pamphlete europaweit Millionenauflagen erreichen: „Lieber Totti, drei Stunden lang hat Sie dieser Däne geprügelt und getreten. Wenn ich auch kein Fußballfan bin, so habe ich doch alles gesehen. Mit Empörung. Ich hätte Poulsen aber eins in die Zähne gehauen und mit dem Knie eins in die . . . ich sag nicht wohin, getreten.“ Mammamia. Das war übrigens keine Persiflage, sondern ganz ernst gemeint. Die dänisch-arabische Weltverschwörung. Und mittendrin Totti als spuckender Kreuzritter.“
Wer versteht noch Giovanni Trapattoni, Barbara Klimke (BLZ 21.6.)? „Lange hatte sich Giovanni Trapattoni alles angehört, jede Frage ausführlich beantwortet, als aber von Impotenz die Rede war, wurde es ihm zu bunt. Er unterbrach den italienischen Dolmetscher und zupfte ihn am Ärmel. Impotenza? „Importanza!“, verbesserte Trapattoni (65) den Übersetzer. Schließlich hat er im Laufe seines nun dreißig Jahre währenden Trainerdaseins genügend Erfahrung gesammelt, um einen britischen Reporter zu verstehen. Der hatte nach dem Spiel von Trapattoni wissen wollen, welche Wichtigkeit (importance) er einem zweiten Stürmertor zugemessen hätte, das aber partout nicht gefallen war. Es ist eines der Geheimnisse dieser EM, warum es dem europäischen Verband selten gelingt, Dolmetscher aufzutreiben, die mindestens zwei Sprachen beherrschen, und nicht nur die eigene. Ungewollt aber hatte der Mann die Vorkommnisse der Partie auf den Punkt gebracht. War es Pech – oder konnten Italiens Stürmer an diesem Abend nicht, obwohl sie wollten? 1:1 endete das furiose Spiel zwischen Schweden und Italien, eine Stunde lang berannten die Italiener das Tor. „Es war für die Zuschauer sicherlich eine interessante Begegnung“, sagte Trapattoni, was eine höfliche Untertreibung war. Mittelfeldspieler Simone Perrotta nannte es das beste Spiel Italiens seit zwei Jahren. Nur ist die Frage, wie viele hochveranlagte Stürmer in diesem Land noch geboren werden müssen, damit in einem wichtigen Spiel auch mal einer trifft. Italien, das der Welt Leonardo da Vinci schenkte, hatte ja auch die Betonmauer in der Abwehr, den Catenaccio, erfunden. Dicht steht die Defensive immer noch; inzwischen aber verfügt die Squadra Azzurra auch über phänomenales Angriffspersonal.“
Nix locker, leicht und cremig
Ist Trapattoni an allem schuld, Oliver Trust (FR 21.6.)? „Giovanni Trapattoni zupfte dauernd nervös an seiner Krawatte. Nix locker, leicht und cremig. Die Lippen schmal, den Kopf angriffslustig nach vorne geneigt, das Gesicht rot vor Erregung, der Blick gehetzt. „Dieses Unentschieden macht uns das Leben schwer. Trotzdem haben wir noch alle Möglichkeiten“, sagte Trap. Er sah nicht aus, als sei er besonders überzeugt. Schon wird über seinen Nachfolger spekuliert. Scheitert sein Team in der Gruppe C, wird er gehen müssen. Über Claudio Gentile, U-21-Nationaltrainer Italiens, und Marcello Lippi (Juventus Turin) werde gesprochen, erzählten die Kollegen vom Fernsehsender Rai und schauten bedröppelt drein. Erst nachdem die Kameras abgeschaltet waren, erzählten ihnen die Spieler von ihren großen Zweifeln. (…) Daheim schrieben die Zeitungen: „Auf Wiedersehen, Europa.“ Es wird ein kleines Wunder brauchen, sonst fahren die Italiener frühzeitig nach Hause. Schuld wird nur einer sein: Trapattoni. Daheim in Italien machen sie ihn als ewigen Zauderer verächtlich. Weil er nach einem 60-minütigen Feuerwerk seiner Elf auf Europas Fußballbühne am Ende Kleinmut gezeigt hat.“
Ohne ein Spiel verloren zu haben, ist die französische Mannschaft unter Druck geraten
Frankreich beschäftigt sich mit Frankreich, Dario Venutti (NZZ 21.6.): „Obwohl Frankreich im letzten Gruppenspiel ausscheiden könnte, wird dem Gegner nur so weit Beachtung geschenkt, als es die Höflichkeit erfordert. Die Fussballer und Trainer des Titelhalters haben im letzten Jahrzehnt ein Selbstverständnis entwickelt, das sie als Fussball-Grossmacht ausweist. Desailly hat sich schon einmal präventiv darüber beklagt, dass Gegner von der Qualität der Schweiz eine lästige Pflichtübung darstellten. Solche Mannschaften bewegten sich in corpore fast nur in der eigenen Platzhälfte und wollten auf diese Weise Frankreich lediglich am Spielaufbau behindern. Und Santini kam nochmals auf das 2:2 gegen Kroatien zu sprechen. Die Enttäuschung bestand für ihn nicht allein im Resultat. Das Unentschieden und die damit verbundene Tatsache, dass Frankreich noch nicht für die Viertelfinals qualifiziert ist, hätten ihn der Möglichkeit beraubt, gegen die Schweiz den Ersatzspielern eine Chance zu geben. Die Fussball-Grossmacht weist sich auch dadurch aus, dass sie ihre Probleme auf einem hohen Abstraktionsniveau wälzt. Seit bekannt geworden ist, dass Desailly und Zinedine Zidane am letzten Mittwoch Santini um eine Audienz gebeten haben, wird in den französischen Medien seitenweise über einen Systemwechsel spekuliert. Der Captain und der Star ziehen dem 4-4-2 ein 4-5-1 vor, der Trainer wiederum lässt in seinen Aussagen durchblicken, dass gegen die Schweiz Zidane und Patrick Vieira im Mittelfeld nicht mehr auf gleicher Höhe, sondern um einige Meter versetzt spielen werden. Die Leistungen gegen England und Kroatien haben eine öffentliche Debatte über Taktik und System in Gang gesetzt, die fast schon wissenschaftlich geführt wird. Der Anlass dazu ist die Entstehung der vier Tore Frankreichs in den ersten beiden Gruppenspielen: Zwei Treffer wurden nach sogenannten Standardsituationen, die andern beiden nach Fehlern der gegnerischen Verteidigung erzielt. Die Sinnkrise Frankreichs besteht nun darin, dass kein Tor herausgespielt wurde. Der Schweizer Trainer Köbi Kuhn kann sich solche Probleme nur wünschen, denn seine Spieler haben sich in 120 Minuten nicht eine ernsthafte Torchance erarbeitet. Ohne an der EM ein Spiel verloren zu haben, ist die französische Mannschaft unter Druck geraten.“
Die NZZaS nennt fünf Gründe, warum Frankreich vielleicht kein Europameister wird
Stefan Hermanns (Tsp 21.6.) reicht Dick Advoccat ein Taschentuch: „Am Ende gewann Dick Advocaat wenigstens einen letzten Kampf – den Kampf gegen die Tränen. Das Blut war ihm ins Gesicht geschossen, seine Stimme stockte, die Augen waren glasig geworden. Aber Advocaat, der Kämpfer, weinte nicht. Er hatte mehrmals erklärt, warum es notwendig gewesen war, Arjen Robben, einen Stürmer, vom Feld zu nehmen; was er mit der Einwechslung des defensiven Mittelfeldspielers Paul Bosvelt bezweckt hatte. Aber Advocaat wusste, dass man seiner Argumentation wieder einmal nicht folgen würde und dass es nur einen Schuldigen für die Niederlage der Holländer gegen Tschechien geben würde: Dick Advocaat. „Ich habe mich an die Kritik gewöhnt“, sagte er. „Das geht schon seit zwei Jahren so.“ Dann aber schien er emotional zusammenzubrechen. Zur selben Zeit wütete 500 Kilometer weiter südlich an der Algarve Jan Mulder in einer Livesendung des holländischen Fernsehens gegen den Bondscoach. Die Auswechslung von Robben, der die beiden Tore der Holländer vorbereitet hatte, bezeichnete der prominente Fußballkritiker als „Wechsel des Jahrhunderts“. Sein Sohn Youri Mulder, der früher für Schalke 04 gespielt hat, äußerte die Vermutung, dass Advocaat habe verlieren wollen. Und der „Telegraaf“ sprach von einer „Dummheit erster Ordnung“: „Zum Leidwesen der 16 Millionen Bondscoachs in den Niederlanden holte der einzige Bondscoach, der das Sagen hat, seinen besten Spieler vom Feld.““
Was der mit dem Ball kann, mache ich mit einer Apfelsine
Oliver Trust (FR 21.6.) beschreibt Schwedens Sturm-Überraschung: „Zlatan Ibrahimovic, der Sohn jugoslawischer Einwanderer ist ein Typ der unerschrockenen Art, der oft aneckt und durch große Sprüche auffällt. „Ich treffe ständig auf Weltklassespieler und dominiere auch hier. Das bedeutet, dass ich auf diesem Niveau dazu gehöre“, sagte er unlängst. „Unschwedisch“ sei er, sagen sie in Malmö, wo Ibrahimovic im sozialen Brennpunktviertel Rosengard aufwuchs, ein fast reines Ausländergetto. Damals hätte kaum einer gewettet, dass der extrovertierte junge Bursche eine solche Karriere hinlegen würde. Die Eltern ließen sich kurz nach seiner Geburt scheiden. Er wuchs bei Vater Sefik auf, einem Hausmeister, der ein strenges Regiment führte. Seine Mutter Jurka geht heute noch putzen. „Sie will nicht aufhören, dazu ist sie zu stolz. Wenigstens arbeitet sie heute weniger“, sagt Zlatan Ibrahimovic. In der Schule war er als Rabauke bekannt. Der Filius lernte auf den Straßen Malmös, sich durchzusetzen. Die Ellbogenmentalität trug ihn bis zum Top-Club Ajax Amsterdam. Auch dort dauerte es eine ganze Weile, bis er akzeptiert wurde, weil sein rüdes Einsteigen gegen Mitspieler und Gegner auffiel. Dazu war er nie verlegen, wenn es um verächtliche Kommentare über Gegenspieler ging. „Was der mit dem Ball kann, mache ich mit einer Apfelsine“, spottete er über Roms Stürmer John Carew. Auf der Homepage im Internet ist sein Gesicht gleich dreimal zu sehen und wirkt, wie gewünscht, teuflisch.“