indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Vermischtes

Pures, pures Talent

Oliver Fritsch | Dienstag, 22. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für Pures, pures Talent

Holger Gertz (SZ) schildert den Mord an einem englischen Fan– wie gehen Fußballer und Journalisten heutzutage miteinander um? (FAZ) u.v.m.

Diese Person hatte nichts mit der EM zu tun

Holger Gertz (SZ 23.6.) erklärt, wie es zum Mord an einem englischen Fan gekommen ist: „Man kann sich manchmal direkt wundern, dass so wenig kaputt geht bei einer EM, deren Spiele auch in einer so schönen Stadt wie Lissabon stattfinden. Lissabon mit seinen außen gekachelten Häusern, mit dieser kleinen, wackeligen Straßenbahn, die seit über hundert Jahren den Hügel hinaufschnauft, mit losen Steinen im verfallenen Pflasterbelag der Seitenstraßen. Lissabon ist fragil, wie alles, was schön ist. Als am Montag, vor dem Spiel ihrer Teams, die fleischigen englischen Fans und die lauten aus Kroatien hier einfielen und vorbeimarschierten an Denkmälern, die – auf dem Sockel steht es – etwa gewidmet sind dem Herrn „Joao da Camara, Poeta e Dramaturgo“: es wirkte wie die Übernahme eines stillen Mikrokosmos durch das überhitzte Imperium des Fußballs. Wenn Welten aufeinander prallen, springt ein Funke, so war es auch diesmal, aber so wie es aussieht, waren nicht die Engländer schuld, sondern ein Ukrainer, 31 Jahre alt. Nachts um vier hatte er am Rossio-Square, wo die Fans nach den Spielen feiern, in der Menge gestanden und versucht, die günstige Gelegenheit für sein Handwerk zu nutzen. Er ist Taschendieb, der Polizei bekannt. Die Engländer, so erzählte es ein Fan später dem Guardian, hätten die Polizisten auf den Typen aufmerksam gemacht, aber die hätten nichts unternommen. Ein Engländer habe ihn schließlich weggeschubst, er sei verschwunden, aber ein paar Minuten später zurückgekommen, auf einen Tisch zugegangen, an dem englische Fans saßen, dann war da das Messer, mit dem stach er zu. Ein Mädchen schrie, sie hielten den Ukrainer fest, während der Engländer am Boden lag im Blut. Dann kam die Polizei und legte dem Messermann Handschellen an, und der Krankenwagen raste mit dem verwundeten Mann ins Lissaboner Sao Joseph Hospital, wo er, 28 Jahre alt, starb. Die Verletzungen waren zu schwer. (…) Als der Ukrainer als mutmaßlicher Täter ermittelt wurde, war – so zynisch das klingt – überall die Erleichterung spürbar. Natürlich bedauere die Uefa den Tod, erklärte deren Kommunikationsdirektor William Gaillard. „Wir sind traurig, dass dies passiert ist. Mit der Fußball-EM hat das aber nur am Rande zu tun.“ Der portugiesische Polizeisprecher Eduardo Alberto hatte zuvor schon ziemlich wortgleich Stellung bezogen – und auch das zwar nicht für den ermordeten Engländer, aber für die Veranstaltung wesentliche Detail hervorgehoben. „Diese Person“ – er meinte den Täter – „hatte nichts mit der EM zu tun.“ Man hat sich auf eine Sprachregelung geeinigt: Einzelschicksal, nicht zu verhindern.“

Jeder Trainer, der über seinen Schatten sprang und sein Nesthäkchen aufstellte, wurde belohnt

Matti Lieske (taz 23.6.) wünscht sich einen Einsatz von Lukas Podolski: „Warum das mit den Bulgaren nichts werden konnte, liegt auf der Hand. Natürlich ist der Trainer schuld. Plamen Markow hat es nicht gewagt, Waleri Boschinow vom italienischen Klub US Lecce in den Angriff zu stellen. Und sollte das deutsche Team heute Abend an der Aufgabe gegen Tschechien scheitern, könnte der Fall ähnlich liegen: Ohne Podolski fahrn wir wieder heim. Boschinow ist 18 Jahre alt, nur unwesentlich jünger als Lukas Podolski, und dies ist eindeutig die EM der Youngster. Jeder Trainer, der über seinen Schatten sprang und sein Nesthäkchen aufstellte, wurde belohnt. Wer dies früh genug tat, sogar sehr reichlich. Zugegeben, der Schatten, über den Sven-Göran Eriksson in Sachen Wayne Rooney springen musste, war nicht besonders groß. In England ist man weit eher als in anderen Ländern geneigt, jungen Spielern Verantwortung auf höchster Ebene zu übertragen. Die älteren Kollegen beißen die neue Konkurrenten um ihre Plätze im Team gemeinhin nicht weg, sondern versuchen, sie zu integrieren und ihnen zu helfen. Davon weiß zum Beispiel Robert Huth zu berichten, der gelegentlich in der Abwehr vom FC Chelsea spielt, beim DFB aber noch in der U 20 herumkrebst. Rooney hat schon eine ganze Menge Premier League beim FC Everton hinter sich, und kaum hatte er dort die ersten Großtaten vollbracht, händigte ihm Eriksson schon das Trikot mit den drei Löwen aus. Darum wirkt der 18-Jährige, abgesehen vom „puren, puren Talent“ (Eriksson), bereits wesentlich reifer als seine Altersgenossen, auch was taktisches Verhalten, Defensivarbeit und Mannschaftsspiel anbelangt. Inzwischen hat er sich sogar so gut eingewöhnt, dass er sich traut, den Coach als „Sven“ zu bezeichnen, wenn er über ihn spricht. Zuvor war es noch „Mr. Eriksson“ oder, im besten Liverpudlian, „the gaffer“, der Boss.“

Peter Penders (FAZ 23.6.) lotet die Konflikt zwischen Fußballern und Journalisten aus: „Etwas hat sich in den vergangenen Jahren drastisch verändert im Umgang zwischen Sportlern und Journalisten. Seit aus den Athleten auch Showstars geworden sind, ist nicht nur deren Entlohnung gestiegen – sondern auch das Interesse an allem, was um sie herum passiert. Oder eben nicht passiert. Engländer wie Franzosen mußten sich in Portugal der Berichterstattung über eine angebliche Spielerrevolte gegen ihren Trainer erwehren, dabei hatten Eriksson wie Santini sich nur mit ihren wichtigsten Spielern über die Taktik beraten. Das aber hat schon Herberger mit Fritz Walter getan, wie jeder Kinobesucher im „Wunder von Bern“ kürzlich erst erkennen konnte. „Wichtig ist auf dem Platz“ – das war früher einmal. Es gibt natürlich keinen Grund, warum die Boulevardisierung der Gesellschaft ausgerechnet den Sport ausnehmen sollte. Klatsch- und Tratschgeschichten lassen sich schließlich vor allem deshalb so gut verkaufen, weil sie leider gerne konsumiert werden. Diese begleitende Berichterstattung bekommt deshalb immer mehr Raum, was mitunter die Phantasie arg strapaziert und mühelos jedes Niveau auf dem Platz deutlich unterschreitet, wenn im Fernsehen wieder einmal nach Spielschluß zu grölenden Fans umgeschaltet wird oder sich drittklassige Comedians an einer Aufarbeitung versuchen. Ein bißchen weniger Hysterie würde dem Ganzen guttun. Allerdings verhilft auch eher seriöser Journalismus nicht zwingend zu einer entspannteren Atmosphäre: Die Schweizer Spieler wollen nun mit ihrem Fernsehsender auch nicht mehr reden, weil der – ganz unpatriotisch – die Bilder des spuckenden Kollegen Frei veröffentlicht hat.“

Michael Horeni (FAZ/Politik 23.6.) untersucht die Kommunikation um die deutsche Elf: „Es gibt ein paar Dinge, die man nicht tun sollte in der Nationalmannschaft. Dazu gehört, sich selbst für einen Einsatz ins Gespräch zu bringen. Der Teamchef mag das nicht. Schon gar nicht schätzt er es, wenn der eine den anderen kritisiert und seinen Platz öffentlich einfordert. Dann ist der Spieler erledigt, aber auch die Mannschaft. „Dann funktioniert ein Team nicht mehr“, sagt Marco Bode. Er ist einer der vielen Fußball-Fernsehexperten rund um die Nationalmannschaft. Bode war selbst Nationalspieler bei der vergangenen Welt- und Europameisterschaft, und der ehemalige Bremer weiß, wann Mannschaften „funktionieren“. Vor zwei Jahren funktionierte die Mannschaft, und die Deutschen wurden Zweite bei der Weltmeisterschaft in Japan und Korea. Vor vier Jahren aber kollabierte das Team, und daraus erwuchs die große Krise des deutschen Fußballs, weil auch sonst nicht mehr viel funktionierte. „Mit Freunden zu spielen hat mir immer mehr Spaß gemacht“, sagt er. Bode ist kein Herberger-Romantiker, sondern ein kluger Realist. Realistisch ist auch die „Generation 04″, die weiß, daß jeder den anderen braucht. Es nützt jedem. Die Mannschaft und alle Begriffe, die um sie kreisen und sich mit ihr verbinden, sind etwas Heiliges im Reich des Rudi Völler. Das Team, seinen Geist gilt es zu hegen und zu pflegen – und vor allem zu schützen vor der Welt da draußen vor den Toren des Ria Garden Park Hotel in Almancil. Die Spieler wissen das. Wie sie das fragile Gut behandeln sollen, lernen die Jüngsten zwar nicht im Schlaf, aber auch auf ihren Betten, wenn sie mittags um zwölf Uhr Ortszeit das Fernsehgerät einschalten. Dann begrüßt DFB-Mediendirektor Harald Stenger live im öffentlich-rechtlichen Fernsehen „die deutschen Fußballfans“ zur Pressekonferenz, und es wird eine Welt präsentiert, von der niemand weiß, ob es sie wirklich gibt.“

Eine Frau interessiert sich für Fußball. Oder: Sie verweigert sich einfach

Katrin Weber-Klüver (taz 23.6.) interessiert sich für Spielerfrauen: „Bekanntlich haben Frauen keine Ahnung von Abseits. Und wissen auch nichts von Viererkette. Und würden bei der Frage nach der Aufstellung der 74er-Weltmeistermannschaft nur Kringel malen. Und kennen David Beckham bloß, weil er mit Victoria in bunten Blättern auftaucht. Bekanntlich suchen die meisten Frauen gleichwohl die Nähe zu Männern. Männer aber haben, siehe oben, nichts als Fußball im Kopf. Deshalb ist eine Überbrückung der Kluft von Männerseite her nicht möglich, im Männerkopf ist einfach kein Platz mehr. Muss sich also die Frau aufmachen, um über den Graben der Unwissenheit zu springen Deshalb wird die Frau als solche derzeit überschüttet mit Fußballjunk in Wegwerfbuchform (mit so wegweisenden Titeln wie „Ersatzbankknigge“), öffentlich-rechtlicher Talkshowform (mit einem so anspielungsreichen Titel wie „Ballkontakte“ und halb bekleideter Moderatorin), in Zeitungsglösschen (wie dieser), die empörte oder genervte oder ganz lustige Frauen (selten Männer) schreiben. Dabei gibt es jenseits von Marketingstrategie im echten Leben nur zwei Möglichkeiten: Eine Frau interessiert sich für Fußball. Oder: Sie verweigert sich einfach. (…) Richtig unverzichtbar ist die Frau im Fußball sowieso nur als Spielerfrau. Hat auch die englische Spielerfrau Shelley Webb erkannt: „Fußball ist der größte Gott, der Mann lebt für ihn, und die Frau ist Teil seiner Ausrüstung – wie die Schienbeinschoner“? Da weiß jeder, was er hat. Jede auch.“

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

104 queries. 0,507 seconds.